Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 43 SB 572/06
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 SB 13/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Februar 2010 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 7. November 2013 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Streit.
Bei dem 1966 geborenen Kläger wurde erstmals 1988 ein malignes Melanom der Haut im Stadium pTBaN0M0 diagnostiziert und operativ entfernt. Nach zehnjähriger Rezidivfreiheit wurde bei dem Kläger Anfang 1999 eine Lymphknotenmetastase operativ entfernt; in derselben Operation wurden fünf weitere tumorfreie Lymphknoten entfernt.
Auf den Antrag des Klägers nach dem Schwerbehindertenrecht vom 29. Oktober 1999 zuerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 einen GdB von 80, legte hierbei eine "operierte chronische Haut- und Lymphknotenerkrankung" in Heilungsbewährung ihrer Entscheidung zugrunde und führte hierzu aus, nach Behandlung von Krankheiten, die zu erneutem Auftreten neigten, bzw. bei denen die Belastbarkeit noch nicht feststehe, werde eine Zeit der Heilungsbewährung abgewartet. In diesem Zeitraum werde der GdB aufgrund der Beeinträchtigung der gesamten Lebensführung höher angesetzt. Im Anschluss an die Zeit der Heilungsbewährung werde der GdB nur noch von dem verbliebenen Organ- oder Gliedmaßenschaden bzw. von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung bestimmt.
Nach einer weiteren Operation mit Entfernung einer Metastase an der Nebenniere im Januar 2000 stellte der Kläger einen formlosen Neufeststellungsantrag, der erfolglos blieb (bestandskräftiger Bescheid vom 20. März 2001).
Im Januar 2005 führte die Beklagte eine Nachprüfung von Amts wegen wegen Ablaufs der Heilungsbewährung durch. Nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte hörte sie den Kläger mit Schreiben vom 26. Mai 2005 zu einer beabsichtigten Aufhebung des Bescheides vom 9. Dezember 1999 an und hob mit Bescheid vom 5. September 2005 die in dem Bescheid vom 9. Dezember 1995 getroffenen Feststellungen über den GdB ab 12. September 2005 auf. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. September 2006).
In dem sich anschließenden Klagverfahren hat das Sozialgericht Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt, sowie auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch/ hämatologisch/onkologischen Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige Dt. Platz führte in seinem Gutachten vom 6. Juni 2008 im Wesentlichen aus, die zentrale Frage in der Beurteilung stelle die Rezidivgefahr der Erkrankung dar, denn die (damals geltenden) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) trügen keiner messbaren Funktionseinschränkung Rechnung, sondern (ausschließlich) der Tatsache, dass es sich um einen potentiell tödlichen Verlauf handele. Jedoch sei eine durchschnittliche Heilungsbewährung von 5 Jahren bei einer Reihe von Erkrankungen und einer Vielzahl von Einzelfällen unangemessen. Hätte der Kläger 1988 eine Schwerbehinderung beantragt, hätte er nach Auffassung des Gutachters einen GdB von 80 bei 5 Jahren Heilungsbewährung bekommen, bei einem Verschlimmerungsantrag im Januar 1999 einen GdB von 100 auf Dauer. Im Nachhinein sei daher ein GdB von 80 gerechtfertigt, dieser solle auf einen Zeitraum von 11 bis 15 Jahren gewährt werden.
Des Weiteren reichte der Kläger eine gutachterliche Stellungnahme der Ärztin und Diplompsychologin K. vom 19. August 2009 ein, aus welcher sich ergab, dass der Kläger auf die Verschlechterung der Prognose seiner Erkrankung durch die aufgetretenen Metastasen mit erheblicher Verunsicherung und depressiver Störung reagiert habe, Besonders belastend und bedrohend nehme er die häufigen Nachsorgeuntersuchungen wahr. Die Rezidivgefahr präge nach wie vor seinen Alltag und zwinge ihn zu einem privaten und beruflichen Leben, welches wenig Spielraum für eigentlich mögliche und angestrebte Entwicklungen lasse. Auch den Wunsch nach einer Familiengründung habe der Kläger aus diesem Grund zurückgestellt, ebenso wie ein Studium im Wunschberuf. Die Beklagte erließ daraufhin am 15. Februar 2010 einen Neufeststellungsbescheid, mit welchem sie einen GdB von 20 ab 19. August 2009 zuerkannte und dabei folgende Gesundheitsstörungen berücksichtigte:
Psychische Minderbelastbarkeit (Teil GdB 20) Teilverlust der linken Nebenniere (Teil GdB 10) Funktionsstörung der Wirbelsäule (Teil GdB 10) Lymphödem des rechten Beines (Teil GdB10)
Mit Urteil vom 16. Februar 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die von dem Gutachter Dr. Platz vorgeschlagene verlängerte Heilungsbewährung sei nicht gesetzeskonform und im Übrigen zum Zeitpunkt der Entscheidung auch bereits abgelaufen. Für die bei dem Kläger nach Ablauf der Heilungsbewährung verbliebene psychische Minderbelastbarkeit sei der von der Beklagten zuletzt berücksichtigte GdB von 20 angemessen; auch die restlichen verbliebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien ausreichend berücksichtigt.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 1. Juni 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21. Juni 2010 Berufung eingelegt, mit welcher er die Auffassung vertritt, in seinem Fall habe die Heilungsbewährung nach Auftreten der Rezidive auf 15 Jahre verlängert werden müssen. Auch seien weder das Lymphödem noch die psychische Beeinträchtigung in ihren Auswirkungen hinreichend berücksichtigt worden.
Das Berufungsgericht hat zur Vorbereitung des Termins zur mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Neurologe und Psychiater Prof. Dr. M. gelangt in seinem Gutachten vom 22. Oktober 2013 zu der Einschätzung, der Kläger wirke durchgängig leicht bis mittelgradig angespannt, was sich im Laufe der Untersuchung etwas, aber nicht vollständig gebessert habe. Die Stimmung schwanke zwischen sorgenvoll-ängstlich und leicht bedrückt mit insgesamt leicht eingeschränkter affektiver Modulationsbreite. Er wirke im Antrieb schwunglos und von verminderter Lebensfreude. Eine hochgradige Denkeinengung bestehe nicht, wenngleich das Denken inhaltlich nicht unwesentlich von Sorgen um die eigene Gesundheit, auch in Verbindung mit nachvollziehbarer Grübelneigung und Durchschlafstörungen, geprägt werde. Es bestehe auch eine verstärkte Neigung zum Kontrollieren und zum Horten von Gegenständen, die vielleicht noch einmal gebraucht werden könnten. Im September 2012 habe bei dem Kläger zudem ein Tinnitus eingesetzt, der den psychischen Zustand noch einmal verschlechtert habe. In der Untersuchung habe sich in der Gesamtschau eine leichte bis mittelgradige depressive Störung gezeigt, die aber über einen GdB von 20 hinausgehe. Mit einem GdB von 30 sei auch die aus dem Tinnitus sich ergebende psychische Beeinträchtigung angemessen gewürdigt. Dieser sei sicherlich seit Beginn der psychologischen Psychotherapie am 7. Februar 2013 gegeben.
Die Beklagte hat daraufhin unter dem 7. November 2013 einen Neufeststellungsbescheid mit einem GdB von 30 erteilt, mit einem Teil GdB von 30 ab 7. Februar 2013 für die psychische Störung bei im Übrigen unverändert berücksichtigten Gesundheitsstörungen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Februar 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2006 und die Bescheide vom 15. Februar 2010 und vom 7. November 2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, mit dem zuletzt ergangenen Bescheid die Gesundheitsstörungen des Klägers zutreffend berücksichtigt zu haben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegen-stand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts, über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats nach § 155 Abs. 3, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht ein höherer GdB als 30 nicht zu. Aus diesem Grund war die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 7. November 2013, der Gegenstand des Berufungsverfahren geworden ist, war abzuweisen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 10. Aufl. 2012, § 96 Rn. 7).
Die der Berufung zugrunde liegende Klage ist in Gestalt der isolierten Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGG zulässig. Gegenstand dieser Klage ist zum einen der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2006, mit welchem die Beklagte die mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 getroffenen Teststellungen über den GdB aufgehoben hat. Bei Aufhebung dieses Bescheides lebte der ursprüngliche Feststellungsbescheid vom 9. Dezember 1999 wieder auf, mit dem der Beklagte den GdB zugunsten der Klägerin mit 80 festgestellt hatte. Gegenstand des Klag- bzw. Berufungsverfahrens sind des Weiteren die Bescheide der Beklagten vom 15. Februar 2010 und vom 7. November 2013, mit denen der Beklagte zugunsten der Klägerin den GdB für die Zeit ab dem 19. August 2009 mit 20 und für die Zeit ab dem 7. Februar 2013 mit 30 festgestellt hat. Diese Bescheide ändern den angefochtenen Bescheid vom 5. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2006 im Sinne des § 96 Abs. 1 SGG zum Teil - nämlich jeweils für die Zeit ab 19. August 2009 und ab 7. Februar 2013 - ab.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, gegen den formelle Bedenken nicht bestehen, ist § 48 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein – wie hier von Anfang an rechtmäßiger – Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Letzteres ist hier der Fall. Denn entgegen der Auffassung des Klägers hat sich sein Gesundheitszustand soweit verbessert, dass ein GdB im Zeitraum vom 12. September 2005 bis zum 18. August 2009 nicht mehr festzustellen war.
Auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Beklagte wirksam den Bescheid vom 9. Dezember 1999 aufgehoben. In der Zeit nach dem Erlass dieses Bescheids ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen durch den Ablauf einer Heilungsbewährung eingetreten, die nicht mehr den mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 festgestellten GdB von 80, sondern lediglich ab 19. August 2009 einen GdB von 20 und ab 7. Februar 2013 einen GdB von 30 rechtfertigt.
Maßgebliche Bestimmung für die Feststellung des GdB ist § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), der hier noch in der Fassung des Gesetzes vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) anwendbar ist. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest, wobei nach Abs. 1 Satz 5 dieser Vorschrift eine Feststellung nur zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind zunächst die im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides einschlägigen, seinerzeit noch vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz von 2005 (AHP 2005) heranzuziehen. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. nur Urteil v. 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R – Juris Rn. 26).
Der Ablauf der Heilungsbewährung im September 2005 stellt eine tatsächliche Veränderung im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X dar, der zunächst eine Aufhebung der Feststellungen zum GdB, später einen GdB von 20 bzw. 30 rechtfertigte. Die Zeitdauer der Heilungsbewährung bei malignen Erkrankungen basiert auf Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über die Gefahr des Auftretens einer Rezidiverkrankung in den ersten fünf Jahren nach der Erstbehandlung sowie der regelmäßig vorhandenen subjektiven Befürchtung vor einem Rezidiv. Der Begriff der Heilungsbewährung wurde erstmals 1965 in die Anhaltspunkte übernommen. Er geht zurück auf die Rechtsprechung des BSG zu wesentlichen Änderungen im Sinne des § 62 BVG bei Lungentuberkulosen. In seinem Urteil vom 22.05.1962 (9 RV 590/59 – Juris) hatte das BSG entschieden, wenn die Inaktivität einer Lungentuberkulose längere Zeit - etwa fünf Jahre - ohne Rückfälle andauere, könne die damit eingetretene klinische Heilung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellen, die eine Rentenentziehung oder Herabsetzung rechtfertige. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass während der Bewährungszeit die MdE höher zu beurteilen sei, als sie sich allein aus dem verbliebenen funktionellen Schaden ergebe.
Die Grundsätze der Heilungsbewährung wurden in den jeweiligen Anhaltspunkten wiederholt modifiziert, wobei bei den jeweiligen Änderungen die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft beachtet wurden. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass das Abwarten einer Heilungsbewährung bei der Tuberkulose wegen der Wirksamkeit der modernen Chemotherapie in aller Regel nicht mehr erforderlich ist. Auch bei Herzinfarkten wird nach den AHP und dem folgend auch in den nunmehr geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VersMedV) im Gegensatz zu früher im Regelfall die Berücksichtigung einer Heilungsbewährung nicht mehr als notwendig angesehen. Nach den derzeit gültigen VersMedV soll – ebenso wie nach den AHP 2005 - eine Heilungsbewährung bei einer Reihe von Erkrankungen abgewartet werden. Im Vordergrund stehen dabei nach wie vor die Krebserkrankungen. In diesem Zusammenhang wird von medizinischer Seite immer wieder darauf hingewiesen, dass pauschale Zeitspannen nicht den besonderen Umständen des Einzelfalls gerecht werden (vgl. zu alledem ausführlich und mit weiteren Nachweisen: LSG Sachsen, Urteil vom 25.05.2005 – L 6 SB 55/04).
Bei der Anhebung des GdB/MdE-Grades unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung handelt es sich um ein mehr oder weniger pauschales Verfahren, in welchem - ohne gesonderte Anerkennung einer irgendwie diagnostizierten geistig-psychischen Behinderung ("Rezidivangst") - der psychischen Ausnahmesituation, die bei bestimmten Diagnosen wie z.B. der Krebsdiagnose besteht, umfassend Rechnung getragen werden soll (vgl. LSG Sachsen, Urteil vom 20.10.1999 - L 4 SB 23/97 - Juris; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 23.05.2003 - L 2 U 259/02 - Juris; LSG Sachsen, Urteil vom 25.05.2005 – L 6 SB 55/04 - Juris).
Die Ungewissheit spielt hierbei eine wesentliche, aber nicht die alleinige Rolle. Solange die "Heilungsbewährung" noch nicht eingetreten ist, hängt das Damoklesschwert des Rezidivs über dem Betroffenen (vgl. BSG, Urteil vom 25.05.1988 – 9/ 9a RVs 8/87 - Juris). Der Begriff Heilungsbewährung beschreibt dabei aber nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Heilungsbewährung erfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995 - 9 RVs 14/94 - Juris). Hierzu zählen die Dauertherapie, das Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, eine notwendige Schonung, die Antriebsarmut, die Hoffnungslosigkeit und eventuelle soziale Anpassungsprobleme (LSG Sachsen, Urteil vom 25.05.2005 – L 6 SB 55/04 - Juris).
Soweit der Kläger vorliegend geltend macht, es liege in seinem Fall gewissermaßen ein Fall der fehlgeschlagenen Heilungsbewährung vor, weil in den Jahren 1999 und 2000 zwei Rezidive aufgetreten sind, so stellt sich die Frage, ob gleichwohl nach den starren Regeln der AHP 2005 nach dem letzten Rezidiv eine Heilungsbewährung von fünf Jahren abzuwarten war (AHP 2005 Ziff. 26.17, S. 111), oder ob unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Erkrankung des Klägers unabhängig von dieser Pauschalierung der Zeitpunkt festzulegen ist, zu welchem eine Änderung der Verhältnisse aus medizinischer Sicht in der Weise eingetreten ist, dass eine erhebliche Rezidivgefahr nicht mehr besteht.
Unter Berücksichtigung einer Zusammenschau der Beschlüsse der Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA (im Folgenden: Beiratsbeschlüsse) ergibt sich dabei, dass die Entscheidung der Beklagten im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. So führt im Beiratsbeschluss vom 22. Oktober 1986 der Sachverständigenbeirat zur Höhe des GdB bei Mehrfachkarzinom und zur Heilungsbewährung aus:
"Nach der Entfernung von zwei oder mehr malignen Geschwülsten verschiedener Art sei bei der gutachtlichen Beurteilung davon auszugehen, dass die Prognose insgesamt ungünstiger sei, als wenn nur eine maligne Geschwulst entfernt worden sei. Dies treffe auch dann zu, wenn zwei bösartige Geschwülste im Frühstadium - entsprechend der Nr. 26.1 der "Anhaltspunkte" -, also solche mit einer relativ günstigen Prognose, beseitigt worden seien. In diesem Fall sei - entsprechend der ungünstigeren Situation durch das Zusammentreffen von zwei.Geschwulstleiden - ein GdB von mindestens 80 für die Zeit der Heilungsgewährung anzunehmen. Beim Zusammentreffen einer prognostisch günstigen Geschwulstkrankheit und einer prognostisch ungünstigen sei in jedem Fall für die Zeit der Heilungsbewährung nach der Geschwulstentfernung ein GdB von 100 anzusetzen."
Hieraus folgt, dass eine insgesamt ungünstigere Prognose einer malignen Erkrankung regelhaft nicht zu einer Verlängerung der Heilungsbewährung, sondern stattdessen zu einem höheren GdB führt. Insofern ist dem Sachverständigen Dr. Platz möglicherweise darin zu folgen, dass dem Kläger – nach der durchgemachten Ersterkrankung im Jahre 1988 – aufgrund der zwischenzeitlich aufgetretenen Rezidive in den Jahren 1999 und 2000 spätestens im Jahr 2000 ein GdB von 100 zuzubilligen gewesen wäre. Dies ist indes nicht Gegenstand des Verfahrens; zudem sind die Bescheide vom 9. Dezember 1999 und vom 20. März 2001 bestandskräftig.
Im Beiratsbeschluss vom 18. März 1998 heißt es zur gutachterlichen Beurteilung bei Spätrezidiven maligner Erkrankungen:
"Die Beiratsmitglieder stellten dazu fest, dass Rezidive und Metastasen - unabhängig vom Zeitpunkt ihres Auftretens - das Vorliegen einer in der Regel fortgeschrittenen Krebserkrankung belegten. Dementsprechend wird der MdE/GdB- Wert regelhaft und auf Dauer 100 betragen. Eine GdB/MdE-Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung kommt dann in Betracht, wenn ein Rezidiv oder Metastasen vollständig entfernt worden sind. Für die Bezeichnung des Krebsleidens kann keine generelle Empfehlung gegeben werden."
In einer Ergänzung hierzu heißt es im Beschluss vom 28. April 1999:
"Von den Beiratsmitgliedern wurde darauf hingewiesen, dass die o.g. Ausführungen zu Punkt 2.2.2 der Niederschrift über die Sitzung am 18./19.03.1998 missverstanden worden seien, denn dort wurde ein GdB/MdE-Grad von 100 auf Dauer nur für die Fälle als gerechtfertigt angesehen, in denen Rezidive und Metastasen Ausdruck einer fortgeschrittenen Krebserkrankung seien. Genau diese Situation sei aber beim Auftreten eines Frühkarzinoms nicht gegeben. Da Frühkarzinome - auch wenn sie lange nach einem vorangegangenen Tumorleiden auftreten - gut behandelbar seien, sei der GdB/MdE-Grad nach Beseitigung eines solchen Tumors stets unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung mit wenigstens 50 zu beurteilen."
Hieraus ergibt sich zwar, dass nach dem Auftreten von Spätrezidiven der GdB 100 auf Dauer betragen kann, dies aber nur dann, wenn diese Spätrezidive Bestandteil einer fortgeschrittenen Metastasierung sind und davon auszugehen ist, dass die Krebserkrankung sich im Endstadium befindet. Sind dagegen – wie vorliegend – einzelne Rezidive vollständig entfernt worden, ohne dass erkennbar Metastasen im Körper verblieben sind, so ist auch nach diesem Beiratsbeschluss kein GdB von 80 oder 100 auf Dauer angemessen.
Schließlich führt der Sachverständigenbeirat im Beschluss vom 28. April 1999 zur gutachterlichen Beurteilung nach Metastasenentfernung bei unbekanntem Primärtumor aus:
"In der Diskussion wurde deutlich, dass die Diagnose einer Metastase bei unbekanntem Primärtumor mit Zurückhaltung zu bewerten sei, weil ihr nicht immer eine umfassende Diagnostik zugrunde liege (z.B. Diagnosestellung mit den üblichen histologischen Verfahren und nicht mit, modernen molekularbiologischen und zytogenetischen Verfahren). Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse sprachen sich die Beiratsmitglieder dafür aus, in diesen Fällen den GdB/MdE-Grad nach Metastasenentfernung wie bei einem Primärtumor unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung zu beurteilen. Der GdB/MdE-Grad ergebe sich aus den in der GdB/MdE-Tabelle der "Anhaltspunkte" genannten Kriterien."
Auch hieraus ergibt sich, dass im Zweifel, wenn jedenfalls von einer Krebserkrankung im fortgeschrittenen Stadium nicht sicher auszugehen ist, der GdB unter dem Aspekt einer Heilungsbewährung festzustellen ist. Die Beklagte hat daher zu Recht im September 2005 den Ablauf der Heilungsbewährung nach Entfernung des Rezidivs im Januar 2000 ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt.
Die bei dem Kläger nach Ablauf der Heilungsbewährung zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vorliegenden Funktionseinschränkungen rechtfertigten zunächst nicht die Zuerkennung eines GdB. Nach den Befundberichten der behandelnden Ärzte des Klägers lag zu diesem Zeitpunkt als Folge der malignen Erkrankung lediglich ein Teilverlust der linken Nebenniere vor. In psychiatrischer, psychotherapeutischer oder psychologischer Behandlung befand sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht, Einschränkungen der psychischen Befindlichkeit sind auch zu diesem Zeitpunkt von den behandelnden Ärzten nicht dokumentiert. Diese sind erstmals dokumentiert im August 2008 durch Frau Dr. K. und später im Sinne einer Verschlimmerung aufgrund eines Tinnitus durch Prof. Dr. M ... Letzterer hat die Störung des Klägers als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit einem GdB von 30 zutreffend bemessen (VersMedV B 3.7). Auf das Gutachten wird insoweit Bezug genommen. Der Tinnitus ist daneben nicht gesondert mit einem GdB zu bewerten; auch insoweit kommt es ausschließlich auf die psychischen Folgen an (VersMedV B 5.3).
Als weitere Gesundheitsstörungen sind ein Teilverlust der linken Nebenniere ohne Einschränkungen der Nierenfunktion und ohne Beschwerden, mit krankhaftem Harnbefund mit einem Teil-GdB von 10 (VersMedV B 12.1.1), Funktionsstörungen der Wirbelsäule mit geringen funktionellen Auswirkungen mit einem Teil-GdB von 10 (VersMedV B 18.9) und ein Lymphödem des rechten Beines ohne wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 10 (VersMedV B 9.2.3) zutreffend bewertet. Eine höhere Bewertung des Lymphödems wäre nur gerechtfertigt bei einer Umfangsvermehrung von mehr als 3 cm. Eine solche ist bisher nicht dokumentiert.
Die so ermittelten Einzel-GdB-Grade sind nicht zu addieren, noch ist eine andere Rechenmethode zur Bildung eines Gesamt-GdB anzuwenden. Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer einzelnen Beziehungen zueinander (VersMedV A 3a). Dabei sind Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (VersMedV A 3b). In der Regel ist dabei von der Beeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Beeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen weiterer Beeinträchtigungen der höchste Einzel-GdB angemessen durch Hinzufügen von 10,20 oder mehr Punkten zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VersMedV A 3c). Von Ausnahmefällen (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB- Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VersMedV A 3d)ee). Danach ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagten den GdB des Klägers ab 19. August 2009 mit 20 und ab 7. Februar 2013 mit 30 festgestellt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits in der Hauptsache unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte Änderungen der Sachlage umgehend im Sinne eines sofortigen Anerkenntnisses beschieden hat.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Vorausset-zungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Streit.
Bei dem 1966 geborenen Kläger wurde erstmals 1988 ein malignes Melanom der Haut im Stadium pTBaN0M0 diagnostiziert und operativ entfernt. Nach zehnjähriger Rezidivfreiheit wurde bei dem Kläger Anfang 1999 eine Lymphknotenmetastase operativ entfernt; in derselben Operation wurden fünf weitere tumorfreie Lymphknoten entfernt.
Auf den Antrag des Klägers nach dem Schwerbehindertenrecht vom 29. Oktober 1999 zuerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 einen GdB von 80, legte hierbei eine "operierte chronische Haut- und Lymphknotenerkrankung" in Heilungsbewährung ihrer Entscheidung zugrunde und führte hierzu aus, nach Behandlung von Krankheiten, die zu erneutem Auftreten neigten, bzw. bei denen die Belastbarkeit noch nicht feststehe, werde eine Zeit der Heilungsbewährung abgewartet. In diesem Zeitraum werde der GdB aufgrund der Beeinträchtigung der gesamten Lebensführung höher angesetzt. Im Anschluss an die Zeit der Heilungsbewährung werde der GdB nur noch von dem verbliebenen Organ- oder Gliedmaßenschaden bzw. von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung bestimmt.
Nach einer weiteren Operation mit Entfernung einer Metastase an der Nebenniere im Januar 2000 stellte der Kläger einen formlosen Neufeststellungsantrag, der erfolglos blieb (bestandskräftiger Bescheid vom 20. März 2001).
Im Januar 2005 führte die Beklagte eine Nachprüfung von Amts wegen wegen Ablaufs der Heilungsbewährung durch. Nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte hörte sie den Kläger mit Schreiben vom 26. Mai 2005 zu einer beabsichtigten Aufhebung des Bescheides vom 9. Dezember 1999 an und hob mit Bescheid vom 5. September 2005 die in dem Bescheid vom 9. Dezember 1995 getroffenen Feststellungen über den GdB ab 12. September 2005 auf. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. September 2006).
In dem sich anschließenden Klagverfahren hat das Sozialgericht Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt, sowie auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch/ hämatologisch/onkologischen Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige Dt. Platz führte in seinem Gutachten vom 6. Juni 2008 im Wesentlichen aus, die zentrale Frage in der Beurteilung stelle die Rezidivgefahr der Erkrankung dar, denn die (damals geltenden) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) trügen keiner messbaren Funktionseinschränkung Rechnung, sondern (ausschließlich) der Tatsache, dass es sich um einen potentiell tödlichen Verlauf handele. Jedoch sei eine durchschnittliche Heilungsbewährung von 5 Jahren bei einer Reihe von Erkrankungen und einer Vielzahl von Einzelfällen unangemessen. Hätte der Kläger 1988 eine Schwerbehinderung beantragt, hätte er nach Auffassung des Gutachters einen GdB von 80 bei 5 Jahren Heilungsbewährung bekommen, bei einem Verschlimmerungsantrag im Januar 1999 einen GdB von 100 auf Dauer. Im Nachhinein sei daher ein GdB von 80 gerechtfertigt, dieser solle auf einen Zeitraum von 11 bis 15 Jahren gewährt werden.
Des Weiteren reichte der Kläger eine gutachterliche Stellungnahme der Ärztin und Diplompsychologin K. vom 19. August 2009 ein, aus welcher sich ergab, dass der Kläger auf die Verschlechterung der Prognose seiner Erkrankung durch die aufgetretenen Metastasen mit erheblicher Verunsicherung und depressiver Störung reagiert habe, Besonders belastend und bedrohend nehme er die häufigen Nachsorgeuntersuchungen wahr. Die Rezidivgefahr präge nach wie vor seinen Alltag und zwinge ihn zu einem privaten und beruflichen Leben, welches wenig Spielraum für eigentlich mögliche und angestrebte Entwicklungen lasse. Auch den Wunsch nach einer Familiengründung habe der Kläger aus diesem Grund zurückgestellt, ebenso wie ein Studium im Wunschberuf. Die Beklagte erließ daraufhin am 15. Februar 2010 einen Neufeststellungsbescheid, mit welchem sie einen GdB von 20 ab 19. August 2009 zuerkannte und dabei folgende Gesundheitsstörungen berücksichtigte:
Psychische Minderbelastbarkeit (Teil GdB 20) Teilverlust der linken Nebenniere (Teil GdB 10) Funktionsstörung der Wirbelsäule (Teil GdB 10) Lymphödem des rechten Beines (Teil GdB10)
Mit Urteil vom 16. Februar 2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die von dem Gutachter Dr. Platz vorgeschlagene verlängerte Heilungsbewährung sei nicht gesetzeskonform und im Übrigen zum Zeitpunkt der Entscheidung auch bereits abgelaufen. Für die bei dem Kläger nach Ablauf der Heilungsbewährung verbliebene psychische Minderbelastbarkeit sei der von der Beklagten zuletzt berücksichtigte GdB von 20 angemessen; auch die restlichen verbliebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien ausreichend berücksichtigt.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 1. Juni 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21. Juni 2010 Berufung eingelegt, mit welcher er die Auffassung vertritt, in seinem Fall habe die Heilungsbewährung nach Auftreten der Rezidive auf 15 Jahre verlängert werden müssen. Auch seien weder das Lymphödem noch die psychische Beeinträchtigung in ihren Auswirkungen hinreichend berücksichtigt worden.
Das Berufungsgericht hat zur Vorbereitung des Termins zur mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Neurologe und Psychiater Prof. Dr. M. gelangt in seinem Gutachten vom 22. Oktober 2013 zu der Einschätzung, der Kläger wirke durchgängig leicht bis mittelgradig angespannt, was sich im Laufe der Untersuchung etwas, aber nicht vollständig gebessert habe. Die Stimmung schwanke zwischen sorgenvoll-ängstlich und leicht bedrückt mit insgesamt leicht eingeschränkter affektiver Modulationsbreite. Er wirke im Antrieb schwunglos und von verminderter Lebensfreude. Eine hochgradige Denkeinengung bestehe nicht, wenngleich das Denken inhaltlich nicht unwesentlich von Sorgen um die eigene Gesundheit, auch in Verbindung mit nachvollziehbarer Grübelneigung und Durchschlafstörungen, geprägt werde. Es bestehe auch eine verstärkte Neigung zum Kontrollieren und zum Horten von Gegenständen, die vielleicht noch einmal gebraucht werden könnten. Im September 2012 habe bei dem Kläger zudem ein Tinnitus eingesetzt, der den psychischen Zustand noch einmal verschlechtert habe. In der Untersuchung habe sich in der Gesamtschau eine leichte bis mittelgradige depressive Störung gezeigt, die aber über einen GdB von 20 hinausgehe. Mit einem GdB von 30 sei auch die aus dem Tinnitus sich ergebende psychische Beeinträchtigung angemessen gewürdigt. Dieser sei sicherlich seit Beginn der psychologischen Psychotherapie am 7. Februar 2013 gegeben.
Die Beklagte hat daraufhin unter dem 7. November 2013 einen Neufeststellungsbescheid mit einem GdB von 30 erteilt, mit einem Teil GdB von 30 ab 7. Februar 2013 für die psychische Störung bei im Übrigen unverändert berücksichtigten Gesundheitsstörungen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Februar 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2006 und die Bescheide vom 15. Februar 2010 und vom 7. November 2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, mit dem zuletzt ergangenen Bescheid die Gesundheitsstörungen des Klägers zutreffend berücksichtigt zu haben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegen-stand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts, über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats nach § 155 Abs. 3, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht ein höherer GdB als 30 nicht zu. Aus diesem Grund war die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 7. November 2013, der Gegenstand des Berufungsverfahren geworden ist, war abzuweisen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 10. Aufl. 2012, § 96 Rn. 7).
Die der Berufung zugrunde liegende Klage ist in Gestalt der isolierten Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGG zulässig. Gegenstand dieser Klage ist zum einen der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2006, mit welchem die Beklagte die mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 getroffenen Teststellungen über den GdB aufgehoben hat. Bei Aufhebung dieses Bescheides lebte der ursprüngliche Feststellungsbescheid vom 9. Dezember 1999 wieder auf, mit dem der Beklagte den GdB zugunsten der Klägerin mit 80 festgestellt hatte. Gegenstand des Klag- bzw. Berufungsverfahrens sind des Weiteren die Bescheide der Beklagten vom 15. Februar 2010 und vom 7. November 2013, mit denen der Beklagte zugunsten der Klägerin den GdB für die Zeit ab dem 19. August 2009 mit 20 und für die Zeit ab dem 7. Februar 2013 mit 30 festgestellt hat. Diese Bescheide ändern den angefochtenen Bescheid vom 5. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2006 im Sinne des § 96 Abs. 1 SGG zum Teil - nämlich jeweils für die Zeit ab 19. August 2009 und ab 7. Februar 2013 - ab.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, gegen den formelle Bedenken nicht bestehen, ist § 48 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein – wie hier von Anfang an rechtmäßiger – Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Letzteres ist hier der Fall. Denn entgegen der Auffassung des Klägers hat sich sein Gesundheitszustand soweit verbessert, dass ein GdB im Zeitraum vom 12. September 2005 bis zum 18. August 2009 nicht mehr festzustellen war.
Auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Beklagte wirksam den Bescheid vom 9. Dezember 1999 aufgehoben. In der Zeit nach dem Erlass dieses Bescheids ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen durch den Ablauf einer Heilungsbewährung eingetreten, die nicht mehr den mit Bescheid vom 9. Dezember 1999 festgestellten GdB von 80, sondern lediglich ab 19. August 2009 einen GdB von 20 und ab 7. Februar 2013 einen GdB von 30 rechtfertigt.
Maßgebliche Bestimmung für die Feststellung des GdB ist § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), der hier noch in der Fassung des Gesetzes vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) anwendbar ist. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest, wobei nach Abs. 1 Satz 5 dieser Vorschrift eine Feststellung nur zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind zunächst die im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides einschlägigen, seinerzeit noch vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz von 2005 (AHP 2005) heranzuziehen. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. nur Urteil v. 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R – Juris Rn. 26).
Der Ablauf der Heilungsbewährung im September 2005 stellt eine tatsächliche Veränderung im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X dar, der zunächst eine Aufhebung der Feststellungen zum GdB, später einen GdB von 20 bzw. 30 rechtfertigte. Die Zeitdauer der Heilungsbewährung bei malignen Erkrankungen basiert auf Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über die Gefahr des Auftretens einer Rezidiverkrankung in den ersten fünf Jahren nach der Erstbehandlung sowie der regelmäßig vorhandenen subjektiven Befürchtung vor einem Rezidiv. Der Begriff der Heilungsbewährung wurde erstmals 1965 in die Anhaltspunkte übernommen. Er geht zurück auf die Rechtsprechung des BSG zu wesentlichen Änderungen im Sinne des § 62 BVG bei Lungentuberkulosen. In seinem Urteil vom 22.05.1962 (9 RV 590/59 – Juris) hatte das BSG entschieden, wenn die Inaktivität einer Lungentuberkulose längere Zeit - etwa fünf Jahre - ohne Rückfälle andauere, könne die damit eingetretene klinische Heilung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellen, die eine Rentenentziehung oder Herabsetzung rechtfertige. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass während der Bewährungszeit die MdE höher zu beurteilen sei, als sie sich allein aus dem verbliebenen funktionellen Schaden ergebe.
Die Grundsätze der Heilungsbewährung wurden in den jeweiligen Anhaltspunkten wiederholt modifiziert, wobei bei den jeweiligen Änderungen die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft beachtet wurden. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass das Abwarten einer Heilungsbewährung bei der Tuberkulose wegen der Wirksamkeit der modernen Chemotherapie in aller Regel nicht mehr erforderlich ist. Auch bei Herzinfarkten wird nach den AHP und dem folgend auch in den nunmehr geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VersMedV) im Gegensatz zu früher im Regelfall die Berücksichtigung einer Heilungsbewährung nicht mehr als notwendig angesehen. Nach den derzeit gültigen VersMedV soll – ebenso wie nach den AHP 2005 - eine Heilungsbewährung bei einer Reihe von Erkrankungen abgewartet werden. Im Vordergrund stehen dabei nach wie vor die Krebserkrankungen. In diesem Zusammenhang wird von medizinischer Seite immer wieder darauf hingewiesen, dass pauschale Zeitspannen nicht den besonderen Umständen des Einzelfalls gerecht werden (vgl. zu alledem ausführlich und mit weiteren Nachweisen: LSG Sachsen, Urteil vom 25.05.2005 – L 6 SB 55/04).
Bei der Anhebung des GdB/MdE-Grades unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung handelt es sich um ein mehr oder weniger pauschales Verfahren, in welchem - ohne gesonderte Anerkennung einer irgendwie diagnostizierten geistig-psychischen Behinderung ("Rezidivangst") - der psychischen Ausnahmesituation, die bei bestimmten Diagnosen wie z.B. der Krebsdiagnose besteht, umfassend Rechnung getragen werden soll (vgl. LSG Sachsen, Urteil vom 20.10.1999 - L 4 SB 23/97 - Juris; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 23.05.2003 - L 2 U 259/02 - Juris; LSG Sachsen, Urteil vom 25.05.2005 – L 6 SB 55/04 - Juris).
Die Ungewissheit spielt hierbei eine wesentliche, aber nicht die alleinige Rolle. Solange die "Heilungsbewährung" noch nicht eingetreten ist, hängt das Damoklesschwert des Rezidivs über dem Betroffenen (vgl. BSG, Urteil vom 25.05.1988 – 9/ 9a RVs 8/87 - Juris). Der Begriff Heilungsbewährung beschreibt dabei aber nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Heilungsbewährung erfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995 - 9 RVs 14/94 - Juris). Hierzu zählen die Dauertherapie, das Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, eine notwendige Schonung, die Antriebsarmut, die Hoffnungslosigkeit und eventuelle soziale Anpassungsprobleme (LSG Sachsen, Urteil vom 25.05.2005 – L 6 SB 55/04 - Juris).
Soweit der Kläger vorliegend geltend macht, es liege in seinem Fall gewissermaßen ein Fall der fehlgeschlagenen Heilungsbewährung vor, weil in den Jahren 1999 und 2000 zwei Rezidive aufgetreten sind, so stellt sich die Frage, ob gleichwohl nach den starren Regeln der AHP 2005 nach dem letzten Rezidiv eine Heilungsbewährung von fünf Jahren abzuwarten war (AHP 2005 Ziff. 26.17, S. 111), oder ob unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Erkrankung des Klägers unabhängig von dieser Pauschalierung der Zeitpunkt festzulegen ist, zu welchem eine Änderung der Verhältnisse aus medizinischer Sicht in der Weise eingetreten ist, dass eine erhebliche Rezidivgefahr nicht mehr besteht.
Unter Berücksichtigung einer Zusammenschau der Beschlüsse der Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA (im Folgenden: Beiratsbeschlüsse) ergibt sich dabei, dass die Entscheidung der Beklagten im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. So führt im Beiratsbeschluss vom 22. Oktober 1986 der Sachverständigenbeirat zur Höhe des GdB bei Mehrfachkarzinom und zur Heilungsbewährung aus:
"Nach der Entfernung von zwei oder mehr malignen Geschwülsten verschiedener Art sei bei der gutachtlichen Beurteilung davon auszugehen, dass die Prognose insgesamt ungünstiger sei, als wenn nur eine maligne Geschwulst entfernt worden sei. Dies treffe auch dann zu, wenn zwei bösartige Geschwülste im Frühstadium - entsprechend der Nr. 26.1 der "Anhaltspunkte" -, also solche mit einer relativ günstigen Prognose, beseitigt worden seien. In diesem Fall sei - entsprechend der ungünstigeren Situation durch das Zusammentreffen von zwei.Geschwulstleiden - ein GdB von mindestens 80 für die Zeit der Heilungsgewährung anzunehmen. Beim Zusammentreffen einer prognostisch günstigen Geschwulstkrankheit und einer prognostisch ungünstigen sei in jedem Fall für die Zeit der Heilungsbewährung nach der Geschwulstentfernung ein GdB von 100 anzusetzen."
Hieraus folgt, dass eine insgesamt ungünstigere Prognose einer malignen Erkrankung regelhaft nicht zu einer Verlängerung der Heilungsbewährung, sondern stattdessen zu einem höheren GdB führt. Insofern ist dem Sachverständigen Dr. Platz möglicherweise darin zu folgen, dass dem Kläger – nach der durchgemachten Ersterkrankung im Jahre 1988 – aufgrund der zwischenzeitlich aufgetretenen Rezidive in den Jahren 1999 und 2000 spätestens im Jahr 2000 ein GdB von 100 zuzubilligen gewesen wäre. Dies ist indes nicht Gegenstand des Verfahrens; zudem sind die Bescheide vom 9. Dezember 1999 und vom 20. März 2001 bestandskräftig.
Im Beiratsbeschluss vom 18. März 1998 heißt es zur gutachterlichen Beurteilung bei Spätrezidiven maligner Erkrankungen:
"Die Beiratsmitglieder stellten dazu fest, dass Rezidive und Metastasen - unabhängig vom Zeitpunkt ihres Auftretens - das Vorliegen einer in der Regel fortgeschrittenen Krebserkrankung belegten. Dementsprechend wird der MdE/GdB- Wert regelhaft und auf Dauer 100 betragen. Eine GdB/MdE-Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung kommt dann in Betracht, wenn ein Rezidiv oder Metastasen vollständig entfernt worden sind. Für die Bezeichnung des Krebsleidens kann keine generelle Empfehlung gegeben werden."
In einer Ergänzung hierzu heißt es im Beschluss vom 28. April 1999:
"Von den Beiratsmitgliedern wurde darauf hingewiesen, dass die o.g. Ausführungen zu Punkt 2.2.2 der Niederschrift über die Sitzung am 18./19.03.1998 missverstanden worden seien, denn dort wurde ein GdB/MdE-Grad von 100 auf Dauer nur für die Fälle als gerechtfertigt angesehen, in denen Rezidive und Metastasen Ausdruck einer fortgeschrittenen Krebserkrankung seien. Genau diese Situation sei aber beim Auftreten eines Frühkarzinoms nicht gegeben. Da Frühkarzinome - auch wenn sie lange nach einem vorangegangenen Tumorleiden auftreten - gut behandelbar seien, sei der GdB/MdE-Grad nach Beseitigung eines solchen Tumors stets unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung mit wenigstens 50 zu beurteilen."
Hieraus ergibt sich zwar, dass nach dem Auftreten von Spätrezidiven der GdB 100 auf Dauer betragen kann, dies aber nur dann, wenn diese Spätrezidive Bestandteil einer fortgeschrittenen Metastasierung sind und davon auszugehen ist, dass die Krebserkrankung sich im Endstadium befindet. Sind dagegen – wie vorliegend – einzelne Rezidive vollständig entfernt worden, ohne dass erkennbar Metastasen im Körper verblieben sind, so ist auch nach diesem Beiratsbeschluss kein GdB von 80 oder 100 auf Dauer angemessen.
Schließlich führt der Sachverständigenbeirat im Beschluss vom 28. April 1999 zur gutachterlichen Beurteilung nach Metastasenentfernung bei unbekanntem Primärtumor aus:
"In der Diskussion wurde deutlich, dass die Diagnose einer Metastase bei unbekanntem Primärtumor mit Zurückhaltung zu bewerten sei, weil ihr nicht immer eine umfassende Diagnostik zugrunde liege (z.B. Diagnosestellung mit den üblichen histologischen Verfahren und nicht mit, modernen molekularbiologischen und zytogenetischen Verfahren). Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse sprachen sich die Beiratsmitglieder dafür aus, in diesen Fällen den GdB/MdE-Grad nach Metastasenentfernung wie bei einem Primärtumor unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung zu beurteilen. Der GdB/MdE-Grad ergebe sich aus den in der GdB/MdE-Tabelle der "Anhaltspunkte" genannten Kriterien."
Auch hieraus ergibt sich, dass im Zweifel, wenn jedenfalls von einer Krebserkrankung im fortgeschrittenen Stadium nicht sicher auszugehen ist, der GdB unter dem Aspekt einer Heilungsbewährung festzustellen ist. Die Beklagte hat daher zu Recht im September 2005 den Ablauf der Heilungsbewährung nach Entfernung des Rezidivs im Januar 2000 ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt.
Die bei dem Kläger nach Ablauf der Heilungsbewährung zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vorliegenden Funktionseinschränkungen rechtfertigten zunächst nicht die Zuerkennung eines GdB. Nach den Befundberichten der behandelnden Ärzte des Klägers lag zu diesem Zeitpunkt als Folge der malignen Erkrankung lediglich ein Teilverlust der linken Nebenniere vor. In psychiatrischer, psychotherapeutischer oder psychologischer Behandlung befand sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht, Einschränkungen der psychischen Befindlichkeit sind auch zu diesem Zeitpunkt von den behandelnden Ärzten nicht dokumentiert. Diese sind erstmals dokumentiert im August 2008 durch Frau Dr. K. und später im Sinne einer Verschlimmerung aufgrund eines Tinnitus durch Prof. Dr. M ... Letzterer hat die Störung des Klägers als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit einem GdB von 30 zutreffend bemessen (VersMedV B 3.7). Auf das Gutachten wird insoweit Bezug genommen. Der Tinnitus ist daneben nicht gesondert mit einem GdB zu bewerten; auch insoweit kommt es ausschließlich auf die psychischen Folgen an (VersMedV B 5.3).
Als weitere Gesundheitsstörungen sind ein Teilverlust der linken Nebenniere ohne Einschränkungen der Nierenfunktion und ohne Beschwerden, mit krankhaftem Harnbefund mit einem Teil-GdB von 10 (VersMedV B 12.1.1), Funktionsstörungen der Wirbelsäule mit geringen funktionellen Auswirkungen mit einem Teil-GdB von 10 (VersMedV B 18.9) und ein Lymphödem des rechten Beines ohne wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 10 (VersMedV B 9.2.3) zutreffend bewertet. Eine höhere Bewertung des Lymphödems wäre nur gerechtfertigt bei einer Umfangsvermehrung von mehr als 3 cm. Eine solche ist bisher nicht dokumentiert.
Die so ermittelten Einzel-GdB-Grade sind nicht zu addieren, noch ist eine andere Rechenmethode zur Bildung eines Gesamt-GdB anzuwenden. Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer einzelnen Beziehungen zueinander (VersMedV A 3a). Dabei sind Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (VersMedV A 3b). In der Regel ist dabei von der Beeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Beeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen weiterer Beeinträchtigungen der höchste Einzel-GdB angemessen durch Hinzufügen von 10,20 oder mehr Punkten zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VersMedV A 3c). Von Ausnahmefällen (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB- Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VersMedV A 3d)ee). Danach ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagten den GdB des Klägers ab 19. August 2009 mit 20 und ab 7. Februar 2013 mit 30 festgestellt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits in der Hauptsache unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte Änderungen der Sachlage umgehend im Sinne eines sofortigen Anerkenntnisses beschieden hat.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Vorausset-zungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
HAM
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