L 4 KR 37/13 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 20 KR 125/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 KR 37/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 22. April 2013 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten steht die weitere Versorgung mit dem Urin-Drainagesystem Mono-Flo-Homecare im Streit.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert und leidet unter Harn- und Stuhlinkontinenz. Im April 2013 beantragte sie unter Hinweis auf eine ärztliche Dauerverordnung die Versorgung mit monatlich fünf Stück Mono-Flo-Homecare Urin-Drainagesystemen, deren Kosten sich auf jeweils rund 10,00 Euro belaufen. Die Antragsgegnerin genehmigte lediglich drei.

Am 11. April 2013 hat die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Halle (SG) nachgesucht und beantragt, die Antragsgegnerin im Weg einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie mit insgesamt 50 Mono-Flo-Homecare Urin-Drainagesystemen für ein Jahr zu versorgen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie benötige pro Woche einen Beutel, erhalte jedoch nur drei Beutel pro Monat. Mit Beschluss vom 22. April 2013 hat das SG den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) liege nicht vor. Es sei für die Antragstellerin zumutbar, aus ihrem monatlichen Einkommen die Kosten von zwei Urin-Drainagesystemen in Höhe von monatlich insgesamt 20 Euro zu finanzieren und die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Das Sozialgericht hat darauf hingewiesen, dass der Beschluss unanfechtbar sei, weil der Streitwert unter 750,00 Euro liege.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 24. April 2013 Beschwerde erhoben, gleichzeitig Beschwerde gegen die Nichtzulassung von Rechtsmitteln in diesem Beschluss eingelegt und zugleich Beschwerde gegen eine Entscheidung des SG vom selben Tage (S 20 KR 140/13 ER – L 4 KR 24/13 B ER) über die Versorgung mit Windeln eingelegt. Zur Begründung hat sie u. a. geltend gemacht, dass ca. 25 Verfahren bezüglich der monatlichen Kosten für die Pflege bei der 13. Kammer des Sozialgerichts Halle anhängig seien. Hierfür seien Außenstände in Höhe von 3000,00 Euro aufgelaufen. Es bestehe auch ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Ablehnung der quantitativ ausreichenden Versorgung mit Windeln (S 20 KR 140/13 ER) und dem Urin-Drainagesystem. Beide Hilfsmittel erfüllten nur zusammen und gleichzeitig ihren Zweck. Zudem sei die Dauerverordnung für ein Jahr umstritten.

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 22. April 2013 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie unverzüglich, spätestens ab 1. Mai 2013 mit dem Hilfsmittel Mono-Flo-Homecare, 50 Stück für ein Jahr, zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 22. April 2013 ist ausgeschlossen und daher zu verwerfen.

Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der hier insoweit maßgeblichen, seit dem 1. April 2008 gültigen Fassung ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre.

Die nach ihrem Wortlaut nicht eindeutige Regelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist nach ihrer Systematik dahingehend zu verstehen, dass die Beschwerde dann ausgeschlossen - und damit unzulässig - ist, wenn die Berufung in der Hauptsache nicht Kraft Gesetzes ohne Weiteres zulässig wäre, sondern erst noch der Zulassung bedürfte (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. Oktober 2008, Az. L 4 B 17/08 KR ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. November 2008, Az.: L 5 B 341/08 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2008, Az. L 8 SO 80/08 ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 1. September 2008, Az. L 5 AS 79/08 NZB; Hessisches LSG, Beschluss vom 1. Juli 2008, Az. L 7 SO 59/08 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Juli 2008, Az. L 7 B 192/08 AS ER; alle zitiert nach juris).

Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ist die zum 1. April 2008 in Kraft getretene Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Entlastung der Landessozialgerichte erfolgt. Dieser Zweck sollte durch die Anhebung des Schwellenwertes auf 750,00 EUR und durch die Einschränkung der Beschwerde in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erreicht werden. Es entspräche daher dem Entlastungswillen des Gesetzgebers nicht, wenn man eine fiktive Prüfung möglicher Zulassungsgründe und eine hierauf gestützte Zulassung der Beschwerde durch die Sozialgerichte oder eine Nichtzulassungsbeschwerde, über deren Zulässigkeit dann die Landessozialgerichte zu befinden hätten, unter Geltung des neuen Rechts anerkennen würde. Der erstrebte Entlastungseffekt wird nur dann erreicht, wenn sich die Zulässigkeit der Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ohne weiteres aus dem Beschwerdewert oder der Art und Dauer der im Streit stehenden Leistungen ergibt (§ 144 Abs. 1 SGG). Hinzu kommt, dass die in § 144 Abs. 2 SGG aufgeführten Zulassungsgründe erkennbar auf das Hauptsacheverfahren zugeschnitten und auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht übertragbar sind. Eine fiktive Prüfung ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil nicht klar ist, ob es ein Hauptsacheverfahren geben und wie dieses ggf. entschieden werden wird. Die Prüfung der Zulassungsgründe Divergenz (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) und Verfahrensmangel (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) sind bereits tatsächlich nicht möglich. Auch eine fiktive Prüfung der grundsätzlichen Bedeutung der Hauptsache (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) ist wegen der unterschiedlichen Funktion von Hauptsache- und Eilverfahren nicht sachgerecht, denn die Entscheidungen sind weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht deckungsgleich. Da es im einstweiligen Rechtsschutz maßgeblich darum geht, "vorläufige" Regelungen zu treffen, werden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gerade nicht abschließend beantwortet.

Schließlich wird in der Regelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht auf die Zulassungsbedürftigkeit der Berufung oder die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§§ 144, 145 SGG) verwiesen, was auch regelungssystematisch gegen deren Anwendbarkeit spricht.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist die Berufung zulässig bei einer Klage, die eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR übersteigt. Dieser Wert des Beschwerdegegenstandes ist danach zu bestimmen, welche der beantragten Leistungen das SG der Rechtsmittelführerin versagt hat und was von dieser mit ihrem Beschwerdeantrag noch weiterverfolgt wird.

Der Beschwerdewert ist für jedes der anhängigen Beschwerdeverfahren gesondert zu bestimmen. Nach einem Aktenvermerk des Sozialgerichts aufgrund eines Telefonats mit dem Vertreter der Antragstellerin hat dieser mitgeteilt, sie erhalte zurzeit drei Beutel. Dies hat auch die Beklagte bestätigt. Damit erhält die Antragstellerin zurzeit bereits 36 Beutel/Jahr, so dass lediglich die Lieferung von weiteren 14 Beuteln im Streite steht. Bei einem Wert pro Beutelsystem von 10,00 Euro, von dem auch die Klägerin ausgeht, ergibt sich für die Versorgung für ein Jahr ein Streitwert von 140,00 Euro. Damit wird der Berufungsstreitwert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG i.H.v. 750,01 EUR nicht erreicht.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind die Beschwerdewerte der beiden Beschwerden nicht zu addieren. Es handelt sich jeweils um eigenständige Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit unterschiedlichen Streitgegenständen. Die Antragstellerin selbst hat diese Ansprüche beim SG in getrennten Schriftsätzen jeweils eigenständig in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht. Das SG hat diese Verfahren dementsprechend getrennt geführt und entschieden; dies ist nicht zu beanstanden. Insbesondere hat auch das SG die beiden Verfahren nicht zur gemeinsamen Entscheidung nach § 113 SGG verbunden. Damit liegt kein Fall einer objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) mehrerer prozessual selbstständiger Ansprüche vor.

Für das Erreichen des Beschwerdewerts kommt es daher allein auf den Wert des hier geltend gemachten Streitgegenstands an. Der Umstand, dass es in beiden Verfahren um Kosten aus der gleichen Erkrankung geht, steht dem nicht entgegen. Dies gilt umso mehr als es in beiden Verfahren nur um die jeweilige Menge geht, die zur Versorgung notwendig ist. Diese jeweiligen Bedarfe sind voneinander zumindest quantitativ unabhängig. Unerheblich ist erst recht, ob noch andere Verfahren am SG anhängig sind und um welchen Streitwert es dort geht.

An der getrennten Beurteilung beider Beschwerden ändert auch der Umstand nichts, dass die Antragstellerin beide in einem gemeinsamen Schriftsatz erhoben hat. Durch solche Gestaltungen kann sie nicht nachträglich den Beschwerdewert erhöhen, der sich aus der angefochtenen Entscheidung ergibt. Selbst eine Verbindung der beiden Verfahren durch den Senat (§ 113 SGG) würde im vorliegenden Fall nicht weiterhelfen, da maßgeblicher Zeitpunkt für die Erreichung des Beschwerdewerts derjenige der Einlegung des Rechtsmittels ist. Zu diesem Zeitpunkt handelte es sich um gesonderte Verfahren, in denen jeweils der Beschwerdewert erreicht sein muss.

Da es im Übrigen auch nach der Darstellung die Antragstellerin nicht um wiederkehrende oder "laufende Leistungen für mehr als ein Jahr" (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG; Hervorhebung vom Senat) geht, ist die Beschwerde unzulässig.

Die "Beschwerde gegen die Nichtzulassung von Rechtsmitteln" führt ebenfalls nicht zur Zulässigkeit der Beschwerde. Denn die Anfechtung der Nichtzulassung eines Rechtsmittels ist nur im Rahmen eines Klageverfahrens gemäß § 145 SGG vorgesehen. Auf das vorliegende Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes findet diese Vorschrift keine Anwendung.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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