L 7 KA 106/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 27/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 106/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet wird, die in den Bescheiden vom 14. Februar 2006, 19. Juni 2006, 07. September 2006, 16. November 2006, 19. Februar 2007, 01. Juni 2007, 17. August 2007, 22. Oktober 2007, 18. Februar 2008, 24. April 2008, 06. August 2008, 29. Januar 2009 und 14. April 2009 genannten Behandlungsausweise abzurechnen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Abrechenbarkeit von Leistungen.

Die Klägerin, die bis Februar 1999 die Firmenbezeichnung "GMstraße GmbH" führte, verfügte seit 1984 über eine auf § 6 Heimgesetz gestützte Erlaubnis zum Betrieb eines Krankenheimes mit 115 Plätzen für psychisch-chronisch Kranke auf dem Grundstück Mstraße im Berliner Stadtteil C.

In Berlin existierten – bundesweit einmalig – bis Mitte der 90er Jahre sogenannte Krankenheime, darunter das GMstraße, zur Behandlung chronisch kranker pflegebedürftiger Menschen. Im Zusammenhang mit der Einführung der sozialen Pflegeversicherung zum 01. Januar 1995 wurden diese Krankenheime in Pflegeheime umgewandelt mit der Folge, dass die ärztliche Betreuung der Bewohner dem ambulanten Versorgungssektor zuzuordnen war. Da die Bewohner nicht nur pflegerischer Leistungen bedurften, sondern auch in nicht unerheblichem Umfang ärztlicher Betreuung, erhielten zahlreiche Pflegeheime, darunter auch das o.G., eine Institutsermächtigung nach § 31 Abs. 1 Zulassungsverordnung Ärzte (Ärzte ZV) zur Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung.

In diesem Zusammenhang wurde zwischen den Krankenkassenverbänden (AOK Berlin, BKK-Landesverband Ost, IKK Landesverband Brandenburg und Berlin), der Beklagten, der Berliner Krankenhausgesellschaft sowie dem Verband der Privatkrankenanstalten Berlin-Brandenburg e.V. die Rahmenvereinbarung vom 26. März 1998 "zur medizinischen Versorgung in den ehemaligen Krankenhäusern/Abteilungen für chronisch Kranke und Krankenheime, die zum 01.07.1996 in vollstationäre Pflegeeinrichtungen umgewandelt wurden" abgeschlossen. Inhalt dieser Rahmenvereinbarung sind u. a. folgende Regelungen:

1. Gegenstand der Rahmenvereinbarung

(1) Die Unterzeichner dieser Rahmenvereinbarung bekunden hiermit ihre Ansicht, das nachfolgend beschriebene Konzept zur medizinischen Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen zu unterstützen und die Umsetzung aktiv zu begleiten. [ ]

2. Zielsetzung und Grundsätze

(1) Mit dem Ziel, eine qualitätsgesicherte Versorgung der chronisch erkrankten multimorbiden und psychisch erkrankten Patienten in stationären Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen, werden zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit mit dieser Rahmenvereinbarung ambulante und stationäre Leistungsbereiche gemeinsam gestaltet und effizient verzahnt. [ ]

(2) Die ärztliche Behandlung (medizinische Grundversorgung) in den stationären Pflegeeinrichtungen (Anlage 1; ehemalige Krankenheime und Krankenhäuser/Abteilungen für Chronischkranke) erfolgt durch angestellte Ärzte oder durch niedergelassene Ärzte. Für Vertragsärzte, die die Grundversorgung wahrnehmen, ist dies zeitnah in einer gesonderten Vereinbarung zwischen Krankenkassenverbänden und der KV Berlin nach Ziffer 1, Absatz 3 zu regeln. Die medizinisch-therapeutische Versorgung erfolgt insbesondere durch in den Pflegeeinrichtungen angestellte Therapeuten.

(3) Für die Vergütung der Leistungen wird eine fiktive Platzpauschale ermittelt, die die ärztliche und therapeutische Betreuung, die Versorgung mit medizinischem Bedarf und Arzneimitteln sowie die Krankenhausbehandlung und Fahrkosten umfaßt. [ ]

3. Institutsermächtigungen

Zur Umsetzung dieser Vereinbarung ist die positive Entscheidung des Zulassungsausschusses für Ärzte über die von den Trägern der Einrichtung gestellten Anträge auf Erteilung einer Institutsermächtigung erforderlich. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin und die Krankenkassenverbände empfehlen dem Zulassungsausschuss, den Anträgen der Träger ehemaliger Krankenheime und Krankenhäuser/Abteilungen für Chronischkranke (Anlage 2/gegliedert nach Trägern), auf Ermächtigungen für die ärztlich geleiteten Abteilungen (Institutsermächtigung) für die Dauer der Teilnahme der Pflegeeinrichtungen an dieser Vereinbarung stattzugeben. [ ]

5. Finanzierungsregelungen

(1) Für die ärztliche Behandlung (medizinische Grundversorgung) ihrer Versicherten in den Pflegeeinrichtungen zahlen die Krankenkassen einen Betrag in Höhe von 1 600,00 DM/p.a./Pflegeplatz außerhalb der budgetierten Gesamtvergütung. Weitere Einzelheiten zum Abrechnungsverfahren werden zwischen den vertragsschließenden Parteien kurzfristig ergänzend vereinbart.

(2) Für die medizinisch-therapeutische Versorgung ihrer Versicherten in den Pflegeeinrichtungen zahlen die Krankenkassen einen Betrag in Höhe von 773,00 DM/p.a./Pflegeplatz. Weitere Einzelheiten zum Abrechnungsverfahren werden zwischen den vertragsschließenden Parteien kurzfristig ergänzend vereinbart.

(3) Die Krankenkassen zahlen für die Versorgung ihrer Versicherten für die in der Anlage 3 ausgewiesenen Artikel des medizinischen Bedarfes (Artikelliste) einen Betrag entsprechend der Rechnungslegung und unter Berücksichtigung der anteiligen Patientenbelegung je beteiligter Krankenkasse. Weitere Einzelheiten zum Abrechnungsverfahren sind zwischen den Krankenkassenverbänden und den Pflegeeinrichtungen gesondert zu vereinbaren.

(4) Die Abrechnung von Krankenhausbehandlung, Arzneimittelversorgung und Krankentransporte erfolgt zwischen dem jeweiligen Leistungserbringer und dem Kostenträger. Weitere Einzelheiten zum Abrechnungsverfahren können zwischen den Krankenkassenverbänden und den Pflegeeinrichtungen gesondert vereinbart werden.

Diese Rahmenvereinbarung wird durch weitgehend inhaltsgleiche Folgevereinbarungen, u.a. vom 22. Mai 2003 und 19. Juli 2005, bis heute fortgeführt.

Seit 1998 umfasste das nunmehr unter der Bezeichnung "PMstraße" geführte Pflegeheim entsprechend dem Versorgungsvertrag nach § 72 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) nur noch 66 Plätze, nachdem die Klägerin seit dieser Zeit im gleichen Gebäude unter der Bezeichnung "Pro Seniore Sozialtherapeutisches Wohnprojekt" eine vollstationäre Behinderteneinrichtung mit 46 Bewohnerplätzen führt. In dieser Einrichtung soll chronisch-psychisch erkrankten jungen Menschen Hilfe mit dem Ziel gewährt werden, sie wieder in den Alltag einzugliedern. Zur Vergütung der darin erbrachten Leistungen existieren Vereinbarungen zwischen der Klägerin und dem Land Berlin auf sozialhilferechtlicher Grundlage.

Die der Klägerin für die Zeit bis März 2000 erteilten Bescheide des Zulassungsausschusses ermächtigten die "ärztlich geleitete Abteilung im GMstraße" zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung und berechtigten sie "zur allgemeinmedizinischen und psychiatrischen Grundversorgung der 115 Bewohner der Pflegeeinrichtung, die der gesetzlichen Pflege- und Krankenversicherung angehören".

Mit seinem Beschluss vom 30. November 1999 ermächtigte der Zulassungsausschuss die ärztlich geleitete Abteilung im PMstraße für die Zeit vom 01. April 2000 bis zum 31. März 2002 nur noch zur allgemeinmedizinischen und psychiatrischen Grundversorgung der 66 Bewohner der Pflegeeinrichtung, lehnte dies jedoch für die 46 Plätze des psychosozialen Wohnprojekts ab. Gegen die Teilablehnung erhob die Klägerin Widerspruch, weil sich durch den Wechsel der Kostenträgerschaft in einem Teilbereich des Krankenheims Mstraße die Bewohnerstruktur des Hauses und des Versorgungsauftrages in keiner Weise verändert habe. Nach ersten Begutachtungen durch den Sozialpsychiatrischen Dienst habe sich für einen Teil der Bewohner die Möglichkeit eröffnet, Eingliederungshilfe nach sozialhilferechtlichen Vorschriften zu erhalten. Um eine adäquate Betreuung der Bewohner in der Gesamteinrichtung weiterhin sicherstellen zu können, sei zum 01. September 1998 für 46 Plätze der Kostenträgerwechsel erfolgt. Gleichwohl hätten zur optimierten Betreuung aller ihr anvertrauten Chronisch-Psychisch-Kranken immer wieder Bewohner – je nach Ausprägungsgrad und Entwicklungsstadium ihrer Krankheit/Behinderung – vom SGB XI Bereich in den BSHG-Bereich und umgekehrt verlegt werden müssen. Die aus dem Beschluss des Zulassungsausschusses resultierende Beendigung der ärztlichen Betreuung für einen Teil der Bewohner sei aufgrund deren Krankheits- und Behinderungsbild nicht gerechtfertigt, weil es sich um 46 sogenannte "nichtwartezimmerfähige" Patienten handele, die aufgrund der Schwere ihrer psychischen Erkrankung und der daraus folgenden mangelhaften Compliance, fehlender Krankheitseinsicht und Frustrationstoleranz in der üblichen Nervenpraxis nicht ausreichend versorgt werden könnten. Mit der eingeschränkten Ermächtigung für nur noch 66 Bewohner sei es nicht mehr möglich, zwei Arztstellen im Krankenheim Mstraße aufrecht zu erhalten, so dass die qualifizierte und kostengünstige Betreuung von 112 hilfebedürftigen Menschen infrage gestellt sei.

Daraufhin berichtigte der Zulassungsausschuss seinen vorangegangen Beschluss "wegen einer offenbaren Unrichtigkeit" und ermächtigte das PMstraße zur allgemeinmedizinischen und psychiatrischen Grundversorgung von 112 Bewohnern der Pflegeeinrichtung (Beschluss vom 15. März 2000). Zur Begründung führte der Zulassungsausschuss aus, er habe das Widerspruchsschreiben zur Kenntnis genommen und nach Erörterung der Sach- und Rechtslage die im Tenor niedergelegte Berichtigung beschlossen.

In der Folgezeit ermächtigte der Zulassungsausschuss die ärztlich geleitete Abteilung im P Mstraße für die Zeit vom 01. April 2002 bis zum 31. März 2006 zur internistischen und allgemeinmedizinischen Grundversorgung der 112 Bewohner der Pflegeeinrichtung (Beschluss vom 11. Februar 2002) sowie für die Zeit vom 01. April 2006 bis zum 31. März 2010 zur allgemeinmedizinischen und psychiatrischen Grundversorgung von 111 Bewohnern der Pflegeeinrichtung (Beschluss vom 30. Januar 2006).

Für die Quartale IV/05 bis IV/08 lehnte die Beklagte im Zusammenhang mit der jeweiligen Honorarabrechnung die Abrechnung einer variierenden Anzahl von Behandlungsausweisen (unter Beifügung jeweiliger Listen mit Patientennamen) ab, weil entweder diese mit den zuständigen Kostenträgern (Quartale IV/05 und I/06) abzurechnen oder Bewohner des psychosozialen Wohnprojekts in der Mstraße betroffen seien, auf die sich die jeweilige Ermächtigung nicht erstrecke:

Quartal Bescheid der Beklagten vom Umfang der nicht anerkannten Abrechnungsfälle IV/2005 14.02.2006 31 Fälle I/2006 19.06.2006 28 Fälle II/2006 07.09.2006 45 Fälle III/2006 16.11.2006 42 Fälle IV/2006 19.02.2007 45 Fälle I/2007 01.06.2007 47 Fälle II/2007 17.08.2007 45 Fälle III/2007 22.10.2007 47 Fälle IV/2007 18.02.2008 48 Fälle I/2008 24.04.2008 42 Fälle II/2008 06.08.2008 34 Fälle III/2008 29.01.2009 40 Fälle IV/2008 14.04.2009 42 Fälle

Die hiergegen gerichteten Widersprüche wies die Beklagte mit den Widerspruchsbescheiden vom 19. Februar 2008 (bezüglich der Quartale IV/05 bis III/07) bzw. 26. Mai 2009 (bezüglich der Quartale IV/07 bis IV/08) zurück.

Bereits am 18. Januar 2008 hatte die Klägerin Untätigkeitsklage mit dem Ziel erhoben, die Beklagte zur Bescheidung ihrer Widersprüche bezüglich der Quartale IV/05 bis II/07 zu verpflichten. Während des sozialgerichtlichen Verfahrens änderte die Klägerin ihre zunächst nur wegen Untätigkeit geführte Klage und erweiterte sie später hinsichtlich der Quartale IV/07 bis IV/08.

Mit Urteil vom 27. Juni 2011 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der o. g. Bescheide antragsgemäß, der Klägerin "die in den genannten Zeiträumen bei den Teilnehmern des psychosozialen Wohnprojekts, welche der gesetzlichen Pflege- und Krankenversicherung angehörten, erbrachten und abgeänderten Leistungen zu vergüten." Zur Begründung führte das Sozialgericht u. a. aus: Die Klage sei entgegen der Ansicht der Beklagten zulässig, auch soweit sie zunächst als Untätigkeitsklage erhoben und später als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage weitergeführt worden sei. Wegen der jeweils im Tenor der Beschlüsse des Zulassungsausschusses vom 11. Februar 2002 und 30. Januar 2006 genannten Anzahl der zu versorgenden Personen habe die Kammer keine Zweifel, dass hierunter auch die Versicherten fallen sollten, die am psychosozialen Wohnprojekt teilnähmen. Insoweit sei auch zu beachten, dass der zunächst auf nur 66 zu versorgende Personen der Pflegeeinrichtung gerichtete Beschluss des Zulassungsausschusses vom 30. November 1999 von diesem auf den Widerspruch der Klägerin hin auf (sämtliche) 112 Bewohner der Pflegeeinrichtung erstreckt worden sei. Unerheblich sei, dass der Zulassungsausschuss die Ermächtigung in einem Umfang erteilt habe, der ursprünglich möglicherweise nicht vorgesehen gewesen sei und den weder die Beklagte noch die Beigeladenen gewollt hätten. Da die Beklagte aufgrund eines Schreibens der Klägerin Kenntnis von der Ausgliederung einer Abteilung der Pflegeeinrichtung in eine Einrichtung der Eingliederungshilfe für psychisch behinderte Menschen gehabt habe, hätte sie auch rechtzeitig gegen die o. g. Ermächtigungsbeschlüsse des Zulassungsausschusses vorgehen können.

Gegen dieses ihr am 25. August 2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 06. September 2011, die sie wie folgt begründet: Das Sozialgericht habe die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze zur Auslegung von Verwaltungsakten weitgehend unbeachtet gelassen und nicht hinreichend berücksichtigt, dass es sich bei den von den Zulassungsgremien erlassenen Verwaltungsakten um solche mit Drittwirkung handele, weil sie die Krankenkassen, ihre Verbände und die Kassenärztliche Vereinigung rechtlich bänden. Im vorliegenden Fall habe sich der Zulassungsausschuss objektiv mehrdeutig verhalten. Der Beschluss des Zulassungsausschusses vom 15. März 2000, auf den die Klägerin ihren Anspruch letztlich stütze, sei offensichtlich rechtswidrig, weil der vorangegangene Beschluss des Zulassungsausschusses vom 30. November 1999 keine offenbare Unrichtigkeit enthalte, sondern die (rechtlich völlig zutreffende) Zurückweisung des Antrags auf Ermächtigung auch für die 46 Plätze des psychosozialen Wohnprojekts. Lediglich aus dem Umstand, dass die Zahl der Bewohner der Pflegeeinrichtung im Tenor des Beschlusses mit 112 angegeben werde und in der Begründung des Beschlusses auf den diesbezüglichen Antrag der Klägerin Bezug genommen werde, könne man schließen, dass der Zulassungsausschuss die Zurückweisung des Antrags auf Ermächtigung auch für die 46 Plätze des psychosozialen Wohnprojekts im Beschluss vom 30. November 1999 habe korrigieren wollen. Im Tenor des Bescheides habe der Zulassungsausschuss dies jedoch nicht eindeutig erklärt. Vor diesem Hintergrund wäre es an der Klägerin gewesen, auf eine Klarstellung zu drängen. Ihr sei sowohl bekannt, dass die Geschäftsgrundlage der ihr erteilten Ermächtigungen die o. g. Rahmenvereinbarung sei, aber auch, dass das sozialtherapeutische Wohnprojekt nicht unter diese Rahmenvereinbarung falle. Die Klägerin habe nicht davon ausgehen können, dass der Zulassungsausschuss mit dem im Tenor seiner Ermächtigungsbescheide verwendeten Begriff "Pflegeeinrichtung" etwas anderes meine als eine Pflegeeinrichtung im Rechtssinne, wozu das sozialtherapeutische Wohnprojekt gerade nicht gehöre. Der Klägerin habe auch bekannt sein müssen, dass ihr eine Institutsermächtigung nur wegen der ärztlichen Betreuung bettlägeriger Patienten erteilt worden sei, ein Gesichtspunkt, der für die Bewohner des sozialtherapeutischen Wohnprojekts keine Anwendung finden könne. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts habe sie – die Beklagte – gegen die Ermächtigung der Klägerin zur Versorgung der Bewohner des sozialtherapeutischen Wohnprojekts keinen Widerspruch einlegen müssen, weil sie bei den wiederkehrenden Ermächtigungsbescheiden der Pflegeeinrichtung regelmäßig nur den Tenor des Bescheides prüfe. Ein Informationsschreiben der Klägerin an die Beklagte vom 02. Oktober 1998 hierauf nehme das Sozialgericht Bezug finde sich in ihrer Verwaltungsakte nicht. Jedenfalls habe sie die Beklagte nicht damit rechnen müssen, dass der Zulassungsausschuss eine Ermächtigung zur Versorgung von Personen außerhalb der Pflegeeinrichtung erteile, ohne dies im Tenor seiner Entscheidung eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Ihrer Auffassung nach seien die Leistungen für Bewohner des sozialtherapeutischen Wohnprojekts weder über die Rahmenvereinbarung noch über die Honorarverteilungsregelungen der Beklagten vergütungsfähig. Die Bewohner des sozialtherapeutischen Wohnprojektes (stationäre Behinderteneinrichtung) hätten nicht von angestellten Ärzten der stationären Pflegeeinrichtung versorgt werden dürfen, sondern ausschließlich von niedergelassenen Vertragsärzten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge und äußern sich nicht.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und des Zulassungsausschusses, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig.

I. Streitgegenstand ist nur die Frage, ob die von der Beklagten genannten Behandlungsfälle der Quartale IV/05 bis IV/08 dem Grunde nach abrechnungsfähig sind. Nur hierauf bezieht sich die Begründung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden und nur hierüber streiten die Beteiligten. Streitbefangen ist hingegen nicht die Frage, ob die auf den Behandlungsausweisen aufgeführten einzelnen Leistungen jeweils vergütungsfähig sind.

II. Soweit das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben hat, folgt der Senat dessen Begründung und verweist hierauf gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründung nicht überzeugt.

1. Ob der Bescheid des Beklagten vom 15. März 2000 (offensichtlich) rechtswidrig ist, ist wegen seiner Bestandskraft (§ 77 SGG) unerheblich. Selbst wenn die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes offensichtlich sein sollte, ist nicht der dadurch Begünstigte – hier: die Klägerin –, sondern sind allenfalls die dadurch Belasteten – wie z.B. die Beklagte im hiesigen Fall – gehalten, eine Klarstellung oder Änderung, ggf. durch Einlegung von Rechtsmitteln, zu erwirken. Gerade weil dieser Bescheid durch keinen der belasteten Verfahrensbeteiligten, also weder die Beklagte noch die Krankenkassen(verbände), angegriffen wurde, durfte die Klägerin davon ausgehen, dass die Ermächtigungen vom 11. Februar 2002 und 30. Januar 2006 die Bewohner beider von ihr geleiteten Einrichtungen in der Mstraße erfassen.

2. Aus demselben Grund durfte die Klägerin diese beiden zuletzt genannten Bescheide auch dahin verstehen, dass der Begriff "Pflegeeinrichtung" untechnisch und nicht entsprechend der Legaldefinition in § 71 SGB XI verwandt wurde. Gerade weil auf ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. November 1999 hin im Tenor des Beschlusses vom 15. März 2000 nur noch die "112 Bewohner der Pflegeeinrichtung" erwähnt werden und hiervon offenkundig auch – wie mit dem Widerspruch geltend gemacht – die 46 Plätze des psychosozialen Wohnprojekts gemeint waren, durfte die Klägerin die wortgleichen Formulierungen in den beiden folgenden Ermächtigungsbeschlüssen im selben Sinn verstehen. Der Senat teilt auch nicht die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretene Ansicht, der Bescheid des Zulassungsausschusses vom 15. März 2000 erwähne die Bewohner des psychosozialen Wohnprojekts überhaupt nicht, sodass insoweit der ablehnende Teil des Bescheids vom 30. November 1999 auch nicht geändert oder "berichtigt" worden sei. Denn bei dieser Auslegung erhielte der Bescheid vom 15. März 2000 einen unsinnigen Inhalt: die Ausweitung der Ermächtigung gegenüber dem Bescheid vom 30. November 1999 würde sich dann auf 46 nach Kenntnis aller Beteiligten nicht existierende weitere Bewohner der Pflegestation in der Mstraße beziehen.

3. Keinerlei Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die Beklagte bei den wiederkehrenden Ermächtigungsbescheiden der Pflegeeinrichtungen regelmäßig nur den Tenor des Bescheides prüft. Warum die Tatsache, dass eine Behörde sie betreffende Verwaltungsakte anderer Behörden pflichtwidrig nur einer oberflächlichen Prüfung unterzieht, sich zulasten der durch die Verwaltungsakte Begünstigten auswirken soll, bleibt unerfindlich. Zu den von der Beklagten ins Feld geführten, "von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätzen zur Auslegung von Verwaltungsakten" stünde eine solche Sichtweise jedenfalls in eklatantem Widerspruch. Die für die Auslegung maßgebliche objektivierte Sichtweise wird nicht davon beeinflusst, dass einzelne Empfänger eines Verwaltungsaktes intern einen nachlässigen Umgang mit diesem pflegen.

III. Im Hinblick auf den unter I. näher eingegrenzten Streitgegenstand hat der Senat den Tenor des sozialgerichtlichen Urteils klargestellt. Er ist hierbei mangels entgegen stehender Anhaltspunkte davon ausgegangen, dass auch das Sozialgericht nur dem Grunde nach über die Abrechnungsfähigkeit der in den Bescheiden angegebenen Behandlungsscheine entscheiden wollte. Da sich der Tenor des sozialgerichtlichen Urteils möglicherweise auch anders interpretieren ließe, bedurfte es der aus dem Tenor der Senatsentscheidung ersichtlichen Klarstellung.

IV. In welchem Umfang die im Rahmen der abgelehnten Behandlungsfälle abgerechneten Leistungen zu vergüten sind, bedarf einer gesonderten Prüfung durch die Beklagte.

Sie wird dabei zu beachten haben, dass sich die die Quartale IV/05 und I/06 betreffende Ermächtigung vom 11. Februar 2002 nach dem Wortlaut des Beschlusstenors abweichend von allen anderen Ermächtigungen neben der allgemeinmedizinischen nicht auf die psychiatrische, sondern die internistische Grundsversorgung bezieht. Ob es sich insoweit um eine unbeachtliche Falschbezeichnung entsprechend dem Grundsatz "falsa demonstratio non nocet" handelt, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, weil nicht erkennbar ist, ob die ihm überlassenen Verwaltungsvorgänge des Zulassungsausschusses vollständig sind. Die Beantwortung der Frage könnte u.a. davon abhängen, über welche (fach-)ärztliche Qualifikation die im diesbezüglichen Antrag der Klägerin vom 11. Februar 2002 genannten Ärzte verfügen.

Der Vergütung einzelner Leistungen könnte aber auch entgegenstehen, dass sie von bei der Klägerin angestellten Ärzten erbracht wurden, bevor deren Beschäftigung dem Zulassungsausschuss mitgeteilt wurde. Insofern könnte ein Verstoß gegen die in den Tenor des Beschlusses vom 30. Januar 2006 aufgenommene Verpflichtung der Klägerin, "Veränderungen in der Versorgungssituation der Pflegeeinrichtung" unverzüglich mitzuteilen, vorliegen. Zu solchen Veränderungen zählt zweifellos auch neues ärztliches Personal.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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