L 13 VE 29/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 161 V 322/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VE 29/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Grundrente, der Feststellung weiterer Schädigungsfolgen und die Höhe der Minderung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1951 in der DDR geborene Kläger hatte ausweislich der Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 12. Juli 1995 und vom 21. Oktober 2004 in den Zeiträumen vom 31. März 1967 bis zum 30. Januar 1968 sowie vom 4. April 1973 bis zum 7. August 1974 zu Unrecht Freiheitsentziehungen erlitten. Im August 1974 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Nachdem der Kläger im Oktober 1974 ohne Erfolg Versorgungsleistungen nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) beantragt hatte, stellte er am 27. März 2003 erneut einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem HHG und dem StrRehaG. Auf der Grundlage der Gutachten des Internisten Dr. D vom 13. September 2006 und der Nervenärztin Dr. Hu vom 16. Februar 2008 erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 10. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2008 "Angst vor sozialen Situationen" als Schädigungsfolge – und zwar hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 21 StrRehaG – an, lehnte aber die Gewährung einer laufenden Rente mit der Begründung ab, dass der GdS weniger als 25 betrage.

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger zuletzt die Feststellung eines GdS von mindestens 30 unter weiterer Anerkennung einer Herz- und Bauchspeicheldrüsenerkrankung begehrt.

Das Sozialgericht hat das Gutachten des Nervenarztes Dr. Ha vom 18. Februar 2011 mit ergänzender Stellungnahme vom 20. Mai 2011 eingeholt.

Mit Urteil vom 24. August 2011 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und die Heraufsetzung des GdS. Mit dem Begehren, die bei ihm als Schädigungsfolge anerkannte Angst vor sozialen Situationen mit einem höheren GdS als 10 zu bewerten, dringe der Kläger nicht durch. Denn nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. Ha sei die psychische Störung des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die unrechtmäßigen Freiheitsentziehungen zurückzuführen: Die von dem Kläger geschilderten psychischen Beschwerden wie Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, sozialer Rückzug, Angst vor größeren Menschenansammlungen bei depressiver Grundstimmung böten eine Symptomatik, die für eine psychisch-reaktive Traumafolge nicht spezifisch seien. Vielmehr habe der Kläger Fragen nach intrusiven Alpträumen mit szenischem Wiedererleben von Haftsituationen, die für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung charakteristisch seien, verneint. Vorliegend seien für die geschilderte Symptomkonstellation mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Belastungsfaktoren und Konflikte in der Kindheit ursächlich, insbesondere die Einsamkeit und das Auf-sich-gestellt-sein als Schlüsselkind gleich nach der Einschulung, der frühe, unerwartete Tod der Mutter im Alter des Klägers von ca. zehn Jahren und die nachfolgende Neigung des Vaters zum Alkohol.

Auch die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen könne der Kläger nicht erfolgreich beanspruchen. Der Sachverständige habe darauf hingewiesen, dass die beklagte Bluthochdruckkrankheit sowie der Herzklappendefekt nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Haft zurückführbar sei. Der vereinzelt dastehende Blutdruckbefund bei der neurologisch-psychiatrischen Untersuchung vom 22. April 1975 durch die Nervenärztin Dr. Sch könne nicht als Hinweis auf eine beginnende Bluthochdruckerkrankung gewertet werden. Denn im Gutachten des Internisten A vom 21. April 1975 hätten sich bei dem Kläger keine Hinweise auf eine Hypertonie ergeben. Erst mit dem Gutachten des Internisten Dr. D vom 13. September 2006 seien erhöhte Blutdruckwerte festgestellt und bei der Untersuchung des Klägers durch den Sachverständigen Dr. H im Januar 2011 bestätigt worden. Der Zeitraum seit den Hafterlebnissen von 40 bzw. 35 Jahren, in welchem die Anamnese bezüglich Herz-Kreislauferkrankungen leer sei, mache es wahrscheinlicher, dass diese Beschwerden auch ohne die unrechtmäßige Haft zu Tage getreten wären. Hinweise auf Gesundheitsstörungen im Zusammenhang mit der Bauchspeicheldrüse hätten sich bei den Untersuchungen des Klägers zu keiner Zeit ergeben.

Mit seiner Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens der Internistin Dr. K vom 18. Juni 2012 nach Aktenlage.

Unter Vorlage des Arztbriefes des Pkrankenhauses vom 21. Januar 2013 über den operativen Aortenklappenersatz hält der Kläger die Einholung eines kardiologischen Gutachtens für erforderlich. Er verweist darauf, dass organische und körperliche Langzeitschäden als Folge psychischer Belastungen auftreten könnten.

Der Kläger beantragt seinem schriftlichen Vorbringen zufolge,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2011 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 10. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2008 zu verpflichten, ihm unter weiterer Anerkennung einer Herz- und Bauchspeicheldrüsenerkrankung als Folge der in den Zeiträumen vom 31. März 1967 bis zum 30. Januar 1968 sowie vom 4. April 1973 bis zum 7. August 1974 zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung eine Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. August 2011 zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Außerdem wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Mit Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung nach dem StrRehaG.

Maßgebend ist – obwohl der Kläger mit seinem Antrag Leistungen sowohl nach dem StrRehaG als auch nach dem HHG geltend gemacht hat – allein § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG. Denn nach § 23 Abs. 1 StrRehaG wird, wenn Ansprüche aus § 21 StrRehaG mit Ansprüchen aus § 1 BVG oder aus anderen Gesetzen zusammentreffen, die – wie vorliegend § 4 Abs. 1 HHG – eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, die Versorgung unter Berücksichtigung des durch die gesamten Schädigungsfolgen bedingten Grades der Schädigungsfolgen nach dem StrRehaG gewährt.

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes.

Die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale – hier eine in Folge der rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung erlittene gesundheitliche Schädigung und die gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung – müssen nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren an die richterliche Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen voll bewiesen werden. Dagegen genügt gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung (sog. haftungsausfüllende Kausalität) die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.

Ein derartiger Zusammenhang zwischen den von dem Kläger erlittenen Freiheitsentziehungen und der von ihm geltend gemachten Gesundheitsstörungen ist nicht wahrscheinlich. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils vom 24. August 2011 und sieht nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Der Umstand, dass der Kläger – was der im Klageverfahren herangezogene Sachverständige Dr. H auf der Grundlage der körperlichen Untersuchung des Klägers bereits im Gutachten vom 18. Februar 2011 vermutet hat – tatsächlich an einem operationspflichtigem Herzklappendefekt erkrankt ist, ändert nichts an der fehlenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs. Einer erneuten Begutachtung des Klägers aufgrund einer körperlichen Untersuchung bedarf es deshalb nicht.

Die Ermittlungen des Senats im Berufungsverfahren rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Die Internistin Dr. K hat im Gutachten vom 18. Juni 2012 überzeugend dargelegt, dass auch hinsichtlich der Bauchspeicheldrüsenerkrankung – selbst wenn man unterstellte, dass sie bei dem Kläger vorliege – ein ursächlicher Zusammenhang mit den schädigenden Vorgängen medizinisch nicht herstellbar sei.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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