S 1 SO 2637/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SO 2637/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Eine Anfechtungs- und Leistungsklage ist bei fehlendem Widerspruchsverfahren als unzulässig abzuweisen. Eine Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens ist nicht geboten (Anschluss an SG Stuttgart vom 09.05.2011 - S 20 SO 1922/11 - )
Die Klage wird (als unzulässig) abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs - Sozialhilfe - (SGB IV) für die Zeitspanne vom 01.07.2013 bis zum 31.12.2013.

Der 1949 geborene Kläger erhält von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See seit dem 01.12.2011 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze eine Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 31.01.2012). Er steht bei der Beklagten seit dem 01.03.2012 in Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den Bestimmungen des SGB XII. Zuletzt hatte die Beklagte diese Leistungen für den Monat Juli 2013 auf 558,12 EUR und für die Zeitspanne von August bis Dezember 2013 auf monatlich 557,18 EUR festgesetzt. Von der Gesamtleistung zahlt die Beklagte die Kaltmiete in Höhe von 455,00 EUR unmittelbar an den Vermieter des Klägers, außerdem eine Pauschale für Nebenkosten in Höhe von 91,00 EUR monatlich an die Stadtwerke Karlsruhe. Den Restbetrag in Höhe von monatlich 11,18 EUR überweist die Beklagte unmittelbar auf das Konto des Klägers (Bescheid vom 05.07.2013).

Über den dagegen am 17.07.2013 erhobenen Widerspruch des Klägers hat die Beklagte bislang nicht entschieden.

Mit seiner am 26.07.2013 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage begehrt der Kläger - soweit das erkennende Gericht dessen handschriftliche Ausführungen überhaupt entziffern kann - die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und möglicherweise auch einmalige Bedarfe für eine Wohnungserstausstattung.

Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,

den Bescheid vom 05. Juli 2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01. Juli 2013 bis zum 31. Dezember 2013 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich auch nicht zur Sach- und Rechtslage geäußert.

Mit Schreiben vom 02.10.2013 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, es erwäge eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 29.10.2013 eingeräumt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage, über die die Kammer ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte (§ 105 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - ), weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, hat keinen Erfolg. Denn die Klage ist bereits unzulässig, weil bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Bescheids vom 05.07.2013 nicht - wie erforderlich (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG) - in einem Vorverfahren nachgeprüft worden ist.

Nach dieser Bestimmung ist vor der Erhebung einer - wie hier - Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Die Durchführung des Vorverfahrens stellt eine unverzichtbare Prozess- und Sachurteilsvoraussetzung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, Vorb § 68, Rn. 6) dar, deren Fehlen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BSG vom 25.04.2007 - B 12 AL 2/06 R - (juris); Binder in Hk-SGG, 4. Aufl. 2012, § 78, Rn. 4 und Kopp/Schenke, a.a.O.). Durchgeführt ist ein Vorverfahren erst dann, wenn im Anschluss an eine Nachprüfung der mit dem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsentscheidung (Bescheid) ein auf diese bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist (vgl. BSG, a.a.O.). Da das Vorverfahren, das den Erlass des Widerspruchsbescheids einschließt (§ 62, 2. Halbsatz des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB X) in Verbindung mit § 8, 2. Halbsatz SGB X und § 85 Abs. 2 und 3 SGG), hier bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht durchgeführt worden ist und auch keine der in § 78 Abs. 1 S. 2 SGG genannten Ausnahmefälle vorliegt, in denen es einer solchen Nachprüfung nicht bedarf, ist die Klage als unzulässig abzuweisen (vgl. VGH Baden-Württemberg vom 04.03.2009 - 9 S 371/08 - (juris)). Dies entspricht dem Wortlaut von § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG und nimmt dem Kläger auch keinen Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes), weil er nach Erlass des Widerspruchsbescheids gegebenenfalls erneut Klage beim Sozialgericht erheben kann. Die Abweisung der Klage als unzulässig trägt außerdem den drei Funktionen des Widerspruchsverfahrens, nämlich der Wahrung der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch Selbstkontrolle von Recht- und Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung, der erweiterten Rechtsschutzmöglichkeit für den einzelnen Bürger durch Eröffnung einer nochmaligen Überprüfung des Verwaltungsakts im Bereich der Verwaltung selbst und Entlastung der Gerichte (vgl. hierzu Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 1), besser Rechnung (vgl. SG Stuttgart vom 09.05.2011 - S 20 SO 1922/11 - (juris)).

Die gegenteilige Ansicht, dass eine Klage ohne Durchführung des Widerspruchsverfahrens zwar unzulässig, der Rechtsstreit aber bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids auszusetzen ist (vgl. u.a. BSG SozR 3-5540 Anl. 1 § 10 Nr. 1 m.w.N.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 78, Rn. 3a und Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl. 2011, Kap. IV, Rn. 23), überzeugt dagegen nicht. Insbesondere dient eine Aussetzung des Klageverfahrens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides nicht der Prozessökonomie, vor allem nicht dem Schutzzweck der Entlastung der Sozialgerichte durch ein vorgeschaltetes Widerspruchsverfahren (vgl. SG Stuttgart, a.a.O. sowie Binder, a.a.O., Rn. 8; im Ergebnis ähnlich auch Bay. LSG vom 18.03.2013 - L 7 AS 142/12 - (juris)). Denn die Gerichte werden zu einem Zeitpunkt in einen Rechtsstreit einbezogen, der der gesetzgeberischen Zielsetzung widerspricht. Wird die - unzulässige - Klage nicht als solche abgewiesen, sondern das Verfahren ausgesetzt, verlängert sich die gerichtliche Verfahrensdauer um die Dauer des nachzuholenden Vorverfahrens, in dem gegebenenfalls auch noch weitere Ermittlungen der Behörde zur Klärung des Sachverhalts notwendig werden können. Wird in solchen Fällen dem Widerspruch durch die Widerspruchsbehörde stattgegeben, wurde das Gericht unnötigerweise mit einem Verfahren befasst.

Ergänzend verweist die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die sehr instruktive Begründung im Gerichtsbescheid des SG Stuttgart vom 09.05.2011 (S 20 SO 1922/11 (juris)), der sie sich nach eigener Prüfung - mit Ausnahme der dortigen Ausführungen zur fehlenden Prozessökonomie auch aus kostenrechtlichen Gründen (vgl. Rn. 23 a.a.O.; - die Sozialhilfeträger sind gem. § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X von der Verpflichtung zur Zahlung einer Pauschgebühr nach § 184 SGG befreit, was das SG Stuttgart übersehen hat) - in vollem Umfang anschließt.

Da es vorliegend an einer zwingenden Prozessvoraussetzung - einem durch Widerspruchsbescheid abgeschlossenen Vorverfahren - fehlt, war die Klage - ohne Sachprüfung durch das erkennende Gericht - (als unzulässig) abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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