Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 1676/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 594/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 08. Januar 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in keinem Rechtszug zu erstatten.
Tatbestand:
Die beklagte Bundesagentur für Arbeit wendet sich mit ihrer Berufung gegen die gerichtliche Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids über Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 09.08.2011 bis zum 21.11.2011 in Höhe von EUR 2.010,56.
Die 1984 geborene Klägerin ist gelernte Friseurin und meldete sich mit Wirkung zum 10.03.2011 arbeitslos. Hierbei quittierte sie auch, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten zu haben. Mit Bescheid vom 01.06.2011 bewilligte ihr die Beklagte Alg ab 10.03.2011 für 360 Tage mit einem Leistungssatz von EUR 19,52 kalendertäglich.
Am 28.07.2011 fand ein Telefonkontakt zwischen Klägerin und Beklagter statt. Hierbei teilte die Klägerin mit, dass sie ab dem 08.08.2011 einen Lehrgang zur Vorbereitung der Meisterprüfung als Frisörin mit abschließender Prüfung vor der Handwerkskammer Freiburg besuchen werde. In dem entsprechenden Aktenvermerk (Verbis) hielt der zuständige Mitarbeiter der Beklagten (M. H.) fest: "Kundin kann nicht verstehen, dass sie ab dem 08.08.2011 aus der AV [Arbeitsvermittlung] abgemeldet wird und kein Alg mehr erhält bzw. ihre Krankenversicherung für den Zeitraum der Weiterbildung selbst bezahlen soll. ( ) Sie bittet um einen Rückruf des Teamleiters AV. WV [Wiedervorlage] gesetzt.".
Im weiteren Verlauf zahlte die Beklagte der Klägerin weiterhin das bewilligte Alg aus. Frühestens Ende November 2011 gelangten Bescheinigungen der Schule über die Teilnahme an dem Kurs vom 09.08. bis 21.11.2011 sowie der Handwerkskammer über die bestandene Meisterprüfung vom 21.11.2011 zur Akte.
Einen Meldetermin bei der Beklagten am 09.12.2011 sagte die Klägerin ab.
Mit Schreiben mit 19.12.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie beabsichtige, die Bewilligung von Alg in Höhe von EUR 2.010,56 für die Zeit vom 09.08.2011 bis 21.11.2011 aufzuheben und Erstattung zu verlangen. Die Klägerin habe in dieser Zeit die Meisterschule besucht und diese Tatsache selbst der Beklagten mitgeteilt. Sie habe gewusst bzw. wissen können, dass ihr Anspruch in dieser Zeit geruht habe oder weggefallen sei.
Die Klägerin nahm am 22.12.2011 telefonisch Stellung. Sie habe der Beklagten die Teilnahme an dem Meisterkurs mitgeteilt. Ihr sei nicht klar gewesen, dass sie sich in dieser Zeit hätte abmelden müssen. Unter dem 11.01.2012 fügte sie schriftlich hinzu, die Beklagte habe sie nicht darauf hingewiesen, dass sie während der Vorbereitung auf die Meisterprüfung keinen Anspruch auf Alg habe.
Mit Bescheid vom 20.01.2012 verlangte die Beklagte von der Klägerin Erstattung von 2.010,56 EUR. Eine Ersetzung der in dieser Zeit gezahlten Beiträge an die Kranken- und Pflegeversicherung wurde nicht verlangt. Die Beklagte führte aus, die Bewilligung von Alg sei ab dem 09.08.2011 aufgehoben worden. Mit Änderungsbescheid vom - erst - 23.01.2012 hob die Beklagte ferner die Bewilligung von Alg unter anderem wegen des Schulbesuchs vom 09.08.2011 bis zum 21.11.2011 auf. An der bewilligten Bezugsdauer von 360 Tagen änderte dieser Bescheid nichts, vielmehr wurde der Klägerin nunmehr das Alg bis zum 26.06.2012 bewilligt.
Mit Schreiben vom 25.01.2012 trug die Klägerin vor, Alg werde auch bei beruflicher Weiterbildung gewährt. Hierzu fügte sie einen Auszug aus ihrem ursprünglichen Bewilligungsbescheid bei, der diese Information enthielt. Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch und gab an, der Meistervorbereitungskurs sei keine berufliche Weiterbildung im Sinne der gesetzlichen Vorschrift gewesen. Im weiteren Vorverfahren trug die Klägerin, nunmehr anwaltlich vertreten, ferner vor, die Bescheide seien auch formell rechtswidrig. So sei der Erstattungs- vor dem Aufhebungsbescheid ergangen. Die Bescheide nennten auch nicht ausreichend ihre Rechtsgrundlagen. Ferner ließ die Klägerin hier vortragen, ihr sei nicht bekannt gewesen, dass sie keinen Anspruch auf Alg mehr gehabt habe, da nach ihrer Mitteilung an die Beklagte die Leistungsbewilligung nicht aufgehoben worden sei. Die Leistungen habe sie verbraucht. Die Überzahlung beruhe auch auf einem Verschulden der Beklagten, da diese von dem Kurs gewusst habe.
Am 01.03.2012 machte sich die Klägerin als Frisörin selbstständig und meldete sich aus der Arbeitslosigkeit ab.
Mit Bescheid vom 07.03.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück "gegen die Bescheide vom 20. und 23.01.2012" zurück. Die Klägerin sei ab dem 09.08.2011 nicht mehr verfügbar gewesen. Auch habe sie sich grob fahrlässig verhalten, da sie bei ihrem Antrag auf Alg das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten habe, das die notwendigen Informationen enthalten habe. Die grobe Fahrlässigkeit ergebe sich auch aus dem Gesprächsvermerk vom 28.07.2011. Ein Mitverschulden der Beklagten liege nicht vor.
Am 03.04.2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sie hat daran festgehalten, ein Anspruch auf Alg bestehe auch bei beruflicher Weiterbildung, sie habe nicht grob fahrlässig gehandelt, auch sei das Mitverschulden der Beklagten zu berücksichtigen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Mit Gerichtsbescheid, dessen Erlass die Beteiligten zugestimmt hatten, hat das SG am 08.01.2013 den (Erstattungs-)bescheid vom 20.01.2012 aufgehoben. Eine Klagabweisung im Übrigen enthält der Tenor nicht. Ferner hat es der Beklagten die Erstattung der gesamten außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Die Klägerin habe einen Anspruch auf Aufhebung der Bescheide vom 20. und vom 23.01.2012. Unabhängig von der Diskussion der Beteiligten über die formalen Voraussetzungen dahin, dass der Erstattungsbescheid vor dem Aufhebungsbescheid ergangen sei, lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht vor. Bei der Klägerin liege weder positive Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis vor. Sie habe zwar das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und müsse sich daher dessen Inhalt zurechnen lassen. Jedoch liege aufgrund des telefonischen Kontaktes vom 28.07.2011 keine grobe Fahrlässigkeit vor. Zwar habe die Beklagte der Klägerin bei diesem Telefonat ausdrücklich mitgeteilt, dass sie ab dem 08.08.2011 abgemeldet werde und kein Arbeitslosengeld mehr erhalten werde. Jedoch habe die Klägerin bei diesem Telefonat ihren Unmut über diesen Hinweis geäußert. Da die Beklagte nach diesem Gespräch die Klägerin gerade nicht abgemeldet habe und weiterhin Alg gezahlt habe, habe die Klägerin davon ausgehen dürfen, dass ihr Gespräch erfolgreich gewesen sei, dass es "etwas genützt habe". Sie habe auch durchgängig mitgeteilt, dass sie an dem Kurs teilnehmen werde und dass der Bewilligungsbescheid die Information enthalten habe, Alg werde auch bei beruflicher Weiterbildung gezahlt.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihr am 15.01.2013 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 08.02.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie meint, die Klägerin habe auf Grund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, dass sie während des Meisterkurses keinen Anspruch auf Alg habe. Entsprechende Informationen habe sie in dem Merkblatt 1 und auch in dem Telefonat vom 28.07.2011 erhalten. Die Weiterzahlung des Alg nach diesem Gespräch habe der Klägerin vielmehr Anlass sein müssen, die Beklagte hierauf hinzuweisen. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass ein Anspruch auf Alg auch bei beruflicher Weiterbildung bestehe, habe sie nicht klären lassen, ob der Kurs zur Meistervorbereitung unter diesen Begriff gefallen sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 08. Januar 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.
Unter dem 16.04.2013 hat der Berichterstatter des Senats bei beiden Beteiligten angefragt, ob nach dem Gespräch am 28.07.2011 ein Teamleiter - wie von der Klägerin damals erbeten - zurückgerufen habe. Die Beklagte hat daraufhin die Stellungnahme der zuständigen Agentur für Arbeit vom 07.06.2013 vorgelegt, wonach kein Mitarbeiter, insbesondere nicht der Teamleiter, bei der Klägerin zurückgerufen habe. Die Klägerin behauptet dagegen mit Schriftsatz vom 28.07.2013, sie habe nach dem 28.07.2011 telefonischen Kontakt mit einem Mitarbeiter der zuständigen Agentur gehabt. Es sei ein emotionales Telefonat gewesen. Der Mitarbeiter habe ihr eine Klärung der Situation zugesagt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Beklagten ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere war sie angesichts der Beschwer der Beklagten aus dem angegriffenen Gerichtsbescheid von EUR 2.010,56 nicht zulassungsbedürftig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
2. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 Abs. 1 SGG).
3. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind beide Bescheide der Beklagten vom 20. und vom 23.01.2012. Zwar hat das SG im Tenor des angegriffenen Gerichtsbescheids nur den Bescheid vom 20.01.2012 erwähnt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um verdecktes Teilurteil, sodass weder zunächst ein Ergänzungsverfahren vor dem SG nach § 140 Abs. 1 Satz 1 SGG notwendig ist noch für eine vollständige Entscheidung des Senats die Voraussetzungen für ein "Heraufholen von Prozessresten" vorliegen müssen (vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 140 Rn. 2a). Vielmehr liegen die Voraussetzungen einer Berichtigung des Tenors nach § 138 Satz 1 SGG (Keller, a.a.O., § 138 Rn. 3c) vor: Aus den Entscheidungsgründen des angegriffenen Gerichtsbescheids ergibt sich hinreichend deutlich, dass das SG über beide Bescheide entscheiden wollte. Diese Tenorberichtigung wäre auch dem Senat in der Berufungsinstanz möglich (Keller, a.a.O., Rn. 4, 4a).
4. Mit dieser Maßgabe ist die Berufung der Beklagten auch begründet. Das SG hat die beiden Bescheide der Beklagten vom 20.01. und vom 23.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2012 zu Unrecht aufgehoben. Beide Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.
Die rechtlichen Voraussetzungen einer Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 - hier wegen Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Adressaten von der Rechtswidrigkeit der Bewilligung (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X) - und einer damit verbundenen Festsetzung einer Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X hat das SG zutreffend dargelegt. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
a) Die objektiven Voraussetzungen einer Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X lagen vor. Die Alg-Bewilligung war ab dem 09.08.2011 rechtswidrig geworden.
aa) Ab diesem Tag konnte die Klägerin kein Alg bei Arbeitslosigkeit (§ 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung [a.F.]) mehr verlangen. Die Klägerin stand objektiv nicht mehr den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung, weil sie nicht mehr in der Lage war, an jedem Tag ihrer Arbeitslosigkeit etwaigen Vorschlägen der Beklagten zur Eingliederung oder zur Aufnahme einer Beschäftigung nachzukommen (§ 119 Abs. 5 Nr. 1 und 2 SGB III a.F.). Sie war daher nicht mehr arbeitslos (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F.), sodass es an einer der Voraussetzungen des Alg-Anspruchs (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F.) fehlte.
bb) Es lagen auch keine Ausnahmen hiervon vor:
In der Zeit auf der Meisterschule stand der Klägerin kein Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB a.F. zu. Der Meistervorbereitungskurs war keine berufliche Weiterbildung im Sinne von § 77 Abs. 1 SGB III a.F., was aber nach § 124a Abs. 1 SGB III a.F. notwendig gewesen wäre. Es fehlte schon an der notwendigen vorherigen Beratung der Beklagten über die erforderlichen Weiterbildungsmaßnahmen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III a.F.).
Ferner war die Klägerin auch nach der Sonderregelung in § 120 Abs. 3 SGB III a.F. nicht verfügbar. Sie absolvierte zwar eine Maßnahme, die als berufliche Weiterbildung im weiteren Sinne eingestuft werden kann und für die die Voraussetzungen des § 77 SGB III a.F. nicht vorlagen. Aber die Agentur für Arbeit hatte ihrer Teilnahme daran nicht zugestimmt, außerdem war die Klägerin nicht bereit - und hat dies auch nicht getan -, ihre Teilnahme sofort abzubrechen, sobald eine berufliche Eingliederung in Betracht kam.
b) Anders als das SG meint der Senat, dass auch die subjektiven Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vorlagen. Die Klägerin hätte im Sinne grober Fahrlässigkeit (vgl. § 277 Bürgerliches Gesetzbuch) wissen können und müssen, dass ihr während der Teilnahme an dem Kurs kein Anspruch auf Alg mehr zustand. Darauf war sie nicht nur in dem Merkblatt 1 für Arbeitslose hingewiesen worden, in dem (S. 19 f. der Fassung März 2011) ausgeführt war, dass ein Arbeitsloser jederzeit verfügbar sein muss und bei einer nicht geförderten beruflichen Weiterbildung die Zustimmung der Agentur für Arbeit notwendig ist, um den Anspruch auf Alg zu erhalten. Entsprechende Informationen hatte die Klägerin bei dem Telefonat am 28.07.2011 erhalten, hier sogar ausdrücklich bezogen auf den geplanten Kurs ab dem 09.08.2011. Vor diesem Hintergrund hätte schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin auf die Rechtmäßigkeit der Weiterzahlung des Alg nur entstehen können, wenn ihr z. B. ein Mitarbeiter der Beklagten positiv zugesagt hätte, dass ein solcher Anspruch trotz des Meisterkurses bestehe. Es hätte ein positiver Vertrauenstatbestand gesetzt werden müssen. Ein solcher liegt nicht vor. Insbesondere wertet der Senat nicht die schlichte Weiterzahlung des Alg als einen solchen von der Beklagten gesetzten Vertrauenstatbestand. Die Klägerin durfte diese Weiterzahlung nicht so werten, dass sie gleichwohl einen Anspruch habe. Angesichts der Eindeutigkeit der Rechtslage und der erhaltenen Informationen musste sie vielmehr davon ausgehen, dass ein Versehen vorlag, und hätte ggfs. die Beklagte darauf hinweisen müssen. Ein anderweitiger Vertrauenstatbestand ergibt sich auch nicht aus dem Rückruf nach dem 28.07.2011, den die Klägerin - allerdings erst auf gerichtlichen Hinweis in der Berufungsinstanz - nunmehr behauptet. Abgesehen davon, dass dieser Rückruf nicht bewiesen ist und die Klägerin die materielle Beweislast für ihn trüge, hätte sie auch nach den Informationen, die sie bei diesem Rückruf erhalten zu haben behauptet, nicht darauf vertrauen dürfen, ihr stehe weiterhin ein Anspruch auf Alg zu. Eine entsprechende - positive - Aussage des Mitarbeiters trägt sie selbst nicht vor. Dieser habe ihr nur zugesagt, die Sache zu klären. Gerade nach einer solchen Aussage darf ein Erklärungsempfänger nicht darauf vertrauen, die Sache sei bereits geprüft und - im Sinne des Empfängers - geklärt worden.
c) Ein Mitverschulden der Beklagten bei der Überzahlung kann im Recht der Arbeitsförderung ausnahmsweise nicht berücksichtigt werden, da der Beklagten nach der Sonderregelung in § 330 Abs. 3 SGB III - abweichend von der Grundregel in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X - keine Ermessensentscheidung obliegt.
d) Die Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X hat die Beklagte richtig berechnet. Die Aufhebung betraf die 103 Tage vom 09.08. bis 21.11.2011. Bei einem täglichen Leistungssatz von EUR 19,52 ergeben sich die geforderten EUR 2.010,56. Eine Ersetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (§ 335 Abs. 1 SGB III) hat die Beklagte nicht verlangt.
e) Entgegen der Ansicht der Klägerin sind die Bescheide auch formell rechtmäßig.
Insbesondere lag kein Begründungsmangel (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X) vor. Zwar war der Teil-Aufhebungsbescheid vom 23.01.2012 als Änderungsbescheid gestaltet. Gleichwohl ergab sich aus ihm deutlich genug, dass - u. a. - für die Zeit vom 09.08. bis zum 21.11.2011 keine Leistungen gewährt werden sollten, insoweit war dort eine "Null-Leistung" verfügt. Die Rechtsgrundlage der Aufhebungsentscheidung - § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X - hatte die Beklagte schon in dem Anhörungsschreiben vom 19.11.2011 und - wenn auch nur pauschal - in dem Änderungsbescheid vom 23.01.2012 genannt.
Mangelnde Bestimmtheit (§ 33 Abs. 1 SGB X) liegt ebenfalls nicht vor. Der Aufhebungsbescheid hat den betroffenen Zeitraum, der Erstattungsbescheid vom 20.01.2012 die geforderte Summe genau benannt.
f) Es schadet auch nicht, dass der Erstattungsbescheid vor dem Aufhebungsbescheid erlassen worden ist.
Es ist anerkannt, dass der Wortlaut des § 50 Abs. 1 SGB X, der von einem (bereits) aufgehobenen Verwaltungsakt spricht, missverständlich ist, und dass ein isolierter Erstattungsbescheid im Zweifel konkludent die erforderliche Aufhebung bzw. Zurücknahme der betroffenen Bewilligungsentscheidung enthält, soweit die Behörde ihre Entscheidung tatsächlich auf § 50 Abs. 1 SGB X (und nicht etwa § 50 Abs. 2 SGB X) gestützt hat und die Voraussetzungen der §§ 44 ff. SGB X vorlagen (Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 50 Rn. 30 m.w.N.). Dies war hier der Fall. Im Übrigen wäre, folgte man dieser Ansicht nicht, nur der Erstattungsbescheid (anfänglich) rechtswidrig gewesen, nicht aber der am 23.01.2011 ergangene Aufhebungsbescheid. Und es wäre dann davon auszugehen, dass der Erstattungsbescheid durch den nachträglichen Erlass des Aufhebungsbescheids rechtmäßig geworden ist, zumindest, wenn der Aufhebungsbescheid noch vor dem Widerspruchsbescheid betreffend die Erstattung erlassen worden ist, weil sich die Rechtmäßigkeit belastender Verwaltungsakte nach dem Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestimmt.
Auch ein Verstoß gegen § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X lag nicht vor. Diese Vorschrift verlangt nur, dass die Erstattung mit der Aufhebungsentscheidung verbunden werden "soll". Es handelt sich nur um eine Ordnungsvorschrift, die sich nicht auf die Rechtmäßigkeit eines isolierten Erstattungsbescheids auswirkt (Schütze, a.a.O., Rn. 30 m.w.N.).
5. Die Entscheidung über die Kosten beider Rechtszüge beruht auf § 193 SGG.
6. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
2. Außergerichtliche Kosten sind in keinem Rechtszug zu erstatten.
Tatbestand:
Die beklagte Bundesagentur für Arbeit wendet sich mit ihrer Berufung gegen die gerichtliche Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids über Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 09.08.2011 bis zum 21.11.2011 in Höhe von EUR 2.010,56.
Die 1984 geborene Klägerin ist gelernte Friseurin und meldete sich mit Wirkung zum 10.03.2011 arbeitslos. Hierbei quittierte sie auch, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten zu haben. Mit Bescheid vom 01.06.2011 bewilligte ihr die Beklagte Alg ab 10.03.2011 für 360 Tage mit einem Leistungssatz von EUR 19,52 kalendertäglich.
Am 28.07.2011 fand ein Telefonkontakt zwischen Klägerin und Beklagter statt. Hierbei teilte die Klägerin mit, dass sie ab dem 08.08.2011 einen Lehrgang zur Vorbereitung der Meisterprüfung als Frisörin mit abschließender Prüfung vor der Handwerkskammer Freiburg besuchen werde. In dem entsprechenden Aktenvermerk (Verbis) hielt der zuständige Mitarbeiter der Beklagten (M. H.) fest: "Kundin kann nicht verstehen, dass sie ab dem 08.08.2011 aus der AV [Arbeitsvermittlung] abgemeldet wird und kein Alg mehr erhält bzw. ihre Krankenversicherung für den Zeitraum der Weiterbildung selbst bezahlen soll. ( ) Sie bittet um einen Rückruf des Teamleiters AV. WV [Wiedervorlage] gesetzt.".
Im weiteren Verlauf zahlte die Beklagte der Klägerin weiterhin das bewilligte Alg aus. Frühestens Ende November 2011 gelangten Bescheinigungen der Schule über die Teilnahme an dem Kurs vom 09.08. bis 21.11.2011 sowie der Handwerkskammer über die bestandene Meisterprüfung vom 21.11.2011 zur Akte.
Einen Meldetermin bei der Beklagten am 09.12.2011 sagte die Klägerin ab.
Mit Schreiben mit 19.12.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie beabsichtige, die Bewilligung von Alg in Höhe von EUR 2.010,56 für die Zeit vom 09.08.2011 bis 21.11.2011 aufzuheben und Erstattung zu verlangen. Die Klägerin habe in dieser Zeit die Meisterschule besucht und diese Tatsache selbst der Beklagten mitgeteilt. Sie habe gewusst bzw. wissen können, dass ihr Anspruch in dieser Zeit geruht habe oder weggefallen sei.
Die Klägerin nahm am 22.12.2011 telefonisch Stellung. Sie habe der Beklagten die Teilnahme an dem Meisterkurs mitgeteilt. Ihr sei nicht klar gewesen, dass sie sich in dieser Zeit hätte abmelden müssen. Unter dem 11.01.2012 fügte sie schriftlich hinzu, die Beklagte habe sie nicht darauf hingewiesen, dass sie während der Vorbereitung auf die Meisterprüfung keinen Anspruch auf Alg habe.
Mit Bescheid vom 20.01.2012 verlangte die Beklagte von der Klägerin Erstattung von 2.010,56 EUR. Eine Ersetzung der in dieser Zeit gezahlten Beiträge an die Kranken- und Pflegeversicherung wurde nicht verlangt. Die Beklagte führte aus, die Bewilligung von Alg sei ab dem 09.08.2011 aufgehoben worden. Mit Änderungsbescheid vom - erst - 23.01.2012 hob die Beklagte ferner die Bewilligung von Alg unter anderem wegen des Schulbesuchs vom 09.08.2011 bis zum 21.11.2011 auf. An der bewilligten Bezugsdauer von 360 Tagen änderte dieser Bescheid nichts, vielmehr wurde der Klägerin nunmehr das Alg bis zum 26.06.2012 bewilligt.
Mit Schreiben vom 25.01.2012 trug die Klägerin vor, Alg werde auch bei beruflicher Weiterbildung gewährt. Hierzu fügte sie einen Auszug aus ihrem ursprünglichen Bewilligungsbescheid bei, der diese Information enthielt. Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch und gab an, der Meistervorbereitungskurs sei keine berufliche Weiterbildung im Sinne der gesetzlichen Vorschrift gewesen. Im weiteren Vorverfahren trug die Klägerin, nunmehr anwaltlich vertreten, ferner vor, die Bescheide seien auch formell rechtswidrig. So sei der Erstattungs- vor dem Aufhebungsbescheid ergangen. Die Bescheide nennten auch nicht ausreichend ihre Rechtsgrundlagen. Ferner ließ die Klägerin hier vortragen, ihr sei nicht bekannt gewesen, dass sie keinen Anspruch auf Alg mehr gehabt habe, da nach ihrer Mitteilung an die Beklagte die Leistungsbewilligung nicht aufgehoben worden sei. Die Leistungen habe sie verbraucht. Die Überzahlung beruhe auch auf einem Verschulden der Beklagten, da diese von dem Kurs gewusst habe.
Am 01.03.2012 machte sich die Klägerin als Frisörin selbstständig und meldete sich aus der Arbeitslosigkeit ab.
Mit Bescheid vom 07.03.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück "gegen die Bescheide vom 20. und 23.01.2012" zurück. Die Klägerin sei ab dem 09.08.2011 nicht mehr verfügbar gewesen. Auch habe sie sich grob fahrlässig verhalten, da sie bei ihrem Antrag auf Alg das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten habe, das die notwendigen Informationen enthalten habe. Die grobe Fahrlässigkeit ergebe sich auch aus dem Gesprächsvermerk vom 28.07.2011. Ein Mitverschulden der Beklagten liege nicht vor.
Am 03.04.2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sie hat daran festgehalten, ein Anspruch auf Alg bestehe auch bei beruflicher Weiterbildung, sie habe nicht grob fahrlässig gehandelt, auch sei das Mitverschulden der Beklagten zu berücksichtigen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Mit Gerichtsbescheid, dessen Erlass die Beteiligten zugestimmt hatten, hat das SG am 08.01.2013 den (Erstattungs-)bescheid vom 20.01.2012 aufgehoben. Eine Klagabweisung im Übrigen enthält der Tenor nicht. Ferner hat es der Beklagten die Erstattung der gesamten außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Die Klägerin habe einen Anspruch auf Aufhebung der Bescheide vom 20. und vom 23.01.2012. Unabhängig von der Diskussion der Beteiligten über die formalen Voraussetzungen dahin, dass der Erstattungsbescheid vor dem Aufhebungsbescheid ergangen sei, lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht vor. Bei der Klägerin liege weder positive Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis vor. Sie habe zwar das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und müsse sich daher dessen Inhalt zurechnen lassen. Jedoch liege aufgrund des telefonischen Kontaktes vom 28.07.2011 keine grobe Fahrlässigkeit vor. Zwar habe die Beklagte der Klägerin bei diesem Telefonat ausdrücklich mitgeteilt, dass sie ab dem 08.08.2011 abgemeldet werde und kein Arbeitslosengeld mehr erhalten werde. Jedoch habe die Klägerin bei diesem Telefonat ihren Unmut über diesen Hinweis geäußert. Da die Beklagte nach diesem Gespräch die Klägerin gerade nicht abgemeldet habe und weiterhin Alg gezahlt habe, habe die Klägerin davon ausgehen dürfen, dass ihr Gespräch erfolgreich gewesen sei, dass es "etwas genützt habe". Sie habe auch durchgängig mitgeteilt, dass sie an dem Kurs teilnehmen werde und dass der Bewilligungsbescheid die Information enthalten habe, Alg werde auch bei beruflicher Weiterbildung gezahlt.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihr am 15.01.2013 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 08.02.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie meint, die Klägerin habe auf Grund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, dass sie während des Meisterkurses keinen Anspruch auf Alg habe. Entsprechende Informationen habe sie in dem Merkblatt 1 und auch in dem Telefonat vom 28.07.2011 erhalten. Die Weiterzahlung des Alg nach diesem Gespräch habe der Klägerin vielmehr Anlass sein müssen, die Beklagte hierauf hinzuweisen. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass ein Anspruch auf Alg auch bei beruflicher Weiterbildung bestehe, habe sie nicht klären lassen, ob der Kurs zur Meistervorbereitung unter diesen Begriff gefallen sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 08. Januar 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.
Unter dem 16.04.2013 hat der Berichterstatter des Senats bei beiden Beteiligten angefragt, ob nach dem Gespräch am 28.07.2011 ein Teamleiter - wie von der Klägerin damals erbeten - zurückgerufen habe. Die Beklagte hat daraufhin die Stellungnahme der zuständigen Agentur für Arbeit vom 07.06.2013 vorgelegt, wonach kein Mitarbeiter, insbesondere nicht der Teamleiter, bei der Klägerin zurückgerufen habe. Die Klägerin behauptet dagegen mit Schriftsatz vom 28.07.2013, sie habe nach dem 28.07.2011 telefonischen Kontakt mit einem Mitarbeiter der zuständigen Agentur gehabt. Es sei ein emotionales Telefonat gewesen. Der Mitarbeiter habe ihr eine Klärung der Situation zugesagt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Beklagten ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere war sie angesichts der Beschwer der Beklagten aus dem angegriffenen Gerichtsbescheid von EUR 2.010,56 nicht zulassungsbedürftig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
2. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 Abs. 1 SGG).
3. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind beide Bescheide der Beklagten vom 20. und vom 23.01.2012. Zwar hat das SG im Tenor des angegriffenen Gerichtsbescheids nur den Bescheid vom 20.01.2012 erwähnt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um verdecktes Teilurteil, sodass weder zunächst ein Ergänzungsverfahren vor dem SG nach § 140 Abs. 1 Satz 1 SGG notwendig ist noch für eine vollständige Entscheidung des Senats die Voraussetzungen für ein "Heraufholen von Prozessresten" vorliegen müssen (vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 140 Rn. 2a). Vielmehr liegen die Voraussetzungen einer Berichtigung des Tenors nach § 138 Satz 1 SGG (Keller, a.a.O., § 138 Rn. 3c) vor: Aus den Entscheidungsgründen des angegriffenen Gerichtsbescheids ergibt sich hinreichend deutlich, dass das SG über beide Bescheide entscheiden wollte. Diese Tenorberichtigung wäre auch dem Senat in der Berufungsinstanz möglich (Keller, a.a.O., Rn. 4, 4a).
4. Mit dieser Maßgabe ist die Berufung der Beklagten auch begründet. Das SG hat die beiden Bescheide der Beklagten vom 20.01. und vom 23.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2012 zu Unrecht aufgehoben. Beide Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.
Die rechtlichen Voraussetzungen einer Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 - hier wegen Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Adressaten von der Rechtswidrigkeit der Bewilligung (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X) - und einer damit verbundenen Festsetzung einer Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X hat das SG zutreffend dargelegt. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).
a) Die objektiven Voraussetzungen einer Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X lagen vor. Die Alg-Bewilligung war ab dem 09.08.2011 rechtswidrig geworden.
aa) Ab diesem Tag konnte die Klägerin kein Alg bei Arbeitslosigkeit (§ 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung [a.F.]) mehr verlangen. Die Klägerin stand objektiv nicht mehr den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung, weil sie nicht mehr in der Lage war, an jedem Tag ihrer Arbeitslosigkeit etwaigen Vorschlägen der Beklagten zur Eingliederung oder zur Aufnahme einer Beschäftigung nachzukommen (§ 119 Abs. 5 Nr. 1 und 2 SGB III a.F.). Sie war daher nicht mehr arbeitslos (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a.F.), sodass es an einer der Voraussetzungen des Alg-Anspruchs (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a.F.) fehlte.
bb) Es lagen auch keine Ausnahmen hiervon vor:
In der Zeit auf der Meisterschule stand der Klägerin kein Anspruch auf Alg bei beruflicher Weiterbildung nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB a.F. zu. Der Meistervorbereitungskurs war keine berufliche Weiterbildung im Sinne von § 77 Abs. 1 SGB III a.F., was aber nach § 124a Abs. 1 SGB III a.F. notwendig gewesen wäre. Es fehlte schon an der notwendigen vorherigen Beratung der Beklagten über die erforderlichen Weiterbildungsmaßnahmen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III a.F.).
Ferner war die Klägerin auch nach der Sonderregelung in § 120 Abs. 3 SGB III a.F. nicht verfügbar. Sie absolvierte zwar eine Maßnahme, die als berufliche Weiterbildung im weiteren Sinne eingestuft werden kann und für die die Voraussetzungen des § 77 SGB III a.F. nicht vorlagen. Aber die Agentur für Arbeit hatte ihrer Teilnahme daran nicht zugestimmt, außerdem war die Klägerin nicht bereit - und hat dies auch nicht getan -, ihre Teilnahme sofort abzubrechen, sobald eine berufliche Eingliederung in Betracht kam.
b) Anders als das SG meint der Senat, dass auch die subjektiven Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vorlagen. Die Klägerin hätte im Sinne grober Fahrlässigkeit (vgl. § 277 Bürgerliches Gesetzbuch) wissen können und müssen, dass ihr während der Teilnahme an dem Kurs kein Anspruch auf Alg mehr zustand. Darauf war sie nicht nur in dem Merkblatt 1 für Arbeitslose hingewiesen worden, in dem (S. 19 f. der Fassung März 2011) ausgeführt war, dass ein Arbeitsloser jederzeit verfügbar sein muss und bei einer nicht geförderten beruflichen Weiterbildung die Zustimmung der Agentur für Arbeit notwendig ist, um den Anspruch auf Alg zu erhalten. Entsprechende Informationen hatte die Klägerin bei dem Telefonat am 28.07.2011 erhalten, hier sogar ausdrücklich bezogen auf den geplanten Kurs ab dem 09.08.2011. Vor diesem Hintergrund hätte schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin auf die Rechtmäßigkeit der Weiterzahlung des Alg nur entstehen können, wenn ihr z. B. ein Mitarbeiter der Beklagten positiv zugesagt hätte, dass ein solcher Anspruch trotz des Meisterkurses bestehe. Es hätte ein positiver Vertrauenstatbestand gesetzt werden müssen. Ein solcher liegt nicht vor. Insbesondere wertet der Senat nicht die schlichte Weiterzahlung des Alg als einen solchen von der Beklagten gesetzten Vertrauenstatbestand. Die Klägerin durfte diese Weiterzahlung nicht so werten, dass sie gleichwohl einen Anspruch habe. Angesichts der Eindeutigkeit der Rechtslage und der erhaltenen Informationen musste sie vielmehr davon ausgehen, dass ein Versehen vorlag, und hätte ggfs. die Beklagte darauf hinweisen müssen. Ein anderweitiger Vertrauenstatbestand ergibt sich auch nicht aus dem Rückruf nach dem 28.07.2011, den die Klägerin - allerdings erst auf gerichtlichen Hinweis in der Berufungsinstanz - nunmehr behauptet. Abgesehen davon, dass dieser Rückruf nicht bewiesen ist und die Klägerin die materielle Beweislast für ihn trüge, hätte sie auch nach den Informationen, die sie bei diesem Rückruf erhalten zu haben behauptet, nicht darauf vertrauen dürfen, ihr stehe weiterhin ein Anspruch auf Alg zu. Eine entsprechende - positive - Aussage des Mitarbeiters trägt sie selbst nicht vor. Dieser habe ihr nur zugesagt, die Sache zu klären. Gerade nach einer solchen Aussage darf ein Erklärungsempfänger nicht darauf vertrauen, die Sache sei bereits geprüft und - im Sinne des Empfängers - geklärt worden.
c) Ein Mitverschulden der Beklagten bei der Überzahlung kann im Recht der Arbeitsförderung ausnahmsweise nicht berücksichtigt werden, da der Beklagten nach der Sonderregelung in § 330 Abs. 3 SGB III - abweichend von der Grundregel in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X - keine Ermessensentscheidung obliegt.
d) Die Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 1 SGB X hat die Beklagte richtig berechnet. Die Aufhebung betraf die 103 Tage vom 09.08. bis 21.11.2011. Bei einem täglichen Leistungssatz von EUR 19,52 ergeben sich die geforderten EUR 2.010,56. Eine Ersetzung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (§ 335 Abs. 1 SGB III) hat die Beklagte nicht verlangt.
e) Entgegen der Ansicht der Klägerin sind die Bescheide auch formell rechtmäßig.
Insbesondere lag kein Begründungsmangel (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X) vor. Zwar war der Teil-Aufhebungsbescheid vom 23.01.2012 als Änderungsbescheid gestaltet. Gleichwohl ergab sich aus ihm deutlich genug, dass - u. a. - für die Zeit vom 09.08. bis zum 21.11.2011 keine Leistungen gewährt werden sollten, insoweit war dort eine "Null-Leistung" verfügt. Die Rechtsgrundlage der Aufhebungsentscheidung - § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X - hatte die Beklagte schon in dem Anhörungsschreiben vom 19.11.2011 und - wenn auch nur pauschal - in dem Änderungsbescheid vom 23.01.2012 genannt.
Mangelnde Bestimmtheit (§ 33 Abs. 1 SGB X) liegt ebenfalls nicht vor. Der Aufhebungsbescheid hat den betroffenen Zeitraum, der Erstattungsbescheid vom 20.01.2012 die geforderte Summe genau benannt.
f) Es schadet auch nicht, dass der Erstattungsbescheid vor dem Aufhebungsbescheid erlassen worden ist.
Es ist anerkannt, dass der Wortlaut des § 50 Abs. 1 SGB X, der von einem (bereits) aufgehobenen Verwaltungsakt spricht, missverständlich ist, und dass ein isolierter Erstattungsbescheid im Zweifel konkludent die erforderliche Aufhebung bzw. Zurücknahme der betroffenen Bewilligungsentscheidung enthält, soweit die Behörde ihre Entscheidung tatsächlich auf § 50 Abs. 1 SGB X (und nicht etwa § 50 Abs. 2 SGB X) gestützt hat und die Voraussetzungen der §§ 44 ff. SGB X vorlagen (Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 50 Rn. 30 m.w.N.). Dies war hier der Fall. Im Übrigen wäre, folgte man dieser Ansicht nicht, nur der Erstattungsbescheid (anfänglich) rechtswidrig gewesen, nicht aber der am 23.01.2011 ergangene Aufhebungsbescheid. Und es wäre dann davon auszugehen, dass der Erstattungsbescheid durch den nachträglichen Erlass des Aufhebungsbescheids rechtmäßig geworden ist, zumindest, wenn der Aufhebungsbescheid noch vor dem Widerspruchsbescheid betreffend die Erstattung erlassen worden ist, weil sich die Rechtmäßigkeit belastender Verwaltungsakte nach dem Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestimmt.
Auch ein Verstoß gegen § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X lag nicht vor. Diese Vorschrift verlangt nur, dass die Erstattung mit der Aufhebungsentscheidung verbunden werden "soll". Es handelt sich nur um eine Ordnungsvorschrift, die sich nicht auf die Rechtmäßigkeit eines isolierten Erstattungsbescheids auswirkt (Schütze, a.a.O., Rn. 30 m.w.N.).
5. Die Entscheidung über die Kosten beider Rechtszüge beruht auf § 193 SGG.
6. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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