L 10 R 2866/13 WA

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2043/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2866/13 WA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Verfahren vor dem Landessozialgericht nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt - nachdem zwischen den Beteiligten im Verwaltungs- und Klageverfahren die Feststellung der Beschäftigungszeit der Klägerin vom 01.08.1968 bis 14.12.1983 in der ehemaligen DDR als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) streitig gewesen ist - nunmehr die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höherer Rente.

Die am 1941 geborene Klägerin war in der DDR nach abgeschlossenem pharmazeutischem Studium vom 01.09.1967 bis 31.01.1969 als Praktikantin, wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. Apothekerin und ab 01.02.1969 bei dem V. Arzneimittelwerk D. als Industrieapothekerin tätig, von Januar 1970 bis zu ihrer Absetzung im Juli 1983 als Laborleiterin. Im Dezember 1983 wurde die Klägerin aus politischen Gründen verhaftet und mit Urteil des Kreisgerichts D. vom 02.04.1984 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Am 06.03.1985 wurde die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben und aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen. In ein Versorgungssystem einbezogen war sie nicht. Am 01.01.1986 nahm die Klägerin im Bundesgebiet eine Beschäftigung als Apothekerin auf, wobei sie im Hinblick auf ihre Pflichtmitgliedschaft in der Bayerischen Versorgungskammer für Apotheker von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit wurde. Die Klägerin ist Inhaberin des Vertriebenenausweises "C". 1991 hob das Bezirksgericht D. das Urteil des Kreisgerichts D. auf; gleichzeitig wurde die Klägerin rehabilitiert. Bei ihr sind in Bezug auf die Haftzeit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Häftlingshilfegesetz (HHG) und die Zugehörigkeit zum Personenkreis, der zum Ausgleich beruflicher Benachteiligung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) berechtigt ist, festgestellt. Seit 01.05.2006 bezieht die Klägerin sowohl aus der gesetzlichen Rentenversicherung als auch von der Bayerischen Versorgungskammer eine Altersrente.

Anlässlich eines im Juni 2002 bei der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Rentenversicherungsträger gestellten Antrages auf Kontenklärung, in dem die Klägerin die Frage, ob sie einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem im Beitrittsgebiet angehört bzw. eine Beschäftigung ausgeübt habe, für die ein Versorgungssystem bestanden hat, ohne weitere Angaben bejahte, lehnte es die Beklagte in ihrer Funktion als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme mit Bescheid vom 01.04.2003 und Widerspruchsbescheid vom 12.07.2003 ab, die Beschäftigungszeit vom 01.08.1968 bis 14.12.1983 als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG festzustellen.

Hiergegen hat die Klägerin am 08.08.2003 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des SG vom 13.11.2007 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bekundet, ihm sei klar, dass die Klägerin keinen Anspruch nach dem AAÜG habe. Auf den sodann gleichwohl gestellten Antrag der Klägerin, den Bescheid vom 01.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.07.2003 aufzuheben und die Beklagte (in ihrer Eigenschaft als Versorgungsträger) zu verurteilen, für den Zeitraum 01.08.1968 bis 14.12.1983 Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG anzuerkennen, hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 17.12.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin, die seit Januar 2008 auch ein Berufungsverfahren gegen die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Rentenversicherungsträger wegen höherer Altersrente führt (s. hierzu das Urteil des Senats vom heutigen Tag im Verfahren L 10 R 974/13 WA), am 15.01.2008 beim SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt (L 10 R 397/08).

Nach Wiederanrufung des zunächst ruhenden Verfahrens beantragt die Klägerin - trotz des Hinweises des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung, ein solcher Antrag sei nicht zulässig -,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13.11.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 01.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.07.2003 zu verurteilen, höhere Rente nach DDR-Recht mit Rechtszustand 30.06.1990 unter Beachtung der Regeln des Staatsvertrages vom 18.05.1990 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Begehren der Klägerin ist nicht zulässig.

Anders als in der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr die Verurteilung der Beklagten zur Feststellung von Zeiten nach dem AAÜG beantragt. Nur hierüber hat allerdings das SG - entsprechend dem bei ihm gestellten Antrag - entschieden und nur hierüber, weil nur dies beantragt gewesen ist, hat es entscheiden dürfen (§ 123 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Stattdessen begehrt die Klägerin nun - trotz des Hinweises des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung, ein solcher Antrag sei nicht zulässig - die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höherer Rente. Über ein solches Begehren hat das SG nicht zu befinden gehabt, weil die Klägerin keinen derartigen Antrag gestellt hat. Die Klägerin macht somit dieses Begehren erstmalig vor dem Senat geltend. Dem entsprechend entscheidet der Senat auch nicht auf Berufung - die Klägerin ficht das Urteil des SG, das nur über einen Anspruch nach dem AAÜG entschieden hat, den die Klägerin selbst nicht mehr geltend macht, inhaltlich nicht mehr an -, sondern - weil das SG hierüber keine Entscheidung getroffen hat und, mangels Antrag, auch nicht zu treffen gehabt hat - erstinstanzlich und damit auf Klage.

Diese Klage ist unzulässig und daher abzuweisen.

Dies folgt noch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin durch den Wechsel ihres Begehrens eine Klageänderung vorgenommen hat. Diese Klageänderung ist hier deshalb zulässig, weil sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf diesen Wechsel des prozessualen Begehrens eingelassen hat (§ 99 Abs. 1 SGG). Auch wenn damit die Änderung der Klage zulässig ist, folgt hieraus noch nicht, dass auch die (geänderte) Klage selbst zulässig ist. Insoweit gelten die allgemeinen prozessualen Regeln (BSG, Urteil vom 31.07.2002, B 4 RA 20/01 R in SozR 3-1500 § 29 Nr. 1).

Gegenstand des Verfahrens ist - so von der Klägerin in ihrem Antrag auch aufgeführt - der Bescheid der Beklagten vom 01.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2003, deren Aufhebung die Klägerin beantragt. Hierfür steht grundsätzlich die Anfechtungsklage zur Verfügung. Denn nach § 54 Abs. 1 SGG kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt werden.

Zulässig ist eine Anfechtungsklage nur, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Beschwert ist ein Kläger nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Zulässigkeitsvoraussetzung für die Anfechtungsklage ist somit, dass der Kläger behauptet, durch einen Verwaltungsakt beschwert zu sein, weil dieser Verwaltungsakt objektiv rechtswidrig sei und subjektiv in rechtlich geschützte Interessen des Klägers eingreife (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Auflage, § 54 Rdnrn. 7, 9 f. - so genannte Klagebefugnis -).

Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 01.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2003 lehnte es die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Versorgungsträger ab, Beschäftigungszeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach der Anlage 1 zum AAÜG festzustellen, weil dieses Gesetz für die Klägerin nicht anwendbar sei. Ein derartiges Begehren macht die Klägerin nach dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung und ausweislich des in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellten Antrages aber nicht mehr geltend. Damit aber behauptet die Klägerin nicht (mehr), die Ablehnung eines Anspruches nach AAÜG durch diese Bescheide sei rechtswidrig und würde sie in Rechten verletzen. Sie hat damit im Grunde die Konsequenz aus der schon in der mündlichen Verhandlung vor dem SG geäußerten Auffassung, es sei klar, dass sie keinen Anspruch nach dem AAÜG habe, gezogen. Insoweit führt die Klägerin also ihre Berufung nicht weiter (weiter gehend BSG, Urteil vom 31.07.2002, a.a.O.: Klagerücknahme); dass sie weiterhin die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils beantragt, ändert hieran nichts. Aber auch in Bezug auf den stattdessen geltend gemachten Anspruch auf höhere Rente behauptet die Klägerin keine derartige Rechtsverletzung durch die angefochtenen Bescheide. Über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf höhere Rente wurde in den im vorliegenden Verfahren allein angefochtenen Bescheiden (Bescheid vom 01.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.07.2003) gar nicht entschieden, sodass die Klägerin auch nicht behaupten kann, durch den Verwaltungsakt hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf höhere Rente beschwert zu sein. Der Klägerin fehlt somit die Klagebefugnis für eine Anfechtungsklage (BSG, Urteil vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R). Dementsprechend erweist sich die gleichwohl erhobene Anfechtungsklage gegen die Bescheide der Beklagten über die Ablehnung eines Anspruchs nach dem AAÜG als unzulässig.

Unzulässig ist auch das von der Klägerin erhobene Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höherer Rente. Grundsätzlich ist zwar eine solche Leistungsklage auf Verurteilung eines Leistungsträgers zur Gewährung höherer Rente möglich (§ 54 Abs. 4 SGG). Voraussetzung ist jedoch, dass zunächst die Verwaltung mit der Sache befasst war und über das Begehren in den angefochtenen Bescheiden entschieden hat (BSG Urteil vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R; Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5; Urteil vom 16.11.2005, B 2 U 28/04 R). Andernfalls fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes in Form eines derartigen Leistungsbegehrens (Keller, a.a.O., Rdnrn. 21, 39b). So liegt der Fall hier. Gegenstand des Rechtsstreits ist - wie dargelegt - der Bescheid der Beklagten vom 01.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2003, und damit die Ablehnung eines Anspruches nach dem AAÜG. Ein Anspruch der Klägerin auf Rente wird in diesen Bescheiden - anders als im Verfahren L 10 R 974/13 WA in den dort angefochtenen Bescheiden - nicht geregelt. Damit ist das Leistungsbegehren mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die aus den o.g. Gründen in Bezug auf das Leistungsbegehren unzulässige Anfechtungsklage zieht gleichsam die Unzulässigkeit der Leistungsklage nach sich (BSG Urteil vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R.). Lediglich am Rande ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Versorgungsträger ohnehin nicht für die Gewährung von Renten zuständig ist. Sie hat lediglich über Feststellungen und unselbstständige Vorfragen nach dem AAÜG zu entscheiden, die für die spätere Überführung und Rentenwertfestsetzung durch den Rentenversicherungsträger rechtserheblich werden können (BSG, Urteil vom 31.07.2002, a.a.O.). Einen Anspruch gegen die Beklagte als Rentenversicherungsträger könnte die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit schon deshalb nicht zulässigerweise verfolgen, weil sie einen solchen Anspruch bereits im Rechtsstreit L 10 R 974/13 WA geltend macht. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes kann eine Sache bei bestehender Rechtshängigkeit nämlich von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden.

Darüber hinaus ist die Klage auch unzulässig, weil das LSG für ein derartiges, im Rahmen eines Berufungsverfahrens erstinstanzlich gestelltes Begehren nicht zuständig ist. Das LSG ist gemäß § 29 SGG nämlich im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nur zuständig für Entscheidungen im Berufungsverfahren und damit nicht für erstinstanzliche Entscheidungen. Die einzige Ausnahme hierzu enthält § 96 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG (BSG, Urteil vom 31.07.2002, a.a.O.), der voraussetzt, dass ein während des Rechtsstreits ergehender Bescheid den streitbefangenen Bescheid abändert oder ersetzt. Diese Ausnahme liegt hier jedoch nicht vor, weil die Beklagte die angefochtenen Bescheide weder abgeändert noch ersetzt hat. Auch deshalb ist die im Berufungsverfahren erhobene Klage vom Senat abzuweisen (BSG, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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