L 3 U 3510/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 U 6602/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 3510/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.   Als Entscheidung über den Leistungsanspruch im Sinne von 111 Satz 2 SGB X, der den Lauf der Ausschlussfrist frühestens
in Gang setzt, ist nicht nur der Erlass eine VA unmittelbar gegenüber dem Versicherten anzusehen.
Maßgeblich ist vielmehr, dass eine konkrete Leistung bewilligt worden ist.
Eine solche Entscheidung stellt auch eine Auszahlungsanordnung einer Berufsgenossenschaft dar. Unerheblich ist, ob die Auszahlungsanordnung lediglich das das Krankengeld übersteigende Verletztengeld (sog. Spitzbetrag) oder den Anspruch auf Verletztengeld insgesamt umfasst.
2. Einer Entscheidung des zur Leistung verpflichteten Leistungsträgers steht auch nicht  § 107 Satz 1 SGB X entgegen.
Zwar ist eine materiell - rechtliche Entscheidung des zuständigen
Leistungsträgers gegenüber dem Berechtigten ausgeschlossen,
sofern dessen Bedarf - wenn auch durch einen unzuständigen
Träger - gedeckt worden ist. Eine Verlagerung
der Entscheidungskompetenz des zuständigen Trägers im Sozialleistungsverhältnis auf einen unzuständigen Träger ist jedoch mit dem Normenzweck des § 107 SGB X nicht zu begründen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Juli 2013 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 33.420,08 EUR zu bezahlen.

Die Beteiligten tragen die Kosten des Klageverfahrens je zur Hälfte. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Der Streitwert des Verfahrens wird endgültig auf 34.142,48 EUR festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Krankengeld.

Der bei der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt als Selbständiger freiwillig (kranken-)versicherte A. B. (im folgenden: Versicherter) war bis zum 31.05.2000 in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert und danach weder freiwillig noch pflichtversichert. Er verunglückte am Pfingstsonntag, den 30.05.2004 im Straßenverkehr mit dem Motorrad, wobei er sich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zuzog. Vom 13.06.2004 bis zum 10.12.2005 gewährte ihm die Klägerin Krankengeld ab der dritten Woche der Arbeitsunfähigkeit, und zwar für die Zeit vom 13.06.2004 bis 30.04.2005 (318 Tage) in Höhe von täglich 63,48 EUR (insgesamt 20.186,64 EUR) und für die Zeit vom 01.05.2005 bis 26.11.2005 (206 Tage) in Höhe von täglich 64,24 EUR (insgesamt 13.233,44 EUR). Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung wurden nicht abgeführt.

Auf einem vom Versicherten ausgefüllten Fragebogen der Klägerin vom 15.11.2004 zum Unfallhergang wurde in der Rubrik "Unfallart" das Kästchen "Arbeitsunfall oder Unfall auf dem Weg zu oder von der Arbeit" nicht angekreuzt.

Mit Meldung des Versicherten vom 26.08.2005 erlangte die Beklagte Kenntnis vom möglichen Vorliegen eines Arbeitsunfalls des Versicherten. Mit Bescheid vom 25.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2006 lehnte sie die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Im anschließenden Klageverfahren stellte das Sozialgericht Ulm mit rechtskräftigem Urteil vom 03.11.2008 fest, dass der Versicherte am 30.05.2004 einen Arbeitsunfall erlitten hat (S 8 U 956/06). In Ausführung dieses Urteils gewährte die Beklagte dem Versicherten mit Bescheid vom 19.08.2009 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab dem 27.11.2005 nach einer MdE von 40 v.H.

Mit Zahlungsauftrag vom 26.11.2009 (eingegangen am 30.11.2009) erteilte die Beklagte der Klägerin den Auftrag, an den Versicherten für die Zeit vom 30.05.2004 bis zum 26.11.2005 ein kalendertägliches Verletztengeld in Höhe von 186,67 EUR unter Abzug des von der Klägerin für diesen Zeitraum bereits gezahlten Krankengelds (sog. Spitzbetrag) sowie der von der Klägerin bereits berechneten und abgeführten Sozialversicherungsbeiträge auszubezahlen. Durch dieses Schreiben erlangte die Klägerin erstmals Kenntnis vom Vorliegen eines Arbeitsunfalls des Versicherten und der unfallrechtlichen Zuständigkeit der Beklagten. Eine mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Mehrfertigung des Zahlungsauftrags übersandte die Beklagte an den Versicherten.

Die Klägerin machte nach Auszahlung des angewiesenen Betrags an den Versicherten mit Schreiben vom 28.01.2010 gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch in Höhe des gesamten an den Versicherten ausbezahlten Betrages zuzüglich Verwaltungskosten in Höhe von 102.491,02 EUR geltend.

Die Beklagte forderte daraufhin die Erstellung einer korrigierten Abrechnung mit der Begründung, die Erstattung in Höhe des ausbezahlten Krankengeldes sei nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 111 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend gemacht worden und deshalb ausgeschlossen. Mit Schreiben vom 17.03.2010 erstellte die Klägerin eine entsprechende Teil-Erstattungsforderung über 68.348,54 EUR (Verletztengeld sowie Verwaltungskosten) und führte dabei aus, ob die Ablehnung des von ihr gezahlten Krankengeldes rechtmäßig sei, werde noch geprüft. Mit Schreiben vom 26.07.2010 führte sie hierzu erläuternd aus, Krankengeld sei vom 13.06.2004 bis 30.04.2005 i.H.v. brutto 63,48 EUR kalendertäglich und vom 01.05.2005 bis 10.12.2005 i.H.v. brutto 64,24 EUR gezahlt worden. Für die Zeit vom 13.06.2004 bis 26.11.2005 ergebe dies einen Verletztengeld-Spitzbetrag von insgesamt 64.395,00 EUR (524 Kalendertage). Für die Zeit vom 30.05.2004 bis 12.06.2004 sei kein Krankengeld gezahlt worden, deshalb sei das Verletztengeld in voller Höhe zu erstatten (186,76 EUR x 14 Tage: 2.613,38 EUR).

Am 09.08.2010 bezahlte die Beklagte den Betrag von 68.348,54 EUR an die Klägerin.

Mit Schreiben vom 29.04.2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, es habe zu keiner Zeit eine Mitteilung der Beklagten über den Unfall vorgelegen, insbesondere sei auch keine Information über die Ablehnung des Unfalls als Arbeitsunfall erfolgt. Gleichzeitig meldete sie einen Erstattungsanspruch für sämtliche Sachleistungen ab dem Unfalltag an.

Dem hielt die Beklagte mit Schreiben vom 02.06.2010 entgegen, aufgrund des Unfallfragebogens vom 15.11.2004 hätte die Klägerin ermitteln müssen, ob ein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Bis spätestens 03.05.2005 hätte die Klägerin anzeigen müssen, dass es sich bei dem Unfall vom 30.05.2004 ihrer Ansicht nach um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Dies sei nicht erfolgt.

Am 22.10.2010 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die für den Zeitraum von 2004 bis 2008 an den Versicherten erbrachten Sozialleistungen in Höhe von insgesamt 62.589,66 EUR zu erstatten. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Beklagten sei ein Gesamtbetrag von 102.491,02 EUR in Rechnung gestellt worden. Diese habe jedoch nur die Differenz zwischen Krankengeld und Verletztengeld (sog. Spitzbetrag) bezahlt und sich im Übrigen auf Verjährung gem. § 111 Satz 1 SGB X berufen. Maßgeblich sei jedoch die Ausschlussfrist nach § 111 Satz 2 SGB X. Sie habe wegen des Verstoßes der Beklagten gegen ihre Informations- und Zusammenarbeitspflichten erst mit dem Zahlungsauftrag vom 26.11.2009 (Posteingang 30.11.2009) Kenntnis vom Vorliegen eines Arbeitsunfalls erlangt, so dass die 12-Monatsfrist im Zeitpunkt der Geltendmachung der Erstattungsforderung mit Schreiben vom 29.04.2010 noch nicht abgelaufen gewesen sei.

Mit Schriftsatz vom 19.11.2010 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis in Höhe von 1.442,36 EUR betreffend eine teilweise Erstattung von Sachleistungen abgegeben. Im Übrigen ist sie der Klage entgegen getreten. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch umfasse das nicht erstattete Krankengeld von 34.142,48 EUR sowie Sachleistungen (stationäre Behandlungskosten, Physiotherapie, Rettungstransportkosten) von 28.447,18 EUR; diese seien verjährt.

Mit Urteil vom 17.07.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, einem Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X bezüglich des von ihr geleisteten Krankengeldes in Höhe von 34.142,48 EUR stehe § 111 Satz 1 SGB X entgegen. Denn die Klägerin habe den Anspruch nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht worden sei, geltend gemacht. Verletztengeld sei bis zum 26.11.2005 gezahlt worden, der Erstattungsanspruch sei erst mit Rechnungsstellung vom 28.01.2010 und Schreiben vom 29.04.2010 und damit verfristet geltend gemacht worden.

Der Beginn der Ausschlussfrist richte sich nicht nach § 111 Satz 2 SGB X, wonach der Lauf der Frist nach § 111 Satz 1 SGB X frühestens mit dem Zeitpunkt zu laufen beginne, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt habe. Zwar habe die Klägerin erst mit Eingang des Zahlungsauftrages der Beklagten am 30.11.2009 Kenntnis vom Vorliegen eines Arbeitsunfalls erlangt. § 111 Satz 2 SGB X stelle jedoch nicht auf die Kenntniserlangung von der Leistungspflicht, sondern auf die Kenntniserlangung "von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht" ab. Vorliegend fehle es an einer solchen Entscheidung. Über den von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsbetrag habe die Beklagte keine Entscheidung getroffen. Diese habe mit Erteilung des Zahlungsauftrages bezüglich des Verletztengeldes vom 26.11.2009 eine Entscheidung nur bezüglich der Höhe des Differenzbetrages zum bereits von der Klägerin ausbezahlten Krankengeld getroffen. Mit der Formulierung in diesem Schreiben: "Bitte zahlen Sie kalendertäglich Verletztengeld unter Berücksichtigung des § 47 SGB V ( ...). Bitte bringen Sie von diesem Verletztengeld das bereits von Ihnen für den Zeitraum vom 30.05.2004 bis 26.11.2005 gezahlte Krankengeld sowie bei den Sozialversicherungsbeiträgen die schon von Ihnen berechneten und abgeführten Beiträge in Abzug!" habe die Beklagte klargestellt, dass sie keine Entscheidung über die bereits ausbezahlten Gelder habe treffen wollen. Auch in den Bescheiden über die Gewährung von Rente sei keine Entscheidung über die Bewilligung von Verletztengeld getroffen worden.

Eine Entscheidung über den geltend gemachten und bereits als Krankengeld ausbezahlten Teilbetrag komme auch deshalb nicht mehr in Betracht, weil die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X eingreife. Eine Entscheidung im Sinne von § 111 Satz 2 SGB X sei ausgeschlossen, wenn der zuständige Leistungsträger keine Befugnis mehr habe, gegenüber dem Versicherten nochmals eine materiell-rechtliche Entscheidung über den Anspruch auf Gewährung gerade dieser Leistungen zu treffen und die Leistungen zu bewilligen. Denn der Erstattungsanspruch des hinsichtlich der Sozialleistung Berechtigten gelte gemäß § 107 SGB X gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger - also den Erstattungsverpflichteten - als erfüllt. Die Erfüllungsfiktion trete in Höhe des Erstattungsanspruchs ein; ein darüber hinausgehender Anspruch des Sozialleistungsberechtigten bleibe unberührt. Dieses Ergebnis sei auch sachgerecht, denn § 111 SGB X bezwecke eine Beschleunigung der Geltendmachung von Erstattungsansprüchen und der Entstehung von Rechtssicherheit. Zudem hätten die Sozialversicherungsträger die Möglichkeit, den Sachverhalt zu ermitteln, zeitnah ihre Zuständigkeit zu prüfen und ggf. zumindest vorsorglich Erstattungsansprüche anzumelden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des BSG vom 16.03.2010 (B 2 U 4/09 R), denn auch darin setze das BSG eine - hier nicht vorliegende - Entscheidung des Versicherungsträgers über die im Streit stehende Leistung voraus. Schließlich sei der Fristablauf nach § 111 Satz 1 SGB X auch nicht ausnahmsweise wegen eines schweren Verstoßes gegen die Pflicht der Sozialleistungsträger zu enger Zusammenarbeit (§ 86 SGB X) unbeachtlich. Denn es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die verspätete Meldung auf der Absicht der Beklagten, die Realisierung der Erstattungsforderungen zu verhindern, oder auf einer offensichtlich mangelhaften Organisation von Arbeitsabläufen beruhe. Gleiches gelte für den weiter geltend gemachten Erstattungsanspruch bezüglich der Sachleistungen.

Mit der hiergegen am 14.08.2013 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin die Erstattung des Krankengeldes zuzüglich der Trägerbeiträge von insgesamt 34.142,48 EUR für den Zeitraum vom 30.05.2004 bis 26.11.2005 weiter. Die Erstattung der Sachleistungen und prozentualer Verwaltungskosten macht sie nicht mehr geltend (vgl. Schriftsatz v. 04.12.2013). Die Klägerin hat unter Bezugnahme auf die Niederschrift über die Besprechung der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene und des GKV-Spitzenverbandes mit den Spitzenverbänden der Unfallversicherungsträger am 06. November 2012 in Berlin vorgetragen, zwischenzeitlich seien auch die Vertreter der Verbände der Unfallversicherungsträger der Auffassung, dass bei Erstattungsansprüchen von Krankenkassen für geleistetes Krankengeld die Ausschlussfrist des § 111 Satz 2 SGB X zu berücksichtigen sei, wenn nach Feststellung eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit vom UV-Träger nachträglich Verletztengeld bewilligt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Juli 2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, das für die Zeit vom 13. Juni 2004 bis 26. November 2005 an den Versicherten A. B. gezahlte Krankengeld in Höhe von 33.420,08 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine die Klage stützende höchstrichterliche Rechtsprechung existiere nicht, da das BSG im Urteil vom 16.03.2010 nicht über die Erstattung von Verletztengeld entschieden habe. Die Besprechungsergebnisse der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene und des GKV-Spitzenverbandes mit den Spitzenverbänden der Unfallversicherungsträger seien nicht rechtsverbindlich. Auch bei dem Rundschreiben der DGUV handele es sich lediglich um Empfehlungen, denen nicht gefolgt werde, da sie rechtlich nicht korrekt seien. Eine Entscheidung über das noch streitige Verletztengeld sei nicht ergangen. Insbesondere im Schreiben vom 26.11.2009 sei lediglich eine Entscheidung über den Anspruch des Versicherten bezüglich des Differenzbetrages zwischen Verletztengeld und Krankengeld getroffen worden, nicht jedoch über die gesamte Höhe des Verletztengeldes. Die Klägerin und das SG hätten dieses Schreiben auch so verstanden. Eine Entscheidung gegenüber dem Versicherten sei damit nur über die Gewährung von Verletztengeld in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem bereits geleisteten Krankengeld und dem Verletztengeld erfolgt. Darüber hinaus sei eine Entscheidung bezüglich des streitigen Betrages wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X auch nicht mehr möglich.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist im zuletzt geltend gemachten Umfang auch begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein noch die Erstattung des an den Versicherten für die Zeit vom 30.05.2004 bis 26.11.2005 gezahlten Krankengeldes. Soweit die Klägerin im Klageverfahren noch die Erstattung von Sachleistungen (stationäre Behandlungskosten, Physiotherapie, Rettungstransportkosten) i.H.v. 28.447,18 EUR geltend gemacht hat, hat sie diesen Anspruch im Berufungsverfahren nicht weiter verfolgt. Auch die im Berufungsverfahren zunächst noch geltend gemachten Verwaltungskosten hat die Klägerin zuletzt nicht mehr begehrt.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 105 Abs. 1 und 2 SGB X. Hat danach ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. § 104 Abs. 2 gilt entsprechend. Nach § 105 Abs. 2 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs sind dem Grunde nach erfüllt und zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht kein Anspruch auf Leistungen, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind (§ 11 Abs. 5 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V -). Dies war vorliegend der Fall, denn ausweislich des rechtskräftigen Urteils des SG Ulm vom 03.11.2008 (S 21 U 6602/10) hatte der Versicherte einen Arbeitsunfall erlitten, für dessen Entschädigung gemäß §§ 7, 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) die Beklagte zuständig war, u.a. durch Gewährung von Verletztengeld (§ 45 SGB VII).

Dem Anspruch steht auch nicht § 111 SGB X entgegen. Zwar hat die Klägerin den Anspruch nicht gem. § 111 Satz 1 SGB X spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht. Die Klägerin, die Krankengeld bis zum 26.11.2005 gewährt hat, hat den Erstattungsanspruch erst mit Rechnungsstellung vom 28.01.2010 geltend gemacht.

Der Beginn der Ausschlussfrist richtet sich vorliegend jedoch nach § 111 Satz 2 SGB X. Danach beginnt der Lauf der Frist frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat.

Die Anwendbarkeit von § 111 Satz 2 SGB X ergibt sich nicht bereits aus der Niederschrift über die Besprechung der Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene und des GKV-Spitzenverbandes mit den Spitzenverbänden der Unfallversicherungsträger vom 06.11.2012, weil dieser gegenüber der Beklagten keine rechtliche Bindungswirkung zukommt.

Bei einer allein am Wortlaut der Norm orientierten Auslegung setzt der Beginn der Ausschlussfrist eine Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers voraus; ohne eine solche Entscheidung über die Leistungspflicht beginnt die Frist nicht zu laufen. Nach Sinn und Zweck ist die Norm jedoch einschränkend auszulegen. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X durch Art. 10 Nr. 8 des 4. Euro-Einführungs-Gesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1983) in der ab dem 01.01.2001 geltenden Fassung die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs vor allem in jenen Fällen ermöglichen wollen, in denen der unzuständige Träger bereits in der Vergangenheit kraft Gesetzes entstandene Ansprüche des Versicherten mit lediglich deklaratorischer Bedeutung anerkannt und z.B. die Höhe einer (ohne die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X bestehenden) Nachzahlung festgestellt hat. Erhält der unzuständige Leistungsträger, der Leistungen erbracht hat, erst durch einen nach Entstehung des Anspruchs erlassenen Verwaltungsakts des zuständigen Trägers gegenüber dem Versicherten Kenntnis davon, dass nicht er, sondern der andere Träger für die Leistung zuständig ist, soll die Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs erst ab dieser Kenntniserlangung zu laufen beginnen. § 111 Satz 2 SGB X setzt danach voraus, dass eine sachliche Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers gegenüber dem leistungsberechtigten Versicherten in der Sache bereits vorliegt oder zumindest in Betracht kommt (BSG, Urt. v. 10.05.2005 - B 1 KR 20/04 R - SozR 4-1300 § 111 Nr. 3).

Die Beklagte war auch nicht wegen § 107 Satz 1 SGB X an einer Entscheidung über ihre Verpflichtung zur Erbringung von Verletztengeld gehindert. Danach gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) ist zwar eine materiell-rechtliche Entscheidung des zuständigen Leistungsträgers gegenüber dem Berechtigten ausgeschlossen, wenn dessen Bedarf - wenn auch durch einen unzuständigen Träger - gedeckt worden ist. Denn sein Anspruch gegenüber dem zuständigen Leistungsträger ist sowohl faktisch als auch rechtlich kraft der Fiktion des § 107 SGB X erfüllt. Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch zunächst nur auf die Erbringung von Sachleistungen. Sie ist auch auf Kritik gestoßen: das Erstattungsrecht ändere die Zuständigkeit von Sozialleistungsträgern und die für das Sozialleistungsverhältnis geltenden Verfahrensregeln, insbesondere über die Entscheidungskompetenz nach § 19 SGB IV, nicht ab; die Verlagerung der Entscheidungskompetenz des zuständigen Trägers im Sozialleistungsverhältnis auf einen unzuständigen Träger sei mit dem Normzweck des § 107 SGB X nicht zu begründen. Über seine Erstattungslast zu entscheiden sei der auf Erstattung in Anspruch genommene Träger ohnehin nicht gehindert, auch wenn er im Sozialleistungsverhältnis aufgrund § 107 seine Leistung versagen müsse (Kater in KassKomm, Stand Sept. 2013, § 107 SGB X Rn. 15a). Dem folgt der Senat.

Ob die Beklagte berechtigt war, eine Entscheidung insoweit zu treffen, kann letztlich dahingestellt bleiben, da sie tatsächlich entschieden hat.

Die Beklagte hat auch eine Entscheidung über die konkret im Streit stehende Leistung getroffen. Hierbei ist zwischen der Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers über das Vorliegen eines Versicherungsfalls nach § 7 Abs. 1, §§ 8, 9 SGB VII und der oder ggf. den Entscheidungen über die aufgrund dieses Versicherungsfalls zu gewährenden Leistungen nach §§ 26 ff SGB VII, den sog. Leistungsfällen, grundsätzlich zu unterscheiden. Ebenso ist zwischen Entscheidungen über verschiedene "Leistungsfälle" zu unterscheiden, weil diese verschiedene Voraussetzungen haben (BSG, Urteil vom 16.03.2010 - B 2 U 4/09 R - juris Rdnr. 19). Vorliegend hat die Beklagte eine Entscheidung über den Leistungsfall "Verletztengeld" getroffen.

Eine Entscheidung über die Gewährung von Verletztengeld hat die Beklagte mit Schreiben vom 26.11.2009 getroffen, indem sie darin ausgeführt hat: "Bitte zahlen Sie kalendertäglich Verletztengeld unter Berücksichtigung des § 47 SGB V in Höhe von 186,67 EUR nach einem Regelentgelt (= Bemessungsentgelt) von 233,33 EUR. Verletztengeld ist zu zahlen ab 30.05.2004 bis 26.11.2005". Erst im Anschluss hieran hat die Beklagte weiter bestimmt, dass von diesem Verletztengeld das bereits für den Zeitraum vom 30.05.2004 bis 26.11.2005 gezahlte Krankengeld sowie bei den Sozialversicherungsbeiträgen die schon von der Klägerin berechneten und abgeführten Beiträge in Abzug zu bringen seien.

Bereits nach dem Wortlaut dieses Schreibens wurde damit Verletztengeld in Höhe von kalendertäglich 186,67 EUR bewilligt. Hierfür spricht insbesondere die genannte Regelung, "von diesem Verletztengeld" das bereits gezahlte Krankengeld in Abzug zu bringen.

Unbeachtlich ist, dass die Klägerin und das SG davon ausgegangen sind, die Beklagte habe im genannten Schreiben lediglich über das betragsmäßig das Krankengeld übersteigende Verletztengeld entschieden. Maßgeblich ist nämlich nicht deren Auffassung, sondern der objektive Empfängerhorizont.

Unbeachtlich ist auch, dass diese Entscheidung nicht gegenüber dem Leistungsberechtigten ergangen ist. Zwar hat das BSG entschieden, eine Entscheidung über seine "Leistungspflicht" treffe der erstattungspflichtige Träger gegenüber dem Leistungsberechtigten, insbesondere gegenüber einem Versicherten. Im Verhältnis zum erstattungsberechtigten Träger ergehe eine Entscheidung über die Leistungspflicht im Sinne des Satzes 2 nicht (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2005 - B 1 KR 20/04 R - SozR 4-1300 § 111 Nr. 3; Mutschler in praxisPK § 111 Rdnr. 32). Damit wollte das BSG jedoch nur ausschließen, dass die Ablehnung des Erstattungsbegehrens als neue "Entscheidung" über die Leistungspflicht anzusehen ist, die den Lauf der Frist des § 111 Satz 2 SGB X in Gang setzt (BSG, a.a.O. - juris Rn. 24 f.).

Als Entscheidung über den Leistungsanspruch im Sinne von § 111 Satz 2 SGB X ist jedoch nicht nur der Erlass eines Verwaltungsaktes unmittelbar gegenüber dem Versicherten anzusehen. Maßgeblich ist vielmehr, dass eine - konkrete - Leistung bewilligt worden ist. Eine solche Entscheidung - und nicht lediglich eine verwaltungsinterne Anweisung - stellt auch die hier vorliegende Auszahlungsanordnung dar, jedenfalls wenn sie wie hier dem Versicherten durchschriftlich und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen bekanntgegeben worden ist (LSG Saarland, Urt. v. 26.05.2004 - L 2 U 173/01 - juris Rn. 40).

Letztlich kann auch dahingestellt bleiben, ob die von der Beklagten im Schreiben vom 26.11.2009 getroffene Entscheidung lediglich das das Krankengeld übersteigende Verletztengeld oder den Anspruch auf Verletztengeld insgesamt umfasst. Denn jedenfalls hat die Beklagte darin eine Entscheidung über Verletztengeld getroffen. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.03.2010 - B 2 U 4/09 R - juris Rn. 19) bedarf im Bereich des Unfallversicherungsrechts zwar jeder sog. Leistungsfall einer Entscheidung. Ausreichend ist dann jedoch auch, dass eine Entscheidung über den Leistungsfall "Verletztengeld" ergangen ist.

Die mit Eingang des Zahlungsauftrages vom 26.11.2009 bei der Klägerin am 30.11.2009 in Lauf gesetzte 12-Monatsfrist (vgl. § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch) ist mit der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs mit Schreiben vom 28.01.2010 gewahrt.

Mit der Anweisung an die Klägerin hat die Beklagte umfassend über Verletztengeld entschieden. Die vom erstattungspflichtigen Träger geschuldete Sozialleistung (hier: Verletztengeld) war umfangreicher als die vom erstattungsberechtigten Träger bereits erbrachte Sozialleistung (hier: Krankengeld). Deshalb war ein überschießender Teil an den Leistungsberechtigten auszuzahlen, der nicht in die Erstattung fällt. Beide Teilleistungen, die auszuzahlende und die in die Erstattung fallende, finden ihren Rechtsgrund in der Leistungspflicht des erstattungspflichtigen Trägers, die ursprünglich auf die Gesamtleistung gerichtet war. Über diese Leistungspflicht kann nur einheitlich entschieden werden. Eine solche Entscheidung betrifft dann die Gesamtleistung (Kater in KassKomm, § 111 SGB X, Rn. 23).

Der Anspruch besteht schließlich auch in der zuletzt geltend gemachten Höhe. Die Klägerin hat dem Versicherten in der Zeit vom 13.06.2004 bis 30.04.2005 (318 Tage) Krankengeld i.H.v. täglich 63,48 EUR (insges. 20.186,64 EUR) und vom 01.05.2005 bis 26.11.2005 (206 Tage) Krankengeld i.H.v. täglich 64,24 EUR (insges. 13.233,44 EUR) gezahlt. Hieraus resultiert der Erstattungsanspruch i.H.v. 33.420,08 EUR.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt das teilweise Unterliegen der Klägerin in erster Instanz sowie die nur geringfügige teilweise Rücknahme der Berufung im Berufungsverfahren (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).

Die endgültige Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und berücksichtigt den ursprünglichen Berufungsantrag der Klägerin. Die Entscheidung ist insoweit nicht anfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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