L 11 R 5419/13 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 6018/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5419/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.12.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Sachverständigen Priv. Doz. Dr. H. besteht.

Die Beteiligten streiten im Verfahren S 4 R 6018/12 vor dem Sozialgericht Stuttgart um die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen gemäß § 236a SGB VI.

Der Kläger ist am 21.06.1949 geboren und war als Architekt und Baureferent tätig. Am 16.01.2012 beantragte er die Gewährung einer Altersrente gemäß § 236a SGB VI. Die Beklagte veranlasste ein nervenärztliche Begutachtung des Klägers bei Dr. W. (Blatt 150 bis 156 der Verwaltungsakte) und lehnte die Gewährung einer Rente mit Bescheid vom 06.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2012 und führte zur Begründung aus, dass der Kläger weder berufs- noch erwerbsunfähig sei.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt und anschließend am 02.05.2013 Priv. Doz. Dr. H., Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Gerontopsychiatrie, mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens von Amts wegen beauftragt. In seinem aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 08.07.2013 erstellten Gutachten hat Priv. Doz. Dr. H. ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich für mittelschwere Tätigkeiten sowie die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Architekt für zumutbar erachtet. Das Gutachten enthält auf der letzten Seite folgenden Passus: "Einverstanden, auch mit den Ergebnissen des von mir hinzugezogenen Arztes, Herrn Dr. B., aufgrund eigener Begutachtung". Das Gutachten wurde sowohl von Priv. Doz. Dr. H. als auch von Dr. B. unterzeichnet. Es ist am 25.07.2013 beim SG eingegangen und an die Beteiligten am 06.08.2013 vom SG versendet worden. Dem Kläger ist eine Frist zur Stellungnahme von vier Wochen zum Ergebnis des Gutachtens gesetzt worden.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 12.08.2013, eingegangen beim SG am 14.08.2013, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten vorgetragen, dass das Gutachten nicht verwertbar sei, da der Gutachter nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verpflichtet sei, das Gutachten persönlich zu erstatten. Bei der Mitarbeit einer anderen Person müsse der Umfang der Tätigkeit angegeben werden. Eine Anamnese durch den Gutachter Priv. Doz. Dr. H. habe nicht stattgefunden. Es werde daher eine Begutachtung bei einem anderen Gutachter angeregt.

Auf Anfrage des SG haben Priv. Doz. Dr. H. und Dr. B. mit Schreiben vom 03.09.2013 mitgeteilt, dass die vorbereitende Exploration und Anamnese durch Dr. B. erstellt worden sei. Die abschließende und ausführliche Bewertung sei von ihnen beiden durchgeführt worden. Dieses Schreiben wurde vom SG an den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.09.2013 abgesandt.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 09.10.2013, eingegangen beim SG am 11.10.2013, ausgeführt, dass er ergänzend einen Befangenheitsantrag hinsichtlich Priv. Doz. Dr. H. einreiche. Ein Ablehnungsgrund liege auch dann vor, wenn der Sachverständige gegen gerichtliche Weisungen verstoße, erteilte Befugnisse überschreite oder vom Beweisbeschluss des Gerichts abweiche. Nach der Entscheidung des BSG vom 17.04.2013 (B 9 V 36/12 B) müsse bei einem psychiatrischen Gutachten der Sachverständige die persönliche Begegnung mit dem Probanden und das explorierende Gespräch im wesentlichen Umfang selbst durchführen. Hieran habe sich Priv. Doz. Dr. H. nicht gehalten.

Das SG hat den Befangenheitsantrag mit Beschluss vom 02.12.2013 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Antrag zu spät gestellt und damit unzulässig sei. Gemäß § 406 Abs 2 ZPO sei der Ablehnungsantrag bei Gericht vor der Erstattung des Gutachtens, spätestens binnen zwei Wochen nach Verkündung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen. Der Ablehnungsgrund sei auch noch nach der Gutachtenserstattung möglich, wenn dem Beteiligten der Ablehnungsgrund vorher nicht bekannt gewesen sei, insbesondere wenn sich dieser erst aus dem Gutachten oder den Umständen im Rahmen der Begutachtung ergebe. Der Antrag müsse jedoch dann unverzüglich nach Kenntnis des Befangenheitsgrundes gestellt werden. Dies sei vorliegend nicht geschehen, da das Befangenheitsgesuch erst über zwei Monate nach Vorlage des Gutachtens gestellt worden sei. Der Schriftsatz vom 12.08.2013 habe einen Ablehnungsantrag nicht enthalten. Im Übrigen sei der Antrag auch nicht begründet, da kein Ablehnungsgrund vorliege. Priv. Doz. Dr. H. habe die Mitarbeit von Dr. B. im Gutachten ordnungsgemäß offengelegt.

Der Kläger hat gegen den am 07.12.2013 zugestellten Beschluss am 17.12.2013 Beschwerde beim Landessozialgericht Baden - Württemberg eingelegt und zur Begründung angeführt, dass der Schriftsatz vom 12.08.2013 als Befangenheitsantrag zu werten sei. Der Vorsitzende Richter habe nach § 106 SGG darauf hinzuwirken, dass unklare Anträge erläutert, ungenügende Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhaltes wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Auch verkenne das SG, dass bei psychiatrischen Gutachten nach der Rechtsprechung des BSG die persönliche Begegnung sowie das explorierende Gespräch im wesentlichen Umfang selbst durchzuführen sei.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und dem weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die SG - Akte, die Beschwerdeakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Die Beschwerde gegen einen den Befangenheitsantrag gegen einen gerichtlichen Sachverständigen ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist statthaft und nicht in entsprechender Anwendung des § 172 Abs 2 SGG ausgeschlossen (ebenso LSG Baden - Württemberg, 18.07.2012, L 10 R 2296/12 B, mwN, juris; aA LSG Baden - Württemberg, 27.01.2010, L 7 R 3206/09 B, juris).

Nach § 172 Abs 1 SGG findet gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) statt. Nach § 118 Abs 1 SGG sind, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, auf die Beweisaufnahme im Einzelnen aufgeführte Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), u.a. auch § 406 ZPO, entsprechend anzuwenden. Nach § 406 Abs 5 ZPO findet gegen den einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen ablehnenden Beschluss die (sofortige) Beschwerde statt. Da das SGG nichts anderes bestimmt, ist die im sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehene Beschwerde nach § 172 Abs 1 SGG statthaft.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Denn das Sozialgericht hat das Ablehnungsgesuch gegen den gerichtlichen Sachverständigen zu Recht abgelehnt. Das Ablehnungsgesuch als solches ist unzulässig.

Nach § 60 SGG i. V. m. § 42 ZPO kann ein Richter - für Sachverständige gilt Entsprechendes (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 406 Abs 1 ZPO) - wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist nicht erst dann der Fall, wenn der Richter oder Sachverständige tatsächlich befangen ist, sondern schon dann, wenn ein Beteiligter bei Würdigung aller Umstände und bei vernünftigen Erwägungen Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und der objektiven Einstellung des Richters bzw. Sachverständigen zu zweifeln. Ein im Rahmen gebotener Verfahrensweise liegendes Verhalten kann keinen Ablehnungsgrund begründen.

Der Ablehnungsantrag ist nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 406 Abs 2 Satz 1 ZPO bei dem Gericht, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor der Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach seiner Ernennung. Nach Satz 2 der Regelung ist die Ablehnung zu einem späteren Zeitpunkt nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Bei einem Befangenheitsgrund im Hinblick auf den Inhalt des Gutachtens gilt, dass in einem einfach gelagerten Fall bereits wenige Tage ausreichend sind, um die das Ablehnungsgesuch stützenden Tatsachen zu erkennen. Wird der Ablehnungsgrund dagegen erst nach sorgfältiger Prüfung erkennbar, läuft die Frist gleichzeitig mit einer vom Gericht nach § 411 Abs 4 Satz 2 ZPO gesetzten Frist zur Auseinandersetzung mit dem Gutachten ab. Setzt das Gericht keine Frist, so hat der Beteiligte eine den Umständen des Falls angemessene Prüfungsfrist, die nicht länger als ein Monat ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012, § 118 Rn 121).

Hier hat der Kläger den Ablehnungsgrund nicht rechtzeitig geltend gemacht. Das Gutachten wurde zusammen mit Aufforderung, sich binnen einer Frist von vier Wochen zum Ergebnis der Begutachtung zu äußern, am 06.08.2013 an die Beteiligten versandt. Das Ablehnungsgesuch ging jedoch erst am 11.10.2013 beim SG und somit zwei Monate nach Übersendung des Gutachtens ein. Es ist daher verspätet gestellt und - worauf auch das SG zutreffend hingewiesen hat - unzulässig.

Der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 12.08.2013 enthielt entgegen der Auffassung des Klägers noch keinen Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit. Der Kläger hat vielmehr Einwände gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens vorgetragen und eine erneute Begutachtung angeregt. Das SG war auch nicht im Rahmen der Aufklärungspflicht nach § 106 SGG verpflichtet, nachzufragen, ob der Schriftsatz vom 12.08.2013 auch als Ablehnungsgesuch zu werten ist. Der Schriftsatz vom 12.08.2013 enthielt bereits keine unklaren oder mehrdeutigen Aussagen, welche eine Nachfrage nahe gelegt hätten. Der Kläger hat zum Ausdruck gebracht, dass er das Gutachten nicht für verwertbar und eine erneute Begutachtung für erforderlich hält. Hinweise darauf, dass er auch der Ansicht ist, dass er dies auch als Befangenheitsgrund wertet und den Sachverständigen tatsächlich auch infolgedessen ablehnt, enthält das Schreiben nicht. Insofern liegt bereits kein mehrdeutiges Schreiben vor. Hinzu kommt, dass der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten nach § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 3 SGG vertreten wurde. Diese sind aufgrund ihrer besonderen Sachkunde gemäß § 11 Abs 2 RDG nach Eintragung in das Rechtsdienstleistungsregister zur Prozessvertretung zugelassen (vgl Leitherer in Meyer - Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012, § 73 SGG Rn 20). Hat jedoch ein rechtskundiger Prozessbevollmächtigter den Antrag formuliert, kann das Gericht davon ausgehen, dass gewollt ist, was der Antrag besagt. Angesichts der für die Erteilung einer Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Rechtsberatung vorausgesetzten Sachkunde geht der Senat davon aus, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Voraussetzungen für die Ablehnung eines Sachverständigen kennt. Die Tatsache, dass er im Schreiben vom 12.08.2013 gerade kein Ablehnungsgesuch gestellt hat, besagt, dass ein solches zu diesem Zeitpunkt nicht beabsichtigt war. Dies zeigt im Übrigen auch der Wortlaut des Befangenheitsgesuchs vom 09.10.2013. Darin hat der Kläger erklärt, dass er "ergänzend" einen Befangenheitsantrag einreichen möchte. Es wurde somit gerade nicht erklärt, dass der bisherige Vortrag bereits ein Befangenheitsgesuch beinhaltet hat, welches vom SG nicht als solches gewertet wurde.

Unabhängig davon ist das Befangenheitsgesuch auch nicht begründet. Dabei kann offen bleiben, ob das Gutachten von Priv. Doz. Dr. H. verwertbar ist. Daraus ergibt sich jedenfalls keine Befangenheit des Sachverständigen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 18 Abs 1 Nr 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG - iVm Nr 3501 Vergütungsverzeichnis) sind nicht zu erstatten (vgl hierzu Münker in Hennig, SGG, § 193 Rn 15).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved