L 19 AS 2316/13 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 218/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 2316/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 11.11.2013 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt im Hauptsacheverfahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 01.11.2012 durch Übernahme von Unterkunftskosten.

Durch Bescheid vom 09.05.2012 bewilligte der Beklagte dem am 00.00.1987 geborenen Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 19.04.2012 bis zum 31.10.2012.

Der Kläger hatte mit seinem Großvater L U einen Untermietvertrag über die Anmietung eines möblierten Raums im Keller des Hauses des Großvaters, in dem auch die weiteren Familienmitglieder wohnen, für eine Bruttowarmmiete von 250,00 EUR mit Wirkung ab 01.02.2012 abgeschlossen. Der Beklagte erkannte die Aufwendungen für die Unterkunft - abzüglich eines Anteils für Strom - bei der Bewilligung der Unterkunftskosten an.

Am 24.09.2012 begann der Kläger eine Ausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme im Rahmen einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben. Ausbildungsbetrieb war die gemeinnützige C GmbH, S. Der Berufsausbildungsvertrag mit dem Ausbildungsbetrieb war in dem bei der IHK Nord Westfalen geführten Verzeichnis nach den Vorschriften des BBiG registriert. Der Kläger war während der Maßnahme internatsmäßig untergebracht. Zum 31.03.2013 brach der Kläger die Maßnahme ab.

Durch Bescheid vom 12.11.2012 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit D, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 112 ff. SGB III i.V.m. §§ 33, 44 ff. SGB IX. Er gewährte Ausbildungsgeld für die Zeit vom 24.09.2012 bis zum 23.03.2014 i.H.v. monatlich 104,00 EUR nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 SGB III sowie Reisekosten für die Zeit vom 24.09.2012 bis zum 23.01.2016 i.H.v. 31,20 EUR monatlich (zwei Familienheimfahrten im Monat). Außerdem übernahm die Bundesagentur für Arbeit die Maßnahmekosten einschließlich der Kosten der Internatsunterbringung.

Durch bestandskräftigen Bescheid vom 19.11.2012 lehnte die Bundesagentur für Arbeit einen Antrag des Klägers auf Gewährung von weiteren Leistungen für den Lebensunterhalt und die Kosten seiner Unterkunft ab.

Am 23.10.2012 beantragte der Kläger die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 22.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2013 unter Berufung auf §§ 7 Abs. 5, 27 Abs. 3 SGB II ab. Seit dem 01.04.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger aufgrund des Abbruchs der Ausbildung wieder Leistungen.

Am 22.03.2013 hat der Kläger Klage erhoben. Er begehrt die Übernahme der Kosten für das angemietete Zimmer im Haus seines Großvaters. Der von der Agentur für Arbeit bewilligte Betrag von 104,00 EUR monatlich sei nicht ausreichend, da er am Wochenende und auch bei Krankheit nicht im Internat untergebracht sei. Für den Kläger sei § 62 Abs. 2 SGB III maßgeblich. Der hiernach anzuerkennende Bedarf belaufe sich bei einer Unterbringung außerhalb des Haushalts der Eltern auf monatlich 391,00 EUR inklusive der Unterkunftskosten.

Durch Beschluss vom 11.11.2013 hat das Sozialgericht Münster die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Kläger sei gem. § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Leistungen nach § 27 Abs. 3 SGB II seien ausgeschlossen, da die Agentur für Arbeit Leistungen auf der Grundlage von § 123 Abs. 1 Nr. 2 SGB III bewilligt habe. Diese Vorschrift sei in § 27 Abs. 3 S. 1 SGB II nicht aufgeführt.

Am 06.12.2013 hat der Kläger Beschwerde eingelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat zutreffend die hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs am 03.06.2013, dem Eingang der Klageerwiderung des Beklagten bei Gericht, verneint.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für das nach seinen Angaben angemietete Zimmer im Haus seines Großvaters nach § 22 SGB II für die Zeit ab dem 23.10.2012 bis zum 31.03.2013. Denn er ist nach § 7 Abs. 5 SGB II i.d.F. ab dem 01.04.2012 (Gesetz vom 20.12.2011, BGBl. I, 2854) während der Teilnahme an der Berufsausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme vom Bezug von Arbeitslosengeld II i.S.v. § 19 ff SGB II ausgeschlossen.

Nach § 7 Abs. 5 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 51, 57 und 58 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Eine Berufsausbildung ist nach § 57 SGB III förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist. Die vom Kläger betriebene Berufsausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme wird hiervon umfasst. Es handelt sich um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf. Die Ausbildung ist außerbetrieblich durchgeführt worden, nämlich in einer sonstigen Berufsbildungseinrichtung außerhalb der schulischen und betrieblichen Berufsbildung (vgl. Legaldefinition der außerbetrieblichen Berufsbildung in § 2 Abs. 1 Nr. 3 BBiG). Die Ausbildung wird in der vom BBiG vorgeschriebenen Form durchgeführt, insbesondere ist der für die Ausbildung vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden. Die erfolgte Eintragung in das nach § 34 BBiG zu führende Verzeichnis hat Tatbestandswirkung (vgl. BSG Urteil vom 18.08.2005 - B 7a/7 AL 100/04 R).

Unerheblich ist, dass sich das vom Kläger konkret wahrgenommene Ausbildungsangebot an behinderte Menschen richtet und als Teilhabe am Arbeitsleben ausgestaltet ist. Für die Anwendung des § 7 Abs. 5 SGB II ist allein maßgeblich, ob die realisierte Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der § 51, 57, 58 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist (LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 17.04.2013 - L 2 AS 951/12 B ER, LSG Sachsen Beschluss vom 09.09.2013 - L 7 AS 1237/13 B ER, LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 18.01.2103 - L 34 AS 2968/12 B ER; Spellbrink/G. Becker in Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 7 Rn. 187; Bernzen in Eicher, a.a.O., § 27 Rn. 49, Thie in LPK-SGB II, 5. Aufl., § 7 Rn. 114). Die Vorschrift des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II knüpft nicht daran an, ob einem Auszubildenden wegen individueller, in seiner Person liegender Eigenschaften Leistungen der Ausbildungsförderung zustehen oder nicht, sondern allein daran, ob die Ausbildung dem Grunde nach, d.h. aufgrund abstrakter Kriterien, losgelöst von der Person des Auszubildenden, förderungsfähig ist (vgl. zur Maßgeblichkeit der abstrakten Förderungsfähigkeit im Rahmen des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II BSG Urteil vom 28.03.2013 - B 4 AS 59/12 R, Rn. 20 m.w.N.). Der in § 7 Abs. 5 SGB II vorgesehene Leistungsausschluss folgt für Bezieher von Ausbildungsgeld im Umkehrschluss auch aus § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II, der eine Rückausnahme für an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen teilnehmende, im Haushalt der Eltern lebende Auszubildende regelt. Denn die Rückausnahme gilt auch für Auszubildende die - wie der Kläger - Ausbildungsgeld nach §§ 122, 124 Abs. 1 Nr. 1 SGB III beziehen. Dies folgt auch aus § 27 SGB II, der nach seinem Abs. 1 S. 1 "Leistungen für Auszubildende im Sinne des § 7 Abs. 5" nach Maßgabe der folgenden Absätze vorsieht und in seinem Abs. 3 Beziehern von Ausbildungsgeld nur unter bestimmten Voraussetzungen einen Zuschuss zu ihren angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zubilligt (vgl. hierzu BT-Drs. 17/3404 S. 93, 103)

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Leistungen nach dem § 27 Abs. 3 SGB II zu. Nach § 27 Abs. 3 SGB II erhalten Auszubildende im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB, sofern sie Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld nach dem SGB III oder Leistungen nach dem BAföG erhalten oder sie diese nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten und deren Bedarf sich nach § 61 Abs. 1, § 62 Abs. 2, § 116 Abs. 3, § 123 Abs. 1 Nr. 1 und 4, § 124 Abs. 1 Nr. 2 SGB III oder nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, § 13 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BAföG bemisst, einen Zuschuss zu ihren angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II), soweit der Bedarf in entsprechender Anwendung des § 19 Abs. 3 SGB II ungedeckt ist. Der Kläger hat im streitbefangenen Zeitraum keine Leistungen i.S.d. § 27 Abs. 3 SGB II bezogen. Er hat kein Ausbildungsgeld nach §§ 123 Abs. 1 Nr. 1 und 4, 124 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, sondern nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 SGB II erhalten. Der tatsächliche Bezug der in Abs. 3 aufgeführten Leistungen ist aber Anspruchsvoraussetzung (vgl. Thie in LPK-SGB II. § 27, Rn. 7; Bernzen in Eicher, SGB II, 3 Aufl, § 27 Rn. 49).

Die Vorschrift des § 27 Abs. 3 SGB II ist nicht analog auf Bezieher von Ausbildungsgeld, bei dem der Bedarf sich nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 SGB III richtet, anwendbar (LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 17.04.2013 - L 2 AS 951/12 B ER). Eine analoge Anwendung eines Gesetzes auf gesetzlich nicht umfasste Sachverhalte kommt nur in Betracht, wenn die Regelung wegen der Gleichheit der zugrunde liegenden Interessenlage auch den nicht geregelten Fall hätte einbeziehen müssen (unbeabsichtigte Regelungslücke; hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 10.10.2013 - L 19 AS 129/13 m.w.N.). Wegen der Vorrangigkeit des gesetzgeberischen Willens gegenüber der richterlichen Rechtsetzung ist für eine Analogie schon dann kein Raum, wenn es nur zweifelhaft erscheint, ob die verglichenen Sachverhalte nicht doch derart unterschiedlich sind, dass durch eine Gleichstellung die gesetzliche Wertung in Frage gestellt würde (BSG Urteil vom 06.10.2011 B 14 AS 171/10 R, Rn. 22).

Der Bedarf für das Ausbildungsgeld bemisst sich bei Unterbringung in einem Wohnheim, Internat, bei dem Ausbildenden oder in einer besonderen Einrichtung für behinderte Menschen gem. § 123 Abs. 1 Nr. 2 SGB III auf 104,00 EUR. Die Kosten für Unterbringung und Verpflegung werden in diesen Fällen von der Agentur für Arbeit oder einem anderen Leistungsträger übernommen. Der Maßnahmeträger hat in der im Gerichtsverfahren vorgelegten Bescheinigung eine ganzjährige Betreuung der Maßnahmeteilnehmer bestätigt. Der Unterbringungsbedarf ist damit gedeckt.

Soweit der Maßnahmeträger ein sicheres persönliches Umfeld und eine tragfähige Lebensperspektive für den positiven Verlauf einer Maßnahme für erforderlich hält, kann dies zwar für die Beibehaltung der Wohnung eines über 25 jährigen Maßnahmeteilnehmers sprechen. Dies rechtfertigt aber nicht eine analoge Anwendung von § 27 Abs. 3 SGB II auf den Fall, dass ein Auszubildender bei einer Wohnheim- oder Internatsunterbringung während der Ausbildung daneben noch eine eigene Wohnung unterhält. Denn § 127 Abs. 1. S 2 SGB III ermächtigt die Bundesagentur für Arbeit neben den in den Vorschriften der §§ 33, 44, 53 und 54 SGB IX vorgesehenen Teilnahmekosten weitere Aufwendungen zu erbringen, die wegen der Art und Schwere der Behinderung unvermeidbar entstehen, sowie Kosten für Sonderfälle der Unterkunft und Verpflegung zu erbringen. Damit besteht eine gesetzliche Regelung außerhalb des SGB II, aufgrund derer Kosten einer eigenen Wohnung eines Maßnahmeteilnehmers neben einer Wohnheim- und Internatsunterbringung übernommen werden können. Insoweit besteht kein Bedarf für eine analoge Anwendung des § 27 Abs. 3 SGB II.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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