Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 EG 43/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 EG 31/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG ist auch, wer rechtzeitig den Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, stellt, ohne sich eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG ausstellen zu lassen. Denn bei rechtzeitiger Antragstellung gilt nach § 81 Abs. 4 AufenthG der bisherige Aufenthaltstitel als fortbestehend. Der Ausstellung einer körperlichen Fiktionsbescheinigung bedarf es nicht.
I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 8. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2011 verurteilt, der Klägerin Elterngeld auch für den 6., 7. und 8. Lebensmonat des Kindes in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Elterngeld auch für den 6. bis 8. Lebensmonat ihrer am 2010 geborenen Tochter J. nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) hat.
Die 1976 geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige und lebt seit 2001 in Deutschland. In den letzten 12 Monaten vor der Geburt ihres Kindes übte die Klägerin keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war im Besitz einer bis zum 01.04.2011 gültigen Aufenthaltserlaubnis - ausgestellt am 23.03.2010 vom Landratsamt B-Stadt - gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die die Klägerin zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Am 16.12.2010 beantragte sie Elterngeld für den 1. bis 12. Lebensmonat des Kindes.
Mit Bescheid vom 30.12.2010 bewilligte der Beklagte Elterngeld nur für den 1. bis 5. Lebensmonat des Kindes in Höhe des Mindestbetrages von 300 EUR monatlich. Zur Begründung führte er aus, der Elterngeldanspruch ende am 12.04.2011 weil der Aufenthaltstitel bis 01.04.2011 befristet sei, so dass für den Zeitraum vom 13.04.2011 bis 12.11.2011 der Klägerin ein Anspruch auf Elterngeld nicht zustehe. Sofern innerhalb des möglichen Elterngeldbezugszeitraumes eine über den 01.04.2011 hinaus gültige Aufenthaltsgenehmigung vorgelegt werde, könne über den weiteren Anspruch entschieden werden.
Am 24.03.2011 beantragte die Klägerin beim Landratsamt B-Stadt die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Das Landratsamt B-Stadt stellte am 29.06.2011 die beantragte Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. ein S. 1 Nr. 3, S. 2 AufenthG (gültig bis 01.04.2013) aus, die die Klägerin wiederum zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Am 05.07.2011 ging beim Beklagten eine Kopie der am 29.06.2011 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis ein. Außerdem übersandte die Klägerin dem Beklagten eine Bescheinigung des Landratsamtes B-Stadt vom 04.07.2011, mit der ihr bescheinigt wurde, dass sie am 24.03.2011 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig vor Ablauf des Aufenthaltstitels beantragt habe und die Aufenthaltserlaubnis damit gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend galt.
Mit Bescheid vom 08.07.2011 bewilligte der Beklagte daraufhin Elterngeld auch für den 9. bis 12. Lebensmonat des Kindes (13.07.2011 bis 13.10.2011) in Höhe von 300 EUR monatlich. Für die Zeit vom 13.04.2011 bis 12.07.2011 lehnte der Beklagte die Zahlung von Elterngeld mit der Begründung ab, dass für diesen Zeitraum kein Aufenthaltstitel vorgelegen habe und die Klägerin daher nicht anspruchsberechtigt gewesen sei.
Mit ihrem Widerspruch vom 01.08.2011 wandte sich die Klägerin gegen die Versagung von Elterngeld für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes. Zur Begründung brachte sie unter Bezugnahme auf die vom Landratsamt B-Stadt ausgestellte Bescheinigung vom 04.07.2011 vor, dass sie rechtzeitig vor Ablauf des Aufenthaltstitels die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragt und daher die Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend gegolten habe.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2011 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin sei wegen des fehlenden Aufenthaltstitels nicht anspruchsberechtigt. Zwar habe die Klägerin für die Zeit zwischen dem Ablauf des bisherigen bis zur Aushändigung des neuen Aufenthaltstitels dem Grunde nach einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland gehabt, sie sei aber nicht tatsächlich im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels oder einer entsprechenden Fiktionsbescheinigung gewesen, so dass die Zahlung von Elterngeld für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes ausgeschlossen sei.
Mit ihrer am 12.09.2011 zum Sozialgericht Augsburg erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung der Klage lässt die Klägerin im Wesentlichen - wie schon im Widerspruchsverfahren - vorbringen, dass sie rechtzeitig, also vor Ablauf der Geltungsdauer ihres Aufenthaltstitels bei der Ausländerbehörde einen Verlängerungsantrag gestellt habe, so dass sie aufgrund der Fiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG die Anspruchsvoraussetzung nach § 1 Abs. 7 BEEG erfüllt habe. Die Ausstellung einer "körperlichen" Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG sei zur Begründung der Anspruchsberechtigung nicht erforderlich.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 08.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2011 zu verurteilen, ihr Elterngeld auch für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bringt auch im Klageverfahren vor, die Klägerin sei in der Zeit vom 13.04.2011 bis 12.07.2011 nicht im Besitz eines zum Anspruch auf Elterngeld berechtigenden Aufenthaltstitels gewesen. Darüber hinaus sei sie auch nicht im Besitz einer Bescheinigung, die den Fortbestand der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG bestätigt hätte, gewesen. Die nachträgliche Bescheinigung der Ausländerbehörde vom 04.07.2011 könne die Fiktionsbescheinigung nicht ersetzen und keine Rückwirkung entfalten.
Zur Ergänzung des Tatbestandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht zum örtlich zuständigen Sozialgericht Augsburg erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig und auch begründet.
Der Bescheid vom 08.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2011 ist insoweit rechtswidrig, als der Beklagte die Bewilligung von Elterngeld für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes abgelehnt hat. Die Klägerin hat Anspruch auf Elterngeld in gesetzlicher Höhe, da sie auch in dem hier streitigen Leistungszeitraum die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Insbesondere ist die Klägerin anspruchsberechtigt.
Die in § 1 Abs. 1 BEEG geregelten Grundvoraussetzungen für den Anspruch auf Elterngeld liegen auch in dem hier streitigen Zeitraum vor. Danach kann Elterngeld beanspruchen, wer
1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Die Klägerin lebte im streitigen Zeitraum mit ihrer Tochter in einem Haushalt, betreute und erzog diese selbst und übte auch keine Erwerbstätigkeit aus. Auch hatte die Klägerin den Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.
Entgegen der Auffassung des Beklagten erfüllte die Klägerin auch im Zeitraum vom 13.04.2011 bis 12.07.2011 die weiteren Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 7 BEEG. Sie besaß eine Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte (§ 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG).
Der Anspruch auf Elterngeld setzt für die Klägerin als russische Staatsangehörige - und damit nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin - die Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 BEEG voraus.
Nach § 1 Abs. 7 BEEG ist ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person
1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a) nach § 16 oder § 17 AufenthG erteilt,
b) nach § 18 Abs. 2 AufenthG erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,
c) nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt,
d) nach § 104 a AufenthG erteilt oder
3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und
a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und
b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.
Die Klägerin war zunächst bis zum 01.04.2011 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte (§ 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG). Aufgrund der erneuten Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis durch das Landratsamt B-Stadt, die wiederum zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte, war die Klägerin wiederum im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG ab 29.06.2011. Hieraus ergibt sich die Anspruchsberechtigung für den 1. bis 5. sowie 9. bis 12. Lebensmonat des Kindes. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Auch für den Zeitraum vom 02.04.2011 bis zum 28.06.2011 besaß die Klägerin eine zum Bezug von Elterngeld berechtigende Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG. Dies ergibt sich aus § 81 Abs. 4 AufenthG. Gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn ein Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragt. In diesen Fällen der Verlängerung eines Aufenthaltstitels gilt der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Antrag - wie vorliegend - rechtzeitig, das heißt vor Ablauf der Geltungsdauer des bestehenden Aufenthaltstitels - gestellt worden ist. Die Fortgeltungswirkung baut dabei auf einen bestehenden Aufenthaltstitel auf. Die Fiktionswirkung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG erfüllt zur Überzeugung der Kammer die zum Bezug von Elterngeld berechtigende Vorschrift des § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG (vgl. dazu Bayerisches Landessozialgericht - BayLSG -, Beschluss vom 28.05.2010, L 12 EG 9/10 B ER). Da die Fiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG den bisherigen Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen als fortbestehend ausweist, ist nicht nur der bisherige Aufenthaltstitel, sondern die fiktive Fortgeltung dieses Aufenthaltstitels durch § 81 Abs. 4 AufenthG als Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG anzusehen (BayLSG, Beschluss vom 28.05.2010, L 12 EG 9/10 B ER).
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht die unterbliebene Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG in der Form des in § 58 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung vorgesehenen Vordrucks der Anspruchsberechtigung der Klägerin nicht entgegen. Gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG ist dem Ausländer eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen. Die materiellen Wirkungen eines rechtzeitigen Antrages auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ergeben sich allein aus § 81 Abs. 4 AufenthG (vgl. Oberverwaltungsgericht - OVG - des Saarlandes, Beschluss vom 30.05.2011, 2 B 241/11). Eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG hat nur deklaratorische Wirkung für den Zeitraum bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag. Das (vorläufige) Aufenthaltsrecht entsteht bereits durch die Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des § 81 Abs. 4 AufenthG, nicht erst mit der Aushändigung der "körperlichen" Fiktionsbescheinigung. Konsequenterweise bescheinigt die Fiktionsbescheinigung nach dem Wortlaut des § 81 Abs. 5 AufenthG die "Wirkung der Antragstellung". Die Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 AufenthG selbst ist daher kein Aufenthaltstitel (vgl. § 4 Abs. 1 S. 2 AufenthG), sondern dient lediglich als Nachweis für den fiktiv fortbestehenden Aufenthaltstitel. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) handelt es sich bei der Fiktionsbescheinigung um ein Dokument, das den bestehenden Rechtszustand dokumentiert, nicht jedoch um einen feststellenden oder rechtsgestaltenden Verwaltungsakt. Die fehlerhafte Ausstellung eine Fiktionsbescheinigung begründet folgerichtig kein Aufenthaltsrecht (BVerwG, Beschluss vom 21.01.2010, 1 B 17/09).
Aufgrund der von der Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren beigebrachten Bescheinigung des Landratsamts B-Stadt vom 04.07.2011 bestehen keine Zweifel, dass die Klägerin im Besitz des zum Bezug von Elterngeld berechtigenden Aufenthaltstitels war. Das Landratsamt B-Stadt hat sowohl die rechtzeitige Beantragung der Verlängerung des Aufenthaltstitels vor dessen Ablauf bestätigt als auch das Fortbestehen der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG bescheinigt. Zweifel an der rechtzeitigen Beantragung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis durch die Klägerin hat auch der Beklagte nicht geäußert. Dass die Klägerin nicht im Besitz der Bescheinigung über den materiell bestehenden Aufenthaltstitel in Gestalt des in § 58 Nr. 3 der Aufenthaltsverordnung vorgesehenen Vordrucks war, steht ihrer Anspruchsberechtigung nicht entgegen.
Die Klägerin hat daher Anspruch auf Elterngeld auch für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes in Höhe von 300 EUR monatlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Elterngeld auch für den 6. bis 8. Lebensmonat ihrer am 2010 geborenen Tochter J. nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) hat.
Die 1976 geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige und lebt seit 2001 in Deutschland. In den letzten 12 Monaten vor der Geburt ihres Kindes übte die Klägerin keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war im Besitz einer bis zum 01.04.2011 gültigen Aufenthaltserlaubnis - ausgestellt am 23.03.2010 vom Landratsamt B-Stadt - gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die die Klägerin zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Am 16.12.2010 beantragte sie Elterngeld für den 1. bis 12. Lebensmonat des Kindes.
Mit Bescheid vom 30.12.2010 bewilligte der Beklagte Elterngeld nur für den 1. bis 5. Lebensmonat des Kindes in Höhe des Mindestbetrages von 300 EUR monatlich. Zur Begründung führte er aus, der Elterngeldanspruch ende am 12.04.2011 weil der Aufenthaltstitel bis 01.04.2011 befristet sei, so dass für den Zeitraum vom 13.04.2011 bis 12.11.2011 der Klägerin ein Anspruch auf Elterngeld nicht zustehe. Sofern innerhalb des möglichen Elterngeldbezugszeitraumes eine über den 01.04.2011 hinaus gültige Aufenthaltsgenehmigung vorgelegt werde, könne über den weiteren Anspruch entschieden werden.
Am 24.03.2011 beantragte die Klägerin beim Landratsamt B-Stadt die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Das Landratsamt B-Stadt stellte am 29.06.2011 die beantragte Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. ein S. 1 Nr. 3, S. 2 AufenthG (gültig bis 01.04.2013) aus, die die Klägerin wiederum zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Am 05.07.2011 ging beim Beklagten eine Kopie der am 29.06.2011 ausgestellten Aufenthaltserlaubnis ein. Außerdem übersandte die Klägerin dem Beklagten eine Bescheinigung des Landratsamtes B-Stadt vom 04.07.2011, mit der ihr bescheinigt wurde, dass sie am 24.03.2011 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig vor Ablauf des Aufenthaltstitels beantragt habe und die Aufenthaltserlaubnis damit gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend galt.
Mit Bescheid vom 08.07.2011 bewilligte der Beklagte daraufhin Elterngeld auch für den 9. bis 12. Lebensmonat des Kindes (13.07.2011 bis 13.10.2011) in Höhe von 300 EUR monatlich. Für die Zeit vom 13.04.2011 bis 12.07.2011 lehnte der Beklagte die Zahlung von Elterngeld mit der Begründung ab, dass für diesen Zeitraum kein Aufenthaltstitel vorgelegen habe und die Klägerin daher nicht anspruchsberechtigt gewesen sei.
Mit ihrem Widerspruch vom 01.08.2011 wandte sich die Klägerin gegen die Versagung von Elterngeld für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes. Zur Begründung brachte sie unter Bezugnahme auf die vom Landratsamt B-Stadt ausgestellte Bescheinigung vom 04.07.2011 vor, dass sie rechtzeitig vor Ablauf des Aufenthaltstitels die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragt und daher die Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend gegolten habe.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2011 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin sei wegen des fehlenden Aufenthaltstitels nicht anspruchsberechtigt. Zwar habe die Klägerin für die Zeit zwischen dem Ablauf des bisherigen bis zur Aushändigung des neuen Aufenthaltstitels dem Grunde nach einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland gehabt, sie sei aber nicht tatsächlich im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels oder einer entsprechenden Fiktionsbescheinigung gewesen, so dass die Zahlung von Elterngeld für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes ausgeschlossen sei.
Mit ihrer am 12.09.2011 zum Sozialgericht Augsburg erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung der Klage lässt die Klägerin im Wesentlichen - wie schon im Widerspruchsverfahren - vorbringen, dass sie rechtzeitig, also vor Ablauf der Geltungsdauer ihres Aufenthaltstitels bei der Ausländerbehörde einen Verlängerungsantrag gestellt habe, so dass sie aufgrund der Fiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG die Anspruchsvoraussetzung nach § 1 Abs. 7 BEEG erfüllt habe. Die Ausstellung einer "körperlichen" Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG sei zur Begründung der Anspruchsberechtigung nicht erforderlich.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 08.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2011 zu verurteilen, ihr Elterngeld auch für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bringt auch im Klageverfahren vor, die Klägerin sei in der Zeit vom 13.04.2011 bis 12.07.2011 nicht im Besitz eines zum Anspruch auf Elterngeld berechtigenden Aufenthaltstitels gewesen. Darüber hinaus sei sie auch nicht im Besitz einer Bescheinigung, die den Fortbestand der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG bestätigt hätte, gewesen. Die nachträgliche Bescheinigung der Ausländerbehörde vom 04.07.2011 könne die Fiktionsbescheinigung nicht ersetzen und keine Rückwirkung entfalten.
Zur Ergänzung des Tatbestandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht zum örtlich zuständigen Sozialgericht Augsburg erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig und auch begründet.
Der Bescheid vom 08.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.08.2011 ist insoweit rechtswidrig, als der Beklagte die Bewilligung von Elterngeld für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes abgelehnt hat. Die Klägerin hat Anspruch auf Elterngeld in gesetzlicher Höhe, da sie auch in dem hier streitigen Leistungszeitraum die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Insbesondere ist die Klägerin anspruchsberechtigt.
Die in § 1 Abs. 1 BEEG geregelten Grundvoraussetzungen für den Anspruch auf Elterngeld liegen auch in dem hier streitigen Zeitraum vor. Danach kann Elterngeld beanspruchen, wer
1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Die Klägerin lebte im streitigen Zeitraum mit ihrer Tochter in einem Haushalt, betreute und erzog diese selbst und übte auch keine Erwerbstätigkeit aus. Auch hatte die Klägerin den Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.
Entgegen der Auffassung des Beklagten erfüllte die Klägerin auch im Zeitraum vom 13.04.2011 bis 12.07.2011 die weiteren Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 7 BEEG. Sie besaß eine Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte (§ 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG).
Der Anspruch auf Elterngeld setzt für die Klägerin als russische Staatsangehörige - und damit nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin - die Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 BEEG voraus.
Nach § 1 Abs. 7 BEEG ist ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person
1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde
a) nach § 16 oder § 17 AufenthG erteilt,
b) nach § 18 Abs. 2 AufenthG erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,
c) nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt,
d) nach § 104 a AufenthG erteilt oder
3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und
a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und
b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.
Die Klägerin war zunächst bis zum 01.04.2011 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte (§ 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG). Aufgrund der erneuten Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis durch das Landratsamt B-Stadt, die wiederum zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte, war die Klägerin wiederum im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG ab 29.06.2011. Hieraus ergibt sich die Anspruchsberechtigung für den 1. bis 5. sowie 9. bis 12. Lebensmonat des Kindes. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Auch für den Zeitraum vom 02.04.2011 bis zum 28.06.2011 besaß die Klägerin eine zum Bezug von Elterngeld berechtigende Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG. Dies ergibt sich aus § 81 Abs. 4 AufenthG. Gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn ein Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragt. In diesen Fällen der Verlängerung eines Aufenthaltstitels gilt der bisherige Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Antrag - wie vorliegend - rechtzeitig, das heißt vor Ablauf der Geltungsdauer des bestehenden Aufenthaltstitels - gestellt worden ist. Die Fortgeltungswirkung baut dabei auf einen bestehenden Aufenthaltstitel auf. Die Fiktionswirkung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG erfüllt zur Überzeugung der Kammer die zum Bezug von Elterngeld berechtigende Vorschrift des § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG (vgl. dazu Bayerisches Landessozialgericht - BayLSG -, Beschluss vom 28.05.2010, L 12 EG 9/10 B ER). Da die Fiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG den bisherigen Aufenthaltstitel mit allen sich daran anschließenden Wirkungen als fortbestehend ausweist, ist nicht nur der bisherige Aufenthaltstitel, sondern die fiktive Fortgeltung dieses Aufenthaltstitels durch § 81 Abs. 4 AufenthG als Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG anzusehen (BayLSG, Beschluss vom 28.05.2010, L 12 EG 9/10 B ER).
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht die unterbliebene Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG in der Form des in § 58 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung vorgesehenen Vordrucks der Anspruchsberechtigung der Klägerin nicht entgegen. Gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG ist dem Ausländer eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen. Die materiellen Wirkungen eines rechtzeitigen Antrages auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ergeben sich allein aus § 81 Abs. 4 AufenthG (vgl. Oberverwaltungsgericht - OVG - des Saarlandes, Beschluss vom 30.05.2011, 2 B 241/11). Eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG hat nur deklaratorische Wirkung für den Zeitraum bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag. Das (vorläufige) Aufenthaltsrecht entsteht bereits durch die Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des § 81 Abs. 4 AufenthG, nicht erst mit der Aushändigung der "körperlichen" Fiktionsbescheinigung. Konsequenterweise bescheinigt die Fiktionsbescheinigung nach dem Wortlaut des § 81 Abs. 5 AufenthG die "Wirkung der Antragstellung". Die Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 AufenthG selbst ist daher kein Aufenthaltstitel (vgl. § 4 Abs. 1 S. 2 AufenthG), sondern dient lediglich als Nachweis für den fiktiv fortbestehenden Aufenthaltstitel. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) handelt es sich bei der Fiktionsbescheinigung um ein Dokument, das den bestehenden Rechtszustand dokumentiert, nicht jedoch um einen feststellenden oder rechtsgestaltenden Verwaltungsakt. Die fehlerhafte Ausstellung eine Fiktionsbescheinigung begründet folgerichtig kein Aufenthaltsrecht (BVerwG, Beschluss vom 21.01.2010, 1 B 17/09).
Aufgrund der von der Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren beigebrachten Bescheinigung des Landratsamts B-Stadt vom 04.07.2011 bestehen keine Zweifel, dass die Klägerin im Besitz des zum Bezug von Elterngeld berechtigenden Aufenthaltstitels war. Das Landratsamt B-Stadt hat sowohl die rechtzeitige Beantragung der Verlängerung des Aufenthaltstitels vor dessen Ablauf bestätigt als auch das Fortbestehen der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG bescheinigt. Zweifel an der rechtzeitigen Beantragung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis durch die Klägerin hat auch der Beklagte nicht geäußert. Dass die Klägerin nicht im Besitz der Bescheinigung über den materiell bestehenden Aufenthaltstitel in Gestalt des in § 58 Nr. 3 der Aufenthaltsverordnung vorgesehenen Vordrucks war, steht ihrer Anspruchsberechtigung nicht entgegen.
Die Klägerin hat daher Anspruch auf Elterngeld auch für den 6. bis 8. Lebensmonat des Kindes in Höhe von 300 EUR monatlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
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