L 8 R 736/13 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 44 R 162/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 736/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.7.2013 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.338,39 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, ein Unternehmen im Bereich des Wach- und Sicherheitsgewerbes, begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 31.10.2012, mit dem diese Sozialversicherungsbeiträge nebst Säumniszuschlägen für die Zeit vom 1.8.2007 bis 31.12.2009 in Höhe von insgesamt 49.353,55 Euro nachfordert.

Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, im Rahmen einer Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass die Antragstellerin bei der Entlohnung von Mitarbeitern zum Teil die im Zeitraum geltenden allgemeinverbindlichen Tarifverträge zur Regelung von Mindestlöhnen im Bereich des Wach- und Sicherheitsgewerbes in Nordrhein-Westfalen nicht beachtet habe. Grundlage für diese Feststellungen sei die Gegenüberstellung des jeweils vorgeschrieben Mindestlohns der Lohngruppe 2.0.11 mit den Arbeitsverträgen und Lohnabrechnungen. Die so ermittelten Lohndifferenzen seien zu verbeitragen. Die zu wenig gezahlten Beiträge würden nunmehr nachgefordert. Einige Arbeitnehmer seien zudem ohne Anmeldung zur Sozialversicherung beschäftigt gewesen. Die für diese Arbeitnehmer ermittelten Stunden seien mit dem jeweiligen Mindestlohn multipliziert und sodann der Sozialversicherungs- und Beitragspflicht unterworfen worden. In anderen Fällen seien Arbeitnehmer unter dem Mantel der Geringfügigkeit beschäftigt gewesen, tatsächlich hätten sie jedoch mehr Arbeitsstunden geleistet. Die den jeweiligen Arbeitnehmern zuzuordnenden Stunden seien ebenfalls wieder mit dem Mindestlohn multipliziert worden. Hierdurch sei es in einigen Fällen zur Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenzen gekommen, sodass Sozialversicherungs- und Beitragspflicht entstanden sei. Die Zusammenstellung der zu wenig Zeiten Beiträge sei der beigefügten Anlage "Berechnungen der Beiträge" zu entnehmen.

Gegen den Bescheid legte die Antragstellerin am 15.11.2012 ohne weitere Begründung Widerspruch ein. Ihr Antrag auf Akteneinsicht wurde unter Hinweis auf das noch laufende Strafverfahren abgelehnt.

Sodann hat die Antragstellerin am 25.1.2013 bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Aus dem Bescheid vom 31.10.2012 sei nicht nachvollziehbar zu entnehmen, welcher Verstoß ihr in welchem Umfang vorgeworfen werde. Es werde zwar auf einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag verwiesen, aber in keiner Weise dargelegt, welche Tätigkeiten die einzelnen Mitarbeiter durchgeführt hätten. Auch sei nicht erkennbar, von welchem Stundenlohn ausgegangen werde und welcher Tarifvertrag für welchen Zeitraum einschlägig sei. Der Bescheid sei daher zu unbestimmt. Es sei nicht möglich zu erkennen, wie sich der Erstattungsbeitrag zusammensetze. Außerdem sei sie finanziell nicht in der Lage, die geforderten Beiträge zu zahlen. Ein entsprechendes Guthaben sei nicht vorhanden.

Die Antragsgegnerin ist dem Begehren entgegengetreten. Der Bescheid sei ausreichend bestimmt. Die Berechnung der Beitragsforderung bzw. der Säumniszuschläge ergebe sich aus den ausführlichen Anlagen zum Bescheid, die sie noch ergänzend erläutert hat.

Mit Beschluss vom 19.7.2013 hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt. Nach summarischer Prüfung spreche nicht mehr für als gegen den Erfolg des Rechtmittels. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin zur Berechnung der Beiträge auf die nach den im Zeitraum einschlägigen Lohntarifverträgen für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen geschuldeten und nicht auf die tatsächlich geleisteten Löhne abgestellt habe. Im Beitragsrecht gelte das Entstehungsprinzip. Die Tarifverträge seien im konkreten Fall anwendbar. Der Bescheid sei überdies auch hinreichend bestimmt, da sich die geltend gemachte Forderung aus den detaillierten Anlagen zum Bescheid ergebe. Überdies sei eine unbillige Härte nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

Gegen den ihr am 25.7.2013 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 30.7.2013 unter Bezug auf das bisherige Vorbringen Beschwerde eingelegt. Im Übrigen handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Die zuständige Kammer habe noch im Rahmen eines Erörterungstermins darauf hingewiesen, dass sie den Bescheid für zu unbestimmt halte. Sie, die Antragstellerin, rege einen Erörterungstermin an. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin legt ferner an ihn gerichtete angebliche Schreiben des Geschäftsführers der Klägerin vor, in denen dieser unter anderem Einstufungen der Ermittlungsbehörden hinsichtlich der Tätigkeit von Mitarbeitern der Antragstellerin zum Bereich Revier- und Interventionsdienste, eine fehlende Gegenrechnung der bereits geleisteten Pauschalbeiträge für geringfügig Beschäftigte und die Anwendung der Lohntarifverträge für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen für Mitarbeiter, die lediglich Aushilfshausmeistertätigkeiten ausgeführt hätten, rügt. Für den Mitarbeiter I sei überdies arbeitsvertraglich ein Stundenlohn über der Lohngruppe 2.0.11. vereinbart gewesen.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten. Sie hält den angefochtenen Beschluss des SG Düsseldorf für zutreffend.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.

Der Senat verweist zur Begründung zunächst auf den Beschluss des SG (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Wie das SG zutreffend feststellt hat, hat die Antragsgegnerin bei der Berechnung der Beiträge die Antragsgegnerin zu Recht nicht auf das gezahlte, sondern auf das geschuldete Arbeitsentgelt abgestellt. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) entsteht der Beitragsanspruch, sobald seine im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entsteht dabei, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist, selbst wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder erst später zahlt. Insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht - anders als das Steuerrecht - nicht dem Zufluss-, sondern dem sogenannten Entstehungsprinzip (BSG, Urteil v. 3.6.2009, B 12 R 12/07 R, SozR 4-2400 § 43a Nr. 5, Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; zur Verfassungsmäßigkeit des Entstehungsprinzips BVerfG, Beschluss v. 11.9.2008, 1 BvR 2007/05, SozR-2400 § 22 Nr. 3).

Zu Recht hat sodann die Antragsgegnerin zur Bestimmung der Höhe der Entgeltansprüche auf die (mit Einschränkungen) für den Prüfzeitraum für allgemeinverbindlich erklärten Lohntarifverträge (Lohn-TV) für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen abgestellt. Dabei handelt es sich um den Lohn-TV v. 9.3.2007, gültig vom 1.5.2007 bis zum 30.4.2008, mit Einschränkungen allgemeinverbindlich für denselben Zeitraum (Allgemeinverbindlicherklärung [AVE] des Ministeriums für Arbeit Gesundheit und Soziales [MAGS] v. 22.10.2007, BAnz. Nr. 213, 8021); den Lohn-TV v. 17.4.2008 vom 1.5.2008 bis zum 30.4.2009, mit Einschränkungen allgemeinverbindlich für denselben Zeitraum (AVE d. MAGS v. 4.11.2008, BAnz. Nr. 183, 43068) und den Lohn-TV v. 11.5.2009, gültig vom 1.5.2009 bis 30.6.2011, mit Einschränkungen allgemeinverbindlich für denselben Zeitraum (AVE d. MAGS v. 21.10.2009, BAnz. Nr. 174, 3930).

Ohne Bedenken erfassen die vorgenannten Tarifverträge über die entsprechenden AVEen die hier zu beurteilenden Beschäftigungsverhältnisse in räumlicher, fachlicher und persönlicher Hinsicht. Es gibt insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Antragstellerin nicht um ein Unternehmen des Bewachungs- und Sicherheitsgewerbes handelt. In persönlicher Hinsicht gelten die Tarifverträge dabei für alle in diesem Unternehmen tätigen gewerblichen Arbeitnehmer und damit grundsätzlich auch für solche, die keine eigentlichen Bewachungs- und Sicherheitsaufgaben wahrnehmen, wie zum Beispiel Arbeitnehmer, die Aushilfshausmeistertätigkeiten ausführen. Zwar nehmen die AVEen einzelne Gruppen von Arbeitnehmern aus. Es ist jedoch nicht ersichtlich und von der Antragstellerin nicht konkret vorgetragen worden, hinsichtlich welcher ihrer Mitarbeiter diese Ausnahmen aus welchen Gründen eingreifen sollen. Dahingehende Feststellungen müssen vielmehr dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Das gilt insbesondere, soweit der Geschäftsführer E in seinem Schreiben vom 26.8.2013 ausführt, seine Mitarbeiter seien nicht dem Bereich "Revier- und Interventionsdienste" sondern dem der Tätigkeitskategorie "Separatwachdienst/Objektschutz" zuzuordnen. Die Lohngruppen dieses Bereiches sind gerade für allgemeinverbindlich erklärt. Auf die dortige unterste Lohngruppe 2.0.11. hat die Antragsgegnerin zur Beitragsberechnung des zu Grunde gelegten Lohndifferenzen abgestellt. Soweit des Weiteren durch Vorlage einer E-Mail des Geschäftsführers E die Veranlagung eines Mitarbeiters namens I moniert wird, ist dies für den Senat nicht nachzuvollziehen. Für diesen Mitarbeiter werden im angefochtenen Bescheid keine Beiträge nachgefordert. Der Name des Mitarbeiters ist in den Berechnungsanlagen nicht zu finden.

3. Der angefochtene Bescheid ist auch ausreichend bestimmt i.S.v. § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Das Bestimmtheitserfordernis bezieht sich auf die mit dem jeweiligen Bescheid getroffene Regelung, also den Verfügungssatz des Verwaltungsaktes (BSG, Urteil v. 23.2.1989, 11/7 RAr 103/87, SozR 1500 § 55 Nr. 35; BSG, Urteil v. 9.12.2004, B 6 KA 44/03 R, BSGE 94, 50; Engelmann in: von Wulffen, SGB X, § 33 Rdnr. 3; Pattar in jurisPK-SGB X, § 33 Rdnr. 10). Insoweit ist dem angefochtenen Bescheid - wie von § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV gefordert - unzweideutig zu entnehmen, für welche Zeiträume und welche Mitarbeiter Sozialversicherungsbeiträge in welcher Höhe von der Antragstellerin nachzuzahlen sind. Wenn die Antragstellerin demgegenüber moniert, dass die Berechnung der Beiträge für sie nicht nachvollziehbar sei, rügt sie der Sache nach nicht die mangelnde Bestimmtheit des Bescheides, sondern eine unzureichende Begründung (§ 35 Abs. 1 SGB X). Insoweit reicht es jedoch, wenn der Adressat des Bescheides in die Lage versetzt wird, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen bzw. zu verteidigen. Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken (vgl. Engelmann a.a.O. § 35 Rdnr. 5 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid, weil sich die Berechnung der Beiträge für die einzelnen Mitarbeiter für die Antragstellerin hinreichend erkennbar aus den als Anlage beigefügten Tabellen ergibt. Anhand dieser Informationen wird die Antragstellerin in die Lage versetzt, für jeden einzelnen Mitarbeiter die Berechnung der Beiträge für jeden einzelnen Monat im Detail zu überprüfen. Dieser Berechnung ist die Antragstellerin im Übrigen nicht substantiiert entgegengetreten.

4. Mit der Rüge einer angeblichen Überraschungsentscheidung hat die Antragstellerin schon deshalb keinen Erfolg, weil sie im Beschwerdeverfahren ausreichend Gelegenheit zu rechtlichem Gehör hatte.

5. Im vorliegenden Verfahren kann der Senat auch dahinstehen lassen, ob die Antragsgegnerin der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren bisher zu Recht die Einsicht in die Verwaltungsakten verweigert hat. Denn es ist nicht erkennbar, inwieweit die Antragstellerin hierdurch in der Wahrnehmung ihrer Rechte beeinträchtigt worden sein könnte. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes hätte es genügt, einen Sachverhalt glaubhaft zu machen, der den von der Antragsgegnerin behaupteten Beitragsanspruch überwiegend unwahrscheinlich macht. Der tatsächliche Sachverhalt ist der Antragstellerin jedoch auch ohne Akteneinsicht bekannt.

6. Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass die Vollziehung des Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeuten würde. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für die Antragstellerin verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten ist. Aus demselben Grund begründet auch die Höhe einer Beitragsforderung allein keine unbillige Härte. Darüber hinausgehende nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile durch eine Zahlung hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt. Hierzu reicht die pauschale Behauptung nicht aus, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel genügten nicht zur Begleichung der Forderung. Im Übrigen müsste das Interesse der Antragstellerin am Schutz vor der Forderung auch das Interesse der Antragsgegnerin an der aktuellen Einziehung der Forderung überwiegen. Das Interesse der Antragsgegnerin an einer zeitnahen Durchsetzbarkeit der Beitragsforderung wird aber gerade dann hoch sein, wenn behauptet wird, dass Zahlungsunfähigkeit drohe. Gerade in einer solchen Situation ist die Antragsgegnerin gehalten, die Beiträge rasch einzutreiben, um die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung sicherzustellen. Eine beachtliche Härte in diesem Sinne ist also regelmäßig nur dann denkbar, wenn es dem Beitragsschuldner gelingt darzustellen, dass das Beitreiben der Forderung aktuell die Zerstörung seiner Existenzgrundlage zu Folge hätte, die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache aber zumindest nicht weiter gefährdet wäre als zur Zeit. Hierzu hat die Antragstellerin indessen nichts vorgetragen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwertes wird auf die Ausführungen des SG Bezug genommen

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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