L 15 SO 141/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 7 SO 47/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 141/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. Mai 2010 und der Bescheid des Beklagten vom 25. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2007 werden geändert. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten des Tagesbetreuungszentrums R in der Trägerschaft der R r gG für den Zeitraum 4. Januar 2006 bis 26. Oktober 2006 in Höhe von 55,96 Euro pro Anwesenheitstag zu gewähren.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für den gesamten Rechtsstreit zu 9/10.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist - nachdem der Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 19. Dezember 2013 entsprechend beschränkt wurde - noch die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Aufenthalts der Klägerin im Tagesbetreuungszentrum R(TBZR) der Beigeladenen in der Zeit vom 4. Januar bis zum 26. Oktober 2006.

Die Klägerin ist 1962 geboren worden. Vom 1. bis 18. Dezember 2003 befand sie sich zur stationären Behandlung im Krankenhaus R, wo bei ihr - zum wiederholten Mal - ein Kleinhirninfarkt bei Vertebralisabgangsverschluss links festgestellt wurde. Aufgrund ihres am 12. Dezember 2003 dort gestellten Antrags bewilligte ihr die damalige LVA Brandenburg Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Gestalt einer Anschlussheilbehandlung vom 6. Januar bis zum 10. Februar 2004 in der M-Klinik G. Weil die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach Auffassung der LVA Brandenburg nicht wiederhergestellt werden konnte, vielmehr von dort eine bis zum 28. Februar 2005 befristete volle Erwerbsminderung festgestellt worden war, behandelte die LVA den Antrag entsprechend der gesetzlichen Fiktion als auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gerichtet. Durch Bescheid vom 19. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2004 lehnte sie ihn wegen nicht erfüllter versicherungsrechtlicher Voraussetzungen bestandskräftig ab.

Im April und Mai 2005 befand sich die Klägerin an insgesamt 19 Tagen zur teilstationären Behandlung in der Tagesklinik des E Krankenhauses W. Bei der Entlassung waren ihr ein selbstständiger Lagewechsel und Transfer, die Fortbewegung mit dem Vierradrollator im Innen- und Außenbereich, das Treppensteigen auf- und abwärts im Nachstellschritt und Festhalten am Handlauf möglich. Das Krankenhaus schätzte ein, dass ihr Aktivitäten des täglichen Lebens ("ADL") weitgehend selbstständig möglich seien und eine Hilfe im Haushalt notwendig sei. Die Pflegestufe I der sozialen Pflegeversicherung war der Klägerin zuerkannt worden.

Im August 2005 erlitt die Klägerin erneut einen Schlaganfall (Mediainfarkt) unter anderem mit der Folge der Verschlimmerung der bereits vorher bestehenden Halbseitenteillähmung links. Für die soziale Pflegeversicherung wurden mit Gutachten vom 30. November 2005 die seit April 2005 anerkannten Voraussetzungen der Pflegestufe I bestätigt, eine Erhöhung der Pflegestufe dagegen nicht festgestellt.

Ab 22. Dezember 2005 waren bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) von 100 (statt vorher 80) und die Voraussetzungen für die Merkzeichen B und G festgestellt worden (Funktionsbeeinträchtigungen: Halbseitenlähmung links, Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, Spastiken der linken Körperpartie, TEA-Carotis-OP rechts 09/2005, Reinsult 08/2005, Hemiataxie rechts, Parästhesien - Einzel-GdB 90; Diabetes mellitus, mit Diät einstellbar - Einzel-GdB 30; Bronchialasthma, Gebrauchseinschränkung der linken Hand - Einzel-GdB jeweils 10).

Am 18. November 2005 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Übernahme der Kosten für das TBZR sowie der Fahrtkosten. Zur Begründung verwies sie auf ihre motorischen und funktionalen Defizite, Schmerzen, Hirnleistungsstörungen und Sprachbeeinträchtigungen. Sie wolle ab 1. Dezember 2005 "mehrmals wöchentlich bis täglich für mindestens 6 Stunden" das Angebot im TBZR wahrnehmen. Ihr Partner könne die Fahrten nicht absichern.

Mit Schreiben vom 29. November 2005 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass ihr derzeit keine Kostensatzvereinbarung für das TBZR vorliege. Vorab könnten deshalb keine Kosten für die Eingliederungshilfe übernommen werden. Über den Antrag werde entschieden, sobald die Vereinbarung vorliege. Laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts waren der Klägerin und ihrem Lebensgefährten vom Beklagten als Träger der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) bewilligt worden.

Nachdem die Klägerin den Beklagten aufgefordert hatte, über ihren Antrag vom November 2005 zu entscheiden, lehnte der Beklagte den Leistungsantrag durch Bescheid vom 25. April 2006 ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die gewünschte Eingliederungshilfe. Die zwischen dem Landesamt für Soziales und Versorgung Cottbus und dem TBZR abgeschlossene, ab 4. Januar 2006 gültige Vereinbarung besage, dass aufnahmefähig erwachsene erwerbsunfähige, wesentlich behinderte Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen seien. Dazu gehöre die Klägerin nicht, weil sie Leistungen nach dem SGB II erhalte. Dies bedeute, dass sie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts wenigstens drei Stunden leistungsfähig sei.

Zur Begründung des Widerspruchs führte die Klägerin aus, dass das Jobcenter stets über ihre Schwerbehinderung und ihre Pflegebedürftigkeit informiert gewesen sei. Eine Rente wegen Erwerbsminderung sei nur aus versicherungsrechtlichen Gründen abgelehnt worden. Es liege nicht an ihr, dass das Jobcenter keine ärztliche Stellungnahme eingeholt habe.

Die Amtsärztin Dr. B gab darauf hin mit Datum des 23. Juni 2006 eine gutachtliche Stellungnahme ab. Als hilfebedarfs-begründende Diagnosen führte sie "Zustand nach Hirninfarkten mit inkompletter Seitenlähmung" und "rezidivierende depressive Störungen mit hirnorganisch bedingter Aufmerksamkeitsstörung" an. Sie ging von einem GdB von 80 ohne anerkannte Merkzeichen aus. Die allgemeine Belastbarkeit der Klägerin sei deutlich eingeschränkt (Geh- und Stehbehinderung bei gestörter Gleichgewichtsreaktion und inkompletter Halbseitenlähmung). Kognitive Fähigkeiten seien für die Aufgaben des täglichen Lebens wieder ausreichend hergestellt. Das TZBR besuche die Klägerin dreimal wöchentlich für sechs Stunden. Durch den Aufenthalt habe sie wieder eine Tagesstrukturierung erhalten. In der Gruppe sei sie gut integriert und könne sich entsprechend behaupten. Insbesondere eine Stabilisierung des seelischen Gesundheitszustandes habe erreicht werden können. Die Klägerin müsse kontinuierlich motiviert werden. Ein Versuch der Teilhabe am Arbeitsleben durch Integration in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) könne angesichts ihres Alters unternommen werden. Diese Eingliederung könne sich positiv auf den seelischen Gesundheitszustand und die übrigen Kompetenzen auswirken.

Vom 26. September bis zum 17. Oktober 2006 befand sich die Klägerin an insgesamt 15 Tagen zur teilstationären Behandlung in der Tagesklinik des E Krankenhauses W. Am 30. Oktober 2006 wurde sie vollstationär im H Klinikum B S behandelt. Das TZBR besuchte sie letztmalig am 26. Oktober 2006.

Mit Datum des 27. Oktober 2006 gab Dr. Hoffmann vom Gesundheitsamt des Beklagten eine Stellungnahme ab und kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin auf Dauer erwerbsunfähig sei. Bei ihr bestünden insgesamt schwerste generalisierte Durchblutungsstörungen mit neurologischen und psychoorganischen Ausfällen. Zu weiteren Reha-Maßnahmen oder der Frage nach einer WfbM könne "derzeit" nicht Stellung genommen werden. Zunächst bleibe das Ergebnis der stationären Behandlung abzuwarten, der wahrscheinlich eine Anschlussheilbehandlung folgen werde (dazu kam es - nachdem die Klägerin im Mai 2007 einen weiteren Mediainfarkt erlitten hatte - erst im November/Dezember 2007; ausweislich des Entlassungsberichts sei "nicht absehbar, dass in Zukunft Gründe vorliegen könnten, die zur Aufhebung der EU-Rente führen könnten"; die Klägerin "bedarf der Hilfestellung durch Angehörige und professionelle Helfer, was bereits im Vorfeld organisiert war").

Im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung stellte der Beklagte mit Datum des 26. Februar 2007 ein Ersuchen zur Feststellung einer Erwerbsminderung an die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg. Diese gelangte zu dem Ergebnis, dass zumindest seit dem 30. Oktober 2003 volle Erwerbsminderung unabhängig von der Arbeitsmarktlage bestehe und unwahrscheinlich sei, dass sie behoben werden könne.

Durch Widerspruchsbescheid vom 2. März 2007 wies der Beklagte unterdessen den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. April 2006 zurück. Zwar sei die Begründung des Ausgangsbescheides fehlerhaft. Dies führe aber nicht zu seiner Rechtswidrigkeit, weil keine andere Sachentscheidung habe getroffen werden können. Die beantragte Maßnahme gehöre zu den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Ihnen seien jedoch die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vorrangig. Das eingeholte Gutachten vom 23. Juni 2006 habe eingeschätzt, dass bei der Klägerin Werkstattfähigkeit gegeben sei und folglich Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht kämen. Damit seien die vertraglichen Zugangsvoraussetzungen für das TBZR nicht erfüllt, die neben Erwerbsunfähigkeit darin bestünden, dass ambulante Hilfen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht ausreichten. Der Nachrang dieser Leistungen sei auch dann zu beachten, wenn noch keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch den "zuständigen vorrangigen Träger (Bundesagentur für Arbeit)" real erbracht worden seien.

Mit der Klage hat die Klägerin ihr Anliegen weiterverfolgt und geltend gemacht, nicht werkstattfähig zu sein. Zur Unterstützung ihrer Auffassung hat sie einen Arztbrief des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B vom 16. Dezember 2005, eine "ärztliche Stellungnahme" desselben Arztes vom 11. Mai 2006 und eine undatierte Stellungnahme des TBZR eingereicht. Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass jedenfalls ein Eingangsverfahren in einer WfbM in Betracht gekommen wäre. Eine substantielle Änderung des Gesundheitszustandes sei seit dem streitigen Zeitraum nicht eingetreten.

Das Verwaltungsverfahren aufgrund eines weiteren, im April 2007 gestellten Antrags auf Kostenübernahme für die Betreuung im TBZR wurde mit Blick auf das Klageverfahren zunächst ruhend gestellt.

Ein im Januar 2009 neuerlich gestellter Antrag auf Gewährung von Leistungen für die Betreuung im TBZR führte, nachdem das Gesundheitsamt (Dr. Hoffmann) fehlende Werkstattfähigkeit bescheinigt hatte, zur Bewilligung ab 9. März 2009.

Das Sozialgericht hat von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse - Pflegekasse (DAK) ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 31. Mai 2007 (Empfehlung zur Anerkennung der Pflegestufe II) sowie die Verwaltungsakten der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg und die Schwerbehindertenakten des Landesamtes für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg beigezogen und aus beiden die letztgenannten Unterlagen zur Gerichtsakte genommen. Auf Anforderung des Sozialgerichts hat die B-Klinik B bei B mit Datum des 15. Dezember 2008 eine Stellungnahme zur Fähigkeit der Klägerin, in eine WfbM integriert zu werden, abgegeben.

Die Beigeladene hat einen "Vertrag zur Teilnahme am Angebot des Tagesbetreuungszentrums R" mit Unterschriftsdatum 10. Juli 2006, gültig ab 9. Dezember 2005 unbefristet, und eine Liste der Anwesenheitstage der Klägerin im streitigen Zeitraum vorgelegt.

Durch Urteil vom 27. Mai 2010 hat das Sozialgericht die Klage, die mit dem Hauptantrag auf die Gewährung der geltend gemachten Eingliederungsleistung als Sachleistung, mit dem Hilfsantrag auf Kostenerstattung gerichtet war, abgewiesen. Keiner der geltend gemachten Ansprüche bestehe, weil der Beklagte nicht zur Verschaffung der Tagesbetreuung verpflichtet gewesen sei. Die Klägerin zähle als wesentlich behinderter Mensch zum anspruchsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII). Der Besuch eines Tagesbetreuungszentrums stelle grundsätzlich eine taugliche Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft dar. Sie sei jedoch nachrangig gegenüber den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die der Klägerin zugänglich gewesen seien. Es bestehe insoweit kein Wahlrecht des Leistungsberechtigten. Zwar knüpfe die Nachrangregelung daran an, dass eine vorrangige Leistung erbracht werde; es reiche aber aus, dass ein Rechtsanspruch auf die vorrangige Leistung bestehe und er sie ohne Schwierigkeiten in angemessener Frist erhalten könne. Um ein solches "bereites Mittel" handle es sich bei dem Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit auf eine Leistung im Eingangsverfahren einer WfbM. Es sei nichts ersichtlich, was dieser - auf längstens drei Monate angelegten - Leistung entgegenstehen könne. Diese Leistung sei der von der Beigeladenen ausgeführten auch vergleichbar, weil sie auf eine Tagesgliederung und -betreuung angelegt sei. Darüber hinaus diene sie dazu, zu erproben, ob und wie der behinderte Mensch noch am Arbeitsleben teilhaben könne. Die begrenzte zeitliche Dauer stehe der Vergleichbarkeit nicht entgegen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Klägerin die Teilnahme am Eingangsverfahren aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei. Dies habe sie nicht substantiiert behauptet, weshalb auch eine weitere medizinische Sachaufklärung nicht erforderlich gewesen sei. Ein Vergleich der Gutachten vom Oktober 2006 und Februar 2009 zeige im Übrigen eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, weshalb das später erstattete Gutachten keine Rückschlüsse auf den streitigen Zeitraum zulasse. Die Klägerin verkenne die Funktion des Eingangsverfahrens, wenn sie annehme, dass bereits bei ihrem Beginn feststehen müsse, dass sie werkstattfähig sei. Sinn des Eingangsverfahrens sei es gerade, dies festzustellen. Der Beklagte habe über Leistungen des Eingangsverfahrens nicht entscheiden müssen, weil lediglich eine konkrete Leistung beantragt worden sei.

Mit der Berufung vertritt die Klägerin weiter die Auffassung, dass der Beklagte zur Leistungsverschaffung verpflichtet gewesen sei. Vorrangige Alternativen zur Bedarfsdeckung seien nicht vorhanden gewesen. Über ihre gesundheitliche Fähigkeit, am Eingangsverfahren der WfbM teilzunehmen, sei Beweis zu erheben gewesen. Das Sozialgericht habe auch außer acht gelassen, dass der Nachranggrundsatz deshalb nicht greifen könne, weil über die im November 2005 beantragte Leistung erst im April 2006 entschieden worden sei. Die ablehnende Entscheidung sei darüber hinaus gerade nicht mit dem Nachrang begründet worden. Es habe ihr auch nicht probeweise zugemutet werden können, das Eingangsverfahren zu besuchen. Sowohl ihre eigene Einschätzung als auch die der Beigeladenen verdeutlichten, dass es ihr an der Werkstattfähigkeit fehle.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. Mai 2010 und den Bescheid des Beklagten vom 25. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2007 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten des Tagesbetreuungszentrums R in der Trägerschaft der RC r gGmbH für den Zeitraum vom 4. Januar bis 26. Oktober 2006 in Höhe von 55,96 Euro pro Anwesenheitstag zu gewähren, hilfsweise ihr Kostenerstattung insoweit zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung und seine Bescheide für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat in dem Umfang, in dem sie nach dem in der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2013 gestellten Antrag noch fortgeführt worden war, im Sinne des Hauptantrags Erfolg.

Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten ursprünglich Leistungen zur Teilhabe geltend gemacht. Für diese Leistungen gelten gemäß § 53 Abs. 4 SGB XII die Vorschriften des SGB IX, soweit sich nicht aus dem SGB XII und den auf Grund des SGB XII erlassenen Rechtsverordnungen etwas anderes ergibt (Satz 1); die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen richten sich dabei nach dem SGB XII (Satz 2). Da die begehrte Leistung inzwischen vollständig in der Vergangenheit liegt, kann sich der Anspruch jedoch nur noch - wie von der Klägerin auch beantragt - auf Erstattung der Aufwendungen für die in Anspruch genommene Leistung richten. Da die Klägerin diese Leistung noch nicht bezahlt hat, ist die Erstattung ferner durch Freistellung von der Forderung der Beigeladenen, also durch "Kostenübernahme" im Sinne des Hauptantrags zu bewirken (s. BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 1 mit Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 37).

Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX besteht – für Träger der Sozialhilfe ausschließlich nach dieser Vorschrift (§ 15 Abs. 1 Satz 5 SGB IX) – die Pflicht zur Erstattung der Aufwendungen unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.

Der Beklagte hat die von der Klägerin beantragte Leistung zu Unrecht abgelehnt.

Er ist der für die Entscheidung über den Leistungsantrag sachlich zuständige Rehabilitationsträger (§ 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX). Die vorrangige Zuständigkeit eines erstangegangenen Trägers (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) besteht nicht. Zwar hatte die Klägerin im Dezember 2003 bei der damaligen LVA Brandenburg Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beantragt und erhalten. Die damals begründete Zuständigkeit wirkt aber bereits wegen des großen zeitlichen Abstandes zu der Heilkur nicht fort. Die jetzt geltend gemachte Leistung stellt sich nicht als Bestandteil einer einheitlichen Maßnahme dar (s. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 44/08 R - SozR 4-3250 § 14 Nr. 9).

Die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die geltend gemachte Leistung sind ebenfalls erfüllt.

Es steht zunächst nicht infrage, dass die Klägerin als Behinderte zum Kreis der Leistungsberechtigten der Eingliederungshilfe gehört (§ 53 Abs. 1 SGB XII). Sie ist im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ein Mensch, dessen körperliche Funktion und geistige Fähigkeit auf nicht absehbare Dauer von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und sie ist dadurch am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt. Auch die weitere Leistungsvoraussetzung für die Eingliederungshilfe, dass nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung die Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann, liegt vor. Der Beklagte bestreitet insoweit lediglich, dass hierzu die geltend gemachte Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu gewähren ist. Ferner sind für den streitigen Zeitraum auch die nach § 53 Abs. 4 Satz 2 SGB XII i.V. mit § 75 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 SGB XII für die Pflicht zur Übernahme einer Vergütung durch den Beklagten grundsätzlich erforderlichen Vereinbarungen mit der Beigeladenen als Leistungserbringerin geschlossen.

Schließlich liegen auch die speziellen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vor; zu diesen Leistungen kann die hier geltend gemachte allein gehören.

Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gehören gemäß §§ 53 Abs. 4 Satz 2, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V. mit § 55 SGB IX zu denen, die als Leistungen der Eingliederungshilfe vom Träger der Sozialhilfe zu erbringen sind.

Gemäß § 55 Abs. 1 SGB IX werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 des SGB IX nicht erbracht werden. Gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 7 (i.V. mit § 58) SGB IX sind dies insbesondere Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Die Klägerin benötigte jedenfalls im streitigen Zeitraum derartige Hilfen. Sie war aufgrund der körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen nach mehrfachen Schlaganfällen nicht mehr in der Lage, eigenständig an Aktivitäten außerhalb ihrer Wohnung teilzunehmen und soziale Kontakte selbstständig zu knüpfen, also am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Die von der Beigeladenen erbrachten Hilfen dienten dazu, die Klägerin wieder an ein Leben außerhalb der häuslichen Umgebung heranzuführen. Wie sich aus Nr. 2 der Leistungsvereinbarung zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen vom 22. März 2010 ergibt, gehörte die Klägerin auch zu dem Personenkreis, an den die streitigen Hilfen gerichtet sind. Sie litt bereits im streitigen Zeitraum an einer erworbenen Hirnschädigung, ohne dass die vorhandene Pflegebedürftigkeit am Tag überwog, und sie war "erwerbsunfähig". Zwar wird der Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Recht der Teilhabe nicht verwendet. Er bildet aber das Gegenstück zu dem (z.B. in § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX) verwendeten Begriff der Erwerbsfähigkeit. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Leistungen zur Teilhabe bezeichnet er jedenfalls solche behinderten Menschen, die im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung voll erwerbsgemindert und damit zu Arbeiten von wirtschaftlichem Wert auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt allenfalls noch unter drei Stunden täglich in der Lage sind (§ 43 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch). Die Klägerin gehörte objektiv zu diesem Personenkreis. Der Träger der Rentenversicherung hatte den Rentenantrag der Klägerin 2004 allein wegen der nicht erfüllten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abgelehnt, nicht dagegen mangels erfüllter medizinischer Voraussetzungen. Das im Februar 2007 an den Träger der Rentenversicherung gestellte Ersuchen zur Feststellung der Erwerbsminderung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hatte ebenfalls zu dem Ergebnis geführt, dass die Klägerin bereits seit 2003 auf Dauer voll erwerbsgemindert war. Ohne Belang war, welcher Träger von seiner Zuständigkeit für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausging.

Die Leistungen sind nicht wegen eines Vorrangs anderer Leistungen ausgeschlossen, im besonderen nicht derer zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 54 Abs. 1 SGB XII i.V. mit §§ 33 ff SGB IX). Ein solcher Vorrang ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. § 55 Abs. 1 SGB IX schreibt lediglich von daher eine Abgrenzung fest, als zu den Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht solche gehören, die nach den Kapiteln 4 bis 6 erbracht werden. Die hier streitigen Hilfen werden nach diesen Kapiteln (4 - Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, 5 - Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, 6 - Unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen) nicht erbracht, da ihre Ziele (vorrangig lebenspraktisches Training und Anleitung zur Selbsthilfe ohne Bezug zu einer Erwerbstätigkeit) weder denen der medizinischen Rehabilitation (§ 26 Abs. 1 SGB IX) noch denen der Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 SGB IX) zugeordnet werden können. Dies entspricht im Übrigen auch der Auffassung des Beklagten, wie sie aus den mit der Beigeladenen geschlossenen Vereinbarungen hervorgeht. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und solche zur Teilhabe am Arbeitsleben jedenfalls tatsächlich so ausschlössen, dass erstere nur dann in Betracht kommen, wenn letztere ausscheiden (s. dazu etwa auch Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 54 Rn 51).

Dem Beklagten stand bei der Bestimmung von Art und Maß der Leistung auch kein Ermessen zu. Zwar bestimmt § 17 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, dass über Art und Maß der Leistungserbringung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist, soweit das Ermessen nicht ausgeschlossen wird. Dies gilt jedoch nicht ohne Weiteres für den Bereich der Eingliederungshilfe. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob Ermessen für diese Leistungen - wegen des Wortlauts des § 53 SGB XII - vollständig ausgeschlossen ist (s. Armborst in LPK-SGB XII a.a.O., § 17 Rdnr. 9; aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts etwa das Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 19/08 R -, SozR 4-3500 § 54 Nr. 6).

Selbst wenn dem nicht gefolgt würde, ist der Ermessensspielraum des Leistungserbringers doch jedenfalls bereits deshalb stark beschränkt, weil immer nur die Leistung zu erbringen sein wird, die notwendig, aber auch im Einzelfall erforderlich ist, um den sozialhilferechtlichen Bedarf zu decken (s. in diesem Zusammenhang Coseriu, juris PK-SGB XII, § 17 Rdnr. 36 m. w. N. und Grube in Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 4. Auflage 2012, § 17 Rdnr. 31 ff), wobei das Wunschrecht der Klägerin (§ 9 Abs. 2 SGB XII) zu berücksichtigen ist. Ein Ermessensgesichtspunkt, den der Beklagte der Gewährung der geltend gemachten Leistung im streitigen Zeitraum entgegen halten könnte, ist nicht erkennbar. Die Klägerin hatte angesichts ihrer Behinderungen einen Bedarf an Eingliederungshilfe; dies wird dem Grunde nach auch vom Beklagten nicht in Frage gestellt. Bei der streitigen Leistung handelt es sich ferner um eine geeignete Hilfe zur Befriedigung dieses Eingliederungsbedarfs; auch dies stellt der Beklagte, der die Hilfe ab einem späteren Zeitpunkt gewährt hat, letztlich nicht in Frage. Das Auswahlermessen wird jedenfalls aufgrund des von der Klägerin geäußerten Wunsches, gerade die streitige Leistung in Anspruch zu nehmen, reduziert. Dem kann der Beklagte nur dadurch rechtlich entgegen treten, dass der Wunsch unangemessen sei (§ 9 Abs. 2 SGB XII; s. in diesem Zusammenhang auch BSG a.a.O. SozR 4-3500 § 54 Nr. 6). Dafür ist jedoch weder etwas vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Der Umstand, dass Leistungen eines anderen Leistungsträgers (Eingangsverfahren einer Werkstatt für behinderte Menschen) in Betracht kommen, kann keine sozialhilferechtliche Unangemessenheit begründen. Wie sich aus § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX ergibt, sollen Teilhabeleistungen grundsätzlich "aus einer Hand" gewährt werden. Das schließt es für den zuständigen Träger aus, seine Leistungspflicht durch Verweisung auf Leistungen eines anderen Trägers zu verneinen. Ein rechtlicher Vorrang der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, der den Wunsch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für sich genommen als unangemessen erscheinen ließe, besteht, wie ausgeführt, nicht. Selbst wenn aber zugunsten des Beklagten angenommen würde, dass er sich im Rahmen der Prüfung der Unangemessenheit eines Wunsches grundsätzlich darauf berufen könnte, eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben diene der Eingliederung der Klägerin in rechtlich erheblicher Weise mehr, so würde dies wenigstens erfordern, dass die Klägerin von der aus Sicht des Beklagten alternativ in Betracht kommenden Leistung in Kenntnis gesetzt gesetzt wird und dass diese Alternativleistung nach den Ermittlungen des Beklagten tatsächlich in Betracht kommt, damit sie ihr Verhalten darauf einrichten kann. Dies war hier aber nicht der Fall. Der Ausgangsbescheid ging aus anderen Gründen davon aus, dass der Klägerin die geltend gemachte Leistung nicht zusteht, und die Erkenntnisse des Gutachtens vom Juni 2006 reichten dem Beklagten gerade nicht aus, eine endgültige Entscheidung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zu treffen. Vielmehr sah er nach Aktenlage gerade Anlass, eine weitere gutachtliche Stellungnahme - durch Dr. Hoffmann - einzuholen, die erst nach dem Ende des hier streitigen Leistungszeitraums erging.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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