S 35 AL 983/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 35 AL 983/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe und die hieraus folgende Minderung der Anspruchsdauer um 180 Tage. Der 1950 geborene Kläger war seit dem 17.4.1978 bei der Firma D. beschäftigt. Am 5.10.2005 schloss er mit seiner Arbeitgeberin einen Altersteilzeitvertrag ab, der das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.5.2012 beendete, die Freistellungsphase begann am 1.6.2009. Der Kläger meldete sich mit Wirkung zum 1.6.2012 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld, das mit Bescheid vom 23.5.2012 bewilligt wurde (Anspruchsdauer 720 Tage). Mit weiterem Bescheid vom 23.5.2012 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit im Zeitraum vom 1.6.2012 bis zum 23.8.2012 fest sowie die Minderung der Anspruchsdauer um ein Viertel der Bezugsdauer, also 180 Tage. Der Kläger habe ohne wichtigen Grund sein Arbeitsverhältnis selbst gelöst und hierdurch grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch trug der Kläger vor, er habe vorgehabt zum 1.6.2012 in Rente zu gehen. Jedoch sei seine Ehe im August 2008 geschieden worden und ein Kind habe ein Studium aufgenommen. Mit Widerspruchsbe-scheid vom 30.10.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Mit dem Altersteilzeitmodell habe der Gesetzgeber gerade den Bezug von Arbeitslosengeld vor dem Renteneintritt verhindern wollen. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Klage eingereicht und vorgetragen, sowohl durch die Aufnahme des Studiums durch sein Kind als auch durch die Ehescheidung und den damit verbundenen Versorgungsausgleich seien auf den Kläger wirtschaftliche Belastungen zugekommen, die es ihm unzumutbar machten sein ursprüngliches Vorhaben, ab dem 1.6.2012 Rente zu beziehen, weiter zu verfolgen. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 23.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2012 zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 23.5.2012 in der Fassung vom 31.5.2012 Arbeitslosengeld ab dem 1.6.2012 und ohne Minderung der Anspruchsdauer zu leisten. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Die form- und fristgerecht zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht eingereichte Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig, §§ 51 Abs. 1 Nr. 4, 54 Abs. 1, 4, 57 Abs. 1 Satz 1, 78 Abs. 1 Satz 1, 87, 90, 92 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

B. Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Sperrzeitbescheid der Beklagten vom 23.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist eine Sperrzeit von zwölf Wochen wegen Arbeitsaufgabe eingetreten und die Anspruchsdauer war um 180 Tage zu mindern. Der Kläger hat sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Gemäß § 159 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) (in der Fassung vom 20.12.2011) ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt gem. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III a. F. vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Der Kläger hat das Arbeitsverhältnis durch Zustimmung zum Altersteilzeitvertrag am 5.10.2005 mit Ablauf des 31.5.2012 gelöst und dieser Vertrag war auch kausal für das Eintreten der Arbeitslosigkeit. Das Herbeiführen der Arbeitslosigkeit geschah auch schuldhaft. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Arbeitslosigkeit schuldhaft herbeigeführt, wenn keine konkrete Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz bestand. Dem Kläger stand für sein Verhalten auch kein wichtiger Grund zur Seite. Das Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes kommt in Frage, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft bzw. der Allgemeinheit ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann. Richtig ist, dass der Abschluss eines Altersteilzeitvertrages – um nahtlos von der Altersteilzeit in den Rentenbezug zu wechseln – einen solchen wichtigen Grund darstellen kann wenn eine entsprechende Annahme prognostisch gerechtfertigt ist (BSG am 21.7.2009, Az.: B 7 AL 6/08 R, zitiert nach Juris). Eine rein subjektive Vorstellung des Klägers kann, weil der wichtige Grund objektiv vorliegen muss, nicht genügen (BSG a.a.O.). Mit der Einführung der Altersteilzeit hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, die Praxis der Frühverrentung durch eine neue sozialverträgliche Möglichkeit eines gleitenden Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand (Altersteilzeitarbeit) abzulösen (BR-Drucks 208/96, S 1, 22). Anlass für die Regelung war die gängige Praxis, dass viele ältere Beschäftigte weit vor Erreichen der (regulären) Altersgrenze in den Ruhestand versetzt wurden, um auf diese Weise die Belegschaft der Betriebe zu verkleinern und/oder zu verjüngen. Dies führte zu einer erheblichen Belastung der Sozialversicherung und des Bundeshaushalts, weil sich die Entlassenen in der Regel arbeitslos meldeten, Arbeitslosengeld bezogen und im Anschluss daran mit Vollendung des 60. Lebensjahres die vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch nahmen. Durch den Einsatz der Altersteilzeit sollten sich demgegenüber unumgängliche betriebliche Personalanpassungsmaßnahmen durchführen lassen, ohne dass dies auf Kosten der Solidargemeinschaft der Versicherten geschieht (BR-Drucks, a.a.O.). Es war damit das erklärte Ziel des Gesetzgebers, die Sozialversicherung und insbesondere die Bundesagentur für Arbeit durch die Einführung der Altersteilzeit zu entlasten. Einem Arbeitnehmer, der sich entsprechend dieser Gesetzesintention verhält, kann der Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung nicht vorgeworfen werden. (BSG a.a.O.) Der Kläger hat sich nicht entsprechend dieser Gesetzesintention verhalten. Er hat im Gegenteil genau die Situation herbeigeführt, die durch einen Altersteilzeitvertrag vermieden werden soll. Er hat die "Lücke" zwischen Altersteilzeit und abschlagfreiem Rentenbezug durch den Bezug von Arbeitslosengeld überbrückt. Ein wichtiger Grund zum Abschluss eines Altersteilzeitvertrages liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor, wenn der Kläger nur unter der Bedingung nahtlos Rente beantragen will, dass sein Kind nicht studiert und seine Ehe nicht geschieden wird – selbst wenn der Kläger sich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses das Eintreten dieser Tatsachen nicht vor-stellen konnte. Dem Kläger muss im Oktober 2005 klar gewesen sein, dass er seine finanzielle Situation bzw. die seiner Familie im Jahr 2012 nicht sicher vorhersehen kann. Es ist ihm zuzumuten, einen Altersteilzeitvertrag nur zu unterzeichnen, wenn er den damit verbundenen Rentenabschlag bereit ist hinzunehmen. Sollten zwischen dem Abschluss des Altersteilzeitvertrages und dem Renteneintritt hinsichtlich des mit dem vorzeitigen Renteneintritt verbundenen Abschlags Änderungen eintreten, kann das Vorliegen eines wichtigen Grundes bejaht werden. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er im Oktober 2005 aber vor-gehabt habe, zum 1.6.2012 mit Abschlag in Rente zu gehen. Er gibt an seine Planungen geändert zu haben, weil sich seine finanzielle Situation bzw. die seiner Familie nicht wie damals angenommen entwickelt habe. An der rentenrechtlichen Situation hat sich vorliegend zwischen dem Abschluss des Altersteilzeitvertrages und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit nichts geändert. Der Kläger ist auch bezüglich der rentenrechtlichen Situation keinem Irrtum unterlegen. Ihm war bereits vor Abschluss des Altersteilzeitvertrages bekannt und bewusst, dass der Bezug einer Rente ab dem 1.6.2012 nur mit Abschlag möglich ist. Im vom Kläger zitierten Urteil (BSG a.a.O.) ging es jedoch um die Frage, ob der dortige Kläger im Zeitpunkt der Altersteilzeitvertragsunterzeichnung davon ausgehen durfte, nahtlos Rente ohne Abschlag beziehen zu können. Nachdem der Kläger offensichtlich im Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitvertrages das nun studierende Kind schon hatte, musste er in seine finanziellen Planungen die Möglichkeit einbeziehen, dass dieses auch studieren würde und so ggf. länger gegen ihn Unterhaltsansprüche geltend macht. Der Kläger hat kein schützenswertes Recht sich darauf verlassen zu dürfen, dass sein Kind nicht studiert. Zwar hat sich durch die Ehescheidung und den damit verbundenen Versorgungsausgleich an der Höhe der an den Kläger auszuzahlenden Rente etwas geändert, allerdings hat sich nichts an dem Rentenabschlag bei frühzeitigem Renteneintritt geändert. Wäre der Kläger noch verheiratet, wäre die an ihn ausgezahlte Rente zwar höher, davon würden aber er und seine Frau leben. Nun ist der Rentenanspruch teilweise unmittelbar auf die Ehefrau übergegangen. Der Kläger wusste aber bereits im Oktober 2005, dass von seiner Rente auch seine Frau leben muss, ob nun mittelbar oder unmittelbar – auch hieran hat sich nichts geändert. Das dem Kläger eine Kündigung gedroht hätte, wurde zu keinem Zeitpunkt vorgetragen. Die Sperrzeit beginnt gem. § 159 Abs. 2 SGB III a. F. mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet. Die Beklagte hat vorliegend den Beginn der Sperrzeit mit dem 1.6.2012 zu Recht festgestellt. Gemäß § 159 Abs. 3 Satz 1 SGB III a. F. beträgt die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe zwölf Wochen. Das Vorliegen eines Tatbestands, der die Dauer der Sperrzeit gemäß § 159 Abs. 3 Satz 2 verkürzen würde, ist nicht erkennbar. Insbesondere bedeutet eine Sperrzeit von zwölf Wochen für den Kläger nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen keine besondere Härte. Gemäß § 148 Absatz 1 Nr. 4 SGB III mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe; in Fällen einer Sperrzeit von zwölf Wochen mindestens jedoch um ein Viertel der Anspruchsdauer, die dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, zusteht.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
Saved