L 5 R 2202/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 466/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2202/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28.04.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 22.06.1950 geborene Klägerin besuchte nach der allgemeinen Schulausbildung zunächst die Höhere Handelsschule. Nach kaufmännischen Tätigkeiten im väterlichen Betrieb und als selbständige Hausverwalterin absolvierte sie von 1987 bis 1989 eine Berufsausbildung zur Bürokauffrau. Im Anschluss war sie als Buchhalterin in wechselnden Beschäftigungsverhältnissen tätig. Im Zeitraum von 2004 bis 2007 war sie arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Zuletzt war sie von Juli 2007 bis Anfang 2008 wieder als Buchhalterin versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aus betrieblichen Gründen. Im Anschluss bezog sie Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid vom 15.11.2010 bewilligte die Beklagte Altersrente für Frauen ab dem 01.07.2010 monatlich in Höhe von 353,33 EUR. Der von der Klägerin hiergegen eingelegte Widerspruch ruht derzeit.

Bereits am 23.02.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, sie leide an einem chronischen Schmerzsyndrom mit Polyarthralgien im Sinne einer Fibromyalgie, einem Schlaf-Apnoe-Syndrom, chronischer Müdigkeit, einem Bluthochdruckleiden, einem Halswirbelsäulensyndrom sowie einem Zustand nach Bandscheibenvorfällen im Lendenwirbelsäulenbereich und einer Hausstauballergie. Die Beklagte ließ die Klägerin daraufhin begutachten. Im Gutachten vom 24.03.2009 benannte der Orthopäde Dr. S.-F. die Diagnosen chronisch lumbales Schmerzsyndrom bei beginnenden degenerativen Aufbraucherscheinungen der unteren Lendenwirbelsäule mit mäßiggradigen funktionalen Einschränkungen, ein chronisches Halswirbelsäulensyndrom sowie eine beginnende mediale Gonarthrose rechts mehr als links. Sowohl die letzte Tätigkeit als auch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne die Klägerin bei bedarfsgerechtem Wechsel der Arbeitshaltung noch in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Der Internist Dr. B. (Gutachten vom 31.03.2009) diagnostizierte eine tablettenbehandelte arterielle Hypertonie ohne Folgeerkrankungen, ein Schlaf-Apnoe-Syndrom sowie Adipositas per magna. Der Klägerin seien ihre letzte Tätigkeit sowie leichte und kurzzeitig mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zumutbar. Mit Bescheid vom 15.05.2009 lehnte die Beklagte sodann den Antrag der Klägerin ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 20.05.2009 Widerspruch ein. Die Beklagte holte daraufhin aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und zog eine gutachterliche Äußerung des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit (Dr. P.) vom 04.08.2009 bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2010 wies sie den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt, da weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliege. Auch Berufsunfähigkeit sei nicht gegeben, da die Klägerin ihren bisherigen Beruf noch ausüben könne.

Am 08.02.2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Beklagte habe nicht alle bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen berücksichtigt. Im Übrigen verharmlose das orthopädische Gutachten die bei der Klägerin bestehenden Beschwerden.

Das SG hat die Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Die Schmerztherapeutin Dr. B. gab in ihrem Bericht vom 22.04.2010 an, die Klägerin sei seit Februar 2010 bei ihr in Behandlung. Im Laufe der bisherigen Behandlung hätten sich die Rückenschmerzen deutlich gebessert. Die Schlafapnoe bedürfe dagegen weiterer Behandlung und sei derzeit auch leistungsbegrenzend. Eine fachspezifische Behandlung könne wohl noch eine gewisse Besserung bringen und damit wieder zur Arbeitsfähigkeit für leichte Tätigkeiten führen. Schweres Heben und Tragen, Arbeiten in ungünstigen Positionen sowie Überkopfarbeiten seien ihr nicht mehr zumutbar. Der Nervenarzt S. R. berichtete unter dem 25.04.2010, dass er die Klägerin insgesamt drei Mal behandelt habe, zuletzt im Juli 2009. Zum aktuellen Leistungsvermögen könne er keine Aussage machen. Zum damaligen Zeitpunkt hätten keine Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit bestanden, mit Ausnahme von Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und gefährlichen Maschinen. Der Orthopäde Dr. W. teilte in seiner am 29.04.2010 beim SG eingegangenen Auskunft mit, er habe die Klägerin zuletzt im Juli 2009 behandelt. Auf Grundlage der von ihm erhobenen Befunde könne die Klägerin noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte körperliche Tätigkeiten regelmäßig bis zu sechs Stunden täglich verrichten. Qualitativ seien Tätigkeiten, die das regelmäßige Heben und Bewegen von Lasten über 10 bis 15 kg, mit regelmäßigem Besteigen von Leitern, mit Fremd- oder Eigengefährdung, in nasser oder kalter Umgebung oder Zugluft, mit Zwangshaltungen des Oberkörpers oder in gebückter Stellung oder mit Überkopfarbeiten sowie Tätigkeiten überwiegend im Sitzen oder Stehen ausgeschlossen. Der Internist Dr. R. gab am 18.06.2010 an, er betreue die Klägerin seit Mai 2007 hausärztlich. Die Behandlung erfolge regelmäßig mit etwa zwei Kontakten im Monat. Es liege ein chronisches Schmerzsyndrom im Sinne einer Fibromyalgie vor. Die Klägerin könne nicht mehr regelmäßig arbeiten. Das chronische Schmerzsyndrom und die Schlafstörung mit chronischer Müdigkeit sowie das Rentenbegehren ergäben eine sehr ungünstige Prognose hinsichtlich der Herstellung der Arbeitsfähigkeit.

Vom 26.05.2010 bis 16.06.2010 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in B. W ... Im Entlassungsbericht werden die Diagnosen chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, rezidivierendes Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen der LWS, Fibromyalgiesyndrom, Niereninsuffizienz und obstruktives Schlafapnoe-Syndrom genannt. Zum psychischen Befund wird ausgeführt, dass hinsichtlich Bewusstsein und Wachheit, Gedächtnis und Orientierung, Denken, Intelligenz und Antrieb keine Auffälligkeiten vorlägen; die Psyche erscheine altersentsprechend unauffällig und geordnet. Hinsichtlich der Leistungsbeurteilung wird auf einen Bericht von Dipl.-Psych. S. vom Psychologischen Dienst der Rehaklinik vom 14.06.2010 verwiesen, wonach die Klägerin aufgrund der körperlichen Beschwerden drei bis sechs Stunden leistungsfähig sei.

Das SG hat daraufhin die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie I. O.-P. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 24.01.2011 wird angegeben, die Klägerin leide an einer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, die gediehen sei auf dem Boden orthopädisch-degenerativer Veränderungen. Mittlerweile liege eine periphere Polyneuropathie vor, die einen gewissen neuropathischen Schmerzanteil mitbedinge und es zeigten sich diskrete Wurzelreizzeichen L5. Darüber hinaus liege auf internistischem Fachgebiet eine Schlafapnoe vor, die zu vermehrter Tagesmüdigkeit führe, bei unzureichendem Einsatz des verordneten CPAP-Geräts. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei die Klägerin in der Lage noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten auszuüben, mit der Möglichkeit zur Wechselhaltung. Zwangshaltungen sollten vermieden werden. Aufgrund der peripheren Polyneuropathie sollten Arbeiten auf Leitern und Gerüsten nicht dauerhaft ausgeübt werden. Aufgrund der bekannten Schlafapnoesymptomatik und der arteriellen Hypertonie sollten Tätigkeiten in Tagesschicht ausgeübt werden mit klarer Tag/Nachtstrukturierung. Belastungen durch Hitze, Kälte, Nässe oder Zugluft sollten ausgenommen werden. Die Klägerin zeige ein hohes Intelligenzniveau und sei in der Lage, Arbeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung und mit Verantwortung für Personen oder Maschinen zu übernehmen. Unter Beachtung der qualitativen Einschränkungen sei die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig einsetzbar. Zusätzlicher Pausen bedürfe es nicht. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liege nicht vor.

Die Klägerin hat Einwendungen gegen das Gutachten erhoben. Insoweit wird auf Bl. 120 bis 133 der SG-Akte verwiesen.

Mit Urteil vom 28.04.2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Zwar könne die Klägerin ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Buchhalterin nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Sie könne jedoch zumutbar auf eine Tätigkeit als Registrator im Öffentlichen Dienst verwiesen werden. Die Tätigkeit als Buchhalterin sei wegen der vorwiegend sitzenden Arbeitshaltung nicht mehr zumutbar. Es handele sich zwar um eine körperlich leichte, jedoch überwiegend sitzende Tätigkeit. Nach dem im Verwaltungsverfahren eingeholten orthopädischen Gutachten von Dr. S.-F. bedürfe es einer wechselnden Arbeitshaltung, die bei einer Tätigkeit als Buchhalterin nicht gegeben sei. Dies führe jedoch nicht zur Berufsunfähigkeit, da die Klägerin sozial und gesundheitlich zumutbar auf die Tätigkeit eines Registrators verwiesen werden könne. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt (LSG Baden-Württemberg Urt. v. 23.01.2007 – L 11 R 4310/06), dass eine solche Tätigkeit für Facharbeiter zumutbar sei. Die Klägerin verfüge über Kenntnisse, die es ihr ermöglichten, qualifizierte Tätigkeiten in der Registratur in einer dreimonatigen Einarbeitungszeit zu erlernen. Die Tätigkeit sei auch gesundheitlich zumutbar, da ein Wechsel der Körperhaltungen möglich sei. Nach den medizinischen Ermittlungen seien der Klägerin weiterhin Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden täglich möglich. Die Leistungseinschätzung der Gutachterin O.-P. sei aufgrund der Angaben der Klägerin zu Tagesstrukturierung und Medikation und aufgrund des erhobenen psychischen Befundes schlüssig und nachvollziehbar. Die Einwände der Klägerin könnten die Überzeugung des Gerichts nicht erschüttern. Gleiches gelte für die Leistungsbeurteilung im Reha-Entlassungsbericht. Die Ausführungen seien in sich nicht schlüssig.

Am 30.05.2011 hat die Klägerin gegen das ihrem Prozessbevollmächtigen am 09.05.2011 zugestellte Urteil beim LSG Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, schon aus dienstrechtlichen Gründen sei es der Klägerin nicht möglich, den Beruf des Registrators im Öffentlichen Dienst auszuüben. Aufgrund ihres Alters werde die Klägerin nicht mehr eingestellt. Aber auch aus gesundheitlichen Gründen sei ihre diese Tätigkeit nicht zumutbar. Vor dem Hintergrund der von den Ärzten angegebenen Diagnosen erscheine es ausgeschlossen, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine vollschichtige Tätigkeit ausüben könne. Von entscheidender Bedeutung sei die Einschätzung der Reha-Klinik in B. W ... Danach sei sie nicht nur in Bezug auf ihren Beruf, sondern auch hinsichtlich leichter Tätigkeiten erwerbsgemindert.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28.04.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 15.05.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat die Beklagte auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen.

Das LSG hat am 11.01.2012 einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das LSG sodann Prof. Dr. B., Direktor der Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums H., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 06.10.2012 werden die Gesundheitsstörungen chronisches Schmerzsyndrom nozizeptiver und neuropathischer Natur (gemischter Schmerz), Gonarthrose bds. mehr rechts als links, chronische Schlafstörung, obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom, Hypertonus, Adipositas per magna, Depression und drop attacks genannt. Leichte Tätigkeiten seien möglich, allerdings ohne Heben von Gewichten über 5 kg, Arbeiten in Nässe und Kälte sowie unter Zugluft, Überkopfarbeiten bzw. Arbeiten in Zwangshaltung, ohne Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten oder an Maschinen, die eine über das übliche Maß hinausgehende Aufmerksamkeit erforderten. Die Arbeitsstelle solle einen Wechsel der Körperposition ermöglichen, wobei ausreichende Möglichkeiten und Zeit für entsprechende Erholungsphasen gewährleistet sein müssten. Aufgrund der chronischen Schmerzen und der Tagesmüdigkeit sei die Klägerin nicht zur konzentrierten Arbeit in der Lage, insbesondere auch nicht unter Zeitdruck. Dementsprechend sollten Aufgaben und Entscheidungsprozesse mit höhergradiger Verantwortlichkeit vermieden werden. Die psychische Belastbarkeit sei hochgradig eingeschränkt, so dass die Übertragung einer verantwortlichen Tätigkeit ohne Gefährdung ihrer selbst und ihrer Umwelt nicht zu verantworten sei. Die Klägerin sei nur noch in der Lage leichte Arbeiten im Umfang von drei bis weniger als sechs Stunden pro Tag auszuüben. Diese Beurteilung beruhe auf der spezifischen Schmerzsymptomatik, berücksichtige die auf orthopädischem Gebiet festgestellte Funktionseinschränkung und die durch die chronische Schmerzkrankheit mit verursachte psychische Beeinträchtigung in der klinischen Form einer diagnostizierten Depression. Die Leistungseinschränkung bestünde seit August 2009. Eine nachhaltige Besserung sei nicht zu erwarten.

Die Gutachterin O.-P. hat zu dem Gutachten von Prof. Dr. B. ergänzend unter dem 04.03.2013 Stellung genommen und ausgeführt, vor dem Hintergrund der von der Klägerin ihr gegenüber geschilderten Tagesaktivitäten gebe es keine Begründung für die Annahme quantitativer Einschränkungen. Auch nach Vorlage des Gutachtens von Prof. Dr. B. gebe es keine Veranlassung von dem Ergebnis ihres Gutachtens abzuweichen.

In der mündlichen Verhandlung vom 07.08.2013 hat die Klägerin beantragt, Prof. Dr. B. zu einer ergänzenden Stellungnahme zu den Ausführungen der Gutachterin O.-P. aufzufordern. Die mündliche Verhandlung wurde daraufhin vertagt und bei Prof. Dr. B. eine Stellungnahme angefordert. Im Schreiben vom 15.10.2013 führte Prof. Dr. B. aus, wesentliche neue Erkenntnisse ergäben sich aus der ergänzenden Stellungnahme der Gutachterin O.-P. nicht. In der Beurteilung der neurologisch/psychiatrischen Situation stimme er mit der Gutachterin weitgehend überein. Die von ihm angeführten Leistungseinschränkungen basierten nicht auf psychiatrischen Störungen, sondern auf körperlichen Erkrankungen in Kombination mit chronischen Schmerzen und daraus resultierenden funktionellen Störungen der körperlichen Beweglichkeit. Obwohl das fachneurologisch-psychiatrische Gutachten die präferentielle Bedeutung der orthopädisch feststellbaren, organischen Veränderungen (Wirbelsäule, Gelenk, Muskulatur) betone, würden die damit verbundenen chronischen Schmerzen in ihrer Schwere und ihrer Bedeutung nicht adäquat beurteilt. Daran habe auch die aktuelle Stellungnahme von Frau O.-P. nichts geändert. Aus seiner Sicht sei die Klägerin in der Lage, leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Die entsprechenden Bedingungen seien in seinem Gutachten dargestellt. Anzumerken sei, dass die Diagnose einer "klinisch signifikanten Depression" (entsprechend dem Beck´schen Depressionsinventar) das Ergebnis des Gutachtens von Frau O.-P. sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 15.05.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung ergeben sich aus § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl. I 554). Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist, weil sie noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Die Klägerin leidet an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einer peripheren Polyneuropathie, einem rezidivierenden Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen der LWS mit diskreten Wurzelreizzeichen L5, chronischem Halswirbelsäulensyndrom, Gonarthrose bds., Hypertonus, Adipositas per magna und einer Schlaf-Apnoe bei verordnetem CPAP-Gerät. Dies entnimmt der Senat dem Gerichtsgutachten der Nervenärztin I. O.-P. und den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Internist Dr. B. und Orthopäde Dr. S.-F ...

Soweit der Gutachter Prof. Dr. B. darüber hinaus eine Depression aufführt, ist der Senat vom Vorliegen einer solchen Gesundheitsstörung in relevantem Ausmaß nicht überzeugt. Die nervenfachärztliche Gutachterin I. O.-P. stellte eine solche Diagnose nicht. Die Befunderhebung ergab, dass die Klägerin affektiv zwar klagsam, aber gut schwingungsfähig ist. Eine vital-einschränkende depressive Symptomatik war nicht feststellbar. Auch die testpsychologische Untersuchung ergab einen Punktwert lediglich im beginnenden signifikanten Bereich. In ihrer ergänzenden Stellungnahme bestätigte die Gutachterin sodann nochmals, dass eine krankheitswertige depressive Symptomatik bei der Klägerin nicht aufgezeigt werden konnte. Prof. Dr. B. benennt zwar die Diagnose "Depression" in seiner Antwort auf die Beweisfrage, welche Gesundheitsstörungen bei der Klägerin vorliegen. In der erstellten Übersicht zur Untersuchung der Klägerin werden aber weder entsprechende Befunde noch die Diagnose selbst aufgeführt. Auch aus seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.10.2013 ergibt sich dies nicht. Im Entlassungsbericht über die Rehabilitation in B. W. vom 28.06.2010 wird unter der Rubrik "Diagnosen" ebenfalls keine Depression aufgeführt. Dies ist nachvollziehbar vor dem Hintergrund, dass sich die Feststellungen des Psychologischen Dienstes vom 14.06.2010 lediglich auf die eigenen Angaben der Klägerin im Gesundheitsfragebogen stützen, wohingegen die psychische Befunderhebung auch dort keine Auffälligkeiten ergab.

Soweit im Gutachten von Prof. Dr. B. und vom Nervenarzt Dr. R. außerdem noch sog. drop attacks (plötzliche Sturzattacken) benannt werden, kann dahin gestellt bleiben, ob insoweit eine Gesundheitsstörung vorliegt. Beide Ärzte sehen hierin nicht die Ursache für eine quantitative Leistungseinschränkung, sondern lediglich Einschränkungen in Bezug auf Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an gefährlichen Maschinen.

Aufgrund der genannten Gesundheitsstörungen ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten im ständigen Stehen, ständigen Gehen oder ständigen Sitzen, mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, in Zwangshaltungen, auf Leitern und Gerüsten, unter Schichtbedingungen ohne klare Tag/Nachtstrukturierung und mit Einwirkung von Hitze, Kälte, Zugluft und Nässe auszuüben. Unter Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen kann sie aber jedenfalls noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit der Möglichkeit zur Wechselhaltung mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten der Nervenärztin I. O.-P. und den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. B. und Dr. S.-F ... Vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde und der anamnestischen Angaben der Klägerin sind die Leistungseinschätzungen der genannten Gutachter für den Senat schlüssig und widerspruchsfrei.

Die nervenfachärztliche Gerichtsgutachterin I. O.-P. stellte im Rahmen der psychiatrischen Befunderhebung fest, dass die Klägerin wach und orientiert ist. Störungen der Aufmerksamkeit oder Konzentration konnte die Gutachterin nicht feststellen. Formale oder inhaltliche Denkstörungen oder Wahrnehmungsstörungen liegen nicht vor. Der Antrieb ist ungestört. Affektiv ist die Klägerin etwas klagsam, aber gut schwingungsfähig. Stärkere Beeinträchtigungen, insbesondere solche, die auf eine relevante depressive Erkrankung hindeuten, liegen nicht vor. Auch Defizite im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit, die den Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen bestimmen (LSG Baden-Württemberg Urt. v. 14.12.2010 – L 11 R 3243/09, v. 20.07.2010 – L 11 R 5140/09 und v. 24.09.2009 – L 11 R 742/09), konnte die Gutachterin nicht in relevantem Ausmaß feststellen. Die Klägerin gab gegenüber der Gutachterin an, dass die seit 2009 bestehende Ehe gut sei. Als Hobbys benannte sie Gedichte und Kurzgeschichten Schreiben und Reiten. Sie gab an, gerne mit dem Hund spazieren zu gehen. Sie interessiert sich für Fußball und Eishockey und besucht Eishockeyspiele. Zum Tagesablauf gab sie zwar unregelmäßige Schlafens- und Essenszeiten an. Dennoch schilderte sie eine aktive Tagesgestaltung mit Besorgungen für den Haushalt, Einkaufen mit dem Ehemann, Kochen und mit dem Hund Spazierengehen. Zu den therapeutischen Bemühungen, die auf den sich aus der Schmerzstörung ergebenden Leidensdruck schließen lassen, gab die Klägerin an, seit Oktober 2010 eine Psychotherapie zu machen, die eine gute Wirkung habe. Im Zeitpunkt der Begutachtung befand sich die Klägerin nicht mehr in schmerztherapeutischer Behandlung und stellte sich nur vereinzelt ihrem Nervenarzt vor. Die Gutachterin I. O.-P. kommt vor dem Hintergrund dieser geschilderten Feststellungen für den Senat nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin quantitativ nicht eingeschränkt ist.

Bestätigt wird diese Leistungseinschätzung vom Nervenarzt der Klägerin S. R ... Er konnte zwar im Zeitpunkt seiner Befragung (April 2010) keine Leistungseinschätzung vornehmen, da er die Klägerin zuletzt im Juli 2009 behandelt hatte. Zum damaligen Zeitpunkt hätten jedoch keine Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit bestanden, mit Ausnahme von Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und gefährlichen Maschinen.

Dem Gutachten von Prof. Dr. B. (einschließlich seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.10.2013) kann vor dem Hintergrund der Feststellungen der Gutachterin I. O.-P., die sie in Kenntnis des weiteren Gutachtens nochmals bestätigt hat, nicht gefolgt werden. Der Gutachter begründet die Leistungseinschränkung in zeitlicher Hinsicht u.a. damit, dass die Klägerin an einer Depression leide. Der Senat ist vom Vorliegen einer solchen Erkrankung relevanten Ausmaßes allerdings nicht überzeugt (s.o.). Darüber hinaus können seinem Gutachten keine objektivierbaren Hinweise auf den Schweregrad der Beeinträchtigungen der Klägerin durch die Schmerzerkrankung entnommen werden. Das Gutachten enthält keine Schilderung des Tagesablaufs und auch keine Angaben zum allgemeinen Interessenspektrum und zur sozialen Interaktionsfähigkeit der Klägerin. Allein aus den Angaben der Klägerin im Schmerzfragebogen der "Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie" kann nicht auf eine quantitative Erwerbsminderung geschlossen werden, zumal die Gutachterin I. O.-P. eine gewisse Diskrepanz zwischen der Beschwerdeschilderung und tatsächlicher körperlicher und psychischer Beeinträchtigung in der Untersuchungssituation feststellte. Die Schilderungen der Klägerin blieben unpräzise ausweichend und es fehlte eine gewisse Modulierbarkeit der beklagten Schmerzen. Die geschilderten Aktivitäten des täglichen Lebens und das Fehlen angemessener Therapiemaßnahmen deckten sich nicht mit dem Ausmaß der geschilderten Beschwerden.

Auch die Einschätzung des Psychologischen Dienstes der Rehabilitationsklinik in B. W. kann vor diesem Hintergrund nicht überzeugen. Die vorgenommene Einschätzung beruht allein auf den subjektiven Angaben im Gesundheitsfragebogen, wobei die Beschwerdeangaben der Klägerin unkritisch übernommen und bei der Leistungseinschätzung übersehen wurde, dass die psychiatrische Befunderhebung keine Auffälligkeiten gezeigt hatte.

Auch von Seiten der Gesundheitsstörungen auf internistischem Fachgebiet kann nicht auf eine zeitliche Limitierung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin geschlossen werden. Der internistische Gutachter im Verwaltungsverfahren Dr. B. (Gutachten vom 31.03.2009) diagnostizierte eine tablettenbehandelte arterielle Hypertonie ohne Folgeerkrankungen, ein Schlaf-Apnoe-Syndrom sowie Adipositas per magna. Schlüssig und nachvollziehbar gelangt er vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde zu dem Ergebnis, dass der Klägerin jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zumutbar sind. Vor diesem Hintergrund kann die ohne eingehende Begründung gebliebene Leistungseinschätzung des Hausarztes der Klägerin, Dr. R., nicht überzeugen. Auch die sachverständige Zeugenaussage der Schmerztherapeutin Dr. B. kann nicht als Nachweis einer relevanten Leistungsminderung dienen, da die angenommene Leistungsbegrenzung infolge der Schlaf-Apnoe-Erkrankung weder quantifiziert noch näher begründet wird. Anderes ergibt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht aus den Ausführungen von Prof. Dr. B., wonach der durch die Schlaf-Apnoe-Erkrankung verursachte Sauerstoffmangel nicht durch eine erneute Anpassung der CPAP-Beatmung (zuletzt November 2011) behoben werden könne. Maßgeblich für die Annahme einer Leistungsminderung aufgrund der Schlaf-Apnoe-Erkrankung sind die objektivierbaren Auswirkungen der Erkrankung in Form einer relevanten Tagesmüdigkeit. Keiner der Gutachter konnte während der Begutachtungssituation Ermüdungszustände bei der Klägerin beobachten. Die Gutachterin I. O.-P. stellte vielmehr eine ungestörte Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit fest. Prof. Dr. B. schildert hierzu keine gegenteiligen Beobachtungen. Im Übrigen führt der Gutachter selbst die Schlaf-Apnoe-Erkrankung nicht als Grund für die angenommene quantitative Leistungsminderung an (s. Antwort zur dritten Beweisfrage). Gegen relevante Beeinträchtigungen spricht schließlich die Tatsache, dass die Klägerin das CPAP-Gerät nicht regelmäßig benutzt. Gegenüber den Ärzten des T. (Abteilung für Schlafmedizin) gab sie im November 2011 an, das Gerät zuletzt im Juni 2011 eingesetzt zu haben.

Auf orthopädischem Fachgebiet liegen ebenfalls keine Erkrankungen vor, welche die Annahme eines zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens rechtfertigen könnten. Der orthopädische Gutachter im Verwaltungsverfahren Dr. S.-F. hat ein chronisches lumbales Schmerzsyndrom bei beginnenden degenerativen Aufbraucherscheinungen der unteren Lendenwirbelsäule mit mäßiggradigen funktionalen Einschränkungen, ein chronisches Halswirbelsäulensyndrom sowie eine beginnende beidseitige mediale Gonarthrose festgestellt. Auf Grundlage der erhobenen Befunde gelangt er für den Senat schlüssig und nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass die Klägerin jedenfalls noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei bedarfsgerechtem Wechsel der Arbeitshaltung in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Dem stehen die von der Gutachterin I. O.-P. festgestellten Wurzelreizzeichen L5 nicht entgegen, da diese lediglich diskret in Erscheinung traten und weitere neurologische Ausfälle infolge der Wirbelsäulenerkrankung nicht feststellbar waren. Die Leistungseinschätzung von Dr. S.-F. wird in quantitativer Hinsicht von dem Orthopäden der Klägerin, Dr. W., bestätigt.

Die bei der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen, die sämtlich nicht ungewöhnlich sind, lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass sie noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Aus ihnen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Die Wegefähigkeit ist ebenfalls nicht eingeschränkt (zu den Voraussetzungen: BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 19.11.1997, 5 RJ 16/97, SozR 3-2600 § 44 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R, juris). Die Klägerin ist noch in der Lage, eine Gehstrecke von 500 m innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen und auch öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu nutzen. Keiner der Gutachter berichtet insoweit von Einschränkungen. Insbesondere führen nach den Feststellungen der Gutachterin I. O.-P. weder die periphere Polyneuropathie an den unteren Extremitäten noch die diskreten Wurzelzeichen L5 zu einer Limitierung der Wegstrecke.

Damit liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht vor. Die Klägerin hat keinen Anspruch nach § 43 SGB VI.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist gemäß § 240 Abs. 2 Satz 3 SGB VI stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist gemäß § 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin mit dem oben aufgezeigten Leistungsbild noch in der Lage, ihre letzte Tätigkeit als Buchhalterin im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Bestätigt wird diese Leistungseinschätzung von den Gutachtern Dr. S.-F. und Dr. B ... Soweit die Gutachterin I. O.-P. die Möglichkeit zur Wechselhaltung anführt, steht diese qualitative Leistungseinschränkung einer Tätigkeit als Buchhalterin nicht entgegen. Wie andere Bürotätigkeiten zwingt die Tätigkeit als Buchhalterin nicht zum ständigen Sitzen. Die Tätigkeit als Buchhalterin ist eine körperlich leichte Tätigkeit, die zwar überwiegend im Sitzen verrichtet wird (vgl. Gutachten der Regionaldirektion Bayern der Agentur für Arbeit vom 25.10.2004 im Verfahren SG Landshut S 11 RA 305/01, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Dies schließt jedoch die Möglichkeit des zeitweiligen Aufstehens und Umhergehens nicht aus. Eine wechselnde Arbeitshaltung ist außerdem durch den Einsatz ergonomischer Arbeitsplatzausstattungen möglich (zum Bürokaufmann vgl. Stellungnahme des Landesarbeitsamts Hessen vom 20.09.2010 im Verfahren SG Fulda, S 3 R 138/09, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Jedenfalls aber wäre die Klägerin zumutbar auf die Tätigkeit als Registratorin verweisbar. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit besteht nicht bereits dann, wenn der bisherige Beruf (Hauptberuf) nicht mehr ausgeübt werden kann, sondern erst, wenn der Versicherte nicht auf eine zumutbare andere Tätigkeit verwiesen werden kann. Das Bundessozialgericht hat zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung zumutbarer Verweisungstätigkeiten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55; Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 240 SGB VI Rn. 24 ff. mwN) ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in Gruppen untergliedert. Diese werden durch die Leitberufe eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion (und diesem gleichgestellten besonders hoch qualifizierten Facharbeiters), eines Facharbeiters, der einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer anerkannten Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren, regelmäßig drei Jahren ausübt, eines angelernten Arbeiters, der einen Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren ausübt, und eines ungelernten Arbeiters charakterisiert. Dabei wird die Gruppe der angelernten Arbeiter nochmals in die Untergruppen der "oberen Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu 24 Monaten) und "unteren Angelernten" (Ausbildungs- oder Anlernzeit von mindestens drei bis zu zwölf Monaten) unterteilt. Kriterien für eine Einstufung in dieses Schema sind dabei die Ausbildung, die tarifliche Einstufung, die Dauer der Berufsausbildung, die Höhe der Entlohnung und insbesondere die qualitativen Anforderungen des Berufs. Eine Verweisung ist grundsätzlich nur auf eine Tätigkeit der jeweils niedrigeren Gruppe möglich. Ferner ist erforderlich, dass der Versicherte die für die Verweisungstätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb einer bis zu drei Monaten dauernden Einarbeitung und Einweisung erwerben kann (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 23). Bei Angestelltenberufen werden ebenfalls Stufen gebildet und auch die Verweisbarkeit richtet sich nach den aufgezeigten Grundsätzen. Auf der untersten Ebene (Stufe 1) sind dies Tätigkeiten unausgebildeter bzw. nur kurzzeitig eingearbeiteter Angestellter, deren Anforderungsprofil keine über die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht hinausgehenden Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert (vgl. BSG Urt. v. 24.03.1998 - B 4 RA 44/96 R, juris). Es folgen (Stufe 2) Angestelltenberufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren und danach (Stufe 3) solche mit einer längeren, regelmäßig dreijährigen Ausbildung (vgl. BSG Urt. v. 13.12.1984 - 11 RA 72/83 - BSGE 57, 291 = SozR 2200 § 1246 Nr. 126). Weitere Gruppen bilden Angestelltenberufe, welche die Meisterprüfung oder den erfolgreichen Abschluss einer Fachschule (Stufe 4), oder ein abgeschlossenes Studium an einer Fachhochschule bzw. wissenschaftlichen Hochschule (Stufe 5) voraussetzen. Schließlich kann für Führungspositionen, die ein Hochschulstudium erfordern und deren Bezahlung die Beitragsbemessungsgrenze erreicht oder überschreitet, eine weitere Gruppe gebildet werden (Stufe 6) (vgl. BSG Urt. v. 22.02.1990 - 4 RA 16/89 - BSGE 66, 226 = SozR 3-2200 § 1246 Nr. 1 mwN).

Nach diesem Mehrstufenschema ist die Klägerin als gelernte Bürokauffrau in die Stufe 3 der Angestelltenberufe einzustufen. Damit kann die Klägerin auf Tätigkeiten der nächst niedrigeren Berufsgruppe des genannten Mehrstufenschemas bzw. auf solche Tätigkeiten verwiesen werden, die eine betriebliche Anlernzeit von wenigstens 3 Monaten erfordern oder sich aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten nach der tariflichen Eingruppierung durch den Arbeitgeber bzw. der tarifvertraglichen Eingruppierung oder auf Grund besonderer qualitativer Merkmale hervorheben und deshalb einer Anlerntätigkeit gleichstehen, wobei die Klägerin imstande sein muss, die Tätigkeit nach einer Einweisungszeit von höchstens 3 Monaten vollwertig zu verrichten. All das ist hinsichtlich der Tätigkeit des Registrators der Fall. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts und nimmt insoweit auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG) und sieht von einer eigenen Begründung ab.

Zum Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren ist ergänzend auszuführen, dass kein Grund ersichtlich ist, warum der Klägerin der Zugang zum Verweisungsberuf verschlossen sein sollte. Zur Überzeugung des Senats sind ausreichend Stellen für Registratoren auf dem Arbeitsmarkt vorhanden (zuletzt Urt. d. Senats vom 15.03.2011 – L 5 R 4032/10). Nach aktuellen Feststellungen des 13. Senats des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 25.09.2012 (L 13 R 6087/09, juris) gibt es allein im süddeutschen Raum im Bereich des Öffentlichen Dienstes, der gesetzlichen Krankenkassen sowie der privaten Versicherungsunternehmen und Bausparkassen eine signifikante Anzahl an entsprechenden Beschäftigungsverhältnissen jenseits der 500, die keine (spezifische) abgeschlossene Berufsausbildung und eine Anlernzeit von maximal drei Monaten erfordern. Das Vorhandensein einer nennenswerten Zahl entsprechender Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt belegt im Übrigen auch die tarifvertragliche Erfassung dieser Tätigkeit im Änderungstarifvertrag Nr. 4 vom 02.01.2012 zum TV-L. Gegenstand dieses Änderungstarifvertrages ist die Entgeltordnung zum TV-L BW, über welche sich die Tarifvertragsparteien am 10.03.2012 geeinigt haben. Diese sieht in ihrem Teil II "Tätigkeitsmerkmale für bestimmte Beschäftigtengruppen" Ziff. 16 detaillierte Eingruppierungsregelungen für Beschäftigte in Registraturen vor, die sich über 8 Entgeltgruppen erstrecken. Vor dem Hintergrund der Einschätzungsprärogative, die den Tarifvertragsparteien bezüglich der Arbeitswirklichkeit zuzuerkennen ist (vgl. BSG Urt. v. 12.09.1991, 5 RJ 34/90, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17, juris-Rn. 22), dokumentiert bereits diese tarifvertragliche Erfassung die Existenz einer ausreichenden Anzahl an entsprechenden Arbeitsplätzen (LSG Baden-Württemberg Urt. v. 25.09.2012 – L 13 R 6087/09, juris).

Der Ausübung der Tätigkeit als Registrator stehen auch keine gesundheitlichen Umstände entgegen. Das gesundheitliche Belastungsprofil der Tätigkeit ist geprägt durch Arbeiten im Wechselrhythmus von Sitzen, Gehen und Stehen mit gewisser Regelmäßigkeit bei leicht überwiegender sitzender Tätigkeit. In körperlicher Hinsicht sind überwiegend leichte Tätigkeiten zu verrichten. Schweres Heben und Tragen ist nicht notwendig, auch mittelschwere Arbeiten fallen typischerweise nicht an; ggf. muss mit Aktenstücken bis 10 kg Gewicht umgegangen werden, wobei diese bei Einsatz der in den Registraturen regelmäßig zur Verfügung stehen Hilfsmittel (wie Registraturwagen, Ablagemöglichkeiten u.a.) nicht gehoben und getragen werden müssen. Die Gewichtsgrenze der zu bewältigenden Lasten wird bei 5 kg liegen. In Einzelfällen mögen das Heben und Tragen von Lasten bis zu 5 kg (Stehordner, gebündelte Akten), kurzzeitige Zwangshaltungen, wie Überkopfarbeiten durch das Einstellen von Ordnern in Regale, und je nach Registratur auch das kurzzeige Steigen auf Stehleitern vorkommen. Die körperlichen Belastungen hängen aber weitgehend von der jeweiligen Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsorganisation ab; das Handhaben schwererer Aktenvorgänge, Zwangshaltungen oder häufige Überkopfarbeiten und das (eigentliche) Arbeiten auf Leitern (über das kurzzeitige Steigen auf Stehleitern zur Einstellung von Aktenstücken in Regale hinaus) ist nicht generell mit der Tätigkeit einer Registraturkraft verbunden. Besonderen psychischen Belastungen sind Registratoren nicht ausgesetzt (vgl. zu den körperlichen Anforderungen insgesamt: Urt. d. Senats vom 15.03.2011 – L 5 R 4032/10, mwN und Urt. d. 13. Senats aaO). Diesen Anforderungen kann die Klägerin nach dem oben aufgeführten Leistungsvermögen genügen.

Der Sachverhalt ist zur Überzeugung des Senats vollständig aufgeklärt. Die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Der Senat hält deshalb weitere Ermittlungen, nicht mehr für erforderlich. Die vorliegenden Gutachten von I. O.-P., Dr. B. und Dr. S.-F. haben in Verbindung mit den vorliegenden Auskünften der als sachverständige Zeugen befragten behandelnden Ärzte sowie den auch von der Klägerin vorgelegten Arztunterlagen dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbare inhaltliche Widersprüche und sie geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren von Amts wegen nicht mehr notwendig. Der Senat sah sich deshalb auch nicht veranlasst, die Gutachter I. O.-P. und Prof. Dr. B. zur mündlichen Verhandlung zu laden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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