L 5 R 3194/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 4626/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3194/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27.06.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2010 abgeändert.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger ausgehend von einem Leistungsfall am 01.01.2013 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.07.2013 bis zum 30.04.2016 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren, im Übrigen werden Kosten nicht erstattet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1965 geborene Kläger ist ledig ohne Kinder. Er hat keinen Beruf erlernt und war bis November 2007 als Produktionsmitarbeiter in der Tofuherstellung versicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist er arbeitslos. Er hat einen anerkannten Grad der Behinderung von 100 (seit 02.06.2010) mit den Merkzeichen G und aG. Der Kläger ist Rollstuhlfahrer und bewohnt zusammen mit seiner Mutter und seinem ältesten Bruder eine Wohnung in einem Mehrparteienhaus mit Aufzug.

Wegen seit Juli 2003 bestehender erheblicher Kopfschmerzattacken absolvierte der Kläger auf Veranlassung des behandelnden Schmerztherapeuten in der Zeit vom 07.09.2006 bis zum 05.10.2006 eine medizinische Rehabilitationsbehandlung in der M.-B.-Klinik K ... Im Entlassungsbericht vom 10.10.2006 wurden als Diagnosen angegeben 1. dissoziative Störungen gemischt, 2. Hemikranie, 3. emotional instabile Persönlichkeitsstörung. Das Restleistungsvermögen wurde angegeben mit sechs Stunden und mehr für die letzte Tätigkeit als Produktionsarbeiter sowie sechs Stunden und mehr für mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Im Bericht war unter den reha-relevanten Vorerkrankungen ein Suizidversuch im Jahr 1989 im Zusammenhang mit Problemen in der Bundeswehrzeit erwähnt. Danach sei eine stationäre psychiatrische Behandlung erfolgt.

Am 26.01.2007 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, bei dem er sich eine Verletzung des rechten Schultergelenks zuzog. Anfang April 2008 stürzte der Kläger und erlitt ein OSG-Distorsionstrauma links. Am 21.04.2008 stellte der Kläger einen ersten Rentenantrag. In der Zeit vom 09.05.2008 bis zum 18.05.2008 befand sich der Kläger wegen exazerbierter Rückenschmerzen und Schulterschmerzen in stationärer Behandlung in der S.-Klinik B. B., wo eine schwere somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert wurde. Beschrieben wurde im Entlassungsbericht vom 02.06.2008, dass der Kläger wegen Rückenschmerzen und Taubheitsgefühl im Bereich beider Füße an zwei Gehstützen gehe. Der Rentenantrag wurde im November 2008 abgelehnt.

Vom 12.03.2009 bis 16.04.2009 war der Kläger zur stationären Rehabilitation in den Neurologischen Kliniken Dr. S. in A ... Im Entlassungsbericht vom 16.04.2009 wurden eine Briquet-Störung, eine larvierte mittelschwere Depression, chronische Schmerzen bei biosozialen Konsequenzen, eine Störung der zentralen Schmerzverarbeitung und chronischer Cluster-Kopfschmerz diagnostiziert. Die Leistungsfähigkeit in angelernter Akkordarbeit am Fließband wurde mit unter drei Stunden arbeitstäglich angegeben. Leichte, überwiegend sitzende Tätigkeiten in Tagschicht könnten über sechs Stunden täglich ausgeübt werden. Der Kläger habe sich an Krücken frei im Haus bewegen können und sei auch bei sozialen Aktivitäten und in der Stadt gesichtet worden. Der von ihm gewünschte Rollstuhl werde für kontraindiziert gehalten und sei deshalb nicht rezeptiert worden.

Am 25.09.2009 beantragte der Kläger erneut Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten wegen Clusterkopfschmerz, Migräne, Polyneuropathie, Bandscheibenleiden und Arthrose am rechten Arm. Die Beklagte ließ den Kläger darauf hin nervenärztlich von Frau B. und orthopädisch von Dr. R. begutachten.

In seinem Gutachten vom 27.10.2009 diagnostizierte Dr. R. ein wiederkehrendes Lendenwirbelsäulen-Syndrom bei Bandscheibendegenerationen, ein Schulter-Arm-Syndrom rechts und einen Zustand nach Operation einer Bizepssehnenruptur rechts. Die Leistungsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten liege bei arbeitstäglich sechs Stunden und mehr. Das Gangbild des Klägers beschrieb er als kleinschrittig, beidseits schleifend, und beurteilte es als unspezifisch und nicht orthopädisch erklärbar. Unter Darlegung unauffälliger Befunde der Beinmuskulatur und des Schuhwerks bejahte er die Wegefähigkeit des Klägers und empfahl zugleich Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

In ihrem Gutachten vom 02.11.2009 diagnostizierte die Nervenärztin Bechert ergänzend eine dissoziative Störung und chronische Halbseiten-Kopfschmerzen (am ehesten Migräne). Sie benannte ferner anamnestisch Hinweise auf axonal-demyelinisierende Neuropathie, Vitamin-B12-Mangel und Zustand nach Sprunggelenksfraktur rechts 1983. Der Kläger sei zu Fuß vom nah gelegenen Wohnort zur Untersuchung gekommen. Im Vordergrund der Beeinträchtigungen stünde ein breitbeiniges außenrotiertes Gangbild, bei dem die Beine kaum angehoben, sondern aus der Hüfte nach vorne geschoben werden. Der Kläger verwende fakultativ zwei Unterarmgehstützen. Ohne sie und bei den erschwerten Gangarten trete ein ausgeprägtes Schwanken und Torkeln ohne wirkliche Sturzgefahr auf. Beim An- und Auskleiden habe der Kläger völlig sicher frei stehen können ohne zu schwanken. Außerhalb des Hauses erscheine das Gangbild deutlich flotter. Als Ursache dieser Störung komme primär eine psychogene Genese in Betracht, eventuell auch ein Vitamin B12-Mangel. Der Kläger könne mit Hilfe der Unterarmgehstützen viermal täglich eine Gehstrecke von 500 Metern zurücklegen. Der bisherige Beruf als Produktionsmitarbeiter in der Tofuherstellung könne nicht mehr drei Stunden arbeitstäglich ausgeübt werden. Dem positiven Leistungsbild des Gutachters Dr. R. schloss sie sich an. Die Arbeiten seien in überwiegend sitzender Haltung auszuführen.

Mit Bescheid vom 04.11.2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger trotz der festgestellten Erkrankungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag erwerbsfähig sei.

Am 19.11.2009 erhob der Kläger gegen diese Entscheidung Widerspruch. Zur Begründung wies er auf seine Ganzkörperschmerzen insbesondere im Bereich der Beine und die dadurch stark beeinträchtigte Gehfähigkeit hin. Er wohne nur "wenige hundert Meter" von der Begutachtungsstelle der Beklagten entfernt. Aus seinem Gang zur Untersuchung und zurück sei daher nicht auf eine ausreichende Wegefähigkeit zu schließen.

Befragt zur Wegefähigkeit des Klägers nahm Dr. S. vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 05.02.2010 eine Würdigung der vorgelegten Behandlungs-und Befundberichte vor und gelangte zu dem Ergebnis, es sei keine Erkrankung gesichert, die einer Einschränkung des Gehvermögens unter die Mindestanforderung für Strecken von zumindest 500 m in weniger als 20 min viermal täglich begründe.

Vom 05.03.2010 bis 25.03.2010 war der Kläger nach einer Diskotomie mit Dekompression am 05.02.2010 zur Anschlussheilbehandlung in den S. R. Kliniken in B. S ... Laut Entlassungsbericht vom 13.04.2010 wurde der Kläger am 25.03.2010 wegen deutlicher Verschlechterung der Gehleistung in die Neurochirurgie nach Freiburg verlegt. Es wurden eine multimodale Gangstörung, eine axonal-demyelinisierende Polyneuropathie, ein chronisches Schmerzsyndrom, ein Verdacht auf dissoziative Gangstörung und ein aktuell medikamentös gut eingestellter Cluster-Kopfschmerz diagnostiziert. Eine sozialmedizinische Leistungsbeurteilung sei wegen des Abbruchs der Rehabilitation und erneuter Akutbehandlung nicht möglich.

Der Kläger wurde am 30.03.2010 erneut in der Neurochirurgie der Universitätsklinik F. wegen des Rezidiv-Bandscheibenvorfalls operiert. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 31.03.2010 habe sich postoperativ ein kompletter Rückgang der Schmerzsymptomatik gezeigt, der Kläger habe selbständig mit Gehwagen laufen können.

Vom 14.04.2010 bis 12.05.2010 war der Kläger zur erneuten Anschlussheilbehandlung in den Neurologischen Kliniken Dr. S. in A ... Laut Entlassungsbericht vom 18.05.2010 wurden eine komplexe dissoziative Störung, eine depressive Störung bei chronischem Schmerz mit biosozialen Konsequenzen, Z.n. Suizidversuch 2008, rezidivierende Bandscheibenvorfälle L2/3 rechts mit OP am 05.02.2010 und 30.03.2010 und schmerzbedingte Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen diagnostiziert. Seine Angaben zur Sensibilität seien wechselhaft, eine diagnostische Zuordnung nicht möglich. Die Hypästhesien am rechten Bein bis zur Leiste seien sehr wechselhaft, die Angaben während der Untersuchung inkonstant. Die Kraft im rechten Bein sei aufgrund mangelnder Kooperation im Liegen nicht überprüfbar, im Stehen komme es zu psychogen anmutendem Nachschleifen. Eine neurologische Ursache oder ein Zusammenhang mit den beiden stattgefundenen Operationen finde sich nicht. In Einzeltherapien habe der Kläger häufig Wut und Aggression gezeigt, auch mit Suizidalität gedroht. Es habe sich eine erschwerte Krankheitsverarbeitung gezeigt, wobei die Mechanismen der Verdrängung und der Verleugnung eine entscheidende Rolle spielten. Die eingeschränkten emotionalen und sozialen Kompetenzen des Klägers seien als ein aufrechterhaltender Faktor zu benennen. Der Kläger habe in der Klinik beinahe durchgehend einen Rollstuhl benutzt und habe betont, einen Rollstuhl unbedingt zu brauchen, um eine berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen zu können. Es hätte sich demonstratives und manipulatives Verhalten gezeigt. Eine berufliche Betätigung sei zur Tagesablaufstrukturierung und als therapeutische Maßnahme sinnvoll. Zur Erleichterung des Wiedereinstiegs in das Berufsleben sei ein Rollstuhl verordnet worden. Die Leistungsfähigkeit für angelernte Fließbandarbeit ebenso wie für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ständig sitzender Haltung wurde mit sechs Stunden und mehr arbeitstäglich angegeben und der Kläger arbeitsfähig entlassen. Dies habe auch der Kläger zumindest formal so gesehen. Seine abweichenden subjektiven Beschwerden, insbesondere eine Reduzierung der Gehstrecke auf 20 bis 30 Meter, seien zwar schwer mit dieser Leistungsbeurteilung zu vereinbaren; die Symptomatik sei jedoch sehr wechselhaft und mit den erhobenen Befunden nicht kongruent. Zudem stimme der Kläger mit dieser Leistungsbeurteilung ausdrücklich überein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Unter Berücksichtigung der diagnostizierten Erkrankungen (dissoziative Störung, chronische Halbseiten-Kopfschmerzen, am ehesten Migräne, rezidivierendes LWS-Syndrom, Schulter-Arm-Syndrom rechts, anamnestisch Hinweise auf axonal-demyelinisierende Neuropathie, Vitamin B12-Mangel) könne der Kläger arbeitstäglich mindestens sechs Stunden leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (ohne lang andauernde Zwangshaltung der Wirbelsäule oder statische Haltearbeiten, ohne Nachtschicht, ohne häufiges Bücken, ohne Überkopfarbeiten rechts sowie ohne Gefährdung durch Lärm) verrichten. Die Anerkennung einer Schwerbehinderung führe zu keinem anderen Ergebnis.

Am 08.09.2010 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg. Zur Begründung berief er sich insbesondere auf eine zunehmende Gehunfähigkeit und sein vielschichtiges und nunmehr langjährig andauerndes Krankheitsbild. Die Leistungsbeurteilung im letzten Reha-Entlassungsbericht sei nicht nachvollziehbar. Er benötige ständig Unterarmgehstützen, einen Rollator oder einen Rollstuhl und sei deshalb nicht ausreichend mobil.

Das Sozialgericht befragte die behandelnden Ärzten des Klägers als sachverständige Zeugen.

In ihrer Auskunft vom 18.11.2010 berichtete die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie / Spezielle Schmerztherapie (u.a.) Prof. Dr. H. vom Interdisziplinären Schmerzzentrum der Uniklinik F., dass der Kläger dort seit Juli 2008 bei mehreren Fachärzten in Behandlung sei. Sie selbst habe ihn dreimal untersucht. Eine neurologische Ursache für die progrediente Zunahme der bekannten Beschwerden habe nicht gefunden werden können. Diagnostisch werde von einer somatoformen Störung mit dissoziativen Anteilen ausgegangen. Aktuell sei eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich. Eine Besserung sei erst nach einer länger dauernden stationären Behandlung in einer Psychiatrischen bzw. Psychosomatischen Klinik zu erwarten. Der Schwerpunkt leistungsmindernder Faktoren liege auf neurologischem und psychosomatisch-psychiatrischem Gebiet. In seiner Auskunft vom 03.12.2010 teilte der Facharzt für innere Medizin Dr. E. mit, dass der Kläger bei ihm in ständiger Behandlung in zwei- bis vierwöchigen Abständen sei. Es bestünden drei Systemkomplexe: 1. chronischer Cluster-Kopfschmerz, 2. rezidivierende Bandscheibenvorfälle, dadurch ausgelöste Gangstörungen, verstärkt durch eine schwere Neuropathie der unteren Extremitäten, B12 Mangel, 3. Folgen einer Schulterverletzung mit Z. n. OP und BG Unfall. Der Zustand in Hinblick auf Kopf- und Schulterschmerzen sei stabil, werde aber hinsichtlich der Beine schleichend schlechter. Seit der ersten OP im März 2010 sei eine deutliche Verschlechterung eingetreten. Der Kläger sei nicht in der Lage, überhaupt zu arbeiten. Der Schwerpunkt liege seines Erachtens in den Bereichen der Neurologie und der Orthopädie

Vom 18.11.2010 bis 03.12.2010 und erneut ab 27.03.2011 bis 22.04.2011 wurde der Kläger akut-stationär in der Fachklinik E. behandelt und arbeitsunfähig entlassen. Vom 14.07.2011 bis 22.07.2011 war der Kläger zur stationären Behandlung und radiologischen Untersuchung in der Neurologischen Universitätsklinik U ... Das Sozialgericht zog ferner das orthopädische Gutachten des Dr. M. vom 15.05.2011 aus dem Klageverfahren S 9 U 418/09 gegen die BG zur Bewertung der bestehenden Schulterbeschwerden als Folge des Arbeitsunfalls vom 26.01.2007 bei. Dr. M. nannte darin die Diagnose schmerzhafte Schulterteilsteife rechts nach arthroskopischer Akromioplastik, Bursektomie und Teilsynovektomie sowie endoskopischer Tenotomie und Tenodese der langen Bizepssehne mit deutlichem Kraftverlust und Bewegungseinschränkung.

Das Sozialgericht holte ein psychosomatisches Gutachten bei Dr. N., Leitender Arzt der Abteilung für psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums O. ein. Auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung vom 22.12.2011 stellte der Gutachter eine gravierende Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung mit eingeschränkten und entwicklungsbedürftigen Fähigkeiten zur selbständigen Lebensführung und zur Affektregulation fest. Im Zentrum der geklagten Beschwerden hätten die Gangstörung, die angegebenen Schmerzen der Beine und das Taubheitsgefühl des rechten Unterschenkels gestanden. Trotz zahlreicher stationärer und ambulanter Untersuchungen habe sich hierfür keine neurologische Erkrankung als ausreichende Erklärung gefunden. Die Art der Symptompräsentation und Symptom-Ausgestaltung und die auch in der Untersuchungssituation deutlich variierende Beeinträchtigung durch die Symptome begründeten die Diagnose einer im wesentlichen seelisch bedingten sogenannten dissoziativen Störung mit Einschränkungen sowohl motorischer Fähigkeiten als auch des Sensoriums. Trotz dramatisch dargestellter Beschwerden habe der Kläger einen relativ geringen subjektiven Leidensdruck gezeigt. Der Kläger habe sich symptombedingt als jemand gezeigt, der zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen sei, insbesondere auf die der Mutter, die seine wesentliche, vermutlich sogar einzige Bezugsperson sei. Die Symptome entlasteten den Kläger, sich mit den Konflikten und Schwierigkeiten der Verselbstständigung und Ablösung auseinanderzusetzen. Dennoch sei es dem Kläger im Rahmen der körperlichen Untersuchung in der Auseinandersetzung mit der zu Hilfe gerufenen Mutter gelungen, seine Handlungsfähigkeit und Beweglichkeit zu demonstrieren und sich selbst zu helfen. Offen bleiben müsse aber, ob es dem Kläger gelingen könne, sich tatsächlich aus den realen und erlebten Abhängigkeiten gegenüber der Mutter, bei der er nach eigenen Angaben mit Ausnahme der Bundeswehrzeit stets gelebt habe, zu lösen. Dr. N. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 02.02.2012 eine dissoziative Störung mit motorischer und sensorischer Beteiligung, ein chronisches Schmerzsyndrom mit körperlichen und seelischen Anteilen und Störungen der Persönlichkeitsentwicklung. Das Leistungsvermögen sah der Gutachter qualitativ vor allem durch die Gehstörung insoweit eingeschränkt, als nur leichte körperliche Tätigkeiten zumutbar sind. Auch geistige Tätigkeiten könnten nur leichter Art zugemutet werden. Solche Tätigkeiten könne der Kläger mindestens sechs Stunden arbeitstäglich ausüben. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei grundsätzlich möglich.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27.06.2012 ab. Eine Erwerbsminderung im Sinne des §§ 43 SGB VI liege nicht vor. Der Kläger sei noch dazu in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das Sozialgericht folgte dem Gutachten von Dr. N ... Dessen Leistungsbeurteilung werde von weit gehend unauffälligen körperlichen Untersuchungsbefunden und unauffälligen psychischen Untersuchungsbefunden getragen. Erst im Verlauf der Untersuchung habe sich eine aggressiv-vorwurfsvolle Haltung und eine stärkere Impulsivität entwickelt. Die eigenen Schilderungen des Klägers hätten der Leistungsbeurteilung nur behutsam zugrundegelegt werden können. Der Kläger habe trotz dramatisch dargestellter Beschwerden nur einen relativ geringen subjektiven Leidensdruck gezeigt. Im letzten Reha-Bericht vom 18.05.2010 werde angegeben, dass der Kläger aus ärztlicher und eigener Sicht nicht für erwerbsgemindert gehalten wurde. Die Symptomatik und die Beschwerden vor allem in den Beinen seien nicht konstant und divergierten mitunter schon im Laufe einer einzigen Untersuchung (vergleiche Gutachten Bechert vom 02.11.2009, Entlassungsbericht der S.-Kliniken vom 18.05.2010, aktuell Schilderungen von Dr. N. in dessen Gutachten). Dr. N. gehe auch davon aus, dass manche der Symptome unter dem Einfluss starker Affekte mindestens partiell überwindbar und damit für den Kläger steuerbar seien. Dr. N. beschreibe Beeinträchtigungen der körperlichen Belastbarkeit und der Regulation sozialer Beziehungen, die vom Ausmaß her eine quantitative Leistungseinschränkung jedoch nicht begründen würden. Gleiches gelte für die eingeschränkte Mobilität des Klägers. Diese seien nach Dr. N. situativ überwindbar und erreichten unter Verwendung des Rollstuhls kein Ausmaß, das eine quantitative Leistungseinschränkung begründe. Der Gutachter berichte vielmehr von einer "beachtlichen" bzw. "selbstständigen, sehr geschickten und schnellen" Fähigkeiten des Klägers, sich im Rollstuhl fortzubewegen. Von einer Beeinträchtigung der Wegefähigkeit sei deshalb ebenfalls nicht auszugehen. Auch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liege nicht vor.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 02.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.07.2012 Berufung eingelegt. Das Gutachten von Dr. N. sei einseitig, es berücksichtige nur die Psychosomatik und lasse die Somatik außer Acht. Zudem habe eine deutliche Voreingenommenheit vorgelegen, da sich ein Halbbruder zu einem früheren Zeitpunkt in Behandlung von Dr. N. befunden habe.

Der Kläger legte einen vorläufigen Entlassungsbrief über eine stationäre Behandlung in der Abteilung für Innere Medizin des J. Krankenhauses in F. in der Zeit vom 30.5.2012 bis zum 12.6.2012 vor. Darin wird über die Anlage eines Periduralkatheders zur Analgesie berichtet, worunter es zur Abnahme der Schmerzen gekommen sei. Zuletzt sei der Kläger fast komplett schmerzfrei gewesen, die auffällige Schwäche der unteren Extremitäten sei tendenziell leicht rückläufig gewesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.06.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, ggf. zeitlich befristet, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf eine sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. H. vom 22.08.2012, in der dieser darauf hinweist, dass allein in der kurzen Behandlung im J. Krankenhaus doch eine Besserung der im Vordergrund stehenden Schmerzen eingetreten sei.

Am 17.12.2012 wurde für den Kläger ein Betreuer für den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten-und Sozialleistungsträgern und Wohnungsangelegenheiten bestellt.

Der Senat hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. von Amts wegen mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt. Dr. S. benennt in seinem Gutachten vom 10.05.2013 als Diagnose eine dissoziative Störung (Konversionsstörung), gemischt (ICD-10:F44.7) sowie eine mögliche Polyneuropathie. Die vom Kläger geschilderten Gangstörungen seien für die bei ihm aufgetretenen und operierten Bandscheibenvorfälle untypisch und seien vor dem Hintergrund der psychischen Störung zu sehen. Schon im Jahr 2006 seien beim Kläger dissoziative Störungen festgestellt worden. Daneben hätten sich immer auch Hinweise auf eine mögliche Polyneuropathie gefunden. Die festzustellenden neurophysiologischen Auffälligkeiten könnten jedoch auch auf sonstigen Ursachen beruhen wie beispielsweise Schäden von Nervenwurzeln oder periphere Nervenschäden, wie sie zuletzt in der neurologischen Klinik U. diskutiert worden seien. Es bestünden jedenfalls neurologische Auffälligkeiten, die am ehesten auf eine mögliche Polyneuropathie hinwiesen. Die beim Kläger vorhandenen organischen Erkrankungen (mögliche organische Kopfschmerzerkrankung, mögliche Polyneuropathie, Bandscheibenvorfälle) könnten die vorgetragenen und jetzt feststellbaren körperlichen Einschränkungen jedoch bei weitem nicht erklären. In Abgrenzung zu somatoformen Störungen, die sich in körperlichen Beschwerden und Einschränkungen ohne organische Ursache ausdrückten, seien unter dissoziativen Störungen pseudoneurologische Einschränkungen ohne tatsächliche organneurologische Ursache zu verstehen, etwa psychogene Blindheit, Taubheit, psychogene Anfälle, Bewegungsstörungen mit komplettem oder teilweisem Verlust der Bewegungsfähigkeit, Koordinationsstörungen oder die Unfähigkeit zu gehen, sowie Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen. Sofern verschiedene Störungsbilder dieser Gruppe parallel auftreten würden, spreche man von gemischten dissoziativen bzw. Konversionsstörungen. Nach ICD-10 werde für diese Diagnose auch ein überzeugender Zusammenhang zwischen dissoziativen Symptomen und belastenden Ereignissen, Problemen oder Bedürfnissen verlangt. Da die Störungen beim Kläger zwischen 2003-2006 begonnen und sich langsam gesteigert hätten, sei es ausgesprochen schwer, rückblickend ein solches Ereignis herauszuarbeiten. Es könne aber vermutet werden, dass der Kläger durch die krankheitsbedingt zunehmende Hilfsbedürftigkeit weiter in fürsorglicher Obhut seiner Mutter bleiben könne, wie auch die Konversionssymptomatik als Umsetzung eines unbewussten seelischen Konflikts in eine Körpersprache gesehen werde. Während sich aus der möglichen Polyneuropathie, der möglichen Kopfschmerzerkrankung sowie den durchgeführten Bandscheibenerkrankungen keine anhaltenden Funktionsstörungen ergeben würden, die für eine quantitative Leistungsminderung sprechen könnten, sei die Frage der Leistungsfähigkeit bei dissoziativen bzw. Konversionsstörungen weitaus schwieriger zu beurteilen. Derartige Störungen seien nach zweijähriger Dauer ausgesprochen therapieresistent. Es bestehe eine ausgeprägte Neigung zu Fixierung und Ausweitung, bei Störungen der Bewegungsfähigkeit mit häufig zu beobachtender zunehmender Hilflosigkeit und zunehmender Regression in eine kindlich-hilflose, die Fürsorge der Mutter in Anspruch nehmende Rolle. Dementsprechend werde der Kläger von seiner Mutter auch angekleidet und gewaschen, er sei über die Pflegekasse in Pflegestufe I eingeordnet und habe einen gesetzlichen Betreuer. Es handele sich um eine seit vielen Jahren bekannte psychische Störung, die organmedizinisch nicht begründbar und nachvollziehbar sei, und die auch nicht mit einer Simulation verwechselt werden dürfe. Bei Menschen mit einer dissoziativen bzw. Konversionsstörung handele es sich keinesfalls um ein Nicht-Wollen, sondern um ein Nicht-Können. Die motorischen und sensorischen Ausfälle lägen außerhalb der willkürlichen Steuerung und das Störungsbild könne durch eigene Willensanspannung nicht überwunden und nicht modifiziert werden. Auch durch therapeutische Maßnahmen einschließlich stationärer psychiatrischer Krankenhausbehandlungen gelinge es bei solchen langjährigen Krankheitsverläufen fast nie, eine echte Besserung oder Stabilisierung zu erreichen. Da hier jedoch nie eine ernst zu nehmende psychiatrische Behandlung erfolgt sei und das Störungsbild trotz der ungünstigen Prognose formal nicht als therapieresistent eingestuft werden könne, komme eine Kontrolle des Befundes in drei Jahren in Betracht. Als der willkürlichen Steuerung nicht unterliegend seien hier zu nennen: Kopfschmerzen mit heftigen Attacken, Gefühlsstörungen ab Brusthöhe in der rechten Körperseite und ab Kniehöhe in der linken Körperseite, Probleme mit dem Wasserlassen und Störung der Bewegungsfähigkeit und Kraftentfaltung, bei allen Verrichtungen einschließlich des An- und Auskleidens und des Waschens. Bei dissoziativen bzw. Konversionsstörungen komme es bei einem solchen Verlauf auch immer wieder vor, dass Bettlägerigkeit auftrete oder die Unterbringung in einem Heim notwendig wäre. Daraus ergebe sich, dass der Kläger zu einer regelmäßigen, mindestens dreistündigen Leistungserbringung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in der Lage sei. Er wäre auch nicht in der Lage, einen Arbeitsplatz regelmäßig zu erreichen. Der Kläger sei auch in der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch den Rollstuhl deutlich eingeschränkt. Eine therapeutische Besserung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von sechs Monaten sei nicht ansatzweise erkennbar. In dieser Einschätzung weiche er von Dr. N. ab, der noch therapeutische Hoffnungen habe, obwohl die gesamte Literatur und die allgemeine psychiatrische Erfahrung gegen eine echte Behandelbarkeit spreche. Diese Voraussetzungen seien im Verlaufe des Jahres 2012 eingetreten und spätestens ab Beginn des Jahres 2013 gegeben. Die Abweichung in der Leistungseinschätzung von den Vorgutachten beruhe darauf dass es seither zu einer weiteren Verschlechterung mit Ausweitung und Fixierung des Störungsbildes gekommen sei. Zum anderen müsse bei solchen dissoziativen bzw. Konversionsstörungen berücksichtigt werden, dass diese nicht der willentlichen Steuerung unterliegen würden und nicht durch eigene Willensanspannung zu überwinden seien. Auch die Feststellung, dass bei der Untersuchung erkennbare Einschränkungen nicht in jedem Moment in vollem Umfang bestehen würden, sei bei solchen Störungen die Regel und nicht die Ausnahme und lasse nicht auf geringere Einschränkungen für den Arbeitsalltag schließen. Eine solche Annahme würde eine willentliche Steuerung zu Grunde legen und sei nicht mit der auch von den Vorgutachten B. und Dr. N. genannten Diagnose (dissoziative Störungen) zu vereinbaren. Sie hätten dann von einer Simulation sprechen müssen.

Die Beklagte hat hierzu die sozialmedizinische Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. vom 29.05.2013 vorgelegt. Sie hält die Leistungseinschätzung von Dr. S. für nicht nachvollziehbar und weist zunächst darauf hin, dass die Anordnung einer Betreuung vor dem Hintergrund, dass der Kläger in seiner Berufungsschrift durchaus zielgerichtet und strukturiert habe vortragen können, nicht nachvollziehbar sei. Hinsichtlich der Begutachtung durch Dr. S. beanstandet sie eine defizitäre neurologische Befundung, insbesondere die fehlende Bestimmung der Kraft des linken Beines und die fehlende Angabe der Stehfähigkeit des Klägers, der beim An- und Auskleiden aus dem Rollstuhl aufgestanden sei. Auch sei nicht eruiert worden, ob eine leitliniengerechte Psychotherapie durchgeführt worden sei. Es finde offenbar lediglich eine psychosomatische Behandlung statt. Im psychopathologischen Befund werde der Kläger als nie schmerzgeplagt und ohne psychiatrisches Krankheitsgefühl beschrieben. Es fehle aber jegliche Objektivierung hierzu. Die Inkonsistenz bezüglich der Betreuungssituation und der eindeutig sekundäre Krankheitsgewinn des Klägers in Form der Rundumversorgung durch die Mutter stellten die Glaubwürdigkeit seiner Aussage und die Annahme des Nicht-Könnens in Zweifel. In der Gesamtschau werde das Restleistungsvermögen des Klägers aus prüfärztlicher Sicht für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in sitzender Position auf mindestens sechs Stunden täglich eingeschätzt.

Dr. S. hat hierzu am 26.07.2013 Stellung genommen. Er erwidert, dass die Prüfärztin sich überwiegend mit nebensächlichen Fragen befasst habe, auf die einzige sozialmedizinisch relevante Frage, wie schwer die dissoziativen Störungen zu bewerten seien und ob die psychogenen Bewegungsstörungen vom Kläger durch eigene Willensanspannung überwunden werden könnten oder ob die Natur der psychischen Störung so eine Überwindung gar nicht zulasse, gehe sie nicht ein. Die Prüfärztin leite aus der Fähigkeit des Klägers, kurz stehen zu können, aus der Tatsache, dass auch mit einem Rollstuhl ein Arbeitsplatz erreichbar sei, und aus den Verdeutlichungstendenzen bei der körperlichen Untersuchung ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen ab. Dabei bewerte sie allerdings sozialmedizinisch nicht die psychische Störung sondern glaube, eine neurologische Erkrankung mit definierten Funktionsstörungen beurteilen zu müssen, wie etwa im Falle einer Querschnittslähmung. Es gehe hier jedoch - auch in diagnostischer Hinsicht - nicht um die Erfassung einer neurologischen Störung sondern um die sozialmedizinische Bewertung einer psychischen Erkrankung. Maßgeblich dafür sei etwa, dass sich der Kläger früher noch mit Stöcken fortbewegt habe, jetzt im Rollstuhl sitze und in Pflegestufe I sei, ohne dass man von einer absichtlichen oder als Simulation einzustufenden Darstellung ausgehen könne. Die angesprochenen Verdeutlichungstendenzen seien von Aggravation oder Simulation abzugrenzen. Verdeutlichung sei eine betonte Darstellung oft einfach strukturierter Menschen, um dem Sachverständigen nahe zu bringen, dass etwas nicht in Ordnung sei. Die Einschränkungen bei dissoziativen Störungen seien nach nervenärztlicher Erfahrung ausgesprochen therapieresistent und neigten zu weiterer Ausweitung und Fixierung. Es werde dem Kläger nicht gerecht, wenn von der Prüfärztin allein nach Aktenlage und im Gegensatz zu allen anderen Nervenärzten und Psychiatern, die bisher mit dem Kläger befasst gewesen seien, einen im Vordergrund stehenden sekundären Krankheitsgewinn erkennen wolle und den Kläger in die Nähe der Simulation rücke. Entscheidend in der Abgrenzung zu Dr. N. sei vielmehr, dass dessen Annahme, der Kläger könne die motorischen Störungen durch eigene Willensanspannung überwinden, mit der Diagnose einer dissoziativen Störung nicht zu vereinbaren sei.

Dr. E. hat sich erneut in einer Stellungnahme vom 12.08.2013 geäußert und weiterhin bemängelt, dass das Gutachten von Dr. S. den üblichen Standards für psychiatrische Begutachtung nicht entspreche und deshalb die sozialmedizinische Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers fragwürdig sei. Sie beanstandet erneut eine unzureichende neurologische Diagnostik sowie eine mangelhafte psychopathologische Befundung. Sie halte an ihrer Leistungseinschätzung fest.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 16.08.2013, 28.08.2013 und 10.01.2014 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Der Kläger hat weitere Arztberichte über eine stationäre Behandlung in der Zeit vom 27.09.2013 bis 18.10.2013 in der internistischen Abteilung des L.-Krankenhauses, F., sowie über ambulante Vorstellungen am 22.11.2013 in der orthopädischen Abteilung des L.-Krankenhauses, und am 03.12.2013 und 05.12.2013 im Universitäts-Notfallzentrum der Uniklinik F. vorgelegt. Im Bericht vom 18.10.2013 über den stationären Aufenthalt wurde zusätzlich zu den bisher bekannten Diagnosen ein Verdacht auf Raynaud-Syndrom mit beginnend punktförmigen akralen Nekrosen beider Hände genannt.

Die Beklagte hat hierzu mit einem am 30.1.2014 beim Senat eingegangenen Schriftsatz eine weitere Stellungnahme von Dr. E. (vom 23.01.2014) vorgelegt, in der die Auffassung vertreten wurde, außer der Raynaud-Symptomatik, die als Nebenwirkung der Kopfschmerzmittel auftrete, enthielten die weiteren Arztbriefe keine neuen diagnostischen oder auch leistungsrelevanten Aspekte, weshalb es bei der bisherigen Einschätzung des Leistungsvermögens verbleiben müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten hat der Senat am 22.01.2014 ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) entschieden. Nach dieser Entscheidung und noch vor Übergabe des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle des 5. Senats ist die weitere Stellungnahme von Dr. E. vom 23.01.2014 von der Beklagten am 30.01.2014 dem Landessozialgericht vorgelegt worden. Dr. E. hat darin lediglich zu den zuletzt vom Kläger unter dem 17.12.2013 beigefügten Arztbriefen Stellung genommen und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, aus diesen ärztlichen Berichten ergäben sich keine neuen diagnostischen oder leistungsrelevanten Aspekte. Diese Stellungnahme bietet keinen Anlass, die getroffene Entscheidung in Frage zu stellen oder den Rechtstreit mit den Beteiligten mündlich zu verhandeln, weil - wie nachstehend dargelegt - diese Arztbriefe für die Entscheidung des Senats ohne Bedeutung waren.

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft und auch sonst gemäß § 151 SGG zulässig.

Sie ist auch aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Gewährung einer Zeitrente, ausgehend von einem Leistungsfall am 01.01.2013, und auf Abänderung des Ablehnungsbescheides vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.08.2010. Dies haben die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen ergeben. Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet.

Gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI); volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden täglich abgesunken ist (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Senat geht auf der Grundlage des im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. S. davon aus, dass der Kläger an einer dissoziativen Störung leidet, aufgrund derer sein Leistungsvermögen auf unter drei Stunden arbeitstäglich gesunken ist. Der Kläger ist damit voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI.

Der Senat hält die gutachterliche Einschätzung des Restleistungsvermögens des Klägers durch Dr. S. ungeachtet der vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten erhobenen Einwendungen für schlüssig und nachvollziehbar.

Der Senat hat insbesondere keine Zweifel daran, dass die von Dr. S. genannte Diagnose einer dissoziativen Störung (Konversionsstörung), gemischt (ICD-10:F44.7) zutreffend ist. Der Senat geht aufgrund einer Gesamtwürdigung der in den Akten befindlichen Arztberichte über die erfolgten Reha- und stationären Behandlungen sowie die erfolgten Begutachtungen des Klägers davon aus, dass der Kläger an dieser Erkrankung bereits seit Jahren leidet. Die Diagnose einer dissoziativen Störung wurde erstmals im Jahr 2006 im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme in der M.-B.-Klinik gestellt. Auffallend ist, dass diese Rehabilitationsbehandlung durch den damals behandelnden Schmerztherapeuten wegen wiederholter massiver Kopfschmerzattacken veranlasst worden war und eine Gangstörung damals zumindest nicht im Vordergrund stand. Allerdings wird im Entlassungsbericht vom 10.10.2006 beim orthopädischen Befund bereits zum damaligen Zeitpunkt ein auffälliges breitbasiges Gangbild in Außenrotation der Beine beschrieben. Auch bei der Beschreibung des Rehabilitationsverlaufes wird von einer häufig auftretenden Schmerzsymptomatik, die mit Gangstörungen und Taubheitsgefühl der linken Körperseite verbunden sei, berichtet. Zwei Jahre später findet sich im Entlassungsbericht der S.-Klinik B. B. der Hinweis darauf, dass der Kläger wegen Rückenschmerzen und Taubheitsgefühlen im Bereich beider Füße an zwei Gehstützen gehe. Im Entlassungsbericht der Schmieder Kliniken in Allensbach vom 16.04.2009 wird von einer Briquet-Störung (polysymptomatischer Typ der Hysterie, frühere Bezeichnung der dissoziativen Störung) berichtet. Der Kläger habe sich an Krücken frei bewegen können. Auffallend ist hier, dass der Kläger damals einen Rollstuhl gewünscht habe, der jedoch medizinischerseits für kontraindiziert gehalten wurde. Bereits diese Feststellungen bestätigen die Diagnose von Dr. S., der insbesondere die ausgeprägte Neigung zu Fixierung und Ausweitung bei dissoziativen Störungen der Bewegungsfähigkeit betont hat. Der Wunsch nach der Verordnung eines Rollstuhls dürfte in diesem Kontext als Merkmal einer Fixierung zu verstehen sein. Auch in der Begutachtung durch Dr. R. im Oktober 2009, veranlasst durch die Beklagte nach Rentenantragstellung durch den Kläger, findet sich die Beschreibung des auffälligen Gangbildes als kleinschrittig, beidseits schleifend. Dr. R. beurteilte die Gangstörung als unspezifisch und konnte eine orthopädische Erklärung dafür nicht finden. In der unmittelbar anschließenden neurologischen Begutachtung durch die Nervenärztin B. im November 2009 beschrieb auch diese ein breitbeiniges außenrotiertes Gangbild, bei dem die Beine kaum angehoben, sondern aus der Hüfte nach vorne geschoben würden. Ohne Gehstützen und bei erschwerten Gangarten trete ein ausgeprägtes Schwanken und Torkeln ohne wirkliche Sturzgefahr auf. Auch die Gutachterin B. beschrieb, dass der Kläger beim An- und Auskleiden völlig sicher und frei habe stehen können. Sie erstellte ebenfalls die Diagnose einer dissoziativen Störung.

Im Zusammenhang mit der Bandscheibenoperation im März 2010 trat eine deutliche Verschlechterung der Gehleistung auf. In dem Bericht der R.-Kliniken B. S. vom 13.04.2010 über die zunächst begonnene Anschlussheilbehandlung wurde eine multimodale Gangstörung beschrieben sowie ein Verdacht auf dissoziative Gangstörung geäußert. Auch im Bericht der S.-Kliniken vom 18.05.2010 über die nach der Rezidiv-Operation dort fortgesetzte Anschlussheilbehandlung wird eine komplexe dissoziative Störung benannt. Dort werden sowohl die Angaben zur Sensibilität als auch die Hypästhesien am rechten Bein bis zur Leiste als wechselhaft beschrieben. Ferner ist von einem psychogen anmutenden Nachschleifen des rechten Beines im Stehen die Rede. Auch hier ist von dem deutlich geäußerten Wunsch des Klägers, unbedingt einen Rollstuhl zu benutzen, berichtet worden. Allerdings hat der Kläger dort diesen Wunsch damit begründet, nur so eine berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen zu können. Im sozialgerichtlichen Verfahren hat die behandelnde Fachärztin für Psychiatrie Prof. H. vom interdisziplinären Schmerzzentrum der Uniklinik F. in ihrer Auskunft vom 18.11.2010 von einer somatoformen Störung mit dissoziativen Anteilen gesprochen. Sie hielt ein Restleistungsvermögen für aktuell nicht gegeben und äußerte die Prognose, dass eine Besserung erst nach länger dauernder stationärer Behandlung in einer psychiatrischen bzw. psychosomatischen Klinik zu erwarten sei. Diese Prognose deckt sich mit der von Dr. S. geäußerten Einschätzung, dass die diagnostizierte Störung nach psychiatrischer Erfahrung erheblich therapieresistent, einer Behandlung letztlich aber nicht völlig unzugänglich sei. Der vom Sozialgericht beauftragte Gutachter Dr. N. äußerte - insoweit übereinstimmend mit Dr. S. - ebenfalls die Diagnose einer dissoziativen Störung mit motorischer und sensorischer Beteiligung.

Ausgehend von dieser Diagnose, an deren Richtigkeit nach Auffassung des Senats aufgrund der beschriebenen Vorgeschichte kein Zweifel besteht, ist Dr. S. zu der sozialmedizinischen Leistungseinschätzung eines aufgehobenen Restleistungsvermögens gelangt. Auch diese Einschätzung ist für den Senat nach den Ausführungen des Gutachters überzeugend und nachvollziehbar. Dabei verkennt der Senat nicht, dass aufgrund der persönlichen Lebenssituation des Klägers, der offenbar mit Ausnahme seiner Bundeswehrzeit stets bei seiner Mutter gelebt hat und von dieser auch im jetzigen Stadium seiner Erkrankung versorgt und gepflegt wird, die Vermutung eines sekundären Krankheitsgewinns deutlich im Raum steht. Dennoch hält der Senat die Ausführungen von Dr. S., dass es der Einschätzung des Leistungsbildes des Klägers nicht gerecht werde, wenn er in die Nähe der Simulation gerückt werde, für überzeugend. Dr. S. hat umfassend und ausführlich herausgearbeitet, dass die Besonderheit der Erkrankung an einer dissoziativen Störung gerade darin bestehe, dass die motorischen und sensorischen Störungen nicht durch Willensanspannung zu überwinden seien. Diese Ausführungen überzeugen den Senat auch vor dem Hintergrund der abweichenden Leistungseinschätzung durch den Gutachter Dr. N ... Denn auch dieser hat hinsichtlich der willentlichen Überwindbarkeit der festgestellten Störungen Einschränkungen formuliert. So beschreibt er zwar, dass der Kläger in der Untersuchungssituation seine Symptome partiell habe überwinden können. Zugleich beschreibt er jedoch, dass dies derzeit nur situativ möglich sei und dafür nicht der freie Wille maßgeblich sei, sondern die jeweilige Affektlage. In diesem Zusammenhang beschreibt Dr. N., dass die negativen Affekte des Klägers überwiegend gebunden zu sein scheinen an Personen, von denen er sich gedemütigt und abgewiesen fühle wie den leiblichen Vater aber auch ärztliche Behandler, die zu Objekten seiner negativen Affekte und Affektäußerungen geworden seien. Auch Dr. N. erwähnt an dieser Stelle seines Gutachtens, es müsse offen bleiben, inwieweit es dem Kläger gelingen könne, sich aus den realen und erlebten Abhängigkeiten gegenüber der Mutter zu lösen. Die wechselnden Beschwerdebilder haben auch bereits die Vorgutachterin Bechert im Verwaltungsverfahren und die behandelnden Ärzte der S.-Kliniken im Rahmen der Behandlung im April/Mai 2010 beschrieben. Der Senat folgt insoweit der Beurteilung durch Dr. S., dass derartige Inkonsistenzen der Beschwerden durchaus typisch für das Krankheitsbild der dissoziativen Störung sind. Auch Dr. N. spricht davon, dass gerade die in der Untersuchungssituation variierende Beeinträchtigung durch die Symptome die Diagnose einer seelisch bedingten bzw. dissoziativen Störung begründet. Weder Dr. S. noch Dr. N. sind deshalb auch von einer Simulierung ausgegangen, sondern habe lediglich Verdeutlichungstendenzen angenommen. Hierauf ist Dr. S. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26.07.2003 nochmals eingegangen und hat nachvollziehbar erläutert, dass Verdeutlichung eine betonte Darstellung einfach strukturierter Mensch sei, um dem Sachverständigen nahezubringen, dass etwas nicht in Ordnung sei. In diesem Sinne hat der Senat auch in anderen Rechtsstreitigkeiten beschriebene Verdeutlichungstendenzen bisher verstanden und gewürdigt. Daran hält er auch im vorliegenden Verfahren fest.

Als überzeugend erweisen sich die Ausführungen des Gutachters Dr. S. auch deshalb, weil dieser durchaus einräumt, es sei schwierig ein für die Diagnose der dissoziativen Störung maßgebliches bzw. damit in Zusammenhang stehendes belastendes Ereignis zu benennen. Er verweist insoweit auf den Beginn der Störungen bereits in der Zeit zwischen 2003 und 2006. Allerdings deutet er die Vermutung an, dass ein solcher Zusammenhang in dem Abhängigkeitsverhältnis zur Mutter bestehen könne. Diese Vermutung wird auch flankiert durch die Angaben im Reha-Entlassungsbericht der M.-B.-Klinik vom 10.10.2006. Dort wird zum psycho-sozialen Rehabilitationsverlauf beschrieben, dass im Rahmen von Einzelgesprächen bei den Versuchen, einen Zugang zur Schmerzproblematik zu gewinnen und eine Verhaltensänderung anzuregen auch der biografische Hintergrund erörtert worden sei. Dabei habe sich die enge Beziehung zur Mutter als ein Tabuthema für den Kläger erwiesen, das nicht näher habe besprochen werden können.

Demgegenüber vermag der Senat die Bedenken von Dr. E. vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten nicht zu teilen. Diese hat im Wesentlichen die organneurologische Befunderhebung sowie die pathologische Testung des Klägers durch Dr. S. für unzureichend gehalten. Letztlich kommt es darauf aber aus der Sicht des Senats nicht an. Entscheidend ist vielmehr, und darauf hat Dr. S. sowohl in seinem Gutachten als auch in seiner ergänzenden Stellungnahme ausdrücklich hingewiesen, welche Funktionsbeeinträchtigungen aus der dissoziativen Störung herrühren und welche Leistungsbeurteilung sich daraus ergibt. Dr. S. hat die Beeinträchtigungen aufgelistet und die Kopfschmerzen mit heftigen Attacken, Gefühlsstörungen an Brusthöhe in der rechten Körperhälfte und ab Kniehöhe in der linken Körperhälfte, Probleme mit dem Wasserlassen und Störung der Bewegungsfähigkeit und Kraftentfaltung benannt. Ausgehend von der Annahme von Dr. S., dass diese Beeinträchtigungen der Steuerungsfähigkeit nicht unterliegen, ist seine Schlussfolgerung auf ein aufgehobenes Leistungsvermögen insoweit auch schlüssig. Nicht zuletzt hat der Kläger eine Einstufung in die Pflegestufe I. Wenn auch die Bedenken von Dr. E. hinsichtlich der Anordnung einer Betreuung vor dem Hintergrund der vom Kläger selbst formulierten Berufungsschrift nicht völlig von der Hand zu weisen sind, so ist die Tatsache, dass die Betreuung nunmehr besteht, nicht in Frage zu stellen. Für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit spielt sie aber letztlich angesichts der sonstigen Anhaltspunkte keine entscheidende Rolle mehr. Vielmehr findet sich bereits in der Einstufung in Pflegestufe I eine Bestätigung der psychiatrischen Einschätzung der dissoziativen Störung und ihres progredienten Verlaufs, die Dr. S. seinem Gutachten zugrunde gelegt hat.

Auch die Leistungseinschätzung der S.-Kliniken im Entlassbericht vom 18.05.2010 stehen der nunmehr von Dr. S. getroffenen Einschätzung nicht entgegen. Zum einen besteht ein fortschreitender Verlauf der Erkrankung, auf den Dr. S. ausdrücklich hingewiesen hat, so dass bereits deshalb die länger zurückliegende Leistungsbeurteilung nicht mehr aussagekräftig sein dürfte. Zudem ist sie auch bereits zum damaligen Zeitpunkt durchaus ambivalent gewesen. Von den behandelnden Ärzten wurde ausdrücklich betont, dass die Annahme eines Restleistungsvermögens für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in sitzender Haltung für sechs Stunden und mehr mit den vom Kläger angegebenen subjektiven Beschwerden nicht in Einklang zu bringen sei, insbesondere nicht mit der Angabe einer Gehstrecke von lediglich 20 bis 30 Metern. Allerdings wurde auch dort darauf hingewiesen, dass die Symptome sehr wechselhaft und mit den erhoben Befunden nicht kongruent gewesen seien. Berichtet wurde zwar auch über ein demonstratives und manipulatives Verhalten, Simulation war aber nicht angenommen worden.

Der Senat geht daher nach der Gesamtwürdigung der vorliegenden Gutachten, Entlass-, Arzt- und Befundberichte davon aus, dass bei dem Kläger aufgrund der dissoziativen Störung ein aufgehobenes Restleistungsvermögen und damit Erwerbsminderung besteht. Allerdings hat Dr. S., obwohl er von einer extrem schlechten Prognose hinsichtlich der psychiatrischen Behandelbarkeit dieser Erkrankung ausgeht, letztlich nicht ausgeschlossen, dass sie einer Behandlung noch zugänglich ist und deshalb eine Kontrolle nach Ablauf von drei Jahren angeregt. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine ernstzunehmende psychiatrische Behandlung bisher nicht erfolgt sei. Insoweit stimmt er überein mit der Äußerung der behandelnden Ärztin Prof. Dr. H., die in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Sozialgericht angegeben hat, dass eine Besserung erst nach einer - empfohlenen - längeren stationären Behandlung in einer psychiatrischen bzw. psychosomatischen Klinik eintreten werde. Ist danach derzeit noch nicht von einer nicht behebbaren Minderung der Erwerbsfähigkeit auszugehen, kommt allein die Gewährung der Erwerbsminderungsrente in Form einer Zeitrente gemäß § 102 Abs. 2 SGB VI in Betracht. In Anknüpfung an das Gutachten von Dr. S., der die Voraussetzungen für die Erwerbsminderung des Kläger spätestens ab Beginn des Jahres 2013 als gegeben annimmt, ist von einem Leistungsfall am 01.01.2013 auszugehen und der Beginn der Zeitrente auf den 01.07.2013 festzulegen (§ 101 Abs. 1 SGB VI). Da Dr. S. in seinem Gutachten vom 10.05.2013 (Untersuchung am 22.04.2013) eine Kontrolle nach drei Jahren angeregt hat, ist die Rente bis zum 30.04.2016 zu befristen.

Im Hinblick auf die begehrte dauerhafte Gewährung von Erwerbsminderungsrente bleibt die Berufung ohne Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts war dementsprechend abzuändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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