Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 43 KA 488/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 2/12
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Verhältnis zwischen Vertragsarzt und Kassenärztlicher Vereinigung sind die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht anwendbar, da kein Sozialrechtsverhältnis besteht und die Kassenärztliche Vereinigung kein Leistungsträger i.S.v. § 12 SGB I ist.
2. Eine Restitution wegen der Verletzung von Nebenpflichten aus einem öffentlich rechtlichen Schuldverhältnis ist im Verhältnis Vertragsarzt/Kassenärztliche Vereinigung ausgeschlossen, weil das Mitgliedschaftsverhältnis (§ 77 Abs. 3 S. 1 SGB V) kein Schuldverhältnis ist, sondern umfassend durch die Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung und die Normen des SGB V geprägt wird.
2. Eine Restitution wegen der Verletzung von Nebenpflichten aus einem öffentlich rechtlichen Schuldverhältnis ist im Verhältnis Vertragsarzt/Kassenärztliche Vereinigung ausgeschlossen, weil das Mitgliedschaftsverhältnis (§ 77 Abs. 3 S. 1 SGB V) kein Schuldverhältnis ist, sondern umfassend durch die Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung und die Normen des SGB V geprägt wird.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 06.07.2011 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die rückwirkende Teilnahme am Strukturvertrag in den Quartalen 4/2004 bis 4/2007.
Der Kläger ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und seit dem Quartal 4/2004 in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. An der Sozialpsychiatrischen Vereinbarung nimmt er seit 15.11.2004 teil.
Am 23.05.2008 beantragte er die rückwirkende Teilnahme am Strukturvertrag bezüglich der von ihm erbrachten Leistungen der Nrn. 846, 849 und 960 EBM a.F. beziehungsweise 14220, 141222 und 14310 EBM 2000+ mit dem Ziel, dass diese Leistungen mit dem Punktwert nach dem Strukturvertrag vergütet werden. Zur Begründung verwies er im Schreiben vom 24.07.2008 auf die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Aufgrund des Mitgliedschaftsverhältnisses bei der Beklagten bestünden für diese umfangreiche Auskunfts-, Aufklärungs- und Beratungspflichten, insbesondere bei neuen Niederlassungen. Der Kläger habe darauf vertrauen können, umfassend über Strukturverträge informiert zu werden. Hilfsweise stellte er einen Antrag nach § 44 SGB X.
Mit Bescheid vom 17.09.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine rückwirkende Genehmigung der Teilnahme am Strukturvertrag sei grundsätzlich nicht möglich. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 zurück. Die Teilnahmeerklärung sei erst am 26.05.2008 eingegangen. Die Beklagte habe dem Kläger den Strukturvertrag mit einer Teilnahmeerklärung am 29.07.2004 zugesandt. Damit sei sie ihren Sorgfaltspflichten in ausreichendem Maße nachgekommen. Im Übrigen habe jeder Arzt eine Pflicht zur Information, die sich allgemein aus der Berufsordnung für Ärzte ergebe. Außerdem werde jedes Quartal eine Übersicht der Auszahlungspunktwerte in der Mitgliederzeitschrift KV-Blickpunkt veröffentlicht. Durch einen Vergleich der Punktwerte aus der Übersicht mit den Quartalsabrechnungen hätte der Kläger bereits im Quartal 4/2004 erkennen können, dass die geförderten Strukturvertragsleistungen nicht mit dem Strukturvertragspunktwert vergütet worden seien.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG). Er machte erneut einen Herstellungsanspruch geltend. Aufgrund seiner Unerfahrenheit bei der Praxisgründung und der Vielzahl der neuen Regelungen sei ihm erst im Mai 2008 aufgefallen, dass die Leistungen nicht mit dem Strukturvertragspunktwert vergütet worden seien. Die Beklagte habe bisher nicht nachgewiesen, dass sie dem Kläger bereits im Jahr 2004 eine Teilnahmeerklärung zum Strukturvertrag zugesandt habe. Er habe jedoch seinen Willen zur Teilnahme am Strukturvertrag bereits im Schreiben vom 26.07.2004 (Erhebungsbogen) eindeutig geäußert.
Mit Urteil vom 06.07.2011 wies das SG die Klage ab. Die Versagung der rückwirkenden Genehmigung sei rechtmäßig. Die Unkenntnis des Klägers sei rechtlich unbeachtlich. Er habe die Möglichkeit gehabt, anhand der für jedes Quartal veröffentlichten Übersicht der Auszahlungspunktwerte festzustellen, dass er nicht den Strukturvertragspunktwert erhalten hatte. Die Beklagte müsse nicht beweisen, dass sie dem Kläger die Erklärung über die Teilnahme am Strukturvertrag zugeschickt habe. Vielmehr müsse der Kläger beweisen, dass er bereits ab dem Quartal 4/2004 die Voraussetzungen für eine Teilnahme am Strukturvertrag erfüllt habe. Es liege im Verantwortungsbereich des Klägers als Vertragsarzt, die notwendigen Schlüsse und praktischen Folgerungen aus den dem Honorarbescheid zu Grunde liegenden Unterlagen zu ziehen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch modifizierte diese Grundsätze nicht.
Gegen das am 07.12.2011 zugestellte Urteil legte der Kläger am 09.01.2012 Berufung ein. Zur Begründung wurde der bisherige Vortrag wiederholt.
Der Kläger stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 12.09.2012,
des Weiteren den Antrag, die Berufungsbeklagte zu verurteilen, an den Berufungskläger den Betrag von 175.000,- EUR aus Amtspflichtverletzung zu bezahlen und den Antrag auf Verweisung des Amtshaftungsanspruchs an das zuständige Landgericht B-Stadt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie den Neuantrag hinsichtlich der Zahlung von 175.000,- EUR aus Amtshaftung als unzulässig abzuweisen.
Mit Beschluss wurde der Rechtsstreit hinsichtlich des geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs (§ 839 BGB i.V.m. Atr. 34 GG) in der mündlichen Verhandlung am 25.9.2013 abgetrennt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Beklagtenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Den Anspruch auf Schadensersatz im Rahmen der deliktischen Amtshaftung hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 25.09.2013 erstmalig geltend gemacht. Diese Klageerweiterung - der Kläger machte einen neuen, zusätzlichen Klageantrag geltend - ist eine Klageänderung im Sinne des § 99 SGG, wobei § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG nicht anzuwenden ist, da keine Veränderung etwa im Sinne einer Erledigung eingetreten ist. Diese Klageänderung ist zulässig, weil der Senat sie unter prozessökonomischen Gesichtspunkten für sachdienlich erachtet (§ 99 Abs. 1 SGG).
Für Ansprüche aus Amtshaftung gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG sind die ordentlichen Gerichte zuständig, so dass die Klage unter diesem Gesichtspunkt unzulässig ist (§ 17 Abs. 2 S. 2 GVG, § 202 SGG). Deshalb war der Rechtsstreit hinsichtlich des geltend gemachten Amtshaftungsanspruches abzutrennen.
2. Die Berufung ist im übrigen zulässig.
Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist für den vom Kläger geltend gemachten, auf Naturalrestitution gerichteten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch eröffnet (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 51 Rn. 10 a, 39). Da der Kläger primär die rückwirkende Genehmigung zur Teilnahme am Strukturvertrag begehrt, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten auch insoweit eröffnet, als die Verletzung von Nebenpflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis zu prüfen ist. § 40 Abs. 2 S. 1 3. Alternative VwGO steht dem nicht entgegen, da der ordentliche Rechtsweg für Schadensersatzansprüche von Bürgern aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten nur insoweit eröffnet ist, als eine Geldleistung begehrt wird (Ehlers in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 40 Rn. 539; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 40 Rn. 73). Soweit eine Naturalrestitution oder die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen aus öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnissen begehrt wird, verbleibt es dagegen bei der Zuständigkeit der Sozialgerichte.
3. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Da die Genehmigung zur Teilnahme an einem Strukturvertrag eine statusbegründende Entscheidung ist, kommt eine rückwirkende Genehmigung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Senats nicht in Betracht.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist im Vertragsarztrecht ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht gegeben.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch basiert nicht auf einer gesetzlichen Regelung; er ist ein richterrechtliches Rechtsinstitut, das eine Regelungslücke im Staatshaftungsrecht für den Bereich der Erbringung von Sozialleistungen schließen und eine möglichst weitgehende Verwirklichung dieser sozialen Rechte gewährleisten soll (§ 2 Abs. 2 SGB I). Das Bundessozialgericht entwickelte dieses Rechtsinstitut beginnend im Jahr 1962 (Urteil vom 14.06.1962, 4 RJ 75/60). Dem Versicherungsträger erwachse aus dem Versicherungsverhältnis eine Nebenpflicht zur Auskunft, Fürsorge und Erhaltung. Der Herstellungsanspruch sei ein Ausgleichsanspruch bei Verletzung einer vertragsähnlichen Nebenpflicht aus dem öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnis (Urteil vom 18. Dezember 1975, 12 RJ 88/75, BSGE 41,126,127). Der Herstellungsanspruch hat also zur Vorraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), oder eine aufgrund eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Nebenpflicht zur Betreuung verletzt hat und dadurch ein sozialrechtlicher Nachteil entstanden ist (vergleiche z.B. BSG Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 99/10 R, SGb 2011, 723; Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 5/05 R, BSGE 96,161).
Diese vom Bundessozialgericht entwickelte Betreuungspflicht, deren Verletzung die Voraussetzung für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist, gilt nur in so genannten Sozialrechtsverhältnissen, das heißt im Sozialleistungsrecht (vergleiche BSG a.a.O.; Reinhardt in: Krahmer/Trenk-Hinterberger, Sozialgesetzbuch I, 3. Aufl. 2014, § 14 Rn. 19; Schlegel in: juris PK-SGB V § 1 Rn. 90), nicht jedoch im Vertragsarztrecht.
Eine "allgemeine" Betreuungspflicht jenseits des Leistungsrechtes ist weder richterrechtlich anerkannt noch gesetzlich vorgesehen. Insbesondere findet § 25 VwVfG im SGB X keine Entsprechung, weil spezielle Auskunfts- und Beratungspflichten in den §§ 13 bis 15 SGB I geregelt sind. §§ 13 bis 15 SGB I sind jedoch im Vertragsarztrecht nicht anwendbar, da die Beklagte, die Kassenärztliche Vereinigung, kein Leistungsträger im Sinne von § 12 SGB I ist.
Der Kläger hat außerdem auch keinen sozialrechtlichen Schaden erlitten, also keinen Schaden, der im Zusammenhang mit Sozialleistungen nach §§ 18 ff SGB I steht. Sein Schaden besteht vielmehr in einer niedrigeren Vergütung für seine freiberufliche Tätigkeit nach § 82 Abs. 2 SGB V aufgrund der fehlenden Genehmigung.
Im Ergebnis kann der Kläger die rückwirkende Erteilung der Genehmigung nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erreichen.
Die rückwirkende Genehmigung kann auch nicht als Restitution wegen der Verletzung von Nebenpflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis erteilt werden. Das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers bei der Beklagten (§ 77 Abs. 3 S. 1 SGB V) ist kein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, in dem quasi-vertragliche Betreuungs- und Schadensersatzpflichten bestehen könnten. Verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse sind öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen zwischen der Verwaltung und dem Bürger, die nach Struktur und Gegenstand den bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnissen vergleichbar sind, insbesondere Leistungs- und Benutzungsverhältnisse im Bereich der Daseinsvorsorge, die Geschäftsführung ohne Auftrag, die öffentliche Verwahrung und in Teilbereichen das Beamtenverhältnis bzw. andere personenbezogene Schuldverhältnisse wie das Zivildienstverhältnis, das Strafgefangenenverhältnis oder das Schulverhältnis (vergleiche Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage 2012, § 26; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29). Das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers bei der Beklagten wird demgegenüber durch die gesetzlichen Regelungen der §§ 72 ff SGB V, die darauf basierenden Normverträge (Gesamtverträge, § 83 SGB V) und Richtlinien (§ 92 SGB V) sowie die Satzung der Beklagten, die gemäß § 81 Abs. 1 S. 1 Nummer 4 SGB V die Rechte und Pflichten der Mitglieder regelt, umfassend und abschließend definiert. Eine Vergleichbarkeit mit bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnissen besteht nicht. Das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers zur Kassenärztlichen Vereinigung stellt vielmehr ein verwaltungsrechtliches Dauerrechtsverhältnis dar, das in erster Linie durch das Statusrecht der jeweiligen Körperschaft, das heißt die Satzung der Beklagten, und die Normen des SGB V geprägt wird (hierzu Wolf/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 3, 5. Auflage 2004, § 87 Rn. 45, 55 ff). Es schließt eine analoge Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften über einen Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (§§ 280, 311 BGB) wegen der struturellen Unterschiede zum bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnis aus.
Da der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Erteilung der rückwirkenden Genehmigung zur Teilnahme am Strukturvertrag hat, war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG, § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund vorliegt.
II. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die rückwirkende Teilnahme am Strukturvertrag in den Quartalen 4/2004 bis 4/2007.
Der Kläger ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und seit dem Quartal 4/2004 in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. An der Sozialpsychiatrischen Vereinbarung nimmt er seit 15.11.2004 teil.
Am 23.05.2008 beantragte er die rückwirkende Teilnahme am Strukturvertrag bezüglich der von ihm erbrachten Leistungen der Nrn. 846, 849 und 960 EBM a.F. beziehungsweise 14220, 141222 und 14310 EBM 2000+ mit dem Ziel, dass diese Leistungen mit dem Punktwert nach dem Strukturvertrag vergütet werden. Zur Begründung verwies er im Schreiben vom 24.07.2008 auf die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Aufgrund des Mitgliedschaftsverhältnisses bei der Beklagten bestünden für diese umfangreiche Auskunfts-, Aufklärungs- und Beratungspflichten, insbesondere bei neuen Niederlassungen. Der Kläger habe darauf vertrauen können, umfassend über Strukturverträge informiert zu werden. Hilfsweise stellte er einen Antrag nach § 44 SGB X.
Mit Bescheid vom 17.09.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine rückwirkende Genehmigung der Teilnahme am Strukturvertrag sei grundsätzlich nicht möglich. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 zurück. Die Teilnahmeerklärung sei erst am 26.05.2008 eingegangen. Die Beklagte habe dem Kläger den Strukturvertrag mit einer Teilnahmeerklärung am 29.07.2004 zugesandt. Damit sei sie ihren Sorgfaltspflichten in ausreichendem Maße nachgekommen. Im Übrigen habe jeder Arzt eine Pflicht zur Information, die sich allgemein aus der Berufsordnung für Ärzte ergebe. Außerdem werde jedes Quartal eine Übersicht der Auszahlungspunktwerte in der Mitgliederzeitschrift KV-Blickpunkt veröffentlicht. Durch einen Vergleich der Punktwerte aus der Übersicht mit den Quartalsabrechnungen hätte der Kläger bereits im Quartal 4/2004 erkennen können, dass die geförderten Strukturvertragsleistungen nicht mit dem Strukturvertragspunktwert vergütet worden seien.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG). Er machte erneut einen Herstellungsanspruch geltend. Aufgrund seiner Unerfahrenheit bei der Praxisgründung und der Vielzahl der neuen Regelungen sei ihm erst im Mai 2008 aufgefallen, dass die Leistungen nicht mit dem Strukturvertragspunktwert vergütet worden seien. Die Beklagte habe bisher nicht nachgewiesen, dass sie dem Kläger bereits im Jahr 2004 eine Teilnahmeerklärung zum Strukturvertrag zugesandt habe. Er habe jedoch seinen Willen zur Teilnahme am Strukturvertrag bereits im Schreiben vom 26.07.2004 (Erhebungsbogen) eindeutig geäußert.
Mit Urteil vom 06.07.2011 wies das SG die Klage ab. Die Versagung der rückwirkenden Genehmigung sei rechtmäßig. Die Unkenntnis des Klägers sei rechtlich unbeachtlich. Er habe die Möglichkeit gehabt, anhand der für jedes Quartal veröffentlichten Übersicht der Auszahlungspunktwerte festzustellen, dass er nicht den Strukturvertragspunktwert erhalten hatte. Die Beklagte müsse nicht beweisen, dass sie dem Kläger die Erklärung über die Teilnahme am Strukturvertrag zugeschickt habe. Vielmehr müsse der Kläger beweisen, dass er bereits ab dem Quartal 4/2004 die Voraussetzungen für eine Teilnahme am Strukturvertrag erfüllt habe. Es liege im Verantwortungsbereich des Klägers als Vertragsarzt, die notwendigen Schlüsse und praktischen Folgerungen aus den dem Honorarbescheid zu Grunde liegenden Unterlagen zu ziehen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch modifizierte diese Grundsätze nicht.
Gegen das am 07.12.2011 zugestellte Urteil legte der Kläger am 09.01.2012 Berufung ein. Zur Begründung wurde der bisherige Vortrag wiederholt.
Der Kläger stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 12.09.2012,
des Weiteren den Antrag, die Berufungsbeklagte zu verurteilen, an den Berufungskläger den Betrag von 175.000,- EUR aus Amtspflichtverletzung zu bezahlen und den Antrag auf Verweisung des Amtshaftungsanspruchs an das zuständige Landgericht B-Stadt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie den Neuantrag hinsichtlich der Zahlung von 175.000,- EUR aus Amtshaftung als unzulässig abzuweisen.
Mit Beschluss wurde der Rechtsstreit hinsichtlich des geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs (§ 839 BGB i.V.m. Atr. 34 GG) in der mündlichen Verhandlung am 25.9.2013 abgetrennt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Beklagtenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Den Anspruch auf Schadensersatz im Rahmen der deliktischen Amtshaftung hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 25.09.2013 erstmalig geltend gemacht. Diese Klageerweiterung - der Kläger machte einen neuen, zusätzlichen Klageantrag geltend - ist eine Klageänderung im Sinne des § 99 SGG, wobei § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG nicht anzuwenden ist, da keine Veränderung etwa im Sinne einer Erledigung eingetreten ist. Diese Klageänderung ist zulässig, weil der Senat sie unter prozessökonomischen Gesichtspunkten für sachdienlich erachtet (§ 99 Abs. 1 SGG).
Für Ansprüche aus Amtshaftung gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG sind die ordentlichen Gerichte zuständig, so dass die Klage unter diesem Gesichtspunkt unzulässig ist (§ 17 Abs. 2 S. 2 GVG, § 202 SGG). Deshalb war der Rechtsstreit hinsichtlich des geltend gemachten Amtshaftungsanspruches abzutrennen.
2. Die Berufung ist im übrigen zulässig.
Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist für den vom Kläger geltend gemachten, auf Naturalrestitution gerichteten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch eröffnet (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 51 Rn. 10 a, 39). Da der Kläger primär die rückwirkende Genehmigung zur Teilnahme am Strukturvertrag begehrt, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten auch insoweit eröffnet, als die Verletzung von Nebenpflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis zu prüfen ist. § 40 Abs. 2 S. 1 3. Alternative VwGO steht dem nicht entgegen, da der ordentliche Rechtsweg für Schadensersatzansprüche von Bürgern aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten nur insoweit eröffnet ist, als eine Geldleistung begehrt wird (Ehlers in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 40 Rn. 539; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 40 Rn. 73). Soweit eine Naturalrestitution oder die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen aus öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnissen begehrt wird, verbleibt es dagegen bei der Zuständigkeit der Sozialgerichte.
3. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Da die Genehmigung zur Teilnahme an einem Strukturvertrag eine statusbegründende Entscheidung ist, kommt eine rückwirkende Genehmigung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Senats nicht in Betracht.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist im Vertragsarztrecht ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht gegeben.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch basiert nicht auf einer gesetzlichen Regelung; er ist ein richterrechtliches Rechtsinstitut, das eine Regelungslücke im Staatshaftungsrecht für den Bereich der Erbringung von Sozialleistungen schließen und eine möglichst weitgehende Verwirklichung dieser sozialen Rechte gewährleisten soll (§ 2 Abs. 2 SGB I). Das Bundessozialgericht entwickelte dieses Rechtsinstitut beginnend im Jahr 1962 (Urteil vom 14.06.1962, 4 RJ 75/60). Dem Versicherungsträger erwachse aus dem Versicherungsverhältnis eine Nebenpflicht zur Auskunft, Fürsorge und Erhaltung. Der Herstellungsanspruch sei ein Ausgleichsanspruch bei Verletzung einer vertragsähnlichen Nebenpflicht aus dem öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnis (Urteil vom 18. Dezember 1975, 12 RJ 88/75, BSGE 41,126,127). Der Herstellungsanspruch hat also zur Vorraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), oder eine aufgrund eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Nebenpflicht zur Betreuung verletzt hat und dadurch ein sozialrechtlicher Nachteil entstanden ist (vergleiche z.B. BSG Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 99/10 R, SGb 2011, 723; Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 5/05 R, BSGE 96,161).
Diese vom Bundessozialgericht entwickelte Betreuungspflicht, deren Verletzung die Voraussetzung für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist, gilt nur in so genannten Sozialrechtsverhältnissen, das heißt im Sozialleistungsrecht (vergleiche BSG a.a.O.; Reinhardt in: Krahmer/Trenk-Hinterberger, Sozialgesetzbuch I, 3. Aufl. 2014, § 14 Rn. 19; Schlegel in: juris PK-SGB V § 1 Rn. 90), nicht jedoch im Vertragsarztrecht.
Eine "allgemeine" Betreuungspflicht jenseits des Leistungsrechtes ist weder richterrechtlich anerkannt noch gesetzlich vorgesehen. Insbesondere findet § 25 VwVfG im SGB X keine Entsprechung, weil spezielle Auskunfts- und Beratungspflichten in den §§ 13 bis 15 SGB I geregelt sind. §§ 13 bis 15 SGB I sind jedoch im Vertragsarztrecht nicht anwendbar, da die Beklagte, die Kassenärztliche Vereinigung, kein Leistungsträger im Sinne von § 12 SGB I ist.
Der Kläger hat außerdem auch keinen sozialrechtlichen Schaden erlitten, also keinen Schaden, der im Zusammenhang mit Sozialleistungen nach §§ 18 ff SGB I steht. Sein Schaden besteht vielmehr in einer niedrigeren Vergütung für seine freiberufliche Tätigkeit nach § 82 Abs. 2 SGB V aufgrund der fehlenden Genehmigung.
Im Ergebnis kann der Kläger die rückwirkende Erteilung der Genehmigung nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erreichen.
Die rückwirkende Genehmigung kann auch nicht als Restitution wegen der Verletzung von Nebenpflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis erteilt werden. Das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers bei der Beklagten (§ 77 Abs. 3 S. 1 SGB V) ist kein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, in dem quasi-vertragliche Betreuungs- und Schadensersatzpflichten bestehen könnten. Verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse sind öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen zwischen der Verwaltung und dem Bürger, die nach Struktur und Gegenstand den bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnissen vergleichbar sind, insbesondere Leistungs- und Benutzungsverhältnisse im Bereich der Daseinsvorsorge, die Geschäftsführung ohne Auftrag, die öffentliche Verwahrung und in Teilbereichen das Beamtenverhältnis bzw. andere personenbezogene Schuldverhältnisse wie das Zivildienstverhältnis, das Strafgefangenenverhältnis oder das Schulverhältnis (vergleiche Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage 2012, § 26; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29). Das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers bei der Beklagten wird demgegenüber durch die gesetzlichen Regelungen der §§ 72 ff SGB V, die darauf basierenden Normverträge (Gesamtverträge, § 83 SGB V) und Richtlinien (§ 92 SGB V) sowie die Satzung der Beklagten, die gemäß § 81 Abs. 1 S. 1 Nummer 4 SGB V die Rechte und Pflichten der Mitglieder regelt, umfassend und abschließend definiert. Eine Vergleichbarkeit mit bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnissen besteht nicht. Das Mitgliedschaftsverhältnis des Klägers zur Kassenärztlichen Vereinigung stellt vielmehr ein verwaltungsrechtliches Dauerrechtsverhältnis dar, das in erster Linie durch das Statusrecht der jeweiligen Körperschaft, das heißt die Satzung der Beklagten, und die Normen des SGB V geprägt wird (hierzu Wolf/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 3, 5. Auflage 2004, § 87 Rn. 45, 55 ff). Es schließt eine analoge Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften über einen Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (§§ 280, 311 BGB) wegen der struturellen Unterschiede zum bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnis aus.
Da der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Erteilung der rückwirkenden Genehmigung zur Teilnahme am Strukturvertrag hat, war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG, § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund vorliegt.
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