L 4 AY 19/13 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 20 AY 11/13 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 19/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
mit Berichtigungsbeschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. September 2013 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der diese beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. September 2013 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen,
ist gem. § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig.

Sie ist insbesondere nicht gem. § 173 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Maßgebend ist, ob im Hauptsacheverfahren die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 SGG für eine zulassungsfreie Berufung vorliegen. Der danach maßgebliche Beschwerdewert von 750,00 EUR ist hier erreicht. Der nominale Regelungsgehalt des Bescheids vom 27. Mai 2013 mit dem ab 1. Juni 2013 bis 30.Juni 2013 Leistungen nur noch in Höhe von 217,00 EUR, d.h. ohne den Geldbetrag von 137,00 EUR zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums bewilligt wurden, ist zwar zeitlich auf den Monat Juni 2013 beschränkt, die Bewilligung für die Folgemonate erfolgt jedoch (zeitlich unbegrenzt) jeweils konkludent durch Weiterzahlung bzw. Überweisung (vgl. zu dieser Gestaltung BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, B 8/9b AY 1/07 R, Juris RdNr. 11 ff.). Bei unveränderten Verhältnissen erlangt der Bescheid vom 27. Mai 2013 somit Bedeutung auch für die Folgemonate und damit Dauerwirkung. Aufgrund der auf diese Weise unbefristeten Bewilligung der Leistungen ist der Beschwerdegegenstand nicht auf den Monat Juni 2013 beschränkt. Der Antragsteller begehrt ungekürzte Leistungen jedenfalls ab Antragstellung am 6. August 2013. Der maßgebliche Beschwerdewert wird bereits durch Leistungseinschränkungen für 6 Monate (einschließlich Januar 2014) überschritten.

Die Beschwerde nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Nach § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Der Anordnungsgrund folgt aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen (vgl. auch Oppermann in jurisPK-SGB II, Stand 13. November 2013, RdNr. 103 zu § 1a AsylbLG).

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, dieser beruht auf § 3 AsylbLG in Verbindung mit der Übergangsregelung aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Der Antragsteller hat hiernach Anspruch auf die vorläufige Gewährung uneingeschränkter Leistungen nach § 3 AsylbLG nach den geltenden Bestimmungen bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache. Die in dem angefochten Bescheid vorgenommenen Anspruchseinschränkungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG sind rechtswidrig und verletzen den Antragsteller in seinen Rechten.

Nach § 1 Nr. 2 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 und ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach dem AsylbLG nur, soweit es im Einzelfall nach dem Umständen unabweisbar geboten ist.

Seitens des Senats bestehen bereits Zweifel, ob die streitgegenständliche Entscheidung über die Anspruchseinschränkung in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen ist. Nach der Rechtsprechung ist neben einer Anhörung des Beteiligten (vgl. § 28 HVwVfG) in den Fällen des § 1a Nr. 2 AsylbLG eine Fristsetzung zur Erfüllung der dem Leistungsberechtigten aufgegebenen Mitwirkungspflicht (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. Januar 2013, L 8 AY 2/12 B ER, jedoch ohne Angabe einer Rechtsgrundlage - § 66 Abs. 3 SGB I ist indessen nicht anwendbar (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20 Dezember 2012, L 7 AY 2576/11)) erforderlich. Vorliegend ist in den Akten der Antragsgegnerin in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Bescheid vom 27. Mai 2013 nicht dokumentiert, dass dem Antragsteller konkrete Handlungen im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten überhaupt auferlegt worden sind. Soweit die Antragsgegnerin nach Aktenlage zuletzt mit Schreiben vom 20. November 2006 von dem Antragsteller die Vorlage eines Identitätsnachweises des indischen Konsulats unter Fristsetzung bis zum 20. Dezember 2006 verlangt hat, dürfte dies nicht ausreichend sein, weil im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids bereits nicht erkennbar war, dass unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich durch den Antragsteller gegenüber der Ausländerbehörde vorgenommenen ausländerrechtlichen Mitwirkungshandlungen (Vorlage eines Führerscheins am 11 April 2012, Teilnahme an einem Interview im indischen Generalkonsulat am 17. Juli 2012) unabhängig davon, ob diese unter ausländerrechtlichen Maßstäben ausreichend waren, die Antragsgegnerin weiterhin an der seinerzeit auferlegten Mitwirkungshandlung festgehalten hat.

Soweit der Antragsteller ausweislich der beigezogenen Ausländerakte von der Ausländerbehörde verschiedentlich zur Mitwirkung bei seiner Identitätsfeststellung bzw. zur Beschaffung von Passersatzpapieren aufgefordert wurde (§ 82 AufenthG), ist eine auf Grund einer bloßen Meldung der Ausländerbehörde ohne eigenständige Prüfung der Sozialbehörde vorgenommene Leistungseinschränkung nach Auffassung des Bayerisches LSG (a. a. O, m. w. N.) rechtswidrig. Hierfür spricht, dass die ausländerrechtliche Aufforderung zur Mitwirkung eine Belehrung über die Folgen der unterlassenen Mitwirkung für die Leistungshöhe nach dem AsylbLG nicht beinhaltet (vgl. § 82 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 AufenthG), so dass es insoweit an der entsprechenden Hinweis- und Warnfunktion fehlt. § 1a Nr. 2 AsylbLG sanktioniert nicht den unrechtmäßigen Aufenthalt als solchen sondern ein rechtsmissbräuchliches Verhalten, das zurechenbar den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen verhindert, weshalb das Erfordernis einer konkreten Aufforderung unter Fristsetzung für die angestrebte Verhaltenssteuerung naheliegend erscheint.

Selbst wenn jedoch die ausländerrechtliche Auferlegung von Mitwirkungshandlungen ausreichend sein sollte, ist vorliegend zweifelhaft, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der leistungseinschränkenden Vorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG noch gegeben sind, nachdem der Antragsteller am 9. Oktober 2013 einer Vorladung der Ausländerbehörde zu einem Interviewtermin im Generalkonsulat seines Heimatlandes nachgekommen ist, anlässlich dessen der Antragsteller nach dem Inhalt der beigezogenen Ausländerakte neue Angaben zu seiner Identität gemacht hat, die nun durch die Behörden seines Heimatlandes auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

Im Ergebnis kann jedoch offen bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1a Nr. 2 AsylbLG erfüllt sind. Die Vorschrift schränkt Grundleistungen, die Asylbewerber gemäß § 3 AsylbG erhalten, weiter ein, wenn ein Missbrauchstatbestand vorliegt. Aus verfassungsrechtlichen Gründen (Schutz eines soziokulturellen Existenzminimums) ist die Norm restriktiv auszulegen (Birk in LPK-SGB XII, Rdnr. 1 zu § 1a AsylbLG; Hohm in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Rdnr. 2 zu § 1a AsylbLG).

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 8. Juli 2012 1 Bvl 10/10, 1 BvL 2/11 - verlangt Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss (siehe bereits oben). Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau vermeiden zu können, können danach von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren (13. Ausschuss), vom 14. Mai 1993, BT-Drucks. 12/5008, S. 13 f.) Die in § 1 AsylbLG in der Festlegung des Kreises der Berechtigten angelegte Vermutung, diese hielten sich nur kurzzeitig in Deutschland auf, ist erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (BVerfG, a. a. O., Juris Rdnr. 93 f.). Selbst wenn die Prognose für die Anfangszeit des Aufenthalts der Betroffenen nur aus dem Aufenthaltsstatus abgeleitet werden könnte, ist es jedenfalls für die in § 2 Abs. 1 AsylbLG vorgesehene Dauer von mittlerweile 4 Jahren des Leistungsbezugs und folglich einen evtl. auch längeren Aufenthalt nicht mehr gerechtfertigt, von einem nur kurzen Aufenthalt mit möglicherweise spezifisch niedrigem Bedarf auszugehen. Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigen es nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss (vgl. BVerfGE 125, 175 ( 253 )).

Das BVerfG hat sich in der vorzitierten Entscheidung nicht ausdrücklich mit der Verfassungsmäßigkeit von § 1a AsylbLG befasst, in Literatur und Rechtsprechung wurden daher in der Folge Zweifel geäußert, ob Leistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG auf das unabweisbar Gebotene aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten noch zulässig sind (vgl. hierzu Bayer. LSG, Beschluss vom 24. Januar 2013, L 8 AY 4/12 B ER, Juris RdNr. 31 mit Literatur- und Rechtsprechungsnachweisen). In der Entscheidung des Bayer. LSG, a. a. O., wurde offengelassen, ob Leistungseinschränkungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG nach dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 grundsätzlich verwehrt sind. Im Rahmen der Rechtsfolgenabwägung sei jedoch der Geldbetrag zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens als Teil des soziokulturellen Existenzminimums vorläufig zu gewähren (Leitsatz Nr. 3 und Juris Rdnr. 32 f.). In weiteren Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes wurden verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 1a Nr. 2 AsylbLG verneint (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 29. August 2013, L 4 A5/13 B ER, L 4 AY 6/13 B PKH, Leitsatz und Juris Rdnr. 6 f.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. August 2013, L 8 AY 3/13 B ER, Leitsatz und Juris Rdnr. 35 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. März 2013, L 8 AY 59/12 B ER, Leitsatz und Juris Rdnr. 24 f; LSG Thüringen, Beschluss vom 17. Januar 2013 , L 8 AY 1801/12 B ER, Juris Rdnr. 24). Dies wurde zum Teil damit begründet, dass es der Leistungsberechtigte in der Hand habe, die Leistungsvoraussetzungen zu erfüllen und eine Kürzung zu vermeiden. Nicht anders als in anderen Grundsicherungssystemen sei die Verknüpfung von Mitwirkungspflichten und Verhaltenspflichten mit Leistungseinschränkungen auch im AsylbLG verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. LSG Thüringen, a. a. O., Juris Rdnr. 24). In anderen Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes wurde der Rechtsbegriff der "im Einzelfall unabweisbar gebotenen Leistungen" auf der Rechtsfolgenseite des § 1a AsylbLG dahingehend verfassungskonform ausgelegt, dass für die Zeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung eine Absenkung der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG auf der Grundlage des § 1a AsylbLG nicht in Betracht kommt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. April 2013, L 20 AY 153/12 B ER, Juris Rdnr. 48; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. März 2013, L 3 AY 2/13 B ER, veröffentlicht in Juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Februar 2013, L 15 AY 2/13 B ER, Juris Rdnr. 8). Auch im Rahmen des § 1a AsylbLG dürfe der Leistungsumfang das menschenwürdige Existenzminimum nicht unterschreiten. Insofern könnten sich bei summarischer Prüfung für die nach § 1a AsylbLG unabweisbar zu gewährenden Leistungen wertmäßig keine Unterschiede zu denjenigen Leistungen ergeben, die nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten als Übergangsleistungen bei § 3 AsylbLG im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG zur Verfügung zu stellen seien (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O, Juris Rdnr. 44).

Vor dem Hintergrund der dargestellten Erwägungen des BVerfG hält der erkennende Senat es jedenfalls für unverhältnismäßig und nicht mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, den betroffenen Ausländern ohne zeitliche Begrenzung über Jahre hinweg eingeschränkte Leistungen nach § 1a Nr. 1 AsylbLG zu gewähren, insbesondere dann nicht, wenn es diese nicht in der Hand haben, durch eigenes Verhalten die Gewährung ungekürzter Leistungen herbeizuführen (zu diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. auch bereits SG Münster, Beschluss vom 1. März 2013, S 12 AY 13/13 ER, Juris Rdnr. 12 f.; Deibel, Asylbewerberleistungsrecht aktuell: Zwischen Bundesverfassungsgericht und gesetzlicher Neuregelung, Sozialrechtaktuell 3/2013, S. 103, 108; Janda, Quo vadis, AsylbLG? Möglichkeiten der Neugestaltung der existenzsichernden Leistungen für Personen mit vorübergehendem Aufenthalt nach dem Urteil des BVerfG, ZAR 2013, 175, 4.2.4.1) und daher eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift für geboten (Beschluss des Senats vom 9. Dezember 2013, L 4 AY 17/13 B ER).

Zwar hält auch der Senat Leistungskürzungen nach § 1a AsylbLG im Grundsatz für verfassungsrechtlich zulässig, insbesondere auch im Hinblick auf verhaltensbedingte Leistungskürzungen im Fürsorgerecht (vgl. § 31 Abs. 2 SGB II, §§ 26, 41 Abs. 4 SGB XII). Jedenfalls zeitlich begrenzte verhaltensbedingte Einschränkungen der Leistungen müssen danach aus Gründen der "Gleichbehandlung" auch im Asylbewerberleistungsrecht möglich sein, um eine Privilegierung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG im Vergleich zu deutschen Sozialhilfeempfängern und dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländern zu verhindern (vgl. zu diesem Gesichtspunkt LSG Bayern mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung BT-Drs. 13/1055, S. 5 linke Spalte a. E.; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Auflage 2012, Rdnr. 2 zu § 1a AsylbLG). Leistungskürzungen im SGB II und SGB XII sind jedoch in der Regel vorübergehender Natur, und es geht ihnen eine Belehrung über die Folgen der Fortsetzung des sanktionsbedrohten Verhaltens voraus.

Auch der konkrete Missbrauchstatbestand des § 1a Nr. 2 AsylbLG begegnet hinsichtlich seiner tatbestandlichen Voraussetzungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, jedoch beanspruchen die verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Bestimmung dessen, was nach den Umständen im Einzelfall unabweisbar geboten ist, nach der dargestellten Rechtsprechung des BVerfG verstärkte Beachtung.

Eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift steht einer dauerhaften Leistungsminderung entgegen und lässt Einschränkungen der Grundleistungen wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens jedenfalls dann als unverhältnismäßig erscheinen, wenn bereits über mehrere Jahre hinweg eingeschränkte Leistungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG bezogen wurden und durch die Leistungseinschränkung die bezweckte Mitwirkungshandlung des Ausländers nicht erreicht werden konnte (vgl. Hozlhey in: jurisPK-SGB XII, § 26 RdNr. 24 zur Dauer der Einschränkung existenzsichernder Leistungen nach dem SGB XII) oder konkrete Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers nicht ersichtlich sind. In entsprechender Anwendung des § 2 AsylbLG kann dabei auf einen Zeitraum von 4 Jahren als absolute zeitliche Grenze der Leistungseinschränkungen abgestellt werden (vgl. Beschluss des Senats vom 9. Dezember 2013, L 4 AY 17/13 B ER).

Im streitgegenständlichen Fall bezieht der Antragsteller eingeschränkte Leistungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG bereits seit Dezember 2006, mithin seit ca. sieben Jahren. Konkrete Anhaltspunkte für eine baldige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet sind ersichtlich, da noch ungewiss ist, ob und ggf. wann die neuerlichen Angaben des Antragstellers aus Anlass des Interviewtermins im Oktober 2013 zu einer Identitätsfeststellung und der Erteilung von Passersatzpapieren durch die indischen Behörden und damit zur Vollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen führen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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Berichtigungsbeschluss

hat der 4. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt am 6. März 2014 durch den Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Dr. Schuler beschlossen:

Der Beschluss des Senats vom 6. Januar 2014 wird gem. § 138 Sozialgerichtsgesetz auf S. 7 letzter Absatz wie folgt berichtigt:

Statt der Formulierung "Konkrete Anhaltspunkte für eine baldige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet sind ersichtlich, " muss es richtig lauten: "Konkrete Anhaltspunkte für eine baldige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet sind nicht ersichtlich, "

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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