Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 VH 1/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VU 15/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung von Schädigungsfolgen nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) sowie die Gewährung von Versorgungsleistungen.
Der am ... 1953 geborene Kläger befand sich vom 29. Januar 1975 bis 28. Juli 1976 u.a. wegen eines versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in Haft. Das Landgericht Halle erklärte mit Beschluss vom 20. März 2003 das dieser Haft zugrunde liegende Strafurteil des Kreisgerichts W. vom 20. Juni 1975 für rechtsstaatswidrig und hob es auf. Am 10. April 2003 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach § 21 StrRehaG. Als Schädigung gab er ein Augenleiden (konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung) sowie eine Hirnschädigung (Tremor, Hirnleistungsschwäche, Kopfschmerz, Angstsymptom) an, und führte diese gesundheitlichen Einschränkungen auf die Exposition mit Quecksilber zurück, der er während seiner Haftzeit mit Arbeitseinsatz in den Buna-Fabrikwerken ausgesetzt gewesen sei. Mit Bescheid vom 22. September 2003 gewährte der Beklagte für die zu Unrecht verhängte Freiheitsentziehung eine Kapitalentschädigung in Höhe von 5.828,73 EUR und leitete wegen der geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen medizinische Ermittlungen ein.
Nach dem beigezogenen Entlassungsbericht der Reha-Klinik G. (stationärer Aufenthalt vom 22. März bis 3. Mai 2001) vom 17. Mai 2001 wurden die Diagnosen einer Panikstörung, einer arteriellen Hypertonie sowie eines chronischen LWS-Syndroms mit muskulären Dysbalancen gestellt. Symptomatisch bestünden ein Zittern, Schweißausbrüche, Angstzustände sowie Herzklopfen. Bei der Aufnahme habe der Kläger angegeben: Seit Anfang 2000 leide er Panikattacken, die wohl von einer Schilddrüsenüberfunktion verursacht seien. Eine Schilddrüsenoperation habe den Zustand nicht verbessern können. Vor eineinhalb Jahren sei die Symptomatik erstmals während der Fahrt mit dem LKW aufgetreten. Seitdem habe er furchtbare Angst, sich wieder hinter das Steuer zu setzen. Auch sei er in schlechter Stimmung und leide unter Schlafstörungen sowie Albträumen, in denen er Todesängste erleide. In psychologischer Behandlung sei er derzeit aber nicht. Durch die Schilddrüsenüberfunktion habe er ständig ein Kribbeln und eine Unruhe, werde nachts wach und habe stechende Schmerzen in den Extremitäten. Dadurch sei er sehr leicht erregbar. Ein Bluthochdruck werde seit einem Monat behandelt. Außerdem habe er Kopfschmerzen im Bereich der Stirn sowie Rückenschmerzen ohne Schmerzausstrahlung. Zu seiner sozialen Situation gab er an: Nach der 8. Klasse habe er eine Maurerlehre absolviert und sei dann zunächst als Chemiefacharbeiter tätig gewesen. Während dieser Zeit habe er den LKW-Führerschein erworben und sei für verschiedene Speditionen gefahren. Seit Mitte der neunziger Jahre sei er bei einer Tätigkeit für eine westdeutsche Firma einer erheblichen Stressbelastung ausgesetzt gewesen. Vor ca. einem Jahr habe er während einer Fahrt einen Unfall mit Todesfolge beobachtet, was bei ihm eine Panikattacke ausgelöst habe. Seitdem könne er keinen LKW mehr fahren. Er lebe mit seiner Freundin, einer Altenpflegerin, seit 23 Jahren zusammen. Aus dieser Beziehung entstamme ein 13-jähriger Sohn, der unter psychogenem Asthma leide. Er fühle sich im Haushalt nicht ausgelastet und von seiner Partnerin vernachlässigt. Ihn störe, dass sein Sohn wegen des Asthmas im Ehebett schlafe. Derzeit bestehe noch ein kleiner Freundeskreis. Am Wochenende fahre er mit der Familie in einen Bungalow und verbringe die Freizeit dort mit Angeln.
In einem eingeholten Bericht der Klinik B./Fachkrankenhaus für Psychiatrie W. vom 25. November 2002 stellte Oberarzt B. die Diagnosen:
Soziale Phobien,
Sonstige somatoforme Störung,
Verdacht auf beginnende Demenz.
Wegen des Zitterns habe der Kläger Angst, als Alkoholiker stigmatisiert zu werden. Er grüble viel über den Tod seines Bruders und die Dinge seines Lebens, die alle schief gelaufen seien. Neurologisch bestehe ein grobschlägiger, linksbetonter Haltetremor. Er sei klagsam und berichte über ein stets stärker werdendes Händezittern. Die Konzentrationsfähigkeit sei mittelgradig gestört und die Merkfähigkeit leicht herabgesetzt. Gedächtnisstörungen oder formale Denkstörungen bzw. Wahnvorstellungen bestünden nicht. Der Kläger mache einen ratlosen Eindruck, wirke hoffnungslos und sei leicht reizbar. Es seien auch Anzeichen für eine vaskuläre Enzephalopathie gefunden worden.
In einem weiteren Bericht dieser Klinik vom 3. April 2003 (stationäre Aufenthalte vom 14. Februar bis 14. März 2003 und vom 24. März bis 1. April 2003) diagnostizierte Dr. G.:
Verdacht auf chronische Quecksilber-Enzephalopathie,
Hirnorganisches Psychosyndrom,
Organische Angststörung,
Organisch asthenische Störung,
Toxische Polyneuropathie,
Großzehen-/Fußheberparese links mit Bandscheibenvorfall L4/L5 sowie erosiver Osteochondrose (L4/L5).
Die laborchemischen Untersuchungen hätten keine Anzeichen für eine erhöhte Kupfer- oder Quecksilberausscheidung bzw. eine besondere Konzentration im Blut ergeben. Der Beklagte holte noch einen Befundschein von der Fachärztin für Augenheilkunde G. vom 15. November 2003 ein, wonach eine Gesichtsfeldeinengung mit einem Sehvermögen von 0,8 Visus bestand.
Der Beklagte beauftragte sodann den Arzt für Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. T. mit der Erstellung eines ambulanten nervenärztlichen und psychotherapeutischen Gutachtens vom 25. Februar 2004. Darin führte der Gutachter u. a. aus: Der Kläger habe angegeben, während der Haft in der Elektrolyse gearbeitet und dabei Batterien geprüft zu haben. Das Quecksilber habe er in Bleiflaschen abgefüllt. Er mache die damit verbundene Quecksilberbelastung für sein starkes Zittern, seine Wahnvorstellungen sowie seine Gedächtnislücken und das Kribbeln in den Händen und Füßen verantwortlich. Nach der Haft habe er zunächst im Stickstoffwerk Pisteritz und seit 1980 wieder als Kraftfahrer gearbeitet. Nach der Haftentlassung sei eine medizinische Behandlung nicht nötig gewesen, da er sich gesundheitlich unbeeinträchtigt gefühlt habe. Seit dem Jahr 1985 habe er zunehmend Missempfindungen wahrgenommen, die "wie ein Blitz" durch seinen Körper gefahren seien. Auch habe er angefangen, an den Händen zu zittern. Dadurch habe er sich immer mehr zurückgezogen, um mit dieser Symptomatik nicht aufzufallen. Später seien Halluzinationen hinzugekommen. So habe er nicht anwesende Personen im Raum gesehen. Seit zwei Jahren sei er zunehmend vergesslich, habe Konzentrationsstörungen und sei interessenlos. Unter dem Einfluss von Tabletten sei das Zittern allerdings zurückgegangen. Im linken Fuß bestünden Taubheitsgefühle. Ein Zahn sei ihm gezogen worden und das Zahnfleisch habe sich zurückgebildet. Auch dafür mache er die Quecksilbervergiftung verantwortlich. Auch habe er zwei bis drei Mal am Tag Durchfall. Die LKW-Fahrerlaubnis habe er abgeben müssen, da er den erforderlichen Test nicht mehr bestanden habe. Seit einem halben Jahr fahre er auch keinen Pkw mehr.
Erst in der neurologischen Untersuchung habe sich ein rechtsseitig verstärkter Intentionstremor gezeigt, der während der vorangegangenen Exploration nicht aufgefallen sei. Der Kläger habe offenbar Mühe gehabt, die Grundschule zu absolvieren. So habe er erhebliche Schwierigkeiten im Fach Mathematik gehabt und habe eine Klasse wiederholen müssen. Die damalige Haft habe er mit keiner existenziellen Bedrohung in Verbindung gebracht. Die körperlich-geistig-seelische Symptomatik sei seit 2002 als komplexes Krankheitsgeschehen zu begreifen. Hierbei wirkten somatische, psychische und soziale Ursachen zusammen. Das Krankheitsbild sei genetisch multifaktoriell bedingt. Laborbefunde, die für eine höhere Quecksilberausscheidung sprechen könnten, existierten nicht. Dies spreche gegen einen Zusammenhang zwischen einer toxischen Enzephalopathie und einer Expositionszeit vor 27 Jahren. Auf nervenärztlichem Fachgebiet seien folgende Diagnosen zu stellen:
Agoraphobie (Platzangst),
Emotional labile Persönlichkeitsentwicklung,
Verdacht auf chronische Quecksilber-Enzephalopathie,
Verdacht auf toxische Polyneuropathie,
Verdacht auf beginnende subcortikale vaskuläre Demenz,
Leichte prämorbide Hirnleistungsschwäche.
Eine gründliche Exploration eines psychodynamischen Zusammenhangs zwischen Lebensgeschichte und innerseelischer Konfliktdynamik sei wegen der fehlenden Reflektionsbereitschaft des Klägers nicht möglich gewesen. Auffällig sei, dass er sich erst vor dem Hintergrund erheblicher Probleme in Beruf und Familie in eine intensive medizinische Behandlung begeben habe. Die Quecksilber-Enzephalopathie sowie die toxische Polyneuropathie nach Quecksilberexposition seien dabei lediglich als Verdachtsdiagnosen anzusehen. Sollte der Kläger jedoch einer Quecksilberexposition ausgesetzt gewesen sein, sei ein ursächlicher Zusammenhang von Quecksilberexposition während der Inhaftierung und den neurologischen Defiziten anzunehmen. Hiervon seien die schädigungsunabhängige vaskuläre Genese und prämorbide Hirnleistungsstörung abzugrenzen, die die heutigen Hirnleistungsverhältnisse mit bestimmten. Der schädigungsbedingte Anteil werde auf eine MdE von 20 geschätzt. Für die toxische Polyneuropathie sei eine MdE von 10 festzustellen.
Der Versorgungsarzt Dr. S. ist dieser Bewertung entgegengetreten und macht in seiner prüfärztlichen Stellungnahme vom 27. April 2004 geltend: Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen den neurologischen Defiziten und der Quecksilberexploration sei nicht nachgewiesen. So habe der Kläger schon frühzeitig kognitive Defizite gehabt, die sich nun durch die vaskuläre Demenz verschlimmert hätten. Das Ausmaß der Quecksilberexploration sei ungeklärt. Eine Quecksilbervergiftung führe zu einem feinschlägigen, beiderseitigen Tremor, der nicht beobachtet worden sei. Als zweites typisches Quecksilbersymptom trete eine verstärkte Salivation (Speichelfluss), verbunden mit Metallgeschmack und Stomatitis (Entzündung der Mundschleimhaut) auf, was in keinem der beigezogenen Befunde belegt sei. Auch der Nachweis einer erhöhten Quecksilberausscheidung sei nicht erbracht. Erst Anfang des Jahres 2000 habe der Kläger erstmals vermehrt über auffällige Symptome geklagt. Zuvor seien keine ärztlichen Behandlungen notwendig gewesen. Ein Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem Schädigungstatbestand sei daher nicht gegeben.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2004 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 4. Juni 2004. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2005 wies der Beklagte diesen als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 14. Januar 2005 Klage beim Sozialgericht Dessau erhoben und zur Begründung seiner Klage vorgetragen: Sein gesundheitlicher Zustand habe sich weiter verschlechtert. Eine Quecksilbervergiftung könne zahlreiche Symptome auslösen.
Dr. T. habe für den Fall einer Exposition mit Quecksilber einen Zusammenhang zwischen den neurologischen Defiziten und dieser toxischen Belastung grundsätzlich bejaht. Die Krankheitssymptomatik (insbesondere der Tremor) sei typisch für eine Quecksilbervergiftung. Zudem genüge es nicht, lediglich die psychischen Folgen einer Quecksilbervergiftung zu untersuchen. Erforderlich sei vielmehr eine neurologische Bewertung seines Gesundheitszustandes. Die Angaben zur Quecksilberexposition seien rechtlich als wahr zu unterstellen. Die Bewertungen des Gutachters zur MdE seien dagegen nicht nachvollziehbar. Die schulischen Schwierigkeiten beträfen viele Schüler und seien für den Ursachenzusammenhang bedeutungslos. Alkoholprobleme habe er als Berufskraftfahrer nie gehabt.
Das Sozialgericht Dessau hat mit Urteil vom 22. April 2005 den Antrag des Klägers auf Aufhebung der ihn belastenden Bescheide und auf Verurteilung des Beklagten, ihm eine Beschädigtenversorgung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zu gewähren, abgewiesen und im Wesentlichen auf fehlende Brückensymptome verwiesen. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genüge für einen Ursachenzusammenhang nicht.
Der Kläger hat gegen das ihm am 4. Mai 2005 zugestellte Urteil am 2. Juni 2005 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und trägt ergänzend vor: Das Sozialgericht habe seine Ermittlungspflichten verletzt. Bereits in der Diagnose der Klinik B. W. vom 3. April 2003 seien die Symptome auf neurologisch/psychiatrischem Gebiet mit einer Quecksilbervergiftung in Zusammenhang gebracht worden. So könne eine Quecksilbervergiftung nach einer Internetrecherche allein bis zu 130 Symptome auslösen. Es bedürfe daher einer toxikologischen Bewertung des Sachverhalts durch einen entsprechenden Facharzt. Dagegen sei die fachliche Qualifikation des Versorgungsarztes Dr. S. unbekannt. Selbst
Dr. T. habe einen deutlichen Verdacht auf eine Quecksilber-Enzephalopathie sowie eine toxische Polyneuropathie geäußert. Auch habe es die Vorinstanz versäumt, die Lebensgefährtin des Klägers und Dr. S. (Klinik B.) zum genauen Krankheitsverlauf zu vernehmen. Die Vermutungen des Sachverständigen, die Gründe der psychischen Erkrankung seien in der Familienanamnese, der schulischen Entwicklung oder in der weiteren Lebensentwicklung zu suchen, überzeugten nicht. Vielmehr seien es logische Folgen einer körperlichen und seelischen Veränderung, die der Kläger während der Haftzeit erfahren habe. Auch die behauptete organische Demenz sei nicht hinreichend aufgeklärt worden. Unter verstärktem Speichelfluss leide er noch heute. Auch seien entgegen der Annahme des Gutachters bei einer Quecksilbervergiftung nach den vorliegenden Zeiträumen keine Quecksilberausscheidungen mehr zu erwarten. Nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis sei er seit 1978 wegen Infekten und Gastritis behandelt worden. Die Durchfallproblematik bestehe auch heute noch.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 22. Mai 2005 sowie den Bescheid vom 24. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab 10. April 2003 eine Polyneuropathie, eine Enzephalopathie mit psychischen Störungen, eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung, einen Zahnverlust mit Schädigung des Zahnfleisches, eine Gastritis sowie Durchfallstörungen, eine Schilddrüsenerkrankung und einen vermehrten Speichelfluss als Schädigungsfolgen anzuerkennen und Versorgung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Bescheide und die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Zur Bekräftigung seiner Rechtsansicht hat er eine Prüfärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 11. Juli 2005 vorgelegt, die ausgeführt hat: Auch wenn zu Gunsten des Klägers von einer schwerwiegenden Quecksilberexposition in der Haft auszugehen sei, bestehe kein Zusammenhang mit den geltend gemachten Schädigungsfolgen. Zum einen habe er bis zum Jahr 2000 keine behandlungsbedürftigen Symptome beklagt. Auch die Eintragungen im Sozialversicherungsausweis ergäben dazu keine Hinweise. Vielmehr sei er langjährig unbeeinträchtigt als Kraftfahrer tätig gewesen. Die Annahme der Klinik B., die festgestellte Symptomatik sei als "Teilaspekt einer toxischen Enzephalopathie und Polyneuropathie zu begreifen", genüge nicht für die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Auch Dr. T. habe insoweit lediglich einen Verdacht geäußert, der für einen Nachweis nicht genüge. Die erhebliche Gesichtsfeldeinschränkung sei mit keinem organischen Korrelat verbunden. Auch sei das Händezittern während der Untersuchung bei Dr. T. nicht ständig aufgetreten. Die Wirbelsäulenbeschwerden sowie die emotional labile Persönlichkeit seien nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) 2004 Nr. 72 als Schädigungsfolge auszuschließen.
Der Senat hat zunächst einen Befundbericht von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. B. vom 26. März 2009 eingeholt, wonach die Erkrankungen auf neurologischem und psychiatrischem Gebiet seit 2001 bekannt seien. Die behandelnde Hausärztin hat zahlreiche Arztbriefe der Klinik B. W. und des ...-Krankenhauses ... GmbH beigefügt. Im letztgenannten Brief gab Chefarzt Dr. R. am 9. September 2008 an: Die Zunge des Klägers zeige einen schwärzlichen Bereich im Durchmesser von 3 cm sowie eine bläuliche Verfärbung des Zahnfleisches. Er habe keine belastenden psychischen Symptome genannt. Es sei von einer Quecksilbervergiftung als ausschlaggebende Ursache für die Erkrankung auszugehen.
Sodann hat der Senat die Akte eines rentenversicherungsrechtlichen Verfahrens des Klägers beigezogen und ausgewertet. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin B. berichtete in einem Befundbericht vom 30. November 2000: Der Kläger leide an Unruhe, Händezittern, Angst, Schlafstörung, Kribbeln am ganzen Körper, Unruhe, Schweißausbrüche, Druck im Hals, Krämpfen und Missempfindungen. Anamnestisch habe er angegeben, zuvor nie ernstlich krank gewesen zu sein. Als Risikofaktor bestehe eine stressbelastende Tätigkeit. Sie diagnostizierte:
Chronische Verarbeitungsstörung und Somatisierung,
Schilddrüsenoperation wegen Überfunktion,
Vegetative Dystonie (Störung des normalen Spannungszustandes der Muskeln und Gefäße) mit Entwicklung eines Angstsyndroms.
In einem beigefügten Arztbrief des Krankenhaus ... W. vom 21. Juli 2000 berichtete Prof. Dr. Z. über eine Schilddrüsenoperation vom 18. Mai 2000. In einem weiteren Arztbrief vom 28. November 2000 gab der Chefarzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. (Klinik B. W.) an: Der Kläger sei vom 9. Oktober 2000 bis 20. Oktober 2000 stationär behandelt worden. Seit einigen Monaten bestehe bei ihm eine innere Unruhe und Reizbarkeit. Auch nach der Schilddrüsen-OP seien die Symptome wie Schweißausbrüche und kalte Hände sowie Ein- und Durchschlafstörungen geblieben. Seit dem 28. Februar 2000 sei der Kläger krankgeschrieben. Bei ausgeglichener Grundstimmung habe er sich ratlos gezeigt. Die Schwingungsfähigkeit sei eingeschränkt. Es bestehe kein Anhalt für Denkstörungen oder ein psychotisches Geschehen. Er habe von Albträumen berichtet, die sich um den Tod des Bruders drehten und mit intensiven Angstgefühlen verbunden seien. Es seien eine Angststörung sowie eine Überfunktion der Schilddrüse nach Operation im Mai 2000 zu diagnostizieren.
Der Rentenversicherungsträger beauftragte den Nervenarzt Dr. S., W., mit einer Begutachtung vom 29. Januar 2003. Dieser gab an: Der Kläger sei nach seinen Angaben als Berufskraftfahrer in einer Spedition im Westen von Kollegen massiv gemobbt worden. Er sei der einzige Ostdeutsche in diesem Betrieb gewesen. Man habe ihn sogar umbringen wollen. So seien Bremsschläuche durchschnitten worden. Auch habe es während seiner Tätigkeit eine Bombendrohung gegeben, die vermutlich ein Kollege zu verantworten habe. Derzeit habe er keine Ängste. Der Untersuchungsbefund habe Folgendes ergeben: Körperlich sowie neurologisch habe sich ein nahezu permanent bestehender, grobschlägiger, recht hochfrequenter Tremor mit wechselnder Seitenbetonung und teilweiser Verstärkung bei Halteinnervation gezeigt. Ein krankhafter neurologischer Befund bestehe nicht. Bei regelrechter Untersuchung seien die Störungen des Klägers ohne Korrelat und eine dissoziative Sensibilitäts- bzw. Gefühlsstörung zu vermuten. Psychisch liege eine gemischt depressive wie phobische Störung vor, die durch den Verlust von Handlungsfertigkeiten begründet sei.
Dr. S. berichtete in einem Arztbrief vom 26. März 2004 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 8. Januar bis 5. Februar 2004 und vom 9. Februar bis 3. März 2004 in der Klinik B. W. Er diagnostizierte:
Organische emotional labile (astehenische) Störung,
Demenz bei anderernorts klassifizierten Krankheitsbildern,
Toxische Enzephalopathie,
Organische wahnhafte Störungen,
Toxische Wirkung von Quecksilber und dessen Verbindungen,
Polyneuropathie durch sonstige toxische Einwirkung,
Kompression von Nervenwurzeln und Nervenplexus bei Bandscheibenschäden,
Radikulopathie.
Ferner beauftragte der Rentenversicherungsträger den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie MR Dr. habil. E. mit einem Gutachten. Dieser kam am 15. Februar 2005 zu folgenden Ergebnissen: Der Kläger habe anamnestisch generalisierende und wenig detailgenaue Beschreibungen geliefert. Nach der Inhaftierung wegen versuchter Republikflucht habe er eine sehr schwierige Zeit durchlebt. Der Vater (Volkspolizist) sowie seine Mutter hätten sich von ihm lossagen wollen, was er nur schwer habe ertragen können. Der Vater sei dann degradiert und in den Innendienst versetzt worden. Der Sachverständige diagnostizierte:
Dissoziative Störungen, gemischt bei sonstiger neurotischer Störung,
Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung,
Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Sedativa und Hypnotika,
Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen (Rentenkampf).
Es bestehe eine psychotherapiebedürftige Störung, jedoch keine objektivierbare Gesundheitsstörung infolge von Vergiftungen oder anderer organische Erkrankungen. Der Kläger sei voll erwerbsfähig, wenn er sich in eine psychiatrische Therapie begeben würde.
Der Rentenversicherungsträger veranlasste schließlich eine weitere neurologische Begutachtung vom 17. November 2005 (Untersuchung vom 29. Juli 2005) von PD Dr. S. (St.- Klinikum D., Neurologische Klinik). In diesem Zusammenhang wurde eine psychologische Zusatzbegutachtung vom 1. September 2005 (Untersuchungen vom 19. und 26. August 2005) von der Dipl.-Psych. B. durchgeführt. Gegenüber Dr. S. gab der Kläger an: Er habe psychische Störungen, die sich vor allem in Depressionen äußerten. Nach Dr. S. seien detaillierte Angaben vom Kläger fast nicht zu erhalten gewesen. Er leide an einem Trauma, zittere kontinuierlich und habe Rückenschmerzen. Im klinischen Befund habe er auf psychischem Gebiet Verdeutlichungstendenzen gezeigt. Er wirke leidend; ihm fehle eine emotionale Schwingungsfähigkeit. Neurologisch sei die Tremorsymptomatik bei Ablenkung komplett verschwunden. Seit etwa 1999 leide er an quälenden Albträumen, Angst- und Panikzuständen sowie einem unterschiedlich starken Tremor an Händen und Füßen. Wegen dieses Tremors sei er zu Unrecht des Alkoholmissbrauchs verdächtigt und als LKW-Fahrer gekündigt worden. Seit Herbst 2000 habe er sich insgesamt 13 Mal in der Psychiatrie befunden und zwei Suizidversuche begangen. Eine Schilddrüsenoperation habe keine Besserung gebracht. Die Untersuchung habe schwere Defizite in allen höheren kognitiven Funktionen ergeben. Diagnostisch bestehe eine mittelgradige bis schwere Depression, eine Angststörung mit agoraphobischer Ausprägung und Paniksymptomen sowie eine dissoziative Störung mit Depersonalisierungs- und Fremdbeeinflussungserleben; ferner eine dissoziative Bewegungsstörung in Form eines Tremors an der rechten Hand.
Im psychologischen Zusatzgutachten gab Dipl.-Psych. B. zu den belastenden Lebensereignissen des Klägers an: Während seiner 18-monatigen Gefängnishaft habe er zwölf Stunden täglich in einem Keller mit ungesichert gelagertem Quecksilber arbeiten müssen. Er sei mit zwölf Mann auf der Zelle gewesen, wo Sexualverbrecher "das Sagen" gehabt hätten. Zu gewalttätigen Übergriffen sei es während der Haftzeit aber nicht gekommen. Nach der Haft sei er zwei Jahre ständig kontrolliert worden. Als LKW-Fahrer habe er täglich Unfälle mit Toten gesehen. In einer westdeutschen Firma sei er von den Kollegen als einziger "Ossi" massiv gemobbt worden. Einmal habe er einen Unfall mit einem zuvor vom Kollegen gewarteten Fahrzeug gehabt, bei dem die Bremsen versagten. Bei diesem Unfall habe er großes Glück gehabt, nicht verletzt worden zu sein. In einem weiteren Fall habe er bei einem Gefahrentransport auf dem Rastplatz zwei Mal einen Drohanruf erhalten, dass sein LKW beim erneuten Start explodieren würde. Die von ihm veranlasste Durchsuchung durch die Polizei sei ergebnislos geblieben. Dann habe ihn die Polizei gedrängt, das Fahrzeug zu starten. Dabei habe er große Angst gehabt und gehe davon aus, dass die Drohanrufe von einem Kollegen getätigt worden seien. Zusammenfassend sei beim Kläger von einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Diese sei offenbar besonders durch seine Erlebnisse als LKW-Fahrer und die von ihm berichteten "Man-made-Traumata" geprägt worden. Dabei habe er sich massiv bedroht und hilflos gefühlt. Durch seine Erlebnisse in der Gefängnishaft seien eine erhöhte Verletzbarkeit und ein starkes Misstrauen mit einer leichten Persönlichkeitsänderung entstanden. Diese Erlebnisse habe er jedoch anscheinend verhältnismäßig gut verarbeitet. 1988 sei sein Bruder an Krebs verstorben. Die posttraumatische Belastungsstörung sei von den traumatischen Erlebnissen im LKW-Verkehr in den späten neunziger Jahren ausgelöst worden.
Des Weiteren hat der Senat die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. Danach hat das Versorgungsamt mit Bescheid vom 16. April 2004 wegen eines hirnorganischen Psychosyndroms, einer Panikstörung und einer Polyneuropathie einen Grad der Behinderung von 50 ab 29. März 2003 festgestellt.
Im Erörterungstermin vom 15. Januar 2010 hat der Berichterstatter den Kläger befragt sowie dessen Lebensgefährtin S. H. als Zeugin vernommen. Der Kläger hat zum Sachverhalt berichtet: Die ersten Symptome habe er wohl in den Jahren 1982/1983 gehabt. Er sei bei der Schwester seiner Lebensgefährtin gewesen, als es ihn "wie ein Blitz" durchfahren und er ein lähmendes Gefühl gehabt habe. Die Lähmungserscheinungen hätten sich dann wieder zurückgebildet. Das Zittern sei dann immer schlimmer geworden. Um die Wendezeit habe er verstärkt Gedächtnisleistungsverluste festgestellt. Nach der Wende habe er auch verstärkt Probleme mit den Zähnen bekommen. Das Zahnfleisch sei bläulich verfärbt und entzündet gewesen. Ein Zahn habe gezogen werden müssen. Auch leide er an Mundgeruch. Unmittelbar nach der Haftentlassung habe er an Magengeschwüren und Durchfällen gelitten. Dies hätte sich dann aber gebessert.
Die Zeugin H. hat angegeben: Sie habe den Kläger im Stickstoffwerk kennengelernt. Er sei damals ein witziger, humorvoller und kontaktfreudiger Mensch gewesen, aber oft wegen Magenbeschwerden behandelt worden. Die Ärzte hätten jedoch nichts gefunden und ihn als Simulant hingestellt. Besonders akut seien die Symptome geworden, als er als Fernfahrer in den Altbundesländern gearbeitet habe. Da seien richtige Zitteranfälle aufgetreten. Im Jahr 1988 sei der gemeinsame Sohn geboren worden. Der Kläger sei zunehmend ichbezogener geworden und habe sein Verhalten immer stärker verändert. Nach der Aufgabe einer Tätigkeit im Jahr 2000 habe er den Haushalt geführt und das Mittagessen zubereitet. Dies sei ihm zunächst problemlos gelungen. Später habe er aber die Gerichte nicht mehr richtig fertig gebracht oder z.B. durch falsches Würzen ungenießbar gemacht. Im Jahr 2004 habe er zwei Suizidversuche unternommen. Eine Alkoholproblematik habe bei ihm nie bestanden.
Der Senat hat von der Oberärztin Dr. B., Fachärztin für Arbeitsmedizin/Umweltmedizin (Universitätsklinikum H. Sektion Arbeitsmedizin), ein arbeitsmedizinisches Gutachten vom 20. Mai 2010 erstatten lassen. Auf Anregung der Sachverständigen hat der Facharzt für Neurologie Privatdozent (PD) Dr. K. (Universitätsklinikum H., Klinik und Poliklinik für Neurologie) ein neurologisches Zusatzgutachten vom 13. Mai 2010 erstellt. Die Sachverständige Dr. B. hat ausgeführt: Aufgrund der eigenen Kenntnisse aus Beschreibungen mehrerer Anlagenfahrer könne bei der Tätigkeit des Klägers in der Chlor-Alkali-Elektrolyse mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass er einer den Grenzwert überschreitenden Exposition von Quecksilber ausgesetzt gewesen sei. Quecksilber schädige hauptsächlich die Nieren und die Nerven. Eine Nierenfunktionsstörung sei beim Kläger aber auszuschließen. Anorganisches Quecksilber könne zu einer Schädigung der peripheren Nerven in Armen und Beinen führen. Beim Kläger seien Empfindungsstörungen erstmals im Jahr 2000 in der B.- Klinik festgestellt worden. Krankhafte Befunde der Nervenleitgeschwindigkeit und der Reizamplitude seien zu diesem Zeitpunkt nicht belegt. Eine Polyneuropathie habe zu diesem Zeitpunkt daher nicht vorgelegen. Erst im Jahr 2003 finde sich in dem Bericht der B.-Klinik eine darauf gerichtete Diagnose. Dabei habe eine elektrophysiologische Untersuchung verzögerte Nervenleitgeschwindigkeiten belegt. Die aktuelle Untersuchung von PD Dr. K. habe demgegenüber wieder normale Nervenleitgeschwindigkeiten gezeigt. Es habe sich ein nur gering ausgeprägter Nervenschaden an dem rechten Beinmuskel bestätigen lassen. PD Dr. K. hat dies mit einem leichtgradigen polyneuropathischen Syndrom bewertet, was vom Kläger voll kompensiert werde. Diese Polyneuropathie könne nach den vorliegenden Befundunterlagen erst nach dem Jahr 2000 entstanden sein und stehe mit der Quecksilberexposition nicht in Zusammenhang. Überdies wäre die beim Kläger auftretende rechtsseitig betonte Polyneuropathie untypisch, die bei einer Quecksilbervergiftung regelmäßig symmetrisch auftrete. Hohe Quecksilberkonzentrationen seien geeignet, zu einem Zittern (Tremor) zu führen. Dieser Tremor werde durch eine Schädigung des Kleinhirns verursacht. Es handele es sich um einen Intensionstremor, d.h. der Tremor werde bei gezielten Bewegungen verstärkt. Organisch könnten dabei die Hände, Arme und Augenlider betroffen sein. Nach den Angaben des Klägers habe der Tremor Mitte der achtziger Jahre begonnen. Die erste ärztliche Dokumentation stamme aus dem Jahr 1996. Bis zum Jahr 2000 sei er noch LKW gefahren. Durch die neurologische Untersuchung habe sich nicht klären lassen, woher der Tremor genau komme. Eine Schädigung des Kleinhirns sei aber nicht nachweisbar. Der Zusammenhang zur Quecksilberexposition sei daher nicht wahrscheinlich zu machen. Zu beachten sei auch, dass der quecksilberbedingte Tremor feinschlägig auftrete, während der Kläger ein grobschlägiges Zittern aufweise. Auch habe der Tremor erst zehn Jahre nach dem Expositionsende begonnen und habe sich erst in den letzten Jahren deutlich verschlechtert, was gegen einen Zusammenhang zur Quecksilberexposition spreche. Nach Einschätzung des Neurologen Dr. K. sei der Tremor funktionell bedingt, d.h. nicht organischer Natur.
Quecksilbervergiftungen seien auch imstande, psychischen Veränderungen und eine Störung der Hirnleistungsfähigkeit zu bewirken (sog. Enzephalopathie). Betroffene litten dabei unter Depressionen, vermehrter Reizbarkeit und unter Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen. Die vom Kläger angegebenen Gedächtnisstörungen seien jedoch erst in den letzten Jahren medizinisch belegt. Es sei nicht bekannt, dass sich eine solche Störung nach Quecksilberexposition mit einer Latenzzeit von 20 Jahren und mehr entwickeln könne. Am wahrscheinlichsten sei es, von einer arteriosklerotischen Veränderung im Gehirn auszugehen. Beim Kläger lägen zudem psychische Erkrankungen vor, die sich erst viele Jahre nach dem Expositionsende entwickelt hätten. Depressionen und Reizbarkeit seien zwar typisch für eine Quecksilber-Enzephalopathie. Diese psychischen Änderungen seien jedoch nach dem Gutachten von Dr. T. nicht auf eine Quecksilberexposition zurückzuführen, sondern basierten auf Persönlichkeitsmerkmalen des Klägers.
Der Kläger hat gegen das Gutachten eingewandt, die Sachverständige habe sein Beschwerdebild anlässlich der Untersuchung ohne Zweifel mit der Quecksilbervergiftung in Zusammenhang gebracht. Die Sachverständige hat dies auf Nachfrage des Senats mit Nachdruck bestritten und erklärt, sie äußere sich vor der Gutachtenabfassung grundsätzlich nicht zu möglichen Kausalitätsfragen. Offenbar habe der Kläger die Situation in der Untersuchung subjektiv interpretiert.
Mit Erklärung vom 9. und 11. August 2010 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte vorliegend ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) entscheiden, da sich beide Beteiligte hiermit einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung von Schädigungsfolgen aus seiner Inhaftierungszeit. Damit scheiden auch Versorgungsleistungen aus.
Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die bloße Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Urteil vom 27. August 1998 – B 9 VJ 2/97 R, zitiert nach juris). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Zur Überzeugung des Senats fehlt es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme an der notwendigen Kausalität zwischen der in der Haft erlittenen Quecksilberbelastung und den vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Störungen. Der Senat bezieht sich hierbei insbesondere auf das nachvollziehbar und überzeugend begründete Sachverständigengutachten von der Oberärztin Dr. B. sowie das einbezogene neurologische Gutachten von PD Dr. K. Zunächst geht der Senat in Übereinstimmung mit der erfahrenen Sachverständigen Dr. B. davon aus, dass der Kläger einer grenzwertüberschreitenden Quecksilberbelastung während der Haftzeit ausgesetzt gewesen war. Quecksilber ist grundsätzlich auch geeignet, Nieren und Nerven zu schädigen.
a) Eine Zusammenhang zwischen der Polyneuropathie des Klägers und der Quecksilbereinwirkung in der Haftzeit ist aber unwahrscheinlich.
Erstmals im Jahr 2000 sind beim Kläger in der B.-Klinik W. eingehende neurologische Untersuchungen durchgeführt worden. Dabei haben sich zunächst keine krankhaften Befunde der Nervenleitgeschwindigkeit und der Reizamplitude ergeben. Eine Polyneuropathie kann daher nach Ansicht der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B., der der Senat folgt, zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen haben. Erst im Jahr 2003 findet sich in den Untersuchungen der B.-Klinik diese Diagnose. Die aktuelle Untersuchung von PD Dr. K. war dann wieder in diesem Punkt ohne Befund und hat normale Nervenleitgeschwindigkeiten gemessen. PD Dr. K. hat dies folgerichtig mit einem vom Kläger kompensierten leichtgradigen polyneuropathischen Syndrom bewertet. Die erst nach dem Jahr 2000 entstandene Polyneuropathie kann daher schon aus zeitlichen Gründen nicht in Zusammenhang mit der Quecksilberexposition gebracht werden. Überdies zeigte sich die Polyneuropathie beidseits mit einem wechselseitigen Tremor. Dies ist für eine Quecksilbervergiftung untypisch, die regelhaft symmetrisch auftritt. Hohe Quecksilberkonzentrationen sind zwar geeignet, ein Zittern (Tremor) auszulösen, der durch eine Schädigung des Kleinhirns verursacht wird. Zu beachten ist jedoch, dass der quecksilberbedingte Tremor feinschlägiger Natur ist, während der Kläger ein grobschlägiges Zittern aufweist. Auch hat der Tremor erst Jahre nach dem Expositionsende begonnen und sich erst in den letzten Jahren deutlich verschlechtert, was gegen eine durch die Haftzeit bedingte Quecksilberschädigung spricht.
b) Eine Störung der Hirnleistungsfähigkeit (sog. Enzephalopathie) verbunden mit psychischen Störungen wie z.B. Depressionen, vermehrter Reizbarkeit und Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen ist ebenfalls nicht wahrscheinlich mit der Quecksilberbelastung aus der Haftzeit in Zusammenhang zu bringen.
Grundsätzlich sind nach der Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. Quecksilbervergiftungen in der Lage, psychischen Veränderungen auszulösen. Quecksilberbetroffene leiden dabei unter Depressionen, vermehrter Reizbarkeit und unter Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen. Die vom Kläger angegebenen Symptome haben sich jedoch nicht unmittelbar nach der Haftzeit, sondern erst ab dem Jahr 1999 fortschreitend entwickelt. Es sind deutliche Hinweise dafür vorhanden, dass er unmittelbar nach seiner Haftentlassung nur wegen einer Gastritis in Behandlung war. Er selbst hat in seinen anfänglichen Angaben (Befundbericht B.-Klinik aus dem Jahr 2000; Befundbericht Dipl.-Med. B. 2000) seine gesundheitliche Verschlechterung zunächst auf seine besonders hohe berufliche und soziale Belastung bzw. auf sein Schilddrüsenleiden zurückgeführt. Hierfür gab es auch objektive Gründe, da er sich in seiner Tätigkeit als Berufskraftfahrer von Gefahrentransporten massiven Anfeindungen seiner Kollegen ausgesetzt sah. Hinweise für eine psychische Veränderung unmittelbar nach der Haftentlassung liegen dagegen nicht vor. So beschrieb ihn die Zeugin H. zu dieser Zeit noch als witzig, humorvoll und kontaktfreudig und damit offenbar frei von psychischen Auffälligkeiten. Die eigentlichen Verhaltensänderungen und akuten psychischen Symptome sind nach ihren Angaben erst bei der Tätigkeit als Fernfahrer in den Altbundesländern aufgetreten. Nach Ansicht der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. ist beim Kläger mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einer schädigungsunabhängigen arteriosklerotischen Veränderung im Gehirn auszugehen. Gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen der Quecksilberexposition und den auffälligen psychischen Symptomen des Klägers sprechen auch die Bewertungen in den gutachterlichen Stellungnahmen von Dr. S., Dr. E., Dr. S. und Dipl.-Psych. B. im Rentenverfahren. Nach den dort dargestellten anamnestischen Angaben des Klägers führte seine Inhaftierung zu einer erheblichen sozialen Belastung. So musste er eine Abkehr seiner Familie befürchten. Auch wurde sein Vater infolge seiner Inhaftierung degradiert. Diese erhebliche soziale Belastung hat im weiteren zeitlichen Verlauf jedoch keine psychiatrischen Behandlungen erforderlich gemacht. Hinweise für eine psychiatrische Behandlung nach der Haftentlassung finden sich nicht. Vor diesem Hintergrund hält der Senat die allgemeine Einschätzung von Dipl.-Psych. B. für nachvollziehbar. Nach ihrer Bewertung hat der Kläger die Erlebnisse während seiner Gefängnishaft anscheinend gut verarbeitet, zumal er nach seinen Angaben dabei nicht mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert war. Gewichtiger sind nach ihrer Bewertung der Krebstod des Bruders, der beim Kläger Albträume ausgelöst hat sowie seine negativen Erlebnisse als Berufskraftfahrer, die mit akuten Gefahren für Leib und Leben verbunden waren. Für die Bedeutung dieser Erlebnisse spricht auch, dass sich der Kläger erst dann einer intensiven psychiatrischen und neurologischen Behandlung unterzogen hat, weil massive Panikattacken und Angstzuständen aufgetreten waren. Die Annahme von Dr. T., die psychische Problematik sei nicht auf eine Quecksilberexposition zurückzuführen, ist vor diesem Hintergrund daher zutreffend. Hierbei kann der Senat offen lassen, ob es sich um Persönlichkeitsmerkmale des Klägers handelt oder die Ereignisse als Berufskraftfahrer dieses Krankheitsbild maßgeblich mitbestimmt haben.
c) Auch die konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung, der Zahnverlust verbunden mit einer Schädigung des Zahnfleisches, die Gastritis, die Durchfallproblematik sowie die Schilddrüsenerkrankung können nicht auf eine Quecksilberexposition oder die Haftbedingungen zurückgeführt werden. Es fehlt mit Ausnahme der Gastritis insoweit an zeitnahen medizinischen Befunden unmittelbar nach der Inhaftierung. So wird die konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung erstmals im Befundschein von der Fachärztin für Augenheilkunde G. vom 15. November 2003 berichtet. Die Zahnschädigungen finden sich erstmals im Arztbrief des J.-Krankenhauses vom 9. September 2008. Die Schilddrüsenerkrankung wurde erst am 18. Mai 2000 operativ behandelt. Für den daneben wiederholt als Schädigungsfolge geltend gemachten Speichelfluss (Salivation) fehlt in den zahlreichen Befundunterlagen und Gutachten jeglicher Hinweis. Der Zeitraum zwischen der Haftzeit und den ersten Dokumentation dieser Erkrankungen als mögliche Schädigungsfolgen ist im Übrigen auch zu lang, als dass ein Zusammenhang wahrscheinlich gemacht werden könnte. Bezogen auf die Gastritis hat der Kläger selbst angegeben, dass sich dies nach der Haft gebessert hatte. Neuere Befunde auf diesem Gebiet liegen trotz eingehender stationärer Aufenthalte von ihm nicht vor. Dies entspricht auch den Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen Dr. T. Hiernach war eine medizinische Behandlung nach der Haftentlassung nicht nötig gewesen, da er sich gesundheitlich unbeeinträchtigt gefühlt hatte.
Diese Bewertung steht im Übrigen auch mit den Erfahrungswerten von Quecksilberbelastungen in der gesetzlichen Unfallversicherung im Einklang. In der allgemeinen Bewertung des Standardwerkes der Unfallversicherung zur Frage der Berufserkrankung BK-Nr. 1102 "Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen" wird ausgeführt, dass die individuelle Toleranzbereitschaft des Menschen für quecksilber-induzierte Gesundheitsstörungen erheblich ist. Danach kommt es nach der arbeitsmedizinischen Erfahrung bei Beendigung der quecksilbergefährdenden Tätigkeit regelmäßig zu einer Rückbildung der Symptomatik. Spätfolgen durch Einwirkungen von Quecksilber mit Latenzzeiten von vielen Jahren sind hiernach nicht bekannt (vgl. Mehrtens/ Schönberger/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, 2010, S. 1225).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Die Revision war nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, weil es sich um die Entscheidung eines Einzelfalls auf gesicherter rechtlicher Grundlage handelt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung von Schädigungsfolgen nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) sowie die Gewährung von Versorgungsleistungen.
Der am ... 1953 geborene Kläger befand sich vom 29. Januar 1975 bis 28. Juli 1976 u.a. wegen eines versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in Haft. Das Landgericht Halle erklärte mit Beschluss vom 20. März 2003 das dieser Haft zugrunde liegende Strafurteil des Kreisgerichts W. vom 20. Juni 1975 für rechtsstaatswidrig und hob es auf. Am 10. April 2003 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach § 21 StrRehaG. Als Schädigung gab er ein Augenleiden (konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung) sowie eine Hirnschädigung (Tremor, Hirnleistungsschwäche, Kopfschmerz, Angstsymptom) an, und führte diese gesundheitlichen Einschränkungen auf die Exposition mit Quecksilber zurück, der er während seiner Haftzeit mit Arbeitseinsatz in den Buna-Fabrikwerken ausgesetzt gewesen sei. Mit Bescheid vom 22. September 2003 gewährte der Beklagte für die zu Unrecht verhängte Freiheitsentziehung eine Kapitalentschädigung in Höhe von 5.828,73 EUR und leitete wegen der geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen medizinische Ermittlungen ein.
Nach dem beigezogenen Entlassungsbericht der Reha-Klinik G. (stationärer Aufenthalt vom 22. März bis 3. Mai 2001) vom 17. Mai 2001 wurden die Diagnosen einer Panikstörung, einer arteriellen Hypertonie sowie eines chronischen LWS-Syndroms mit muskulären Dysbalancen gestellt. Symptomatisch bestünden ein Zittern, Schweißausbrüche, Angstzustände sowie Herzklopfen. Bei der Aufnahme habe der Kläger angegeben: Seit Anfang 2000 leide er Panikattacken, die wohl von einer Schilddrüsenüberfunktion verursacht seien. Eine Schilddrüsenoperation habe den Zustand nicht verbessern können. Vor eineinhalb Jahren sei die Symptomatik erstmals während der Fahrt mit dem LKW aufgetreten. Seitdem habe er furchtbare Angst, sich wieder hinter das Steuer zu setzen. Auch sei er in schlechter Stimmung und leide unter Schlafstörungen sowie Albträumen, in denen er Todesängste erleide. In psychologischer Behandlung sei er derzeit aber nicht. Durch die Schilddrüsenüberfunktion habe er ständig ein Kribbeln und eine Unruhe, werde nachts wach und habe stechende Schmerzen in den Extremitäten. Dadurch sei er sehr leicht erregbar. Ein Bluthochdruck werde seit einem Monat behandelt. Außerdem habe er Kopfschmerzen im Bereich der Stirn sowie Rückenschmerzen ohne Schmerzausstrahlung. Zu seiner sozialen Situation gab er an: Nach der 8. Klasse habe er eine Maurerlehre absolviert und sei dann zunächst als Chemiefacharbeiter tätig gewesen. Während dieser Zeit habe er den LKW-Führerschein erworben und sei für verschiedene Speditionen gefahren. Seit Mitte der neunziger Jahre sei er bei einer Tätigkeit für eine westdeutsche Firma einer erheblichen Stressbelastung ausgesetzt gewesen. Vor ca. einem Jahr habe er während einer Fahrt einen Unfall mit Todesfolge beobachtet, was bei ihm eine Panikattacke ausgelöst habe. Seitdem könne er keinen LKW mehr fahren. Er lebe mit seiner Freundin, einer Altenpflegerin, seit 23 Jahren zusammen. Aus dieser Beziehung entstamme ein 13-jähriger Sohn, der unter psychogenem Asthma leide. Er fühle sich im Haushalt nicht ausgelastet und von seiner Partnerin vernachlässigt. Ihn störe, dass sein Sohn wegen des Asthmas im Ehebett schlafe. Derzeit bestehe noch ein kleiner Freundeskreis. Am Wochenende fahre er mit der Familie in einen Bungalow und verbringe die Freizeit dort mit Angeln.
In einem eingeholten Bericht der Klinik B./Fachkrankenhaus für Psychiatrie W. vom 25. November 2002 stellte Oberarzt B. die Diagnosen:
Soziale Phobien,
Sonstige somatoforme Störung,
Verdacht auf beginnende Demenz.
Wegen des Zitterns habe der Kläger Angst, als Alkoholiker stigmatisiert zu werden. Er grüble viel über den Tod seines Bruders und die Dinge seines Lebens, die alle schief gelaufen seien. Neurologisch bestehe ein grobschlägiger, linksbetonter Haltetremor. Er sei klagsam und berichte über ein stets stärker werdendes Händezittern. Die Konzentrationsfähigkeit sei mittelgradig gestört und die Merkfähigkeit leicht herabgesetzt. Gedächtnisstörungen oder formale Denkstörungen bzw. Wahnvorstellungen bestünden nicht. Der Kläger mache einen ratlosen Eindruck, wirke hoffnungslos und sei leicht reizbar. Es seien auch Anzeichen für eine vaskuläre Enzephalopathie gefunden worden.
In einem weiteren Bericht dieser Klinik vom 3. April 2003 (stationäre Aufenthalte vom 14. Februar bis 14. März 2003 und vom 24. März bis 1. April 2003) diagnostizierte Dr. G.:
Verdacht auf chronische Quecksilber-Enzephalopathie,
Hirnorganisches Psychosyndrom,
Organische Angststörung,
Organisch asthenische Störung,
Toxische Polyneuropathie,
Großzehen-/Fußheberparese links mit Bandscheibenvorfall L4/L5 sowie erosiver Osteochondrose (L4/L5).
Die laborchemischen Untersuchungen hätten keine Anzeichen für eine erhöhte Kupfer- oder Quecksilberausscheidung bzw. eine besondere Konzentration im Blut ergeben. Der Beklagte holte noch einen Befundschein von der Fachärztin für Augenheilkunde G. vom 15. November 2003 ein, wonach eine Gesichtsfeldeinengung mit einem Sehvermögen von 0,8 Visus bestand.
Der Beklagte beauftragte sodann den Arzt für Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. T. mit der Erstellung eines ambulanten nervenärztlichen und psychotherapeutischen Gutachtens vom 25. Februar 2004. Darin führte der Gutachter u. a. aus: Der Kläger habe angegeben, während der Haft in der Elektrolyse gearbeitet und dabei Batterien geprüft zu haben. Das Quecksilber habe er in Bleiflaschen abgefüllt. Er mache die damit verbundene Quecksilberbelastung für sein starkes Zittern, seine Wahnvorstellungen sowie seine Gedächtnislücken und das Kribbeln in den Händen und Füßen verantwortlich. Nach der Haft habe er zunächst im Stickstoffwerk Pisteritz und seit 1980 wieder als Kraftfahrer gearbeitet. Nach der Haftentlassung sei eine medizinische Behandlung nicht nötig gewesen, da er sich gesundheitlich unbeeinträchtigt gefühlt habe. Seit dem Jahr 1985 habe er zunehmend Missempfindungen wahrgenommen, die "wie ein Blitz" durch seinen Körper gefahren seien. Auch habe er angefangen, an den Händen zu zittern. Dadurch habe er sich immer mehr zurückgezogen, um mit dieser Symptomatik nicht aufzufallen. Später seien Halluzinationen hinzugekommen. So habe er nicht anwesende Personen im Raum gesehen. Seit zwei Jahren sei er zunehmend vergesslich, habe Konzentrationsstörungen und sei interessenlos. Unter dem Einfluss von Tabletten sei das Zittern allerdings zurückgegangen. Im linken Fuß bestünden Taubheitsgefühle. Ein Zahn sei ihm gezogen worden und das Zahnfleisch habe sich zurückgebildet. Auch dafür mache er die Quecksilbervergiftung verantwortlich. Auch habe er zwei bis drei Mal am Tag Durchfall. Die LKW-Fahrerlaubnis habe er abgeben müssen, da er den erforderlichen Test nicht mehr bestanden habe. Seit einem halben Jahr fahre er auch keinen Pkw mehr.
Erst in der neurologischen Untersuchung habe sich ein rechtsseitig verstärkter Intentionstremor gezeigt, der während der vorangegangenen Exploration nicht aufgefallen sei. Der Kläger habe offenbar Mühe gehabt, die Grundschule zu absolvieren. So habe er erhebliche Schwierigkeiten im Fach Mathematik gehabt und habe eine Klasse wiederholen müssen. Die damalige Haft habe er mit keiner existenziellen Bedrohung in Verbindung gebracht. Die körperlich-geistig-seelische Symptomatik sei seit 2002 als komplexes Krankheitsgeschehen zu begreifen. Hierbei wirkten somatische, psychische und soziale Ursachen zusammen. Das Krankheitsbild sei genetisch multifaktoriell bedingt. Laborbefunde, die für eine höhere Quecksilberausscheidung sprechen könnten, existierten nicht. Dies spreche gegen einen Zusammenhang zwischen einer toxischen Enzephalopathie und einer Expositionszeit vor 27 Jahren. Auf nervenärztlichem Fachgebiet seien folgende Diagnosen zu stellen:
Agoraphobie (Platzangst),
Emotional labile Persönlichkeitsentwicklung,
Verdacht auf chronische Quecksilber-Enzephalopathie,
Verdacht auf toxische Polyneuropathie,
Verdacht auf beginnende subcortikale vaskuläre Demenz,
Leichte prämorbide Hirnleistungsschwäche.
Eine gründliche Exploration eines psychodynamischen Zusammenhangs zwischen Lebensgeschichte und innerseelischer Konfliktdynamik sei wegen der fehlenden Reflektionsbereitschaft des Klägers nicht möglich gewesen. Auffällig sei, dass er sich erst vor dem Hintergrund erheblicher Probleme in Beruf und Familie in eine intensive medizinische Behandlung begeben habe. Die Quecksilber-Enzephalopathie sowie die toxische Polyneuropathie nach Quecksilberexposition seien dabei lediglich als Verdachtsdiagnosen anzusehen. Sollte der Kläger jedoch einer Quecksilberexposition ausgesetzt gewesen sein, sei ein ursächlicher Zusammenhang von Quecksilberexposition während der Inhaftierung und den neurologischen Defiziten anzunehmen. Hiervon seien die schädigungsunabhängige vaskuläre Genese und prämorbide Hirnleistungsstörung abzugrenzen, die die heutigen Hirnleistungsverhältnisse mit bestimmten. Der schädigungsbedingte Anteil werde auf eine MdE von 20 geschätzt. Für die toxische Polyneuropathie sei eine MdE von 10 festzustellen.
Der Versorgungsarzt Dr. S. ist dieser Bewertung entgegengetreten und macht in seiner prüfärztlichen Stellungnahme vom 27. April 2004 geltend: Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen den neurologischen Defiziten und der Quecksilberexploration sei nicht nachgewiesen. So habe der Kläger schon frühzeitig kognitive Defizite gehabt, die sich nun durch die vaskuläre Demenz verschlimmert hätten. Das Ausmaß der Quecksilberexploration sei ungeklärt. Eine Quecksilbervergiftung führe zu einem feinschlägigen, beiderseitigen Tremor, der nicht beobachtet worden sei. Als zweites typisches Quecksilbersymptom trete eine verstärkte Salivation (Speichelfluss), verbunden mit Metallgeschmack und Stomatitis (Entzündung der Mundschleimhaut) auf, was in keinem der beigezogenen Befunde belegt sei. Auch der Nachweis einer erhöhten Quecksilberausscheidung sei nicht erbracht. Erst Anfang des Jahres 2000 habe der Kläger erstmals vermehrt über auffällige Symptome geklagt. Zuvor seien keine ärztlichen Behandlungen notwendig gewesen. Ein Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem Schädigungstatbestand sei daher nicht gegeben.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2004 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 4. Juni 2004. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2005 wies der Beklagte diesen als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 14. Januar 2005 Klage beim Sozialgericht Dessau erhoben und zur Begründung seiner Klage vorgetragen: Sein gesundheitlicher Zustand habe sich weiter verschlechtert. Eine Quecksilbervergiftung könne zahlreiche Symptome auslösen.
Dr. T. habe für den Fall einer Exposition mit Quecksilber einen Zusammenhang zwischen den neurologischen Defiziten und dieser toxischen Belastung grundsätzlich bejaht. Die Krankheitssymptomatik (insbesondere der Tremor) sei typisch für eine Quecksilbervergiftung. Zudem genüge es nicht, lediglich die psychischen Folgen einer Quecksilbervergiftung zu untersuchen. Erforderlich sei vielmehr eine neurologische Bewertung seines Gesundheitszustandes. Die Angaben zur Quecksilberexposition seien rechtlich als wahr zu unterstellen. Die Bewertungen des Gutachters zur MdE seien dagegen nicht nachvollziehbar. Die schulischen Schwierigkeiten beträfen viele Schüler und seien für den Ursachenzusammenhang bedeutungslos. Alkoholprobleme habe er als Berufskraftfahrer nie gehabt.
Das Sozialgericht Dessau hat mit Urteil vom 22. April 2005 den Antrag des Klägers auf Aufhebung der ihn belastenden Bescheide und auf Verurteilung des Beklagten, ihm eine Beschädigtenversorgung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zu gewähren, abgewiesen und im Wesentlichen auf fehlende Brückensymptome verwiesen. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genüge für einen Ursachenzusammenhang nicht.
Der Kläger hat gegen das ihm am 4. Mai 2005 zugestellte Urteil am 2. Juni 2005 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und trägt ergänzend vor: Das Sozialgericht habe seine Ermittlungspflichten verletzt. Bereits in der Diagnose der Klinik B. W. vom 3. April 2003 seien die Symptome auf neurologisch/psychiatrischem Gebiet mit einer Quecksilbervergiftung in Zusammenhang gebracht worden. So könne eine Quecksilbervergiftung nach einer Internetrecherche allein bis zu 130 Symptome auslösen. Es bedürfe daher einer toxikologischen Bewertung des Sachverhalts durch einen entsprechenden Facharzt. Dagegen sei die fachliche Qualifikation des Versorgungsarztes Dr. S. unbekannt. Selbst
Dr. T. habe einen deutlichen Verdacht auf eine Quecksilber-Enzephalopathie sowie eine toxische Polyneuropathie geäußert. Auch habe es die Vorinstanz versäumt, die Lebensgefährtin des Klägers und Dr. S. (Klinik B.) zum genauen Krankheitsverlauf zu vernehmen. Die Vermutungen des Sachverständigen, die Gründe der psychischen Erkrankung seien in der Familienanamnese, der schulischen Entwicklung oder in der weiteren Lebensentwicklung zu suchen, überzeugten nicht. Vielmehr seien es logische Folgen einer körperlichen und seelischen Veränderung, die der Kläger während der Haftzeit erfahren habe. Auch die behauptete organische Demenz sei nicht hinreichend aufgeklärt worden. Unter verstärktem Speichelfluss leide er noch heute. Auch seien entgegen der Annahme des Gutachters bei einer Quecksilbervergiftung nach den vorliegenden Zeiträumen keine Quecksilberausscheidungen mehr zu erwarten. Nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis sei er seit 1978 wegen Infekten und Gastritis behandelt worden. Die Durchfallproblematik bestehe auch heute noch.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 22. Mai 2005 sowie den Bescheid vom 24. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab 10. April 2003 eine Polyneuropathie, eine Enzephalopathie mit psychischen Störungen, eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung, einen Zahnverlust mit Schädigung des Zahnfleisches, eine Gastritis sowie Durchfallstörungen, eine Schilddrüsenerkrankung und einen vermehrten Speichelfluss als Schädigungsfolgen anzuerkennen und Versorgung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Bescheide und die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Zur Bekräftigung seiner Rechtsansicht hat er eine Prüfärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 11. Juli 2005 vorgelegt, die ausgeführt hat: Auch wenn zu Gunsten des Klägers von einer schwerwiegenden Quecksilberexposition in der Haft auszugehen sei, bestehe kein Zusammenhang mit den geltend gemachten Schädigungsfolgen. Zum einen habe er bis zum Jahr 2000 keine behandlungsbedürftigen Symptome beklagt. Auch die Eintragungen im Sozialversicherungsausweis ergäben dazu keine Hinweise. Vielmehr sei er langjährig unbeeinträchtigt als Kraftfahrer tätig gewesen. Die Annahme der Klinik B., die festgestellte Symptomatik sei als "Teilaspekt einer toxischen Enzephalopathie und Polyneuropathie zu begreifen", genüge nicht für die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Auch Dr. T. habe insoweit lediglich einen Verdacht geäußert, der für einen Nachweis nicht genüge. Die erhebliche Gesichtsfeldeinschränkung sei mit keinem organischen Korrelat verbunden. Auch sei das Händezittern während der Untersuchung bei Dr. T. nicht ständig aufgetreten. Die Wirbelsäulenbeschwerden sowie die emotional labile Persönlichkeit seien nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) 2004 Nr. 72 als Schädigungsfolge auszuschließen.
Der Senat hat zunächst einen Befundbericht von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. B. vom 26. März 2009 eingeholt, wonach die Erkrankungen auf neurologischem und psychiatrischem Gebiet seit 2001 bekannt seien. Die behandelnde Hausärztin hat zahlreiche Arztbriefe der Klinik B. W. und des ...-Krankenhauses ... GmbH beigefügt. Im letztgenannten Brief gab Chefarzt Dr. R. am 9. September 2008 an: Die Zunge des Klägers zeige einen schwärzlichen Bereich im Durchmesser von 3 cm sowie eine bläuliche Verfärbung des Zahnfleisches. Er habe keine belastenden psychischen Symptome genannt. Es sei von einer Quecksilbervergiftung als ausschlaggebende Ursache für die Erkrankung auszugehen.
Sodann hat der Senat die Akte eines rentenversicherungsrechtlichen Verfahrens des Klägers beigezogen und ausgewertet. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin B. berichtete in einem Befundbericht vom 30. November 2000: Der Kläger leide an Unruhe, Händezittern, Angst, Schlafstörung, Kribbeln am ganzen Körper, Unruhe, Schweißausbrüche, Druck im Hals, Krämpfen und Missempfindungen. Anamnestisch habe er angegeben, zuvor nie ernstlich krank gewesen zu sein. Als Risikofaktor bestehe eine stressbelastende Tätigkeit. Sie diagnostizierte:
Chronische Verarbeitungsstörung und Somatisierung,
Schilddrüsenoperation wegen Überfunktion,
Vegetative Dystonie (Störung des normalen Spannungszustandes der Muskeln und Gefäße) mit Entwicklung eines Angstsyndroms.
In einem beigefügten Arztbrief des Krankenhaus ... W. vom 21. Juli 2000 berichtete Prof. Dr. Z. über eine Schilddrüsenoperation vom 18. Mai 2000. In einem weiteren Arztbrief vom 28. November 2000 gab der Chefarzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. (Klinik B. W.) an: Der Kläger sei vom 9. Oktober 2000 bis 20. Oktober 2000 stationär behandelt worden. Seit einigen Monaten bestehe bei ihm eine innere Unruhe und Reizbarkeit. Auch nach der Schilddrüsen-OP seien die Symptome wie Schweißausbrüche und kalte Hände sowie Ein- und Durchschlafstörungen geblieben. Seit dem 28. Februar 2000 sei der Kläger krankgeschrieben. Bei ausgeglichener Grundstimmung habe er sich ratlos gezeigt. Die Schwingungsfähigkeit sei eingeschränkt. Es bestehe kein Anhalt für Denkstörungen oder ein psychotisches Geschehen. Er habe von Albträumen berichtet, die sich um den Tod des Bruders drehten und mit intensiven Angstgefühlen verbunden seien. Es seien eine Angststörung sowie eine Überfunktion der Schilddrüse nach Operation im Mai 2000 zu diagnostizieren.
Der Rentenversicherungsträger beauftragte den Nervenarzt Dr. S., W., mit einer Begutachtung vom 29. Januar 2003. Dieser gab an: Der Kläger sei nach seinen Angaben als Berufskraftfahrer in einer Spedition im Westen von Kollegen massiv gemobbt worden. Er sei der einzige Ostdeutsche in diesem Betrieb gewesen. Man habe ihn sogar umbringen wollen. So seien Bremsschläuche durchschnitten worden. Auch habe es während seiner Tätigkeit eine Bombendrohung gegeben, die vermutlich ein Kollege zu verantworten habe. Derzeit habe er keine Ängste. Der Untersuchungsbefund habe Folgendes ergeben: Körperlich sowie neurologisch habe sich ein nahezu permanent bestehender, grobschlägiger, recht hochfrequenter Tremor mit wechselnder Seitenbetonung und teilweiser Verstärkung bei Halteinnervation gezeigt. Ein krankhafter neurologischer Befund bestehe nicht. Bei regelrechter Untersuchung seien die Störungen des Klägers ohne Korrelat und eine dissoziative Sensibilitäts- bzw. Gefühlsstörung zu vermuten. Psychisch liege eine gemischt depressive wie phobische Störung vor, die durch den Verlust von Handlungsfertigkeiten begründet sei.
Dr. S. berichtete in einem Arztbrief vom 26. März 2004 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 8. Januar bis 5. Februar 2004 und vom 9. Februar bis 3. März 2004 in der Klinik B. W. Er diagnostizierte:
Organische emotional labile (astehenische) Störung,
Demenz bei anderernorts klassifizierten Krankheitsbildern,
Toxische Enzephalopathie,
Organische wahnhafte Störungen,
Toxische Wirkung von Quecksilber und dessen Verbindungen,
Polyneuropathie durch sonstige toxische Einwirkung,
Kompression von Nervenwurzeln und Nervenplexus bei Bandscheibenschäden,
Radikulopathie.
Ferner beauftragte der Rentenversicherungsträger den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie MR Dr. habil. E. mit einem Gutachten. Dieser kam am 15. Februar 2005 zu folgenden Ergebnissen: Der Kläger habe anamnestisch generalisierende und wenig detailgenaue Beschreibungen geliefert. Nach der Inhaftierung wegen versuchter Republikflucht habe er eine sehr schwierige Zeit durchlebt. Der Vater (Volkspolizist) sowie seine Mutter hätten sich von ihm lossagen wollen, was er nur schwer habe ertragen können. Der Vater sei dann degradiert und in den Innendienst versetzt worden. Der Sachverständige diagnostizierte:
Dissoziative Störungen, gemischt bei sonstiger neurotischer Störung,
Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung,
Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Sedativa und Hypnotika,
Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen (Rentenkampf).
Es bestehe eine psychotherapiebedürftige Störung, jedoch keine objektivierbare Gesundheitsstörung infolge von Vergiftungen oder anderer organische Erkrankungen. Der Kläger sei voll erwerbsfähig, wenn er sich in eine psychiatrische Therapie begeben würde.
Der Rentenversicherungsträger veranlasste schließlich eine weitere neurologische Begutachtung vom 17. November 2005 (Untersuchung vom 29. Juli 2005) von PD Dr. S. (St.- Klinikum D., Neurologische Klinik). In diesem Zusammenhang wurde eine psychologische Zusatzbegutachtung vom 1. September 2005 (Untersuchungen vom 19. und 26. August 2005) von der Dipl.-Psych. B. durchgeführt. Gegenüber Dr. S. gab der Kläger an: Er habe psychische Störungen, die sich vor allem in Depressionen äußerten. Nach Dr. S. seien detaillierte Angaben vom Kläger fast nicht zu erhalten gewesen. Er leide an einem Trauma, zittere kontinuierlich und habe Rückenschmerzen. Im klinischen Befund habe er auf psychischem Gebiet Verdeutlichungstendenzen gezeigt. Er wirke leidend; ihm fehle eine emotionale Schwingungsfähigkeit. Neurologisch sei die Tremorsymptomatik bei Ablenkung komplett verschwunden. Seit etwa 1999 leide er an quälenden Albträumen, Angst- und Panikzuständen sowie einem unterschiedlich starken Tremor an Händen und Füßen. Wegen dieses Tremors sei er zu Unrecht des Alkoholmissbrauchs verdächtigt und als LKW-Fahrer gekündigt worden. Seit Herbst 2000 habe er sich insgesamt 13 Mal in der Psychiatrie befunden und zwei Suizidversuche begangen. Eine Schilddrüsenoperation habe keine Besserung gebracht. Die Untersuchung habe schwere Defizite in allen höheren kognitiven Funktionen ergeben. Diagnostisch bestehe eine mittelgradige bis schwere Depression, eine Angststörung mit agoraphobischer Ausprägung und Paniksymptomen sowie eine dissoziative Störung mit Depersonalisierungs- und Fremdbeeinflussungserleben; ferner eine dissoziative Bewegungsstörung in Form eines Tremors an der rechten Hand.
Im psychologischen Zusatzgutachten gab Dipl.-Psych. B. zu den belastenden Lebensereignissen des Klägers an: Während seiner 18-monatigen Gefängnishaft habe er zwölf Stunden täglich in einem Keller mit ungesichert gelagertem Quecksilber arbeiten müssen. Er sei mit zwölf Mann auf der Zelle gewesen, wo Sexualverbrecher "das Sagen" gehabt hätten. Zu gewalttätigen Übergriffen sei es während der Haftzeit aber nicht gekommen. Nach der Haft sei er zwei Jahre ständig kontrolliert worden. Als LKW-Fahrer habe er täglich Unfälle mit Toten gesehen. In einer westdeutschen Firma sei er von den Kollegen als einziger "Ossi" massiv gemobbt worden. Einmal habe er einen Unfall mit einem zuvor vom Kollegen gewarteten Fahrzeug gehabt, bei dem die Bremsen versagten. Bei diesem Unfall habe er großes Glück gehabt, nicht verletzt worden zu sein. In einem weiteren Fall habe er bei einem Gefahrentransport auf dem Rastplatz zwei Mal einen Drohanruf erhalten, dass sein LKW beim erneuten Start explodieren würde. Die von ihm veranlasste Durchsuchung durch die Polizei sei ergebnislos geblieben. Dann habe ihn die Polizei gedrängt, das Fahrzeug zu starten. Dabei habe er große Angst gehabt und gehe davon aus, dass die Drohanrufe von einem Kollegen getätigt worden seien. Zusammenfassend sei beim Kläger von einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Diese sei offenbar besonders durch seine Erlebnisse als LKW-Fahrer und die von ihm berichteten "Man-made-Traumata" geprägt worden. Dabei habe er sich massiv bedroht und hilflos gefühlt. Durch seine Erlebnisse in der Gefängnishaft seien eine erhöhte Verletzbarkeit und ein starkes Misstrauen mit einer leichten Persönlichkeitsänderung entstanden. Diese Erlebnisse habe er jedoch anscheinend verhältnismäßig gut verarbeitet. 1988 sei sein Bruder an Krebs verstorben. Die posttraumatische Belastungsstörung sei von den traumatischen Erlebnissen im LKW-Verkehr in den späten neunziger Jahren ausgelöst worden.
Des Weiteren hat der Senat die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. Danach hat das Versorgungsamt mit Bescheid vom 16. April 2004 wegen eines hirnorganischen Psychosyndroms, einer Panikstörung und einer Polyneuropathie einen Grad der Behinderung von 50 ab 29. März 2003 festgestellt.
Im Erörterungstermin vom 15. Januar 2010 hat der Berichterstatter den Kläger befragt sowie dessen Lebensgefährtin S. H. als Zeugin vernommen. Der Kläger hat zum Sachverhalt berichtet: Die ersten Symptome habe er wohl in den Jahren 1982/1983 gehabt. Er sei bei der Schwester seiner Lebensgefährtin gewesen, als es ihn "wie ein Blitz" durchfahren und er ein lähmendes Gefühl gehabt habe. Die Lähmungserscheinungen hätten sich dann wieder zurückgebildet. Das Zittern sei dann immer schlimmer geworden. Um die Wendezeit habe er verstärkt Gedächtnisleistungsverluste festgestellt. Nach der Wende habe er auch verstärkt Probleme mit den Zähnen bekommen. Das Zahnfleisch sei bläulich verfärbt und entzündet gewesen. Ein Zahn habe gezogen werden müssen. Auch leide er an Mundgeruch. Unmittelbar nach der Haftentlassung habe er an Magengeschwüren und Durchfällen gelitten. Dies hätte sich dann aber gebessert.
Die Zeugin H. hat angegeben: Sie habe den Kläger im Stickstoffwerk kennengelernt. Er sei damals ein witziger, humorvoller und kontaktfreudiger Mensch gewesen, aber oft wegen Magenbeschwerden behandelt worden. Die Ärzte hätten jedoch nichts gefunden und ihn als Simulant hingestellt. Besonders akut seien die Symptome geworden, als er als Fernfahrer in den Altbundesländern gearbeitet habe. Da seien richtige Zitteranfälle aufgetreten. Im Jahr 1988 sei der gemeinsame Sohn geboren worden. Der Kläger sei zunehmend ichbezogener geworden und habe sein Verhalten immer stärker verändert. Nach der Aufgabe einer Tätigkeit im Jahr 2000 habe er den Haushalt geführt und das Mittagessen zubereitet. Dies sei ihm zunächst problemlos gelungen. Später habe er aber die Gerichte nicht mehr richtig fertig gebracht oder z.B. durch falsches Würzen ungenießbar gemacht. Im Jahr 2004 habe er zwei Suizidversuche unternommen. Eine Alkoholproblematik habe bei ihm nie bestanden.
Der Senat hat von der Oberärztin Dr. B., Fachärztin für Arbeitsmedizin/Umweltmedizin (Universitätsklinikum H. Sektion Arbeitsmedizin), ein arbeitsmedizinisches Gutachten vom 20. Mai 2010 erstatten lassen. Auf Anregung der Sachverständigen hat der Facharzt für Neurologie Privatdozent (PD) Dr. K. (Universitätsklinikum H., Klinik und Poliklinik für Neurologie) ein neurologisches Zusatzgutachten vom 13. Mai 2010 erstellt. Die Sachverständige Dr. B. hat ausgeführt: Aufgrund der eigenen Kenntnisse aus Beschreibungen mehrerer Anlagenfahrer könne bei der Tätigkeit des Klägers in der Chlor-Alkali-Elektrolyse mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass er einer den Grenzwert überschreitenden Exposition von Quecksilber ausgesetzt gewesen sei. Quecksilber schädige hauptsächlich die Nieren und die Nerven. Eine Nierenfunktionsstörung sei beim Kläger aber auszuschließen. Anorganisches Quecksilber könne zu einer Schädigung der peripheren Nerven in Armen und Beinen führen. Beim Kläger seien Empfindungsstörungen erstmals im Jahr 2000 in der B.- Klinik festgestellt worden. Krankhafte Befunde der Nervenleitgeschwindigkeit und der Reizamplitude seien zu diesem Zeitpunkt nicht belegt. Eine Polyneuropathie habe zu diesem Zeitpunkt daher nicht vorgelegen. Erst im Jahr 2003 finde sich in dem Bericht der B.-Klinik eine darauf gerichtete Diagnose. Dabei habe eine elektrophysiologische Untersuchung verzögerte Nervenleitgeschwindigkeiten belegt. Die aktuelle Untersuchung von PD Dr. K. habe demgegenüber wieder normale Nervenleitgeschwindigkeiten gezeigt. Es habe sich ein nur gering ausgeprägter Nervenschaden an dem rechten Beinmuskel bestätigen lassen. PD Dr. K. hat dies mit einem leichtgradigen polyneuropathischen Syndrom bewertet, was vom Kläger voll kompensiert werde. Diese Polyneuropathie könne nach den vorliegenden Befundunterlagen erst nach dem Jahr 2000 entstanden sein und stehe mit der Quecksilberexposition nicht in Zusammenhang. Überdies wäre die beim Kläger auftretende rechtsseitig betonte Polyneuropathie untypisch, die bei einer Quecksilbervergiftung regelmäßig symmetrisch auftrete. Hohe Quecksilberkonzentrationen seien geeignet, zu einem Zittern (Tremor) zu führen. Dieser Tremor werde durch eine Schädigung des Kleinhirns verursacht. Es handele es sich um einen Intensionstremor, d.h. der Tremor werde bei gezielten Bewegungen verstärkt. Organisch könnten dabei die Hände, Arme und Augenlider betroffen sein. Nach den Angaben des Klägers habe der Tremor Mitte der achtziger Jahre begonnen. Die erste ärztliche Dokumentation stamme aus dem Jahr 1996. Bis zum Jahr 2000 sei er noch LKW gefahren. Durch die neurologische Untersuchung habe sich nicht klären lassen, woher der Tremor genau komme. Eine Schädigung des Kleinhirns sei aber nicht nachweisbar. Der Zusammenhang zur Quecksilberexposition sei daher nicht wahrscheinlich zu machen. Zu beachten sei auch, dass der quecksilberbedingte Tremor feinschlägig auftrete, während der Kläger ein grobschlägiges Zittern aufweise. Auch habe der Tremor erst zehn Jahre nach dem Expositionsende begonnen und habe sich erst in den letzten Jahren deutlich verschlechtert, was gegen einen Zusammenhang zur Quecksilberexposition spreche. Nach Einschätzung des Neurologen Dr. K. sei der Tremor funktionell bedingt, d.h. nicht organischer Natur.
Quecksilbervergiftungen seien auch imstande, psychischen Veränderungen und eine Störung der Hirnleistungsfähigkeit zu bewirken (sog. Enzephalopathie). Betroffene litten dabei unter Depressionen, vermehrter Reizbarkeit und unter Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen. Die vom Kläger angegebenen Gedächtnisstörungen seien jedoch erst in den letzten Jahren medizinisch belegt. Es sei nicht bekannt, dass sich eine solche Störung nach Quecksilberexposition mit einer Latenzzeit von 20 Jahren und mehr entwickeln könne. Am wahrscheinlichsten sei es, von einer arteriosklerotischen Veränderung im Gehirn auszugehen. Beim Kläger lägen zudem psychische Erkrankungen vor, die sich erst viele Jahre nach dem Expositionsende entwickelt hätten. Depressionen und Reizbarkeit seien zwar typisch für eine Quecksilber-Enzephalopathie. Diese psychischen Änderungen seien jedoch nach dem Gutachten von Dr. T. nicht auf eine Quecksilberexposition zurückzuführen, sondern basierten auf Persönlichkeitsmerkmalen des Klägers.
Der Kläger hat gegen das Gutachten eingewandt, die Sachverständige habe sein Beschwerdebild anlässlich der Untersuchung ohne Zweifel mit der Quecksilbervergiftung in Zusammenhang gebracht. Die Sachverständige hat dies auf Nachfrage des Senats mit Nachdruck bestritten und erklärt, sie äußere sich vor der Gutachtenabfassung grundsätzlich nicht zu möglichen Kausalitätsfragen. Offenbar habe der Kläger die Situation in der Untersuchung subjektiv interpretiert.
Mit Erklärung vom 9. und 11. August 2010 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte vorliegend ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) entscheiden, da sich beide Beteiligte hiermit einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung von Schädigungsfolgen aus seiner Inhaftierungszeit. Damit scheiden auch Versorgungsleistungen aus.
Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die bloße Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Urteil vom 27. August 1998 – B 9 VJ 2/97 R, zitiert nach juris). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Zur Überzeugung des Senats fehlt es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme an der notwendigen Kausalität zwischen der in der Haft erlittenen Quecksilberbelastung und den vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Störungen. Der Senat bezieht sich hierbei insbesondere auf das nachvollziehbar und überzeugend begründete Sachverständigengutachten von der Oberärztin Dr. B. sowie das einbezogene neurologische Gutachten von PD Dr. K. Zunächst geht der Senat in Übereinstimmung mit der erfahrenen Sachverständigen Dr. B. davon aus, dass der Kläger einer grenzwertüberschreitenden Quecksilberbelastung während der Haftzeit ausgesetzt gewesen war. Quecksilber ist grundsätzlich auch geeignet, Nieren und Nerven zu schädigen.
a) Eine Zusammenhang zwischen der Polyneuropathie des Klägers und der Quecksilbereinwirkung in der Haftzeit ist aber unwahrscheinlich.
Erstmals im Jahr 2000 sind beim Kläger in der B.-Klinik W. eingehende neurologische Untersuchungen durchgeführt worden. Dabei haben sich zunächst keine krankhaften Befunde der Nervenleitgeschwindigkeit und der Reizamplitude ergeben. Eine Polyneuropathie kann daher nach Ansicht der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B., der der Senat folgt, zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen haben. Erst im Jahr 2003 findet sich in den Untersuchungen der B.-Klinik diese Diagnose. Die aktuelle Untersuchung von PD Dr. K. war dann wieder in diesem Punkt ohne Befund und hat normale Nervenleitgeschwindigkeiten gemessen. PD Dr. K. hat dies folgerichtig mit einem vom Kläger kompensierten leichtgradigen polyneuropathischen Syndrom bewertet. Die erst nach dem Jahr 2000 entstandene Polyneuropathie kann daher schon aus zeitlichen Gründen nicht in Zusammenhang mit der Quecksilberexposition gebracht werden. Überdies zeigte sich die Polyneuropathie beidseits mit einem wechselseitigen Tremor. Dies ist für eine Quecksilbervergiftung untypisch, die regelhaft symmetrisch auftritt. Hohe Quecksilberkonzentrationen sind zwar geeignet, ein Zittern (Tremor) auszulösen, der durch eine Schädigung des Kleinhirns verursacht wird. Zu beachten ist jedoch, dass der quecksilberbedingte Tremor feinschlägiger Natur ist, während der Kläger ein grobschlägiges Zittern aufweist. Auch hat der Tremor erst Jahre nach dem Expositionsende begonnen und sich erst in den letzten Jahren deutlich verschlechtert, was gegen eine durch die Haftzeit bedingte Quecksilberschädigung spricht.
b) Eine Störung der Hirnleistungsfähigkeit (sog. Enzephalopathie) verbunden mit psychischen Störungen wie z.B. Depressionen, vermehrter Reizbarkeit und Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen ist ebenfalls nicht wahrscheinlich mit der Quecksilberbelastung aus der Haftzeit in Zusammenhang zu bringen.
Grundsätzlich sind nach der Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. Quecksilbervergiftungen in der Lage, psychischen Veränderungen auszulösen. Quecksilberbetroffene leiden dabei unter Depressionen, vermehrter Reizbarkeit und unter Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen. Die vom Kläger angegebenen Symptome haben sich jedoch nicht unmittelbar nach der Haftzeit, sondern erst ab dem Jahr 1999 fortschreitend entwickelt. Es sind deutliche Hinweise dafür vorhanden, dass er unmittelbar nach seiner Haftentlassung nur wegen einer Gastritis in Behandlung war. Er selbst hat in seinen anfänglichen Angaben (Befundbericht B.-Klinik aus dem Jahr 2000; Befundbericht Dipl.-Med. B. 2000) seine gesundheitliche Verschlechterung zunächst auf seine besonders hohe berufliche und soziale Belastung bzw. auf sein Schilddrüsenleiden zurückgeführt. Hierfür gab es auch objektive Gründe, da er sich in seiner Tätigkeit als Berufskraftfahrer von Gefahrentransporten massiven Anfeindungen seiner Kollegen ausgesetzt sah. Hinweise für eine psychische Veränderung unmittelbar nach der Haftentlassung liegen dagegen nicht vor. So beschrieb ihn die Zeugin H. zu dieser Zeit noch als witzig, humorvoll und kontaktfreudig und damit offenbar frei von psychischen Auffälligkeiten. Die eigentlichen Verhaltensänderungen und akuten psychischen Symptome sind nach ihren Angaben erst bei der Tätigkeit als Fernfahrer in den Altbundesländern aufgetreten. Nach Ansicht der gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. ist beim Kläger mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einer schädigungsunabhängigen arteriosklerotischen Veränderung im Gehirn auszugehen. Gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen der Quecksilberexposition und den auffälligen psychischen Symptomen des Klägers sprechen auch die Bewertungen in den gutachterlichen Stellungnahmen von Dr. S., Dr. E., Dr. S. und Dipl.-Psych. B. im Rentenverfahren. Nach den dort dargestellten anamnestischen Angaben des Klägers führte seine Inhaftierung zu einer erheblichen sozialen Belastung. So musste er eine Abkehr seiner Familie befürchten. Auch wurde sein Vater infolge seiner Inhaftierung degradiert. Diese erhebliche soziale Belastung hat im weiteren zeitlichen Verlauf jedoch keine psychiatrischen Behandlungen erforderlich gemacht. Hinweise für eine psychiatrische Behandlung nach der Haftentlassung finden sich nicht. Vor diesem Hintergrund hält der Senat die allgemeine Einschätzung von Dipl.-Psych. B. für nachvollziehbar. Nach ihrer Bewertung hat der Kläger die Erlebnisse während seiner Gefängnishaft anscheinend gut verarbeitet, zumal er nach seinen Angaben dabei nicht mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert war. Gewichtiger sind nach ihrer Bewertung der Krebstod des Bruders, der beim Kläger Albträume ausgelöst hat sowie seine negativen Erlebnisse als Berufskraftfahrer, die mit akuten Gefahren für Leib und Leben verbunden waren. Für die Bedeutung dieser Erlebnisse spricht auch, dass sich der Kläger erst dann einer intensiven psychiatrischen und neurologischen Behandlung unterzogen hat, weil massive Panikattacken und Angstzuständen aufgetreten waren. Die Annahme von Dr. T., die psychische Problematik sei nicht auf eine Quecksilberexposition zurückzuführen, ist vor diesem Hintergrund daher zutreffend. Hierbei kann der Senat offen lassen, ob es sich um Persönlichkeitsmerkmale des Klägers handelt oder die Ereignisse als Berufskraftfahrer dieses Krankheitsbild maßgeblich mitbestimmt haben.
c) Auch die konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung, der Zahnverlust verbunden mit einer Schädigung des Zahnfleisches, die Gastritis, die Durchfallproblematik sowie die Schilddrüsenerkrankung können nicht auf eine Quecksilberexposition oder die Haftbedingungen zurückgeführt werden. Es fehlt mit Ausnahme der Gastritis insoweit an zeitnahen medizinischen Befunden unmittelbar nach der Inhaftierung. So wird die konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung erstmals im Befundschein von der Fachärztin für Augenheilkunde G. vom 15. November 2003 berichtet. Die Zahnschädigungen finden sich erstmals im Arztbrief des J.-Krankenhauses vom 9. September 2008. Die Schilddrüsenerkrankung wurde erst am 18. Mai 2000 operativ behandelt. Für den daneben wiederholt als Schädigungsfolge geltend gemachten Speichelfluss (Salivation) fehlt in den zahlreichen Befundunterlagen und Gutachten jeglicher Hinweis. Der Zeitraum zwischen der Haftzeit und den ersten Dokumentation dieser Erkrankungen als mögliche Schädigungsfolgen ist im Übrigen auch zu lang, als dass ein Zusammenhang wahrscheinlich gemacht werden könnte. Bezogen auf die Gastritis hat der Kläger selbst angegeben, dass sich dies nach der Haft gebessert hatte. Neuere Befunde auf diesem Gebiet liegen trotz eingehender stationärer Aufenthalte von ihm nicht vor. Dies entspricht auch den Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen Dr. T. Hiernach war eine medizinische Behandlung nach der Haftentlassung nicht nötig gewesen, da er sich gesundheitlich unbeeinträchtigt gefühlt hatte.
Diese Bewertung steht im Übrigen auch mit den Erfahrungswerten von Quecksilberbelastungen in der gesetzlichen Unfallversicherung im Einklang. In der allgemeinen Bewertung des Standardwerkes der Unfallversicherung zur Frage der Berufserkrankung BK-Nr. 1102 "Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen" wird ausgeführt, dass die individuelle Toleranzbereitschaft des Menschen für quecksilber-induzierte Gesundheitsstörungen erheblich ist. Danach kommt es nach der arbeitsmedizinischen Erfahrung bei Beendigung der quecksilbergefährdenden Tätigkeit regelmäßig zu einer Rückbildung der Symptomatik. Spätfolgen durch Einwirkungen von Quecksilber mit Latenzzeiten von vielen Jahren sind hiernach nicht bekannt (vgl. Mehrtens/ Schönberger/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, 2010, S. 1225).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Die Revision war nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, weil es sich um die Entscheidung eines Einzelfalls auf gesicherter rechtlicher Grundlage handelt.
Rechtskraft
Aus
Login
SAN
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