S 2 KA 392/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 392/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist die Befreiung vom Fahrdienst im Rahmen des ärztlichen Notfalldienstes.

Der am 00.00.1946 geborene Kläger ist Facharzt für Allgemeinmedizin und in überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaft mit einem weiteren Facharzt für Allgemeinmedizin in B niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Unter dem 22.03.2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Befreiung vom Fahrdienst der KV in B. Bei Zustand nach Lebertransplantation und andauernder Einnahme von Immunsuppressiva habe er eventuell mögliche Infektionsquellen zu meiden und Infektionen zu vermeiden, vor denen er sich - anders als beim Sitzdienst oder auch in eigener Praxis - nur wenig schützen könne.

Mit Bescheid vom 09.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2012 lehnte die Beklagte nach Anhörung des Präsidenten der Ärztekammer Nordrhein den Antrag ab: Zwar könne ein Arzt aus schwerwiegenden Gründen vom Notfalldienst befreit werden. Ein schwerwiegender Grund liege in der Regel nicht vor, wenn eine regelmäßige Praxistätigkeit aufrecht erhalten werde. Eine Überprüfung der Fallzahlen habe in den Quartalen I/11 bis IV/11 ergeben, dass der Kläger eine regelmäßige Praxistätigkeit aufrecht erhalte. Darüber hinaus sei seine Situation seitens der Kreisstelle B bereits insoweit berücksichtigt worden, dass er seit dem Jahr 2005 nicht mehr zum Fahrdienst eingeteilt worden sei.

Hiergegen richtet sich die am 01.08.2012 erhobene Klage.

Der Kläger weist in Bezug auf seinen Gesundheitszustand darauf hin, dass er sich 2005 einer Leberlebendtransplantation habe unterziehen müssen, die von der Berufsgenossenschaft mit einer MdE um 100 v.H. als Berufskrankheit anerkannt sei. Ferner habe er 2007 einen Herzinfarkt erlitten, sich einer Bauchdeckenplastik unterziehen müssen und leide seit seiner Kindheit an Asthma bronchiale. Die Medikation durch Immunsuppressiva habe zu einer Schwächung seines Immunsystems geführt. Es bestehe die im Fahrdienst nicht abwendbare Gefahr, sich bei Patienten mit ansteckenden Krankheiten zu infizieren. Am Sitzdienst könne er durch entsprechende Vorsorge teilnehmen.

Durch seine Erkrankungen seien seine Fallzahlen von ca. 700 (im Jahre 2003) auf ca. 300 (im Jahre 2011) abgesunken. Seine Umsätze seien von 157.000,- EUR (im Jahre 2003) auf 92.963,- EUR (im Jahre 2010) zurückgegangen. Der Gewinn nach Steuer habe im Jahre 2011 43.663,- EUR betragen. Hiervon seien Darlehen u.a. für die Praxis von rund 29.600,- EUR (Zinsanteil) zuzüglich Tilgungsanteil zu bedienen. Als einzige Arbeitskraft in seiner Praxis stehe stundenweise seine frühere Ehefrau zur Verfügung. Die Kosten für einen Vertreter von 350,- EUR bis 400,- EUR pro Fahrdienst könne er nicht aufbringen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn vom allgemeinen ärztlichen Notfalldienst - Fahrdienst - ersatzlos zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt ihre Entscheidung.

Nach § 2 NFD-O könne ein Arzt aus schwerwiegenden Gründen von Notdienst befreit werden, wenn seine Arbeitskraft erheblich eingeschränkt sei. Dies gelte insbesondere bei Krankheit oder körperlicher Behinderung sowie für Ärzte über 65 Jahre. Nach den Fallzahlen von 304 (Quartal I/2010) bis 275 (III/2012) in den beiden letzten Jahren führe der Kläger seine Praxis in geregeltem Maße weiter und habe seine Tätigkeit nicht noch weiter eingeschränkt. In den Jahren 2010 und 2011 sei er je einmal und in den Jahren 2012 und 2013 je zweimal pro Halbjahr zum Fahrdienst eingeteilt worden. Es sei ihm insgesamt zuzumuten, den Notfalldienst selbst oder durch einen geeigneten Vertreter durchzuführen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtmäßig sind. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung vom Fahrdienst im Rahmen des ärztlichen Notfalldienstes.

Der Kläger ist gemäß § 1 Abs. 1 der Gemeinsamen Notfalldienstordnung der Beklagten und der Ärztekammer Nordrhein (NFD-O)) als niedergelassener Arzt prinzipiell zur Teilnahme am organisierten ärztlichen Notfalldienst verpflichtet (vgl. BSG, Urteil vom 06.02.2008 - B 6 KA 13/06 R -; LSG NRW, Beschluss vom 19.03.2012 - L 11 KA 15/12 B ER -). Zum organisierten Notfalldienst gehört auch die Einrichtung eines Fahrdienstes für Hausbesuche (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 06.06.2011 - 13 B 394/11; LSG NRW, Urteil vom 10.05.2000 - L 11 KA 190/99).

Mit seiner Zulassung übernimmt der Vertragsarzt die Verpflichtung, in zeitlicher Hinsicht umfassend für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung zu stehen. Das betrifft auch die Zeiten außerhalb der Sprechstunde. Der einzelne Arzt wird dadurch, dass die gesamte Ärzteschaft einen Notfalldienst organisiert, von der täglichen Dienstbereitschaft rund um die Uhr entlastet, muss dafür aber als Gegenleistung den Notfalldienst gleichwertig mittragen, solange er in vollem Umfang vertragsärztlich tätig ist.

Diese Verpflichtung aller Vertragsärzte zu einem gleichwertigen Mittragen der Belastungen infolge des ärztlichen Notfalldienstes besteht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch für den Fall, dass einer persönlichen Teilnahme am Notfalldienst gesundheitliche Gründe entgegenstehen. Eine vollständige (ersatzlose) Befreiung kommt unter dem Gesichtspunkt gleichmäßiger Belastung (Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)) nur unter zusätzlichen Voraussetzungen in Frage, wenn nämlich gesundheitliche oder vergleichbare Belastungen zu einer deutlichen Einschränkung der Praxistätigkeit des Arztes führen und ihm zudem aufgrund geringer Einkünfte aus der ärztlichen Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann, den Notfalldienst auf eigene Kosten durch einen Vertreter wahrnehmen zu lassen (vgl. zuletzt Beschluss vom 12.12.2012 - B 6 KA 29/12 B -).

Die Kammer geht insofern davon aus, dass dem Kläger eine Teilnahme am Fahrdienst in eigener Person aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist. Der Vortrag des Klägers zur Gefahr lebensbedrohlicher Infektionen im Fahrdienst ist schlüssig und wird durch das ärztliche Attest des Chefarztes der Medizinischen Klinik des Marienhospitals B, H, vom 21.08.2012 erhärtet. Danach ist der Kläger aus medizinischen Gründen (u.a. Berufskrankheit mit Organtransplantation und permanenter immunsuppressiver Therapie) nicht in der Lage, am ärztlichen Taxi-Notfalldienst teilzunehmen, und ist aus medizinischer Indikation von dieser Art des Notfalldienstes freizustellen.

Dem Kläger ist jedoch nach Lage der Dinge die Finanzierung eines Vertreters zuzumuten. Zwar ist seine Praxistätigkeit gegenüber 2003 inzwischen deutlich reduziert. Anstelle früher 700 Fällen beläuft sich seine Fallzahl nunmehr auf unter 300. Jedoch reichen seine Einnahmen aus ärztlicher Tätigkeit für die Finanzierung eines Vertreters noch sicher aus. Bei Kosten von max. 400,- EUR pro Vertretungsfall und vier Einteilungen zum Fahrdienst pro Jahr belaufen sich die Kosten für den Vertreter auf jährlich max. 1.600,- EUR. Dem stehen nach Angaben des Klägers Umsätze aus ärztlicher Tätigkeit von 92.963,- EUR, nach Steuer von 58.000,- EUR (im Jahre 2010), und von 43.663,- EUR nach Steuer (im Jahre 2011) gegenüber. Hinzu kommt eine von der Berufsgenossenschaft gezahlte Rente nach einer MdE um 100 v.H ... Diese Rente soll die durch den Versicherungsfall (Berufskrankheit) bedingte dauerhafte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ausgleichen und für Einkommensverluste entschädigen. Die BG-Rente beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes, wenn Versicherte ihre Erwerbsfähigkeit vollständig verloren haben (Vollrente), und ist steuerfrei; Beiträge zur Sozialversicherung sind aus ihr nicht zu zahlen. Gemessen an diesen Gesamteinkünften betragen die - im Übrigen als Betriebsausgaben steuerlich absetzbaren - Kosten für den Fahrdienst-Vertreter auch ohne Kenntnis der genauen Höhe der BG-Rente allenfalls wenige Prozent. Das ist dem Kläger angesichts seiner Verpflichtung zum gleichmäßigen Mittragen der Belastungen des Notfalldienstes zuzumuten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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