S 2 KA 284/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 284/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 17/14
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt seine Bestellung als Gutachter gemäß § 7 der Vereinbarung über das Gutachterverfahren bei der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen (Anlage 12 zum BMV-Z/EKV-Z).

Der Kläger ist Zahnarzt und Dipl.-Ing. (ETH Zürich) und in E zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Er ist seit 2001 Mitglied der Vertreterversammlung der Beklagten, zuletzt gewählt für die Wahlperiode 2011 bis 2016. Seine vielfältigen Bemühungen um Aufnahme in die Liste der ZE-Gutachter sind erfolglos geblieben.

Am 01.08.2013 hat der Kläger Klage erhoben.

Er trägt vor, in der Beklagten seien neben anderen Ehrenämtern auch die Gutachter zu besetzen, wobei es sich bei letzteren um unpolitische, absolut neutrale Ämter handele, für die nach Ausführungen der Beklagten jeder niedergelassene Zahnarzt, der über Berufserfahrung verfüge, befähigt und geeignet sei. Einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten standespolitischen Gruppierung bedürfe es dabei nicht.

Er - der Kläger -, der seit Jahren selbst aktiv in der Standespolitik sowohl auf Kammer- als auch KZV-Ebene tätig und derzeit gewähltes, aktives Mitglied der Vertreterversammlung der Beklagten sei, habe bereits Mitte 1987 sein Interesse an einer Gutachtertätigkeit für den Zahnersatzbereich der KZV signalisiert und sich entsprechend beworben. Dabei habe er in wohlgemeinter Absicht auf seine eher außergewöhnliche und sicher vorteilhafte Qualifikation als industrieerfahrener, promovierter Diplomingenieur hingewiesen. Eine Qualifikation, die sicher für den technischen, metallurgischen Bereich, den der Zahnersatzsektor auch beinhalte, von Vorteil sei.

Seine Bewerbung sei, obwohl es sich hier nach Auskunft der KZV-Führung um ein unpolitisches, neutrales Ehrenamt handele, bis heute nie berücksichtigt worden. Er fühle sich von der Beklagten, die nach Satzung und Statuten alle Vereinigungsmitglieder gleich zu behandeln habe, massiv benachteiligt, diffamiert und diskriminiert.

Die Praxis in der Vergabe der Gutachterämter sei seit Jahren so, dass ein politischer Obmann meist in Person des politischen Verwaltungsstellenleiters eine Liste mit Kandidaten führe, aus der dann der KZV-Vorstand mit Einvernehmen der Kassen auswähle. Es sei naheliegend, dass der politische Obmann nur Kollegen aus seiner politischen Fraktion und Kreisen der Sympathisanten auf die Liste setze. Entgegen den Beteuerungen der Neutralität und Gleichbehandlung würden andere, durchaus qualifizierte und interessierte Vereinigungsmitglieder nicht auf die Auswahlliste genommen. Dies widerspreche dem Geist und den Statuten der KZV als Körperschaft, die allein schon aufgrund ihrer Ausschließlichkeit alle Vereinigungsmitglieder in diesem Bereich gleich zu behandeln und allen unbefangen gegenüber zu stehen habe.

Es zeige sich, dass mit dieser Nominierungspraxis, die vorwiegend, eher ausschließlich nur politische Gefolgsleute und Sympathisanten mit diesen offiziell neutralen Ämtern betraue, wobei auch ein gewisses Ämterpatronat und eine Weitergabe an persönliche Nachkommen zu konstatieren sei, eine Ausweitung der politischen Vorherrschaft und des Machterhalts zu Lasten der zwangsweise in der Körperschaft vereinigten Mitglieder betrieben werde.

Wenn dann auch noch Amtsinhaber, wie beispielsweise der derzeitige Kammervizepräsident, mit "gutachterlicher Tätigkeit" auf der Praxishomepage würben, weil Gutachter bei Patienten möglicherweise als die "besseren" Zahnärzte gesehen würden, so könne der vermeintliche geldwerte Vorteil und Reputationszuwachs als unzulässige Vorteilsnahme gewertet werden. Auch seien gewisse Herablassungen und oberlehrerhafte Anmaßungen von Amtsinhabern, besonders von sogenannten "bewährten" Ewiggutachtern gegenüber einfachen Normalzahnärzten unübersehbar.

Dieser Zustand werde seit Jahrzehnten von der parlamentarischen Opposition vehement kritisiert und seit langem ein transparentes, für jedes Vereinigungsmitglied zugängliches und nachprüfbares Auswahlverfahren angemahnt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihn in die Liste der Gutachter gemäß § 7 der Vereinbarung über das Gutachterverfahren bei der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen aufzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie habe dem Kläger vielfach erläutert, dass es sich bei der "Gutachternominierung" nicht um ein Verfahren handele, welches beispielsweise vergaberechtlichen Anforderungen unterliege, und auch gegenüber ihrer Rechtsaufsicht das Procedere erläutert.

Der Kläger sei bisher nicht einvernehmlich zwischen der Beklagten und den gesetzlichen Krankenkassen und ihren Verbänden als Gutachter nominiert worden.

Die von ihm in den Vordergrund gestellte vermeintliche Benachteiligung, Diffamierung und Diskriminierung seiner Person ob seiner standespolitischen Tätigkeit sei fernliegend. Allerdings wäre ergänzend zu berücksichtigen, dass ein im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung eingesetzter Gutachter, der geplante oder durchgeführte Versorgungen anderer Vertragszahnärzte zu beurteilen habe, erkennbar dieses System als solches zu akzeptieren und zu respektieren habe. Insofern lasse die Diktion des Klägers ("Sympathisanten", "Ausweitung der politischen Vorherrschaft und des Machterhalts zu Lasten der zwangsweise in der Körperschaft vereinigten Mitglieder", "unzulässige Vorteilsnahme"; "oberlehrerhafte Anmaßungen von Amtsinhabern") zumindest Fragen aufkommen, ob dieses gegeben ist.

Rechtlich sei der Kläger ungeachtet seiner von ihm beanstandeten bisherigen Nichtberücksichtigung nicht beschwert.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie des Gerichtsbescheides der Kammer vom 23.05.2011 - S 2 KA 246/09 -, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Leistungsklage zulässig, aber unbegründet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 der Anl. 12 zum BMV-Z/EKV-Z bestellt jede KZV im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen/Verbänden der Ersatzkassen Gutachter und (mit den Ersatzkassen) Zahnersatz-Obergutachter in der erforderlichen Anzahl. Es bestehen bereits erhebliche Bedenken dagegen, ob der Kläger ein einklagbares subjektiv-öffentliches Recht, d.h. einen durchsetzbaren Anspruch auf Aufnahme in die Liste der ZE-Gutachter hat.

Im Unterschied zu lediglich tatsächlich begünstigenden sog. Rechtsreflexen gewährt die Rechtsordnung bei subjektiv-öffentlichen Rechten Individuen einen Gesetzesvollziehungsanspruch. Eine Reihe von Normen, die staatliche Leistungs- oder sonstige Handlungspflichten begründen, räumt den Begünstigten ausdrücklich ein subjektiv-öffentliches Recht ein (z.B. § 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFöG), §§ 38, 39 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I), § 97 Abs. 7 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)) oder schließt ein solches aus (z.B. § 1 Abs. 3 Satz 2, § 123 Abs. 3 Baugesetzbuch (BauGB), § 3 Abs. 2 Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (HGrG), § 29 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)). Sofern - wie hier - eine ausdrückliche normative Regelung fehlt, ist einem Rechtssatz nach der herrschenden sog. Schutznormlehre im Wege der Auslegung ein subjektiv-öffentliches Recht zu entnehmen, wenn er (1) eine objektive Verhaltenspflicht begründet, die (2) nicht ausschließlich zur Verwirklichung von öffentlichen Interessen, sondern zumindest auch der Befriedigung von Individualinteressen dient, und er (3) dem Betroffenen die Rechtsmacht einräumt, die normgeschützten Interessen gegenüber dem Verpflichteten durchzusetzen (vgl. dazu Scherzberg, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl., Berlin 2010, Kap. 12 (Subjektiv-öffentliche Rechte), Rn. 9 ff. m.v.w.N.).

Die Vereinbarung über das Gutachterverfahren bei der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen (Anl. 12 zum BMV-Z/EKV-Z) dient dem Zweck, durch Planungs- und Mängelgutachten sicherzustellen, dass die prothetische Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung qualitativ lege artis erfolgt und das Wirtschaftlichkeitsgebot einhält. Sie fußt darauf, dass den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie den Primär- und Ersatzkassen die Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung übertragen ist. Die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des vertragszahnärztlichen Systems in Bezug auf die Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen dient jedoch allein öffentlichen Interessen und nicht der Befriedigung von Individualinteressen einzelner Interessenten an einer Gutachtertätigkeit. Ein subjektiv-öffentliches Recht, das für den einzelnen Vertragsarzt ein einklagbares Recht auf Bestellung als ZE-Gutachter begründet, besteht daher insofern nicht.

Auch aus der Mitgliedschaft des Klägers in der Vertreterversammlung der Beklagten lässt sich ein Anspruch auf Aufnahme seiner Person in die Liste der ZE-Gutachter nicht ableiten.

Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass die Ausschüsse des Bundestages durch ihre Aufgabenstellung in die Repräsentation des Volkes durch das Parlament einbezogen sind. Deshalb muss grundsätzlich jeder parlamentarischer Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Plenums sein. Zwar besteht kein Verfassungsgebot, in jedem Ausschuss jede Fraktion mit mindestens einem Sitz zu berücksichtigen. Allerdings müssen sich bei der Besetzung der Ausschüsse insgesamt die Mehrheitsverhältnisse im Parlament widerspiegeln (Urteil vom 13.06.1989 - 2 BvE 1/88 - BVerfGE 80, 188, 222; Urteil vom 16.07.1991 - 2 BvE 1/91 - BVerfGE 84, 302, 323; Beschluss vom 03.12.2002 - 2 BvE 3/02 - BVerfGE 106, 253, 262; sog. Grundsatz der "Spiegelbildlichkeit").

Selbst wenn man diese Erwägungen nicht nur auf die Besetzung der Ausschüsse der Beklagten (Hauptausschuss, Finanzausschuss u.a.) anwenden wollte (vgl. dazu SG Münster, Urteil vom 09.12.2013 - S 2 KA 5/11 -), sondern bei einem weiten verfassungsrechtlichen Verständnis auch bei der Bestellung der ZE-Gutachter heranziehen wollte, ergibt sich hieraus kein Anspruch des Klägers auf Aufnahme in die Liste der ZE-Gutachter. Von den 50 in die Vertreterversammlung der Beklagten zu wählenden Vertreter errang der Wahlvorschlag ".-Ing. V J, E, Freie Zahnärzte Nordrhein" einen (1) Sitz (Bekanntgabe des Wahlergebnisses zur Vertreterversammlung der KZV Nordrhein für die Wahlperiode 2011 bis 2016, Rhein. Zahnärzteblatt 1/2011, S. 24). Die Zahl der ZE-Gutachter im Bereich der Verwaltungsstelle E, Kreisvereinigung Stadt E, beträgt für die Amtsperiode 2011 - 2016 (zeitversetzt um ein halbes Jahr bis zum 30.06.2017) insgesamt (ZE-Erstgutachter Primär, ZE-Gutachter vdek; Obergutachter vdek) zwölf (Anlage zum Informationsdienst (ID) 6/2011). Bei 1/50 der Stimmen in der Vertreterversammlung verletzt es verfassungsrechtlich keine Minderheitsrechte, wenn der Kläger bei 12 zu besetzenden ZE-Gutachterstellen unberücksichtigt bleibt. Die Anzahl der ZE-Gutachter ist auch nicht beliebig erweiterbar, sondern begrenzt; § 7 Abs. 1 Satz 1 der Anl. 12 zum BMV-Z/EKV-Z spricht von der "erforderlichen Anzahl". Nach dem Willen der Partner der Bundesmantelverträge ist es auch nicht wünschenswert, die Anzahl der Gutachter über das notwendige Maß hinaus zu erhöhen. Deshalb kann nach § 7 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz der Anl. 12 zum BMV-Z/EKV-Z das Einvernehmen verweigert werden, wenn die erforderliche Anzahl der Gutachter in einer Region überschritten wird.

Schließlich kann nach § 7 Abs. 1 Satz 3 1. Halbsatz der Anl. 12 zum BMV-Z/EKV-Z das Einvernehmen verweigert werden, wenn begründete Zweifel an der Eignung des vorgesehenen Gutachters bestehen. An der fachlichen Eignung des Klägers haben weder die Beklagte noch die Landesverbände der Krankenkassen noch der Verband der Ersatzkassen Zweifel geäußert. Eignung bedeutet aber auch, dass ein im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung eingesetzter Gutachter, der geplante oder eingegliederte Versorgungen seiner Kollegenschaft zu beurteilen hat, Akzeptanz bei dieser, der Beklagten und den Kostenträgern zu finden hat, was voraussetzt, dass er das System als solches anerkennt und respektiert. Das Vertrauen der Beklagten, welche die ZE-Gutachter zu bestellen hat, genießt der Kläger sicher nicht. Gleiches gilt zumindest auch für die Bergische Krankenkasse, die ihn erstinstanzlich erfolgreich auf Herausgabe der Original-Behandlungsunterlagen betreffend einen früheren Patienten verklagt hat, um mögliche Schadensersatzansprüche aufgrund von Mängeln der prothetischen Versorgung prüfen zu können (Sozialgericht Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 23.05.2011 - S 2 KA 246/09 -; jetzt LSG NRW - L 11 KA 62/11 -). Das für eine reibungsfreie Zusammenarbeit aller Gesamtvertragspartner notwendige Vertrauen in die Persönlichkeit eines Gutachters, um das System der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen funktionsfähig zu erhalten, lässt sich jedenfalls vorliegend durch gerichtliche Entscheidung nicht erzwingen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1, 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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