S 15 AS 3800/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
15
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AS 3800/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei einer Aufrechnungserklärung handelt es sich um einen Verwaltungsakt.

2. Die Behörde kann gegen Ansprüche aus § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Darlehensrückzahlungsansprüchen aufrechnen, ohne den Einschränkungen der § 51 SGB I, §§ 42a, 43 SGB II zu unterliegen.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufrechnung der Beklagten gegen einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung ihrer Kosten für ein sogenanntes isoliertes Vorverfahren.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 30. August 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. März 2011. Unter dem 25. Januar 2011 beantragte die Klägerin die Überprüfung dieses Bescheides. Daraufhin bewilligte ihr der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 8. April 2011 höhere Leistungen nach dem SGB II für den genannten Zeitraum. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 6. Mai 2011 Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 26. Juni 2012 wurde die Leistungsbewilligung erneut geändert.

Mit Bescheid vom 28. Juni 2012 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als nach Erteilung des Änderungsbescheides vom 26. Juni 2012 unbegründet zurück. Zugleich erklärte sie sich bereit, die im Widerspruchsverfahren entstandenen not-wendigen Aufwendungen zu erstatten.

Die Klägerin machte daraufhin Rechtsanwaltskosten in Höhe von 395,08 Euro geltend.

Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 27. August 2012 erklärte sich der Beklagte bereit, Kosten in Höhe von 210,21 Euro zu erstatten. Mit weiterem Schreiben vom gleichen Tag rechnete er den Betrag gegen eine Restforderung aus einem der Klägerin mit Bescheid vom 27. Januar 2012 gewährten Darlehen auf.

Gegen die Aufrechnungserklärung legte die Klägerin mit Schreiben vom 17. September 2012 Widerspruch ein. Sie vertrat die Ansicht, dass wegen § 51 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) i.V.m. § 54 Abs. 2 und 4 SGB I ein grundsätzliches Auf-rechnungsverbot bestehe. Zudem sei im vorliegenden Fall zuvor Beratungshilfe bewilligt worden. Soweit nunmehr der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin die Kosten der Wahrnehmung ihrer Rechte zu ersetzen, habe er die gesetzliche Vergütung für die Tätigkeit des Rechtsanwaltes zu zahlen. Der Anspruch gehe auf den Rechtsanwalt über. Der kraft Gesetz auf den Rechtsanwalt übergegangene Anspruch könne nicht durch eine Aufrechnung umgangen werden.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. September 2012).

Mit der am 18. Oktober 2012 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Erklärung der Aufrechnung im Schreiben vom 27. August 2012. Sie trägt, dass es sich bei der Aufrechnungserklärung um einen Verwaltungsakt handele. Außerdem verweist sie erneut auf das grundsätzliche Aufrechnungsverbot des § 51 SGB I i. V. m. § 54 Abs. 2 und 4 SGB I und darauf, dass der Vergütungsanspruch gemäß § 9 Beratungshilfegesetz auf ihren Rechtsanwalt übergegangen ist.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 27. August 2012 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 17. September 2012 aufzuheben, soweit darin eine Aufrechnung erklärt worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Ver-handlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akte des Ge-richts sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

2. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

a) Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Mit der Klage angegriffen ist die Auf-rechnungserklärung der Beklagten vom 27. August 2012 und der Widerspruchsbe-scheid vom 17. September 2012.

Die Anfechtungsklage ist statthaft, weil es sich bei der Aufrechnungserklärung des Beklagten vom 27. August 2012 um einen Verwaltungsakt handelt. Nach § 31 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil mit dem Schreiben vom 27. August 2012 der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X zum Erlöschen gebracht werden soll, also eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen beabsichtigt ist. Damit qualifiziert sich eine Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt, auch wenn die Behörde nicht durch Verwaltungsakt handeln will und die Aufrechnungserklärung daher nicht die Form eines Verwaltungsaktes hat (wie hier auch BSG, Urteil vom 21.7.1988 – 7 RAr 51/86, juris, Rn. 28 m.w.N.; Fichte, in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl. 2013, § 31 SGB X Rn. 12; Luthe, in: jurisPK-SGB X, 2013, § 31 Rn. 96; von Rath, DÖV 2010, 180 [182]; a. A. unter Hinweise auf ältere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 35 Rn. 107, und Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 35 Rn. 95; siehe zur Rechtsprechungsentwicklung BSG, Vorlagebeschluss vom 25.2.2010 – B 13 R 76/09 R, juris, Rn. 25 ff. m.w.N. ).

Die Qualifizierung einer Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt entspricht auch dem in jüngerer Zeit dokumentierten Verständnis des Gesetzgebers, der ausdrücklich davon ausgeht, dass Aufrechnungserklärungen von Behörden durch Verwaltungsakt zu erfolgen haben (vgl. § 42a Abs. 2 Satz 2, § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II). Auch § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X, wonach bei Aufrechnung gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro von einer Anhörung abgesehen werden kann, streitet für die gleiche Auffassung (so auch Fichte, in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl. 2013, § 31 SGB X Rn. 12; Franz, in: jurisPK-SGB X, 2013, § 24 Rn. 56), da die Norm die Anhörung von Erlass eines Verwaltungsaktes betrifft.

Die hier vertretene Auffassung folgt allerdings nicht zwingend aus der Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 31. August 2011 (GS 2/10). Der Große Senat hat ausdrücklich lediglich entschieden, dass Verrechnungen im Sinne von § 52 SGB I auch durch Verwaltungsakt erfolgen dürfen (Großer Senat, Beschluss vom 31. August 2011 – GS 2/10, juris, Rn. 13). Die Entscheidung verhält sich nicht dazu, ob Verrechnungen – oder gar Aufrechnungen – stets Verwaltungsakte darstellen (wie hier Fichte, in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl. 2013, § 31 SGB X Rn. 12; Franz, in: jurisPK-SGB X, 2013, § 24 Rn. 56; anderes Verständnis aber wohl bei Luthe, in: jurisPK-SGB X, 2013, § 31 Rn. 96).

b) Die Klage ist aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2012 ist rechtmäßig.

Das Sozialgesetzbuch enthält zwar keine allgemeine Regelung der Aufrechnung, denn § 51 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) betrifft nur Möglichkeiten der Aufrechnung eines Leistungsträgers gegen Ansprüche auf Geldleistungen im Sinne von §§ 11, 18 bis 29 SGB I, deren tatbestandliche Voraussetzungen hier nicht erfüllt sind. Doch unabhängig davon besteht grundsätzlich die Möglichkeit, einer öffentlich-rechtlichen Forderung im Wege der Aufrechnung, auf die §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechend anzuwenden sind, entgegenzutreten (BSG, Urteil vom 22.7.2004 – B 3 KR 21/03 R, juris, Rn. 14 m.w.N.; LSG Hessen, Urteil vom 29.10.2012 – L 9 AS 601/10, juris, Rn. 27 m.w.N.). Voraussetzung hierfür, mit dem die wechselseitige Tilgung zweier Forderungen bewirkt wird, ist gemäß § 387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw. erfüllbare Forderungen gegenüberstehen. Einer weiteren – sozialrechtlichen – Ermächtigungsnorm hierfür bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 22.7.2004 – B 3 KR 21/03 R, juris, Rn. 14 m.w.N.). Die zivilrechtlichen Aufrechnungsnormen stellen exzeptionell eine gewohnheitsrechtliche Ermächtigungsgrundlage dar (a. A. SG Gießen, Urteil vom 14.9.2010 – S 26 AS 823/10, juris, Rn. 24). Wenn die zivilrechtlichen Normen als hinreichende Grundlage für eine Aufrechnung als öffentlich-rechtliche Willenserklärung verstanden wurden, muss dies auch gelten, wenn man die Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt auffasst. Denn zum einen unterscheiden sich Inhalt und Wirkung von Aufrechnungserklärung als Realakt und Aufrechnungserklärung durch Verwaltungsakt nicht, und zum anderen sind die Anforderungen an eine gesetzliche Grundlage bei schlichten öffentlich-rechtlichen Handlungen nicht geringer als beim Erlass von Verwaltungsakten.

Die nach § 24 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7 SGB X erforderliche Anhörung ist im Wider-spruchsverfahren nachgeholt werden (§ 41 Abs, 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X).

Der Hauptforderung der Klägerin auf Erstattung von Kosten für das isolierte Vorver-fahren nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X stand die Gegenforderung des Beklagten auf Rückzahlung des Darlehens gegenüber. Beide Forderungen waren als Ansprüche auf Geld gleichartig sowie fällig bzw. erfüllbar.

Die Forderungen waren auch gegenseitig. Zwar war der Anspruch der Klägerin gemäß § 9 Satz 2 Beratungshilfegesetz (BerHG) auf ihren Rechtsanwalt übergegangen. Der gesetzliche Forderungsübergang steht aber nach § 412 BGB i. V. m. § 406 BGB der Aufrechnung nicht entgegen (vgl. Dürbeck, in: Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 6. Aufl. 2012, § 22 Rn. 998; Klerks, info also 2012, 58 [60]; Lissner/Dietrich/Eilzer/Germann/Kessel, Beratungs- und Prozess-, Verfahrenskos-tenhilfe, 2010, Kapitel 8 Rn. 358).

Der Aufrechnung stehen weder § 51 SGB I noch §§ 42a, 43 SGB II entgegen. § 51 SGB I betrifft nur Fälle, in denen gegen Ansprüche auf Geldleistungen denn Geldleistungen im Sinne von §§ 11, 18 bis 29 SGB I aufgerechnet wird (BSG, Urteil vom 22.7.2004 – B 3 KR 21/03 R, juris, Rn. 14). §§ 42a, 43 SGB II betreffen nur die Fälle, in denen die Behörde gegen Ansprüche auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes aufrechnet. Bei dem Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X handelt es sich nicht um solche Geldleistungen im Sinne der § 51 SGB I, §§ 42a, 43 SGB II (so auch LSG Hessen, Urteil vom 29.10.2012 – L 9 AS 601/10, juris, Rn. 32 f.; SG Gießen, Urteil vom 14.9.2010 – S 26 AS 823/10, juris, Rn. 21 f.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

4. Die Berufung war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 144 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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