L 12 AL 1143/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AL 6873/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1143/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.01.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlichen Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Entscheidungen über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 09.10.1995 bis 30.04.2003 zurücknehmen und diese Leistung einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 16.657,97 EUR zur Erstattung fordern durfte.

Die am 08.10.1966 geborene verheiratete Klägerin türkischer Staatsangehörigkeit stand in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt bis 30.09.1994 in einem Arbeitsverhältnis als angelernte Helferin in einer Arztpraxis. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezog die Klägerin zunächst Arbeitslosengeld (Alg) I und nach Erschöpfung ihres Anspruchs auf Alg ab 09.10.1995 Arbeitslosenhilfe (Alhi) mit einem wöchentlichen Leistungssatz in Höhe von 69,00 EUR. Mit Unterbrechungen (in der Regel wegen mangelnder Verfügbarkeit während eines Aufenthalts außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs) bezog die Klägerin Alhi bis 30.04.2003. Bei Antragstellung hatte die Klägerin angegeben, dass weder sie, noch ihr Ehegatte oder ihre Eltern über Vermögen verfügten. In den Folgeanträgen machte die Klägerin entsprechende Angaben.

Im Frühjahr 2003 teilte die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes S.-G. der Beklagten mit, die Klägerin habe zusammen mit ihrem Ehemann in der Zeit vom 16.09.1994 bis 31.01.1996 insgesamt 130.000,00 DM bei der Türkischen Nationalbank (TCMB) angelegt gehabt. Die Beklagte stellte hierauf die Gewährung von Alhi mit Wirkung ab 01.05.2003 ein. Mit schriftlicher Erklärung vom 26.06.2003 verzichtete die Klägerin auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche auf Alhi.

Nach Anhörung der Klägerin (Anhörungsmitteilung vom 23.07.2003) nahm die Beklagte mit Bescheid vom 27.08.2003 die Entscheidungen über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 09.10.1995 bis 30.04.2003 zurück und forderte von der Klägerin die Erstattung von 16.657,97 EUR überzahlter Alhi (einschließlich der Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung). Wegen der bei der türkischen Nationalbank bestehenden und als Vermögen verwertbaren Geldanlagen sei die Klägerin nicht bedürftig gewesen. Sie habe zudem vorsätzlich, zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht, indem sie die Geldanlagen verschwiegen habe. Die Bewilligungen seien deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen gewesen; die erbrachten Leistungen einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung müsse die Klägerin erstatten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 25.09.2003 Widerspruch. Zur Begründung trug sie vor, sie habe keine falschen Angaben gemacht. Das Geld sei ausschließlich auf den Namen ihres Ehemannes angelegt gewesen. Außerdem seien die Fragen in den Antragsformularen der Beklagten ungenau, da nicht eindeutig zwischen inländischen und ausländischen Geldanlagen unterschieden werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe über den Verbleib des angelegten Geldes keine Angaben gemacht. Mithin sei davon auszugehen, dass das Vermögen nach wie vor vorhanden sei und vorrangig für den Lebensunterhalt hätte eingesetzt werden müssen. Unter Zugrundelegung der maßgeblichen Freibeträge für die Klägerin und ihren Ehemann (insgesamt 16.000,00 DM) und eines Bemessungsentgelts von wöchentlich 190,00 DM hätte Bedürftigkeit für einen Zeitraum von 600 Wochen nicht vorgelegen. Die Klägerin habe deshalb Alhi während des gesamten Bewilligungszeitraums zu Unrecht bezogen.

Die Klägerin hat am 21.11.2003 schriftlich beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Die Bescheinigung der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes S.-G. sei falsch. Sie habe zu keinem Zeitpunkt Geld in der Türkei angelegt. Die von ihrem Ehemann getätigte Geldanlage sei ihr nicht bekannt gewesen. Hierüber sei sie erst durch die Beklagte informiert worden. Sie habe ihren Ehemann vergeblich gebeten, ihr eine Abschrift der Kapitalanlagen in der Türkei auszuhändigen. Darüber hinaus bestreite sie den Erhalt des Merkblatts 1 für Arbeitslose. Sie habe den Antrag auf Alhi zwar unterschrieben, dessen Inhalt aber nicht verstanden. Die Alhi habe sie für ihren Lebensunterhalt verbraucht. Sie verfüge über kein Vermögen, das ihr eine Rückzahlung ermöglichen könnte. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Mit Verfügung der Kammervorsitzenden vom 02.03.2011 ist die schriftliche Vernehmung des Ehemannes der Klägerin, A. A. angeordnet worden. Dieser hat mit beim SG am 23.03.2011 eingegangenem Schreiben vom 14.03.2011 erklärt, er sei mit der Klägerin seit 1984 verheiratet und mache von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Mit Urteil vom 18.01.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe Alhi während des gesamten Bewilligungszeitraums zu Unrecht bezogen. Sie habe über Vermögen verfügt, das der Bedürftigkeit als Leistungsvoraussetzung entgegengestanden habe. Der Klägerin sei auch der Vorwurf zu machen, gegenüber der Beklagten zumindest grob fahrlässig falsche Angaben zu ihren Vermögensverhältnissen gemacht zu haben. Dass das Geld auf den Namen ihres Ehemanns angelegt gewesen sei, stehe dem nicht entgegen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 14.03.2012 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Nachvollziehbare Belege für die von Beklagter und SG zugrundegelegten Geldanlagen lägen nicht vor. Außerdem lebe sie mit ihrem Ehemann im Güterstand der Gütertrennung nach türkischem Recht. Deshalb sei ihr die Kapitalanlage ihres Ehemannes nicht zuzurechnen. Letztlich habe sie auch nicht grob fahrlässig gehandelt, da ihr die Geldanlage ihres Ehemannes nicht bekannt gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.01.2012 und den Bescheid vom 27.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig und die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in der hier anzuwendenden ab 1. April 2008 geltenden Fassung) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurden die maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) beachtet. Die Berufung ist jedoch unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Gegenstand der (isolierten) Anfechtungsklage ist der Bescheid vom 27.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2003, mit dem die Beklagte die Zurücknahme der Bewilligung von Alhi und die Pflicht zur Erstattung von in der Zeit vom 09.10.1995 bis 30.04.2003 bezogener Alhi einschließlich der hierauf entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 16.657,97 EUR verfügt hat. Dieser Bescheid erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in subjektiven Rechten.

Verfahrensrechtliche Grundlage für die Zurücknahme sämtlicher der Klägerin für die Zeit vom 09.10.1995 bis 30.04.2003 Alhi bewilligender Bescheide ist die Bestimmung des § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), welche seit 01.01.1998 in der Modifizierung durch § 330 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) anzuwenden ist. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er von Anfang an rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X u. a. nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2). Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser nach der zwingenden Vorschrift des § 330 Abs. 2 SGB III auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, ohne dass der Beklagten insoweit ein Ermessen eingeräumt wäre.

Alle der Klägerin für die Zeit vom 09.10.1995 bis 30.04.2003 Alhi bewilligenden Bescheide waren von Anfang an rechtswidrig; der Klägerin stand für diesen Zeitraum keine Alhi zu. Voraussetzung für die Gewährung dieser Leistung war, dass der Arbeitslose bedürftig ist (§ 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III in der seit 01.01.1998 geltenden Fassung [a.F.]). Der Arbeitslose war bedürftig, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestritt oder bestreiten konnte und das Einkommen, das nach § 194 SGB III a.F. zu berücksichtigen war, die Alhi nach § 195 SGB III a.F. nicht erreichte (§ 193 Abs. 1 SGB III a.F.); er war ferner nicht bedürftig, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen oder das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die Gewährung von Alhi offenbar nicht gerechtfertigt war (§ 193 Abs. 2 SGB III a.F.). Unter welchen Voraussetzungen die Gewährung von Alhi mit Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse offenbar nicht gerechtfertigt war, konkretisierten für die Zeit bis 31.12.2001 die §§ 6 ff. der auf der Ermächtigungsgrundlage in § 137 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bzw. § 206 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB III a.F. erlassenen Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 07.08.1974 (AlhiV 1974; BGBl. I S. 1929). Gemäß § 6 Abs. 1 AlhiV 1974 war Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen, soweit es verwertbar war und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar war, jeweils 8.000,00 DM überstieg. Das Vermögen war, ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften, mit seinem Verkehrswert in dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, in dem der Antrag auf Arbeitslosenhilfe gestellt wurde; bei späterem Erwerb galt der Zeitpunkt des Erwerbs (§§ 6, 8 AlhiV 1974). Bedürftigkeit bestand nicht für die Zahl voller Wochen, die sich aus der Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergab, nach dem sich die Arbeitslosenhilfe richtete (§ 9 AlhiV 1974).

Die Vorschriften der AlhiV 1974 galten grundsätzlich bis zum 31.12.2001. Mit Ausnahme des § 9 galten sie darüber hinaus für die Dauer der laufenden Bewilligung weiter, wenn die Anspruchsvoraussetzungen im Zeitraum 01.10.2001 bis 31.12.2001 vorlagen, mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Freibetrags von 8.000,00 DM ein Betrag von 4.100,00 EUR trat (§ 4 Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13.12.2001 [AlhiV 2002]).

Gemäß § 1 Abs. 1 AlhiV 2002 war ab 01.01.2002 bzw. nach dem Ende des Übergangszeitraums das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen, soweit es den Freibetrag überstieg. Der Freibetrag belief sich bis Ende 2002 sowie darüber hinaus für die Dauer einer laufenden Leistungsbewilligung, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe im Zeitraum vom 01.10.2002 bis zum 31.12.2002 vorgelegen haben (§ 4 Abs. 2 Satz 1 AlhiV 2002 in der Fassung des Art. 11 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002) auf 560,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Ehegatten, höchstens aber jeweils 33.800,00 EUR, und ab 01.01.2003 bzw. nach dem Ende des Übergangszeitraums auf 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seiner Ehegattin, höchstens aber jeweils 13.000,00 EUR. Vermögen im Sinne der AlhiV 1974 und 2002 ist die Gesamtheit der dem Vermögensträger gehörenden Sachen und Rechte in Geld oder Geldeswert einschließlich der Ansprüche aus Sparguthaben (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG], zusammenfassend Urteil vom 24.05.2006 - B 11a AL 7/05 R - SozR 4-4220 § 6 Nr. 4).

Am 09.10.1995 und während sämtlicher nachfolgender Bewilligungszeiträume waren mit Ausnahme der Bedürftigkeit alle Leistungsvoraussetzungen für die Gewährung von Alhi erfüllt. Die Bedürftigkeit war hingegen zu verneinen, weil der Ehemann der Klägerin damals über Vermögen in Höhe von mindestens 130.000,00 DM verfügte. In dieser Höhe hatte jener Geld bei der TCMB als Festgeld vom 16.09.1994 bis 31.01.1996 angelegt. Dies steht zur vollen Überzeugung des Senats fest aufgrund der Mitteilung der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes S.-G. gegenüber der Beklagten. Anhaltspunkte dafür, dass die dort gemachten Angaben unrichtig sein könnten, ergeben sich weder nach Aktenlage noch aus dem Vorbringen der Klägerin. Der Senat geht mangels entgegenstehender Hinweise davon aus, dass der Ehemann der Klägerin über Vermögen in mindestens gleicher Höhe auch bis zum Ende der Alhi-Bewilligung verfügt hat. Dass der Ehemann der Klägerin das Vermögen verbraucht hätte, wird von der Klägerin nicht vorgetragen. Da die Klägerin diesbezüglich keine Angaben und ihr Ehemann von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, ist es auch dem Senat verwehrt, diesen für die Erfüllung des Tatbestands des § 45 Abs. 1 SGB X relevanten Sachverhalt im Wege von Amts wegen durchzuführender Ermittlungen weiter aufzuklären. Da die Vermögensverhältnisse der Klägerin und ihres Ehemanns der Sphäre der Klägerin zuzurechnen sind und die Klägerin zudem bei Antragstellung objektiv unrichtige Angaben gemacht und dadurch die Beweisnot der Beklagten zurechenbar verursacht hat, trifft sie die Beweislast für den weiteren Verbleib des Vermögens ihres Ehemannes. Den ihr somit obliegenden Beweis für einen Verbrauch des Geldes hat die Klägerin nicht erbracht.

Unter Abzug der Freibeträge für die Klägerin und ihren nicht dauernd getrennt lebenden Ehemann von jeweils 8.000,00 DM war das Geldvermögen bis 31.12.2001 in Höhe von 114.000,00 DM grundsätzlich zu berücksichtigen (vgl. § 1 Abs. 1 AlhiV 1974). Denn dieses Vermögen war verwertbar, weil es jederzeit übertragen oder belastet werden konnte und der Ehemann der Klägerin als Vermögensinhaber keinen Verfügungsbeschränkungen unterlag (§ 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AlhiV 1974). Die Verwertung war auch zumutbar, weil weder ein die Zumutbarkeit negativ konkretisierender Regeltatbestand in § 6 Abs. 2 Satz 2 AlhiV 1974 noch die Generalklausel des § 6 Abs. 2 Satz 1 AlhiV 1974 erfüllt war. Unter Zugrundelegung des von der Beklagten zutreffenden Bemessungsentgelts von wöchentlich 190,00 DM war nach der die Dauer der Berücksichtigung festlegenden Bestimmung des § 9 AlhiV 1974 für 600 Wochen (114.000,00: 190,00), mithin für einen über den 31.12.2001 (Außerkrafttreten der AlhiV 1974) weit hinausreichenden Zeitraum die Bedürftigkeit zu verneinen. Für die Zeit ab dem Inkrafttreten der AlhiV 2002 ergibt sich keine abweichende Beurteilung, da das zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung noch vorhandene Vermögen die jeweils geltenden Freibeträge ebenfalls ganz erheblich überschritten hat.

Da die Klägerin damit mehr als ein Jahr mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatte, bestand im Übrigen bereits ab 10.10.1996 auch deshalb kein Anspruch auf Alhi mehr, weil die sogenannte Vorfrist als weitere Leistungsvoraussetzung nicht mehr erfüllt gewesen ist (§ 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchstabe a und Abs. 1 Satz 3 AFG).

Die Beklagte war darüber hinaus auch berechtigt, die Bewilligungsentscheidungen mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Die Bewilligungsbescheide beruht auf Angaben, die die Klägerin vorsätzlich, mindestens aber grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Die Klägerin hat die in allen Anträgen auf Alhi enthaltene Frage, ob sie oder ihr Ehemann Vermögen u. a. in der Form von Bankguthaben besitzen, zu Unrecht verneint. Diese Angaben waren, weil der Ehemann der Klägerin tatsächlich über entsprechendes Vermögen verfügt hat, objektiv falsch. Ob die Klägerin von den Geldanlagen ihres Ehemannes tatsächlich Kenntnis hatte, kann der Senat offen lassen; denn die Klägerin wäre jedenfalls verpflichtet gewesen, auch die Vermögensverhältnisse ihres Ehemanns vor Unterzeichnung des Antrags auf Alhi zu klären und ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Indem sie dies unterlassen und - nach eigenem Vortrag - überhaupt nicht den Versuch unternommen hat, Ihren Ehemann zur Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse zu bewegen, um so die Antragsformulare zutreffend ausfüllen zu können, hat die Klägerin die Unrichtigkeit ihrer Angaben und demzufolge auch die Rechtswidrigkeit der hierauf gestützten Bewilligungsentscheidungen billigend in Kauf genommen, denn ihr war bekannt, dass die Alhi einkommens- und vermögensabhängig ist und Vermögen in dieser Größenordnung den Anspruch auf die Leistung ausschließen kann. Die Abhängigkeit der Alhi von Einkommen und Vermögen ist arbeitslosen Leistungsbeziehern nämlich regelmäßig bekannt. Zur Überzeugung des Senats wusste dies auch die Klägerin. In jedem Fall ist das Verhalten des Klägers aber grob fahrlässig gewesen. Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, d. h. eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich überschreitet; es müssen schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. BSG, Urteil vom 31.08.1976 - 7 RAr 112/74 - BSGE 42, 184, 187; BSG, Urteil vom 12.02.1980 - 7 RAr 13/79 - SozR 4100 § 152 Nr. 10). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. grundlegend BSG, Urteil vom 20.09.1977 - 8/12 RKg 8/76 - BSGE 44, 264, 273). Vorliegend findet sich zunächst keinerlei Anhalt, dass die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit der Klägerin eingeschränkt war. Auch die Fragestellung in den Anträgen auf Alhi war vollkommen eindeutig und klar. Sie ließ auch nicht den geringsten Raum für Interpretationen; insbesondere konnte nicht angenommen werden, dass Bankguthaben bei in Deutschland oder in der Türkei residierenden türkischen Banken nicht angegeben werden müssen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.05.2005 – L 13 AL 348/05 – veröffentlicht in Juris). Selbst wenn bei der Klägerin eine solche abwegige Fehlvorstellung tatsächlich bestanden haben sollte, hätte dies in jedem Fall auf grob fahrlässigem Verhalten der Klägerin beruht, denn dieser hätte sich zumindest aufdrängen müssen, diesbezüglich bei der Beklagten Rückfrage zu halten (vgl. BSG, Urteil vom 09.09.1998 - B 13 RJ 41/97 R - veröffentlicht in Juris; BSG, Urteil vom 15.10.1998 - B 14 KG 1/98 R -, ebenfalls veröffentlicht in Juris), zumal sich diesbezügliche Zweifel auch nicht aus dem ihm zur Überzeugung des Senats bereits bei der erstmaligen Arbeitslosmeldung ausgehändigten Merkblatt ergeben konnten. Diesem war zu entnehmen, dass die Bewilligung von Alhi von der Bedürftigkeit abhängt und bei der Bedürftigkeitsprüfung eigenes Vermögen sowie Vermögen des mit dem Arbeitslosen zusammenlebenden Ehegatten berücksichtigt wird, soweit es verwertbar ist, die Verwertung zugemutet werden kann und den Freibetrag von 8.000,00 DM übersteigt. Wenn die Klägerin angesichts der eindeutigen Fragen und Hinweise die Festgeldanlagen bei der türkischen Nationalbank verschwiegen hat, hat sie deshalb zumindest grob fahrlässig gehandelt. Die Klägerin vermag sich auch nicht damit zu entlasten, sie sei der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig und habe die Frage nach Vermögen im Antragsvordruck und die Ausführungen im Merkblatt nicht verstehen können. Für die Frage, ob Vermögen in Gestalt von Bargeld oder Bankguthaben vorhanden ist, bedarf es keiner besonderen Sprachkenntnisse. Diese Frage zu verstehen, war die seit ihrem dritten Lebensjahr in Deutschland lebende Klägerin in der Lage, zumal sie auch andere Mitteilungspflichten gekannt hat, wie ihre Informationen zu Urlaub, Krankheit, u. ä. belegen. Im übrigen wäre, da die Amtssprache deutsch ist (vgl. § 19 Abs. 1 SGB X), die Klägerin gehalten gewesen, sich Klarheit über den Inhalt des Formantrags und des Merkblattes zu verschaffen, beispielsweise mit Hilfe einer der deutschen und türkischen Sprache mächtigen Person (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.1997 - 11 RAr 89/96 - veröffentlicht in Juris). Dass das Verschweigen der Festgeldanlagen zu den fehlerhaften Bewilligungen beigetragen hat und diese darauf beruhen, kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein und steht fest (zu diesem Erfordernis vgl. BSG, Urteil vom 14.02.1989 - 7 RAr 62/87 - in DBlR 3498a AFG/§ 137; BSG, Urteil vom 11.04.2002 - B 3 KR 46/01 R - SozR 3-5425 § 25 Nr. 15). Die Rücknahme ist auch unter Einhaltung der Frist von zehn Jahren seit Bekanntgabe der Bewilligungsentscheidungen verfügt worden (vgl. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X). Ebenfalls eingehalten ist die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, nachdem die Beklagte erstmals im Frühjahr 2003 von den Festgeldanlagen erfahren hatte, die Klägerin im unmittelbaren Anschluss zur Rücknahme und Erstattung mit Schreiben vom 23.06.2003 angehört worden war und der Rücknahmebescheid bereits am 27.08.2003 erging.

Die Erstattungspflicht folgt dem Umfang der Aufhebung der Alhi gemäß § 50 Abs. 1 SGB X nach. Den Umfang der zu erstattenden Leistungen hat die Beklagte zutreffend ermittelt; der Senat nimmt insoweit auf die in der Leistungsakte der Beklagten enthaltenen Berechnungen Bezug und macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen. Die von der Klägerin zu leistende Erstattung der von der Beklagten gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ergibt sich mangels eines weiteren Krankenversicherungsverhältnisses aus § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III und ist in der Höhe ebenfalls nicht zu beanstanden. Dass die im angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 27.08.2003 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2003) verfügten Beträge nicht mit denjenigen im Strafbefehl des Amtsgerichts Backnang vom 11.10.2004 übereinstimmen, beruht allein auf dem Umstand, dass der Klägerin in diesem Strafbefehl der unrechtmäßige Bezug von Alhi lediglich bezogen auf die Zeit von September 1999 bis Oktober 2002 zur Last gelegt wurde, die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung der Beklagten hingegen den Zeitraum vom 09.10.1995 bis 30.04.2003 erfasste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei war für den Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens ausschlaggebend, dass die Rechtsverfolgung der Klägerin insgesamt erfolglos geblieben ist und die Beklagte keinen berechtigten Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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