L 12 AS 3222/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 4426/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3222/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.06.2012 abgeändert und der Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 aufgehoben, soweit mit diesem die Zurücknahme der mit Bescheiden vom 07.08.2009, vom 02.12.2009 und vom 03.02.2010 für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.07.2010 bewilligten Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung verfügt worden ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); die Klägerin begehrt die Gewährung eines Zuschusses zu den Beiträgen für eine private Krankenversicherung.

Die 1950 geborene Klägerin war bis Mitte der 1980er Jahre bei der B. E. gesetzlich gegen Krankheit versichert. 1986 zog sie zum Zweck eines Studienaufenthalts in die USA, wo ihr zunächst von der Gastuniversität Krankenversicherungsschutz gewährt wurde. 1989 schloss sie einen Krankenversicherungsvertrag mit der damaligen V. V. AG, die 2002 in der A.-Unternehmensgruppe aufging und zum 01.01.2003 in A. P. Krankenversicherungs-AG (V) umbenannt wurde. 1994 kehrte die Klägerin in die Bundesrepublik zurück. Danach wurde ihr Vertragsverhältnis mit der V beendet. Seitdem war sie weder Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse noch ist sie bei einem Versicherungsunternehmen privat krankenversichert.

Am 16.01.2008 beantragte die Klägerin beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff. SGB II. Ergänzend legte sie ein Schreiben der V vor, in dem diese über den zum 01.07.2007 eingeführten Standardtarif informiert hatte. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Antragstellung obdachlos. In der Folge wurden ihr wiederholt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in bar ausbezahlt; ein Bewilligungsbescheid wurde seitens des Beklagten zunächst nicht erlassen. Mit Bescheid vom 29.01.2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin dann Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff. SGB II für die Zeit vom 01.02.2009 bis 31.07.2009 in Höhe von monatlich 585,23 EUR (Regelleistung: 351,00 EUR; Kosten der Unterkunft und Heizung [KdU]: 234,23 EUR). In der Begründung des Bescheids wies der Beklagte ergänzend darauf hin, dass die Klägerin nicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung versichert sei.

Mit drei Bewilligungsbescheiden vom 27.02.2009 bewilligte der Beklagte in der Folge Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 16.01.2008 bis 31.01.2008 in Höhe von 185,07 EUR (Regelleistung), für die Zeit vom 01.02.2008 bis 12. Februar in Höhe von 138,80 EUR (Regelleistung), für die Zeit vom 01.03.2008 bis 30.06.2008 in Höhe von 347,00 EUR monatlich (Regelleistung), für die Zeit vom 01.07.2008 bis 31.08.2008 in Höhe von 351,00 EUR monatlich (Regelleistung) und für den nachfolgenden Bewilligungsabschnitt vom 01.09.2008 bis 31.01.2009 in Höhe von 506,00 EUR (Regelleistung: 351,00 EUR; KdU: 155,00 EUR) monatlich.

Mit einem Änderungsbescheid (wiederum) vom 27.02.2009 (Änderung des Bewilligungsbescheids vom 29.01.2009) setzte der Beklagte die monatliche Leistung für die Zeit vom 01.02.2009 bis 31.07.2009 auf 506,00 EUR (Regelleistung: 351,00 EUR; KdU: 155,00 EUR) fest. In allen Bescheiden wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, sie sei während des Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) II im jeweiligen Zeitraum bei der B. E. in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert. Dementsprechend meldete der Beklagte die Klägerin bei der Barmer Ersatzkasse rückwirkend zum 16.01.2008 als Versicherungspflichtige an. Den gegen die genannten Bescheide erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.04.2009 zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Klägerin habe zwar unter Vorlage einer Bescheinigung der APKV erklärt, privat krankenversichert zu sein, eine Übernahme privater Krankenversicherungsbeiträge komme aber nur bei Vorlage eines Nachweises über die Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht. Einen solchen Nachweis habe sie nicht vorgelegt.

Am 02.03.2009 und am 31.03.2009 hatte die Klägerin beim Verwaltungsgericht Karlsruhe den Erlass einstweiliger Anordnungen beantragt (8 K 509/09 und 8 K 748/09). Nach Verweisung der Verfahren an das Sozialgericht Karlsruhe (SG; Az. S 9 AS 1763/09 ER und S 9 AS 2041/09 ER) lehnte dieses mit Beschlüssen vom 12.06.2009 die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Die Beschwerden der Klägerin gegen diese Beschlüsse blieben erfolglos (Beschlüsse des Landessozialgerichts Baden-Württemberg [LSG] vom 18.08.2009 - L 7 AS 2961/09 ER-B und L 7 AS 2965/09 ER-B). Die B. E. befreite die Klägerin mit Bescheid vom 21.04.2009 mit Wirkung zum 16.01.2008 gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 06.04.2009 hatte die Klägerin am 07.05.2009 beim SG Klage erhoben (S 9 AS 2017/09) und gegen das klageabweisende Urteil des SG vom 29.07.2010 anschließend beim LSG Berufung (L 13 AS 4328/10) eingelegt. Mit Beschluss vom 05.07.2011 wies das LSG die Berufung zurück. Zur Begründung führte der Senat unter anderem aus, die begehrte Gewährung von Zuschüssen zu den Beiträgen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin einen entsprechenden Bedarf nicht nachgewiesen habe.

Mit acht Bescheiden vom 07.08.2009 gewährte der Beklagte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in unterschiedlicher Höhe für die Zeit 16.01.2008 bis 31.01.2010. Hierbei gewährte sie der Klägerin jeweils auch Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II und bewilligte für die Zeit vom 13.02.2008 bis 29.02.2008 erstmals 208,20 EUR als Regelleistung. Für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.01.2010 setzte der Beklagte die Leistungshöhe mit (Änderungs-) Bescheid vom 02.12.2009 auf insgesamt 717,94 EUR (Regelleistung: 359,00 EUR; KdU: 211,61 EUR; Zuschuss zur Krankenversicherung: 129,54 EUR; Zuschuss zur Pflegeversicherung: 17,79 EUR) fest. Letztlich bewilligte der Beklagte - bei gleichbleibenden Berechnungsfaktoren - mit Bescheid vom 03.02.2010 auch für den Bewilligungsabschnitt 01.02.2010 bis 31.07.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 717,94 EUR monatlich. Lediglich der Bescheid vom 02.12.2009 wurde der Klägerin übersandt. Die Bescheide vom 07.08.2009 und vom 03.02.2010 wurden der Klägerin entgegen den in der Verwaltungsakte enthaltenen Absendevermerken ausweislich des Aktenvermerks des Beklagten vom 09.02.2010 (zunächst) nicht bekanntgegeben.

Gegen die Bescheide vom 07.08.2009, vom 02.12.2009 und vom 03.02.2010 erhob die Klägerin am 21.06.2010 Widerspruch und trug zu dessen Begründung zunächst vor, ihr sei lediglich der Bescheid vom 02.12.2009 bekannt gegeben worden, die beiden anderen Bescheide habe sie nicht erhalten. Sie habe von sämtlichen Bescheiden erst durch Akteneinsicht beim SG Kenntnis erlangt. Außerdem wende sie sich gegen eine Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen der A ... Bei dieser Versicherung habe lediglich vor der Antragstellung im Januar 2008 Versicherungsschutz bestanden. Während des Leistungsbezugs habe sie hingegen keinen Versicherungsvertrag abgeschlossen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 half der Beklagte den Widersprüchen teilweise ab und hob die Bescheide vom 07.08.2009 hinsichtlich des Zeitraums 16.01.2008 bis 31.08.2008 in vollem Umfang auf. Die Bescheide vom 07.08.2009 (hinsichtlich der Zeit ab 01.09.2008), vom 02.12.2009 und vom 03.02.2010 wurden insoweit aufgehoben, als mit diesen ein Zuschuss zu den Beiträgen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung gewährt worden war. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit Bescheiden vom 04.08.2010 und vom 04.02.2011 bewilligte der Beklagte Alg II für die nachfolgenden Bewilligungsabschnitte (01.08.2010 bis 31.07.2011). Gegen diese Bescheide erhob die Klägerin Widerspruch und machte erneut die Gewährung eines Zuschusses zu den Beiträgen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung geltend. Mit Widerspruchsbescheiden vom 21.09.2010 und vom 21.03.2011 wies der Beklagte die Widersprüche zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 hat die Klägerin am 03.03.2011 (S 9 AS 992/11), gegen den Widerspruchsbescheid vom 21.09.2010 am 21.10.2010 (S 9 AS 4426/10) und gegen den Widerspruchsbescheid vom 21.03.2011 am 26.04.2011 (S 9 AS 1849/11) Klage beim SG erhoben. Mit Beschluss vom 30.11.2011 hat das SG alle drei Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 9 AS 4426/10 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Gerichtsbescheid vom 22.06.2012 hat das SG die Klagen abgewiesen. Die Klägerin sei keinen Beitragsansprüchen eines privaten Versicherungsunternehmens ausgesetzt. Deshalb fehle es nach wie vor an einem entsprechenden Bedarf.

Gegen den ihr am 28.06.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 26.07.2012 schriftlich beim LSG Berufung eingelegt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.06.2012 aufzuheben, den Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 aufzuheben, soweit mit diesem die Zurücknahme der Bescheide vom 07.08.2009 für die Zeit vom 16.01.2008 bis 31.08.2008 und die teilweise Zurücknahme der Bescheide vom 07.08.2009 (für die Zeit vom 01.09.2008 bis 31.01.2010), vom 02.12.2009 und vom 03.02.2010, soweit mit diesen Bescheiden ein Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung gewährt wurde, verfügt worden ist, sowie den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 07.08.2009, 02.12.2009 und 03.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.07.2010, des Bescheids vom 04.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2010 und des Bescheids vom 04.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.03.2011 zu verurteilen, ihr Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für die Zeit vom 16.01.2008 bis 31.07.2011 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Bescheide für rechtmäßig und die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig, sie ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt. Die Berufung der Klägerin ist auch begründet, soweit sich die Klägerin gegen die mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 verfügte teilweise Zurücknahme der Bescheide vom 07.08.2009, vom 02.12.2009 und vom 03.02.2010, soweit mit diesen Bescheiden Leistungen für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.07.2010 bewilligt und dabei ein Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung gewährt worden ist, wendet. Insoweit ist der (diesbezüglich) im Wege der isolierten Anfechtungsklage angegriffene Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in subjektiven Rechten (dazu unter 1.). Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid vom 22.06.2002 unbegründet (dazu unter 2.).

1. Verfahrensrechtliche Grundlage für die verfügte teilweise Zurücknahme der der Klägerin für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.07.2010 Alg II unter Berücksichtigung eines Zuschusses zu den Beiträgen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung bewilligenden Bescheide vom 07.08.2009 (für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.01.2010), vom 02.12.2009 und vom 03.02.2010 ist die Bestimmung des § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), welche in der Modifizierung durch § 330 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 40 Abs. 1 Nr. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II; in der hier anzuwendenden bis 31.12.2010 geltenden Fassung; jetzt: § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II) anzuwenden ist. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er von Anfang an rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1 der Vorschrift), soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2) oder soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3 Halbsatz 1). Grobe Fahrlässigkeit ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X anzunehmen, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser nach der zwingenden Vorschrift des § 330 Abs. 2 SGB III auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, ohne dass der Beklagten insoweit ein Ermessen eingeräumt wäre.

Der Senat kann offen lassen, ob die mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 ganz oder teilweise zurückgenommenen Bewilligungsentscheidungen des Beklagten rechtswidrig gewesen sind, denn die angegriffenen Rücknahmeentscheidungen halten einer rechtlichen Überprüfung bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht stand. Zunächst hat der Beklagte es unter Verstoß gegen § 24 Abs. 1 SGB X unterlassen, die Klägerin vor Erlass der in ihre Rechte eingreifenden Entscheidung anzuhören. Die unterbliebene Anhörung ist auch nicht nachgeholt oder dieser Verfahrensfehler auf andere Weise geheilt worden.

Der Senat kann auch davon absehen, das Verfahren auszusetzen und dem Beklagten Gelegenheit zur Nachholung der Anhörung zu geben, denn die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 SGB X liegen ebenfalls nicht vor. Die Klägerin kann sich mit Erfolg darauf berufen, auf den Bestand der sie begünstigenden Bewilligungsentscheidungen vertraut zu haben. Dies gilt hier unabhängig davon ob die bewilligten Zuschüsse tatsächlich ausgezahlt wurden (so die Hinweise in den angegriffenen Bescheiden) oder nicht (so die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 06.07.2010). Nachdem die Klägerin wiederholt die Gewährung entsprechender Zuschüsse geltend gemacht bzw. Widersprüche erhoben hat und zwischenzeitlich durch die Barmer Ersatzkasse von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung befreit worden war, durfte sie - legt man die Bescheide des Beklagten nach dem Empfängerhorizont aus - ohne Weiteres davon ausgehen, ihrem Begehren sei letztlich doch entsprochen bzw. ihren Widersprüchen abgeholfen worden. Dass und insbesondere inwieweit den durch die Bescheide vom 07.08.2009, vom 02.12.2009 und vom 03.02.2010 verfügten Bewilligungen ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln zugrunde lag, musste die Klägerin angesichts des widersprüchlichen Verhaltens des Beklagten jedenfalls nicht nachvollziehen. Auch ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ist damit nicht gegeben. Die Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2 SGB X sind ersichtlich nicht erfüllt. Zudem kann auch nicht unterstellt werden, die Klägerin hätte die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidungen erkannt oder nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt. Da die verfügte Zurücknahme mangels einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen zudem nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X gestützt werden kann, war die angegriffene Entscheidung insoweit aufzuheben.

2. Im Übrigen hat das SG die Klagen zumindest im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Soweit sich die Klägerin gegen die den Zeitraum 16.01.2008 bis 31.07.2009 betreffenden Bewilligungsbescheide vom 07.08.2009 wendet, erweist sich die Klage allerdings bereits als unzulässig. Mit diesen Bescheiden sind nämlich Bewilligungsbescheide ersetzt worden, die bereits Gegenstand des zu diesem Zeitpunkt beim SG anhängigen Klageverfahrens S 9 AS 2017/09 (und später des nachfolgenden Berufungsverfahrens L 13 AS 4328/10) gewesen sind. Dementsprechend sind auch die den Zeitraum 16.01.2008 bis 31.07.2009 betreffenden Bescheide vom 07.08.2009 gemäß § 96 SGG Gegenstand dieses Klageverfahrens geworden. Dass dies durch SG und LSG übersehen wurde, beruhte ersichtlich auf dem Umstand, dass der Beklagte es entgegen seiner aus § 96 Abs. 2 SGG resultierenden Verpflichtung unterlassen hat, diese Bescheide dem Gericht mitzuteilen.

Das Gleiche gilt, soweit sich die Klägerin (sinngemäß) gegen die mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 verfügte Zurücknahme der Bescheide vom 07.08.2009 für die Zeit vom 16.01.2008 bis 31.08.2008 und die teilweise Zurücknahme der (weiteren) Bescheide vom 07.08.2009 für die Zeit vom 01.09.2008 bis 31.07.2009 wendet. Auch insoweit hat der Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 Bewilligungsbescheide abgeändert, die bereits mit der sozialgerichtlichen Klage angefochten waren und ist deshalb, da er der Klägerin erst am 14.02.2011 bekannt gegeben worden ist, gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens L 13 AS 4328/10 geworden.

Soweit die Klägerin daneben einen Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses nach § 26 Abs. 2 SGB II in der jeweils geltenden Fassung gegen die Beklagte geltend macht, erweisen sich Klage und Berufung ebenfalls als erfolglos. Für diejenigen Zeiträume, für die der Beklagte die begehrten Zuschüsse bereits bewilligt hat, fehlt es - nach Aufhebung der mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 verfügten Zurücknahme - an einer Beschwer der Klägerin. Eine solche kann auch nicht allein in dem Umstand gesehen werden, dass der Beklagte in den angegriffenen Bescheiden die Allianz-Versicherung genannt hat. Zumindest im Wege der Auslegung ergibt sich, dass die verfügte Zuschussbewilligung nicht auf privatrechtliche Versicherungsverträge bei einem bestimmten Versicherungsunternehmen beschränkt werden sollte. Im Übrigen steht der Klägerin ein Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses nach § 26 Abs. 2 SGB II (nach wie vor) nicht zu; ein entsprechender Bedarf ist weiterhin nicht ersichtlich. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 07.08.2009, 02.12.2009 und vom 03.02.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.07.2010), vom 04.08.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2010) und vom 04.02.2011 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.03.2011) erweisen sich (auch) insoweit als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in subjektiven Rechten.

Gegenstand der (insoweit erhobenen) kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) sind die genannten Bescheide der Beklagten nicht nur, soweit sie die Gewährung eines Zuschusses nach § 26 Abs. 2 SGB II ablehnen, sondern auch soweit darin über die Regelleistung entschieden worden ist. Nach dem Vorbringen im Verfahren wendet sich die Klägerin nicht gegen die Höhe der bewilligten KdU; insofern hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits anerkannt, dass es sich bei den Verfügungen betreffend die Regelleistung einerseits und die Unterkunfts- sowie Heizkosten andererseits um abtrennbare Verfügungen handelt (BSG Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 ff. = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1, Rdnr. 18 f.). Da jedoch die Zuschüsse nach § 26 Abs. 2 SGB II sich streitgegenständlich nicht von den mit den angefochtenen Bescheiden bewilligten Regelleistungen trennen lassen (dazu BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 108/10 R - veröffentlicht in Juris, Rdnr. 13), war vorliegend jeweils der Bescheid - auch soweit er eine Bewilligung der Regelleistung enthält - Gegenstand des Rechtsstreits.

Die Beklagte hat die der Klägerin mit den angefochtenen Bescheiden bewilligte monatliche Regelleistung gem. §§ 19, 20 SGB II zutreffend berechnet. Soweit die Klägerin im Rahmen der Regelleistung bzw. zusätzlich zu dieser auch die Übernahme der privaten Krankenversi-cherungsbeiträge bei einem privaten Versicherungsunternehmen begehrt, sind Klage und Berufung ebenfalls nicht erfolgreich. Für den geltend gemachten Anspruch auf Zuschüsse zu den Beiträgen zur privaten Krankenversicherung hält das SGB II in § 26 Abs. 2 SGB II eine entsprechende Anspruchsgrundlage vor. Voraussetzung eines solchen Zuschusses ist - wie bei allen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 bis 28 SGB II -, dass zunächst ein Bedarf besteht. Denn bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 bis 28 SGB II, wozu auch der Zuschuss nach § 26 Abs. 2 SGB II gehört, handelt es sich um bedarfsabhängige Fürsorgeleistungen des Staates (stRspr. seit BSG, Urteil vom 30.07.2008 - B 14/7b AS 12/07 R - veröffentlicht in Juris, Rdnr. 18, ebenso BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - veröffentlicht in Juris, Rdnr. 33). Dieser Bedarf entsteht im Rahmen des § 26 Abs. 2 SGB II frühestens mit dem Beginn der privaten Krankenversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen, also dem Beginn des privaten Krankenversicherungsverhältnisses, spätestens, wenn das private Krankenversicherungsunternehmen Beiträge geltend macht (zur Höhe des Bedarfs vgl. BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 108/10 R - veröffentlicht in Juris). Da die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert war und auch keinen Beitragsansprüchen eines privaten Krankenversicherungsunternehmens ausgesetzt war, liegt schon kein Bedarf vor, den die Beklagte nach § 26 Abs. 2 SGB II zu decken hätte. Da die Leistungsgewährung vorliegend alleine daran scheitert, dass sich die Klägerin - auch trotz des seit 1. Januar 2009 bestehenden Versicherungszwangs (vgl. § 193 Abs. 3 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz [VVG]) - bisher nicht versichert und damit einen Bedarf nicht verursacht hat, war die Beklagte auch nicht verpflichtet, Zahlungen an die Klägerin abzuleiten.

Der 13. Senat des LSG Baden-Württemberg hat in seinem Beschluss vom 05.07.2011 (L 13 AS 4328/10) bereits darauf hingewiesen, dass sich der Beitrag zur privaten Krankenversicherung für Hilfebedürftige nach dem SGB II nach § 12 Abs. 1c Satz 4 bis 6 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) um die Hälfte vermindert. Daher hat die Klägerin - wenn sie denn ein privates Krankenversicherungsverhältnis begründet - für die Dauer des SGB-II-Leistungsbezuges als Beitrag nur die Hälfte des zum Basistarif anfallenden Beitrags zu bezahlen. Die Beklagte hat bereits in dem Verfahren L 13 AS 4328/10 anerkannt, diesen Betrag voll zu übernehmen, also den vollen halben Basistarif zu bezahlen (vgl. auch dazu BSG a.a.O.). Dieses Anerkenntnis der Beklagten entspricht geltendem Recht und lässt bei der Klägerin keine Beitragslücke offen. Dass dieses Anerkenntnis nicht ausgeführt werden kann, liegt nach wie vor allein in dem Umstand begründet, dass die Klägerin einen entsprechenden Vertrag mit einem privaten Versicherungsunternehmen nicht abgeschlossen hat und offensichtlich auch nicht gewillt ist, dies in Zukunft zu tun.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei war für den Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens ausschlaggebend, dass die Rechtsverfolgung der Klägerin teilweise erfolgreich gewesen ist und der Beklagte durch die Nichtbeachtung des § 96 Abs. 2 SGG für die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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