L 32 AS 3055/13 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 107 AS 22034/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 3055/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller zu 2) bis 6) wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Oktober 2013 geändert. Den Antragstellern zu 2) bis 6) wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht für die Zeit ab dem 10. Juli 2013 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung oder Beiträge aus dem Vermögen bewilligt und Rechtsanwalt M S beigeordnet. Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren, in welchem sich die Beschwerdeführer, also die Kläger zu 2) bis 6) gegen die Ablehnung der Übernahme der Zahlungsforderung von 1.329,72 EUR aus der Nebenkostenabrechnung für die Wohnung für das Jahr 2011 durch den Bescheid vom 23. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2012 wenden.

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist begründet. Den bedürftigen Beschwerdeführern war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint Hinreichende Erfolgsaussicht ist dann anzunehmen, wenn das Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, RdNr 29) zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erfolg der Rechtsverfolgung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Diese gewisse Wahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung, der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage § 73a Rdnr. 7a). Bei nur teilweise anzunehmender Erfolgsaussicht ist in den gerichtskostenfreien Verfahren Prozesskostenhilfe unbeschränkt zu gewähren (vgl. Leitherer ebd. m.w.N.); Ausnahmen kommen bei selbständigen Streitgegenständen, also insbesondere bei Klagenhäufung in Betracht. Einerseits dürfen die Anforderungen an eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht überspannt werden (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 358 - JURIS-RdNr 27). Andererseits darf Prozesskostenhilfe auch verweigert werden, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 357 - JURIS-RdNr 26). Kommt eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, bzw hält das Gericht eine Beweiserhebung für notwendig, so kann in der Regel Erfolgsaussicht nicht verneint werden (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, RdNr 30, Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 73a RdNr 7a). Ein Rechtsschutzbegehren hat auch dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 358f - JURIS-RdNr 28 mwN). Nach diesen Maßstäben ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klage auch der Antragsteller zu 2) bis 6) zulässig ist und für die Antragsteller die Zahlungsforderung jeweils als angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung nach §§ 22 SGB II, 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X zu übernehmen ist, anzunehmen. Es erscheint nicht unvertretbar, davon auszugehen, dass insbesondere die Klagen zulässig erhoben wurden und auch in der Sache ein Anspruch für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt auf Übernahme der Zahlungsforderung besteht.

Zwar beanstandet das Sozialgericht im Hinblick auf die Stichtagsregelung durch das Urteil des BSG vom 7. November 2006, B 7b AS 8/06 R, durchaus zu Recht, dass die Klageschrift unzureichend die Beteiligten des Rechtsstreites bezeichnet hat. Daraus folgt indes nicht, dass die Klage als nicht von allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft erhoben angesehen werden könnte. Auch wenn als Kläger zunächst der Kläger zu 1) bezeichnet worden war und die anderen Personen der Bedarfsgemeinschaft im Rechtsstreit nicht als Beteiligte erwähnt wurden, erscheint es zumindest als vertretbar, die Klagen der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft als zulässig, insbesondere noch fristgerecht zu betrachten. Offensichtlich bereits mit der Klageschrift wurde der Widerspruchsbescheid der Beklagten eingereicht. Dieser war, wie auch der Bescheid vom 23. Mai 2012, ausschließlich an den Kläger zu 1) adressiert, betrifft aber die gesamte Nachzahlungsforderung. Dass die Klage des Klägers zu 1) nicht verfristet ist, sieht auch das Sozialgericht nicht, was aus der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Kläger zu 1) folgt.

Für die reine Leistungsklage der Kläger zu 2) bis 6) gilt jedoch gerade keine Klagefrist. Sollte man eine Bescheidung eines entsprechenden Leistungsbegehrens der Antragsteller zu 2) bis 6) vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes verlangen, stellt sich die Frage, ob die Begehren der Antragsteller zu 2) bis 6) bereits mit Bescheid vom 23. Mai 2012 erfasst sein sollten. Widerspruch wurde jedenfalls von der gesamten BG eingelegt, denn der Widerspruch wurde ausdrücklich im Namen der gesamten BG ("wir") eingelegt. Insofern erscheint es jedenfalls vertretbar, wenn man annimmt, dass die Widersprüche der Antragsteller zu 2) bis 6) noch nicht beschieden wurden, so dass bis zu Entscheidung über die Widersprüche das Verfahren auszusetzen wäre. Eine Versäumung der Klagefrist könnte mit dieser Annahme nicht als unvertretbar angesehen werden. Da der Gegenstand der Klage insbesondere durch die Vorlage der Kopie des Widerspruchsbescheides konkretisiert war, darf der Zusammenhang auch zu den Beteiligten des Verfahrens nicht übersehen werden.

Sollte man annehmen wollen, dass der Widerspruchsbescheid, der ausschließlich an den Kläger zu 1) adressiert war (und stets nur von einem Widerspruchsführer spricht) und sich mit Ansprüchen aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht ausdrücklich befasst hat, dennoch auch an die Antragsteller zu 2) bis 6) gerichtet gewesen sein, müssten dieselben Auslegungsaspekte wohl auch für die Klage, die durch den zunächst unvertretenen Kläger zu 1) erhoben wurde, gelten. Insofern lassen zwei Ansätze die Auffassung der Antragsteller zu 2) bis 6) nicht als unvertretbar erscheinen, dass die Klagefrist noch gewahrt sein kann.

Zum Einen fordert seit April 2008 (also nach der Stichtagsregelung des BSG) § 92 Abs 1 Satz 1 SGG die Klarstellung der Bezeichnung der Kläger, lässt aber zugleich eine nachgeholte Klarstellung über Abs 2 ausdrücklich zu, ggf sogar nach gerichtlicher Fristsetzung. Eine entsprechende Frist ist vom Gericht nicht gesetzt worden. Sollte man den Widerspruchsbescheid dahingehend auslegen können, dass auch die Antragsteller zu 2) bis 6) Adressaten des Widerspruchsbescheides waren, dürfte eine entsprechende Hinweispflicht den zunächst unvertretenen Klägern gegenüber bestanden haben. Diese Hinweispflicht dürfte nach Eintritt des Bevollmächtigten für den Kläger zu 1) in das Verfahren nicht entfallen sein. Die ohne gerichtlichen Hinweis erfolgte Klarstellung kann dann kaum als verspätet angesehen werden.

Schließlich erscheint es vertretbar, über eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist eine Zulässigkeit der Klage herzustellen. Insofern ist angesichts fehlender Hinweise im Widerspruchsbescheid und seitens des Gerichts in ständiger Rechtsprechung des BSG (zB: B 4 AS 161/11 B) denkbar, dass ein Verschulden einer verspäteten Klarstellung oder Klageerhebung ausgeschlossen werden muss, weil das Gebot fairen Verfahrens (Art 6 EMRK) das Verschulden der Behörde bei unzutreffenden Hinweisen/Bescheiden und des Gerichts in den Vordergrund rückt.

Dass der Anspruch auf Übernahme durch alle Mitglieder der BG in ihrer Gesamtheit bestehen kann wird selbst von der Beklagten wohl so gesehen. Hinreichende Erfolgsaussichten in der Sache können angesichts der Größe der BG und den daraus resultierenden Besonderheiten des Wohnungsmarktes in Berlin im Hinblick auf den im Widerspruchsbescheid erhobenen Vorwurf der Unangemessenheit der Unterkunftskosten nicht ausgeschlossen werden. Davon geht offensichtlich auch das Sozialgericht aus, wie sich aus der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Kläger zu 1) ergibt.

Die Antragsteller zu 2) bis 6) sind zur Prozessführung nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage. Prozesskostenhilfe war ab dem Zeitpunkt der Vorlage der Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, also ab 10. Juli 2013 zu gewähren.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved