L 1 KR 368/13 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 122 KR 1514/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 368/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. November 2013 wird aufgehoben. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht bewilligt unter Beiordnung von Rechtsanwalt S.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist begründet.

Dem bedürftigen Kläger ist für das Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Prozesskostenhilfe nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 114 Satz 1, 115, 119 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zu gewähren.

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nach den genannten Vorschriften davon abhängig, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.

Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Prozesskostenhilfe darf nur verweigert werden, wenn die Klage völlig aussichtslos ist oder ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine Entfernte ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 175/05 - NJW 2005, 3849 mit Bezug u. a. auf BVerfGE 81, 347, 357f).

Die Erfolgschancen der Klage sind hier nicht nur ganz entfernt:

Sie dürfte wohl nicht bereits unzulässig sein, weil dem unter anderem geltend gemachte Leistungsbegehren auf Versorgung mit einem bestimmten Hörgerät der zwischen den Beteiligten im Verfahren Sozialgericht Berlin S 89 KR 144/12 ER am 31. Mai 2012 abgeschlossene Vergleich entgegensteht. Von diesem Vergleich ist der der im dazugehörigen Hauptsacheverfahren S 89 KR 144/12 geltend gemachten Antrag auf Kostenübernahme für Hörgeräte über 2.615,74 EUR, welche die Beklagte mit Bescheid vom 10. August 2011 in der Fassung des Widerspruchbescheids vom 6. Januar 2012 abgelehnt hatte umfasst. Ferner umfasst der Vergleich, wie das SG im angefochtenen Beschluss richtig ausführt, das dort Titulierte, nämlich entweder die Versorgung mit den unter Ziffer eins bestimmten oder die nach Maßgabe der Ziffern zwei benannten Hörgeräten bzw. der Anspruch auf Kostenerstattung nach den Regelungen der Ziffer drei. Dass aber der Kläger mit dem Vergleichsabschluss auch auf das Recht verzichtet haben könnte, in Zukunft auf neue Anträge auf Hörgeräte zu verzichten, ist aber bereits fraglich. Jedenfalls hat die Klage gegen den neuen Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 17. Januar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2013 nicht den gleichen Gegenstand wie das ursprüngliche Verfahrens und der Vergleich. Der Bescheid ist ausdrücklich ungeachtet des Streits um die Vollstreckung des Bescheides als Entscheidung nach erneuter Sachprüfung ergangen. Dass dem Kläger (voraussichtlich) kein Anspruch auf Versorgung mit zwei Sätzen Hörgeräten zusteht, betrifft die Begründetheit der neuen Leistungsklage.

Die Klage hat auch in der Sache nicht nur entfernte Erfolgschancen. Die Beklagte stützt ihre Ablehnung ausweislich des Widerspruchsbescheids auf die Rechtsposition, eine Hörgeräteversorgung zu Preisen über den Festbeträgen stünden nur gesetzlich Versicherten zu, die an nahezu an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit litten. Diese Rechtsauffassung dürfte überholt sein: Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) geschuldeten möglichst vollständigen unmittelbaren Behinderungsausgleichs Die Ansprüche sind für alle Schwerhörigen gleich:

"Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion - hier das Hören - selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V). Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens iS von § 31 Abs 1 Nr 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch, weil die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (BSGE 93, 183 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8, RdNr 4 - C-Leg II). Das Maß der notwendigen Versorgung würde deshalb verkannt, wenn die Krankenkassen ihren Versicherten Hörgeräte ungeachtet hörgerätetechnischer Verbesserungen nur "zur Verständigung beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache" zur Verfügung stellen müssten. Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs ist es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen. Das schließt ( ) je nach Notwendigkeit auch die Versorgung mit digitalen Hörgeräten ein." (so wörtlich Bundessozialgericht -BSG-, Urt. v. 24.Januar 2013 -B 3 KR 5/12 R- Rdnr. 31).

Ob der Kläger einen Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Gerät hat, erscheint vom Sachverhalt her offen.

Die Klage ist auch nicht mutwillig, auch nicht unter Heranziehung des (erst) ab 1. Januar 2014 in Kraft getretenen § 114 Abs. 2 ZPO. Danach ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Diese Situation liegt nicht vor: Es macht zumindest Sinn, eine Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheides zu verhindern.

Die Hinzuziehung eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes erscheint geboten (§ 121 Abs. 2 ZPO). Der Senat geht davon aus, dass Rechtsanwältin R die Bevollmächtigung für Rechtsanwalt S als alleinigem Kanzleiinhaber beantragt hat.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten, § 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Gegen diesen Beschluss findet die Beschwerde zum Bundessozialgericht nicht statt (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved