Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 1257/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2007/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 11. April 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Der Beklagte hatte bei der 1951 geborenen, als Industriekauffrau voll berufstätigen Klägerin unter Zugrundelegung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B., in der als Behinderungen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, ein Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 20, eine Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine chronische Nebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und der Gesamt-GdB mit 30 beurteilt worden waren, mit Bescheid vom 19.03.2008 den GdB mit 30 seit 17.10.2007 festgestellt.
Die Klägerin beantragte am 21.12.2009 die Neufeststellung des GdB. Der Beklagte holte die Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. P., des Hals-Nasen-Ohren-Arztes Dr. W. und der Psychotherapeutin Dr. F. ein und zog diverse Arztbriefe bei. Dr. B. berücksichtigte in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme als Behinderungen psychovegetative Störungen und Ohrgeräusche beidseitig mit einem Einzel-GdB von 30, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, einen Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 20, eine chronische Nebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von 10, Krampfadern und eine Funktionsbehinderung des linken oberen Sprunggelenks bei geringem Lymphödem mit einem Einzel-GdB von 10, einen Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 10 sowie eine Mittelnervendruckschädigung beidseitig mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Mit Bescheid vom 14.07.2010 hob der Beklagte den Bescheid vom 26.06.2008 auf und stellte den GdB mit 40 seit 21.12.2009 fest.
Hiergegen legte die Klägerin am 09.08.2010 Widerspruch ein. Sie legte das für sie vom Psychotherapeuten Dr. Sch. erstellte Gutachten vom 29.01.2011 vor. Dr. M.-K. hielt in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme an der bisherigen GdB-Beurteilung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 13.05.2011 Klage beim Sozialgericht Konstanz erhoben.
Das Sozialgericht hat zunächst Dr. P., den Orthopäden Dr. Sch. sowie den Chirurgen und Phlebologen Dr. Sch. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. P. hat ausgeführt, im Laufe der seit 2007 erfolgenden Behandlung habe er keine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin festgestellt. Er hat diverse Arztbriefe beigefügt. Dr. Sch. hat den Einzel-GdB für die von ihm von Juli 2009 bis September 2010 behandelte endgradige Einschränkung des linken Sprunggelenks mit Schwellneigung mit 10 bewertet. Dr. Sch. hat einen Einzel-GdB für das von ihm von September 2010 bis Januar 2011 behandelte Beinlymphödem beidseits mit Linksbetonung ohne Funktionsstörungen mit 5 angesetzt.
Sodann hat das Sozialgericht von Amts wegen das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. T. vom 22.12.2011 eingeholt. Der Sachverständige hat eine rezidivierende depressive Störung, einen Tinnitus beidseits und chronische Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule beschrieben. Er hat ausgeführt, bei der aktuellen psychiatrischen Untersuchung hätten sich keine wesentlichen depressiven Beschwerden gezeigt. Es sei noch nie eine antidepressive Medikation oder Depressionsdiagnostik erfolgt. Die neurologische Untersuchung sei völlig unauffällig gewesen. Voltaren als Schmerzmittel werde bei Bedarf eingenommen. Gegen eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit durch die psychiatrische Erkrankung spreche die gute Tagesstruktur und berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin. Sie sei noch voll erwerbsfähig und leiste viele Überstunden. Sie habe nicht über wesentliche Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit wegen der depressiven Erkrankung berichtet. Auch im privaten Lebensbereich liege keine wesentliche Einschränkung vor. Die seit 1974 verheiratete Klägerin habe zwei zwischenzeitlich erwachsene Kinder und lebe gemeinsam mit dem Ehegatten in einem Haus mit großem Garten. Sie übe Hobbies wie zum Beispiel Gartenarbeit aus. Gegen eine schwere depressive Symptomatik spreche auch die fehlende Notwendigkeit einer Psychopharmaka-Medikation oder psychotherapeutischen Behandlung. Bei Dr. F. sei sie nur einmalig in Behandlung gewesen. Nach Angaben des Hausarztes sei überhaupt noch nie eine antidepressive Medikation oder Depressionsdiagnostik erfolgt. Ein Einzel-GdB von 20 für die seelische Störung erscheine angemessen und auch ausreichend. Unter Berücksichtigung der Ohrgeräusche auf beiden Seiten werde auf nervenärztlichem Fachgebiet ein Einzel-GdB von 30 vorgeschlagen. Die Bewertung der Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 sei wohlwollend, da nach den vorliegenden Befunden keine wesentlichen degenerativen Veränderungen vorlägen. Bezüglich des beidseitigen Karpaltunnel-Syndroms würden aktuell überhaupt keine Beschwerden mehr angegeben. Der Gesamt-GdB sei mit 40 einzuschätzen.
Daraufhin hat das Sozialgericht auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Facharztes für Psychotherapie Dr. Sch. vom 12.11.2012 eingeholt. Er hat ausgeführt, bei der Klägerin liege trotz der nach außen hin gezeigten Funktionsfähigkeit und intakten Fassade ein schweres psychisches und psychosomatisches Krankheitsbild vor. Trotz massiver Einschränkungen in ihrer körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit könne die Klägerin nicht ihre Anspruchshaltung an ihre Leistung verringern. Trotz intensiver psychotherapeutischer Intervention sei diese Grundhaltung bisher nicht veränderbar gewesen. Das Überhören aller Körpersignale im Sinne von Warnsignalen habe in den letzten Jahren zu immer weitergehenden körperlichen und psychischen Einschränkungen geführt. Trotz dieser Verschlechterung des Gesamtbefindens sei die Klägerin auch unter ambulanter Psychotherapie bisher nicht in der Lage gewesen, ihr Grundverhaltensmuster zu ändern. Die Leistungsorientierung sei weiterhin lebensbestimmend. Die Klägerin leide an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradig, mit somatischem Syndrom. Weiterhin bestehe bei ihr eine schwer beeinflussbare anangkastische Persönlichkeitsstörung. Auf seinem Fachgebiet sei der Einzel-GdB mit 40 anzusetzen. Unter zusätzlicher Berücksichtigung des Einzel-GdB von 30 für den Tinnitus beidseits, eines Einzel-GdB von 20 für die Wirbelsäulen-Beschwerden und der weiteren Einzel-GdB-Werte von 10 sei der Gesamt-GdB mit 50 einzuschätzen. Dem Gutachten beigefügt worden ist der Entlassungsbericht der Median-Kaiserberg-Klinik B. N. über eine vom 02.08.2012 bis zu 23.08.2012 durchgeführte stationäre Maßnahme (Lumboischialgie links bei Bandscheibenschäden der Lendenwirbelsäule, Cervicobrachialgie beidseits bei Verdacht auf degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule und Dysästhesie im Dermatom C5 und C8 links, Tinnitus aurium links, Epicondyliytis humeri radialis links, Knick-Senk-Spreizfuß beidseits; vollschichtig leistungsfähig bei ausgeglichener Stimmungslage).
Dr. R. hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme als Behinderungen psychovegetative Störungen, eine seelische Störung und Ohrgeräusche beidseitig mit einem Einzel-GdB von 30, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und einen Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 10, eine chronische Nebenhöhlenentzündung ohne Einschätzung des Einzel-GdB, eine Funktionsbehinderung des linken oberen Sprunggelenks mit einem Einzel-GdB von 10 sowie einen Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und den Gesamt-GdB mit 40 eingeschätzt.
Mit Urteil vom 11.04.2013 hat das Sozialgericht den Bescheid des Beklagten vom 14.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2011 abgeändert und den Beklagten verpflichtet, bei der Klägerin einen GdB von 50 ab Antragstellung anzuerkennen. Es hat sich auf das Gutachten des Dr. Sch. gestützt.
Hiergegen hat der Beklagte am 08.05.2013 Berufung erhoben. Er hat eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vorgelegt. Darin ist ausgeführt worden, dass nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen Ohrgeräusche mit den hiermit verbundenen psychovegetativen Begleiterscheinungen zu bewerten seien. Ferner sei nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen für sämtliche Funktionseinschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet nur ein Einzel-GdB-Wert festzustellen. Insofern sei es nicht sinnvoll, wie durch Dr. Sch. geschehen, für die seelische Störung und den Tinnitus jeweils zwei getrennte Einzel-GdB-Werte anzugeben. Ein Einzel-GdB von 50 für das psychiatrische Fachgebiet setze voraus, dass insgesamt schwere psychische Auswirkungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten bestünden. Hiervon könne man bei der Klägerin auch nicht ansatzweise ausgehen. Auch unter Berücksichtigung der weiteren Einzel-GdB-Werte sei ein Gesamt-GdB von 50 nicht zutreffend, zumal der für das Wirbelsäulenleiden vergebene Einzel-GdB von 20 eher wohlwollend sei. Ferner hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Klägerin als Industriekauffrau voll berufstätig sei, häufig Überstunden mache, den Haushalt steuere, den Ehegatten sowie einen Garten mit einer Größe von 1.000 Quadratmetern versorge, die schriftlichen Dinge regele und am Abend noch einkaufe. Sie habe wegen Depressionen bisher keine Fehltage gehabt. Außerdem fehle es an der Notwendigkeit einer Psychopharmaka-Medikation oder psychotherapeutischen Behandlung. Dies decke sich auch mit den Angaben im Entlassungsbericht der Median-Kaiserberg-Klinik B. N., in dem ein normaler Antrieb und eine ausgeglichene Stimmungslage ohne fassbare mnestische Einbußen beschrieben worden sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 11. April 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat unter Vorlage eines Attestes des Dr. Sch. vom 08.04.2013 (chronische Brachialgie beidseits, Epicondylosis radialis links, Arthritis des oberen Sprunggelenks links, Hals- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom; wegen Schmerzsymptomatik erwerbsunfähig) vorgetragen, dass sie entgegen dem Gutachten des Dr. T. sehr oft nachts nicht mehr schlafen könne und dann Hausarbeiten verrichte. Auch spreche das Fehlen wesentlicher Zeiten von Arbeitsunfähigkeit nicht gegen eine schwere psychische Erkrankung, zumal sie mehrere Klinikaufenthalte und Arztbesuche hinter sich habe und, wenn es ihr ganz schlecht gehe, Urlaubstage einsetze, um so die Krankheitsstatistik zu verbessern. Ferner habe es immer wieder Kurzarbeit gegeben, so dass sie die freien Tage therapeutisch habe einsetzen können. Dr. T. habe in seinem Gutachten auch nicht erwähnt, dass sie bis vor circa eineinhalb Jahren eine über 90jährige kinderlose Tante, die bis vor wenigen Jahren rund 45 Kilometer von ihr entfernt gewohnt habe, mehrmals wöchentlich besucht und versorgt habe. In den letzten Jahren vor ihrem Tod Ende 2011 in einem Pflegeheim seien ständige Besuche notwendig gewesen. Vielmehr sei Dr. Sch. zu folgen, der sie als verzweifelt, ängstlich, wechselnd affektlabil und affektarm beschrieben habe. Ihre Grundstimmung sei ängstlich, depressiv, gereizt und verzweifelt. Im Übrigen habe die Intensität des Tinnitus in der Zwischenzeit stark zugenommen. Ferner stehe sie in ihrer beruflichen Tätigkeit stark unter Druck, zumal nun wieder Kurzarbeit anstehe. Sie hat außerdem vorgetragen, für eine stationäre Behandlung des Tinnitus voraussichtlich im Januar 2014 in der Schönklinik Roseneck Briem am Chiemsee vorgemerkt zu sein.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine weitere Abänderung des Bescheides vom 19.03.2008.
Die Abänderung von Verwaltungsakten wegen einer Gesundheitsverschlechterung richtet sich nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).
In den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 19.03.2008 zu Grunde gelegen haben, ist eine einen GdB von mehr als 40 bedingende Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin seit dem am 21.12.2009 gestellten Neufeststellungsantrag nicht eingetreten.
Die Feststellung des GdB richtet sich nach den Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei ist grundsätzlich die seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretene und seither mehrfach geänderte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) anzuwenden (siehe hierzu noch unten).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich bei der Klägerin kein höherer GdB als 40 feststellen.
Für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche ist der Einzel-GdB nicht höher als mit 40 zu beurteilen. Der Senat stützt sich dabei entgegen der Ansicht des Sozialgerichts nicht auf die gutachterliche Bewertung des Dr. Sch., sondern auf das überzeugende Gutachten des Dr. T ...
Danach leidet die Klägerin an einer rezidivierenden depressiven Störung und einem Tinnitus beidseits.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen bei leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (beispielsweise ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB 30 bis 40 und bei schweren Störungen (zum Beispiel schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB 50 bis 70. Nach den VG, Teil B, Nr. 5.3 beträgt für Ohrgeräusche ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen der GdB 0 bis 10, mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen der GdB 20, mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel ausgeprägte depressive Störungen) der GdB 30 bis 40 und mit schweren psychischen Störungen und sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mindestens 50.
Daraus ergibt sich, dass sich die aus der rezidivierenden depressiven Störung und dem Tinnitus beidseits insgesamt ergebende Funktionsbehinderung schwer und mit mindestens mittelgradigen Anpassungsschwierigkeiten einhergehen muss, damit sie mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 bewertet werden kann.
Zur Auslegung der Begriffe "mittelgradige" und "schwere" soziale Anpassungsschwierigkeiten können die vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit am Beispiel des nach den VG, Teil B, Nr. 3.6 zu bewertenden schizophrenen Residualzustandes entwickelten Abgrenzungskriterien herangezogen werden (BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 VG 1/08 R - juris). Danach kann bei mit einem GdB von 30 bis 40 zu beurteilenden leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten eine Berufstätigkeit auf dem freien Markt in den meisten Berufen trotz Kontaktschwäche beziehungsweise Vitalitätseinbuße ausgeübt werden und sind die Beeinträchtigungen in Beziehungen, in der Familie und bei Freundschaften nicht wesentlich. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten erlauben zwar eine Berufstätigkeit in den meisten Berufen, gehen jedoch mit verminderter Einsatzfähigkeit und einer daraus resultierenden Gefährdung des Arbeitsplatzes einher. Bei schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten ist die berufliche Tätigkeit sehr stark gefährdet oder sogar ausgeschlossen und es gibt schwerwiegende Probleme in der Familie sowie im Partner- und Bekanntenkreis (Abgrenzungskriterien des Sachverständigenbeirats, Niederschrift über die Tagung der Sektion Versorgungsmedizin vom 18./19.03.1998, abgedruckt in Rohr/Sträßer/Dahm, Kommentar zum Bundesversorgungsgesetz, 96. Ergänzungslieferung, Stand Dezember 2011, Band II, Teil B, Nr. 3.6). Daraus ergibt sich, dass mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten bei einer in den meisten Berufen sich auswirkenden psychischen Veränderung angenommen werden können, die zwar eine weitere Tätigkeit grundsätzlich noch erlaubt, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingt, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt. Als weiteres Kriterium werden erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung (gefühlsmäßige Verarmung) genannt, aber noch keine Isolierung und kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der zum Beispiel eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte (BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 VG 1/08 R - juris).
Damit ergeben sich für den Senat aus den Gutachten der Dres. T. und Sch. keine ausreichenden Hinweise für eine mit einem GdB von mindestens 50 zu bewertende schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Dr. T. hat in einer für den Senat schlüssigen Art und Weise dargelegt, dass sich bei der von ihm vorgenommenen psychiatrischen Untersuchung keine wesentlichen depressiven Beschwerden gezeigt haben. Er hat dabei zutreffend auf die gute Tagesstruktur und berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin hingewiesen. Die Klägerin ist nach ihren gegenüber Dr. T. gemachten Angaben verheiratet, hat zwei zwischenzeitlich erwachsene Kinder und lebt gemeinsam mit ihrem Ehegatten in einem Haus mit großem Garten. Die Klägerin geht einer vollschichtigen Bürotätigkeit als kaufmännische Angestellte in einer Maschinenfabrik nach, macht häufig Überstunden und arbeitet dabei bis zu zehn Stunden täglich. Fehlzeiten wegen Depressionen hat sie nicht. Abends geht die Klägerin Einkaufen, macht den Haushalt, kocht und versorgt die Wäsche sowie ihren Ehegatten. Ferner versorgt sie den 1.000 Quadratmeter großen Garten, was ihr viel Spaß bereitet. Außerdem erledigt sie die schriftlichen Dinge. Hinzukommt, dass die Klägerin nach ihren gegenüber Dr. Sch. gemachten Angaben über einen guten Rückhalt in ihrer Familie sowie auch in Freundschaften verfügt und sozial gut eingebunden ist. Ferner war es der Klägerin nach ihren Angaben bis vor circa eineinhalb Jahren möglich, eine über 90jährige kinderlose und rund 45 Kilometer entfernt wohnende Tante mehrmals wöchentlich zu besuchen und versorgen. Daraus ergibt sich weder eine sehr starke Gefährdung der beruflichen Tätigkeit noch ergeben sich schwerwiegende Probleme in der Familie oder im Partner- und Bekanntenkreis. Erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust oder affektive Nivellierung liegen im Fall der Klägerin gerade nicht vor. Dieser Eindruck wird durch den psychischen Befund bestätigt. Zwar hat Dr. Sch. angegeben, die Klägerin habe eine Erinnerungsschwäche an Zahlen, sei im formalen Denken eingeengt, etwas sprunghaft und zerfahren wirkend, bei ängstlicher Grundhaltung mit Verzweiflungsgefühlen, im Antrieb deutlich verringert, vitalitätsarm und schwunglos wirkend sowie in ängstlich-depressiver Grundstimmung. Demgegenüber hat aber Dr. T. die Klägerin als im persönlichen Kontakt offen und freundlich, mit wacher Bewusstseinslage, in allen Qualitäten voll orientiert, ohne auffällige Störungen der Gedächtnisfunktionen, mit regelrechter Konzentration und Aufmerksamkeit, ohne formalen Denkstörungen oder Störungen der kognitiven Funktionen, ohne neuropsychologische Störungen, ohne Wahrnehmungsstörungen, ohne Sinnestäuschungen, mit ausgeglichener Affektlage, in der Schwingungsfähigkeit und im Antrieb nicht auffällig sowie ohne Ich-Störungen beschrieben. Der Senat hat sich daher nicht von einem eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten rechtfertigenden psychischen Befund überzeugen können. Dies verkennt Dr. Sch., indem er im Wesentlichen auf eine bei der Klägerin vorliegende "intakte Fassade" hinweist und "ein schweres psychisches und psychosomatisches Krankheitsbild" ausmacht, ohne dabei die von der Klägerin gezeigte Funktionsfähigkeit genügend zu beachten. Entgegen seiner Einschätzung liegen "massive Einschränkungen in ihrer körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit" objektiv gerade nicht vor. Dagegen spricht auch, dass bei der mehrwöchigen stationären Rehabilitationsmaßnahme im August 2012 noch nicht einmal eine depressive Erkrankung diagnostiziert oder ein Schmerzsyndrom beschrieben, die Klägerin vielmehr als in ausgeglichener Stimmungslage beschrieben wurde. Auch eine, wie von ihm angegeben, bislang erfolglose "intensive psychotherapeutische Intervention" liegt nicht vor. Eine Medikation mit Psychopharmaka oder fachärztlich betreute psychotherapeutische Behandlung ist bislang gerade nicht erfolgt. Auf all dies hat Dr. W. in der vom Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme zutreffend hingewiesen. Dass noch nicht einmal ein medikamentöser Behandlungsansatz durchgeführt wird, belegt einen fehlenden Leidensdruck und steht auch nach Ansicht des Senats einer stärker behindernden Störung entgegen (Urteil des Senats vom 24.10.2013 - L 6 SB 5267/11). Auch dies relativiert die Einschätzung des Dr. Sch ...
Mithin beträgt der Einzel-GdB für die rezidivierende depressive Störung und den Tinnitus beidseits und damit insgesamt im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche jedenfalls nicht mehr als 40.
Für das Funktionssystem Rumpf ist der Einzel-GdB mit 10 zu beurteilen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 beträgt bei Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität der GdB 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40. Bei der Klägerin liegen keine mittelgradige oder gar schwere Auswirkungen in einem oder gar zwei Wirbelsäulenabschnitt/en vor. Der Senat stützt sich dabei auf die auch insoweit überzeugenden gutachterlichen Ausführungen des Dr. T., wonach bei der Klägerin keine wesentlichen degenerativen, über der Altersnorm liegende Veränderungen vorliegen. Er hat die Klägerin vielmehr in einem sehr guten körperlichen Zustand wirkend dargestellt. Auch lässt sich dem gesamten Akteninhalt kein orthopädischer Befund entnehmen, der einen Einzel-GdB von mehr als 10 rechtfertigende mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt rechtfertigen könnte.
Auch die weiteren Gesundheitsstörungen wie die chronische Nebenhöhlenentzündung, chronische Epicondylitis radialis links, die Krampfadern, die Sensibilitätsstörung am linken Unterschenkel, die Fußheber- und Fußsenkerschwäche links, die Funktionsbehinderung des linken Sprunggelenks, der Bluthochdruck sowie das geklagte Carpaltunnelsyndrom lassen sich nicht mit höheren Einzel-GdB-Werten als 10 beurteilen. Dies entnimmt der Senat der zutreffenden versorgungsärztlichen Einschätzung des Dr. R ...
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte beträgt der Gesamt-GdB nicht mehr 40. Dabei war zu berücksichtigen, dass nach den VG, Teil A, Nr. 3, a, ee leichte, nur einen GdB von 10 bedingende Gesundheitsstörungen von Ausnahmefällen abgesehen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen.
Nach alledem war auf die Berufung des Beklagten das angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Der Beklagte hatte bei der 1951 geborenen, als Industriekauffrau voll berufstätigen Klägerin unter Zugrundelegung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B., in der als Behinderungen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, ein Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 20, eine Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine chronische Nebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und der Gesamt-GdB mit 30 beurteilt worden waren, mit Bescheid vom 19.03.2008 den GdB mit 30 seit 17.10.2007 festgestellt.
Die Klägerin beantragte am 21.12.2009 die Neufeststellung des GdB. Der Beklagte holte die Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. P., des Hals-Nasen-Ohren-Arztes Dr. W. und der Psychotherapeutin Dr. F. ein und zog diverse Arztbriefe bei. Dr. B. berücksichtigte in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme als Behinderungen psychovegetative Störungen und Ohrgeräusche beidseitig mit einem Einzel-GdB von 30, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, einen Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 20, eine chronische Nebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von 10, Krampfadern und eine Funktionsbehinderung des linken oberen Sprunggelenks bei geringem Lymphödem mit einem Einzel-GdB von 10, einen Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 10 sowie eine Mittelnervendruckschädigung beidseitig mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Mit Bescheid vom 14.07.2010 hob der Beklagte den Bescheid vom 26.06.2008 auf und stellte den GdB mit 40 seit 21.12.2009 fest.
Hiergegen legte die Klägerin am 09.08.2010 Widerspruch ein. Sie legte das für sie vom Psychotherapeuten Dr. Sch. erstellte Gutachten vom 29.01.2011 vor. Dr. M.-K. hielt in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme an der bisherigen GdB-Beurteilung fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 13.05.2011 Klage beim Sozialgericht Konstanz erhoben.
Das Sozialgericht hat zunächst Dr. P., den Orthopäden Dr. Sch. sowie den Chirurgen und Phlebologen Dr. Sch. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. P. hat ausgeführt, im Laufe der seit 2007 erfolgenden Behandlung habe er keine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand der Klägerin festgestellt. Er hat diverse Arztbriefe beigefügt. Dr. Sch. hat den Einzel-GdB für die von ihm von Juli 2009 bis September 2010 behandelte endgradige Einschränkung des linken Sprunggelenks mit Schwellneigung mit 10 bewertet. Dr. Sch. hat einen Einzel-GdB für das von ihm von September 2010 bis Januar 2011 behandelte Beinlymphödem beidseits mit Linksbetonung ohne Funktionsstörungen mit 5 angesetzt.
Sodann hat das Sozialgericht von Amts wegen das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. T. vom 22.12.2011 eingeholt. Der Sachverständige hat eine rezidivierende depressive Störung, einen Tinnitus beidseits und chronische Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule beschrieben. Er hat ausgeführt, bei der aktuellen psychiatrischen Untersuchung hätten sich keine wesentlichen depressiven Beschwerden gezeigt. Es sei noch nie eine antidepressive Medikation oder Depressionsdiagnostik erfolgt. Die neurologische Untersuchung sei völlig unauffällig gewesen. Voltaren als Schmerzmittel werde bei Bedarf eingenommen. Gegen eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit durch die psychiatrische Erkrankung spreche die gute Tagesstruktur und berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin. Sie sei noch voll erwerbsfähig und leiste viele Überstunden. Sie habe nicht über wesentliche Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit wegen der depressiven Erkrankung berichtet. Auch im privaten Lebensbereich liege keine wesentliche Einschränkung vor. Die seit 1974 verheiratete Klägerin habe zwei zwischenzeitlich erwachsene Kinder und lebe gemeinsam mit dem Ehegatten in einem Haus mit großem Garten. Sie übe Hobbies wie zum Beispiel Gartenarbeit aus. Gegen eine schwere depressive Symptomatik spreche auch die fehlende Notwendigkeit einer Psychopharmaka-Medikation oder psychotherapeutischen Behandlung. Bei Dr. F. sei sie nur einmalig in Behandlung gewesen. Nach Angaben des Hausarztes sei überhaupt noch nie eine antidepressive Medikation oder Depressionsdiagnostik erfolgt. Ein Einzel-GdB von 20 für die seelische Störung erscheine angemessen und auch ausreichend. Unter Berücksichtigung der Ohrgeräusche auf beiden Seiten werde auf nervenärztlichem Fachgebiet ein Einzel-GdB von 30 vorgeschlagen. Die Bewertung der Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 sei wohlwollend, da nach den vorliegenden Befunden keine wesentlichen degenerativen Veränderungen vorlägen. Bezüglich des beidseitigen Karpaltunnel-Syndroms würden aktuell überhaupt keine Beschwerden mehr angegeben. Der Gesamt-GdB sei mit 40 einzuschätzen.
Daraufhin hat das Sozialgericht auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Facharztes für Psychotherapie Dr. Sch. vom 12.11.2012 eingeholt. Er hat ausgeführt, bei der Klägerin liege trotz der nach außen hin gezeigten Funktionsfähigkeit und intakten Fassade ein schweres psychisches und psychosomatisches Krankheitsbild vor. Trotz massiver Einschränkungen in ihrer körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit könne die Klägerin nicht ihre Anspruchshaltung an ihre Leistung verringern. Trotz intensiver psychotherapeutischer Intervention sei diese Grundhaltung bisher nicht veränderbar gewesen. Das Überhören aller Körpersignale im Sinne von Warnsignalen habe in den letzten Jahren zu immer weitergehenden körperlichen und psychischen Einschränkungen geführt. Trotz dieser Verschlechterung des Gesamtbefindens sei die Klägerin auch unter ambulanter Psychotherapie bisher nicht in der Lage gewesen, ihr Grundverhaltensmuster zu ändern. Die Leistungsorientierung sei weiterhin lebensbestimmend. Die Klägerin leide an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradig, mit somatischem Syndrom. Weiterhin bestehe bei ihr eine schwer beeinflussbare anangkastische Persönlichkeitsstörung. Auf seinem Fachgebiet sei der Einzel-GdB mit 40 anzusetzen. Unter zusätzlicher Berücksichtigung des Einzel-GdB von 30 für den Tinnitus beidseits, eines Einzel-GdB von 20 für die Wirbelsäulen-Beschwerden und der weiteren Einzel-GdB-Werte von 10 sei der Gesamt-GdB mit 50 einzuschätzen. Dem Gutachten beigefügt worden ist der Entlassungsbericht der Median-Kaiserberg-Klinik B. N. über eine vom 02.08.2012 bis zu 23.08.2012 durchgeführte stationäre Maßnahme (Lumboischialgie links bei Bandscheibenschäden der Lendenwirbelsäule, Cervicobrachialgie beidseits bei Verdacht auf degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule und Dysästhesie im Dermatom C5 und C8 links, Tinnitus aurium links, Epicondyliytis humeri radialis links, Knick-Senk-Spreizfuß beidseits; vollschichtig leistungsfähig bei ausgeglichener Stimmungslage).
Dr. R. hat in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme als Behinderungen psychovegetative Störungen, eine seelische Störung und Ohrgeräusche beidseitig mit einem Einzel-GdB von 30, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und einen Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 10, eine chronische Nebenhöhlenentzündung ohne Einschätzung des Einzel-GdB, eine Funktionsbehinderung des linken oberen Sprunggelenks mit einem Einzel-GdB von 10 sowie einen Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und den Gesamt-GdB mit 40 eingeschätzt.
Mit Urteil vom 11.04.2013 hat das Sozialgericht den Bescheid des Beklagten vom 14.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2011 abgeändert und den Beklagten verpflichtet, bei der Klägerin einen GdB von 50 ab Antragstellung anzuerkennen. Es hat sich auf das Gutachten des Dr. Sch. gestützt.
Hiergegen hat der Beklagte am 08.05.2013 Berufung erhoben. Er hat eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vorgelegt. Darin ist ausgeführt worden, dass nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen Ohrgeräusche mit den hiermit verbundenen psychovegetativen Begleiterscheinungen zu bewerten seien. Ferner sei nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen für sämtliche Funktionseinschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet nur ein Einzel-GdB-Wert festzustellen. Insofern sei es nicht sinnvoll, wie durch Dr. Sch. geschehen, für die seelische Störung und den Tinnitus jeweils zwei getrennte Einzel-GdB-Werte anzugeben. Ein Einzel-GdB von 50 für das psychiatrische Fachgebiet setze voraus, dass insgesamt schwere psychische Auswirkungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten bestünden. Hiervon könne man bei der Klägerin auch nicht ansatzweise ausgehen. Auch unter Berücksichtigung der weiteren Einzel-GdB-Werte sei ein Gesamt-GdB von 50 nicht zutreffend, zumal der für das Wirbelsäulenleiden vergebene Einzel-GdB von 20 eher wohlwollend sei. Ferner hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Klägerin als Industriekauffrau voll berufstätig sei, häufig Überstunden mache, den Haushalt steuere, den Ehegatten sowie einen Garten mit einer Größe von 1.000 Quadratmetern versorge, die schriftlichen Dinge regele und am Abend noch einkaufe. Sie habe wegen Depressionen bisher keine Fehltage gehabt. Außerdem fehle es an der Notwendigkeit einer Psychopharmaka-Medikation oder psychotherapeutischen Behandlung. Dies decke sich auch mit den Angaben im Entlassungsbericht der Median-Kaiserberg-Klinik B. N., in dem ein normaler Antrieb und eine ausgeglichene Stimmungslage ohne fassbare mnestische Einbußen beschrieben worden sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 11. April 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat unter Vorlage eines Attestes des Dr. Sch. vom 08.04.2013 (chronische Brachialgie beidseits, Epicondylosis radialis links, Arthritis des oberen Sprunggelenks links, Hals- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom; wegen Schmerzsymptomatik erwerbsunfähig) vorgetragen, dass sie entgegen dem Gutachten des Dr. T. sehr oft nachts nicht mehr schlafen könne und dann Hausarbeiten verrichte. Auch spreche das Fehlen wesentlicher Zeiten von Arbeitsunfähigkeit nicht gegen eine schwere psychische Erkrankung, zumal sie mehrere Klinikaufenthalte und Arztbesuche hinter sich habe und, wenn es ihr ganz schlecht gehe, Urlaubstage einsetze, um so die Krankheitsstatistik zu verbessern. Ferner habe es immer wieder Kurzarbeit gegeben, so dass sie die freien Tage therapeutisch habe einsetzen können. Dr. T. habe in seinem Gutachten auch nicht erwähnt, dass sie bis vor circa eineinhalb Jahren eine über 90jährige kinderlose Tante, die bis vor wenigen Jahren rund 45 Kilometer von ihr entfernt gewohnt habe, mehrmals wöchentlich besucht und versorgt habe. In den letzten Jahren vor ihrem Tod Ende 2011 in einem Pflegeheim seien ständige Besuche notwendig gewesen. Vielmehr sei Dr. Sch. zu folgen, der sie als verzweifelt, ängstlich, wechselnd affektlabil und affektarm beschrieben habe. Ihre Grundstimmung sei ängstlich, depressiv, gereizt und verzweifelt. Im Übrigen habe die Intensität des Tinnitus in der Zwischenzeit stark zugenommen. Ferner stehe sie in ihrer beruflichen Tätigkeit stark unter Druck, zumal nun wieder Kurzarbeit anstehe. Sie hat außerdem vorgetragen, für eine stationäre Behandlung des Tinnitus voraussichtlich im Januar 2014 in der Schönklinik Roseneck Briem am Chiemsee vorgemerkt zu sein.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine weitere Abänderung des Bescheides vom 19.03.2008.
Die Abänderung von Verwaltungsakten wegen einer Gesundheitsverschlechterung richtet sich nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).
In den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 19.03.2008 zu Grunde gelegen haben, ist eine einen GdB von mehr als 40 bedingende Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin seit dem am 21.12.2009 gestellten Neufeststellungsantrag nicht eingetreten.
Die Feststellung des GdB richtet sich nach den Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 6 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei ist grundsätzlich die seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretene und seither mehrfach geänderte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) anzuwenden (siehe hierzu noch unten).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich bei der Klägerin kein höherer GdB als 40 feststellen.
Für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche ist der Einzel-GdB nicht höher als mit 40 zu beurteilen. Der Senat stützt sich dabei entgegen der Ansicht des Sozialgerichts nicht auf die gutachterliche Bewertung des Dr. Sch., sondern auf das überzeugende Gutachten des Dr. T ...
Danach leidet die Klägerin an einer rezidivierenden depressiven Störung und einem Tinnitus beidseits.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen bei leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (beispielsweise ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB 30 bis 40 und bei schweren Störungen (zum Beispiel schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB 50 bis 70. Nach den VG, Teil B, Nr. 5.3 beträgt für Ohrgeräusche ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen der GdB 0 bis 10, mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen der GdB 20, mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel ausgeprägte depressive Störungen) der GdB 30 bis 40 und mit schweren psychischen Störungen und sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mindestens 50.
Daraus ergibt sich, dass sich die aus der rezidivierenden depressiven Störung und dem Tinnitus beidseits insgesamt ergebende Funktionsbehinderung schwer und mit mindestens mittelgradigen Anpassungsschwierigkeiten einhergehen muss, damit sie mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 bewertet werden kann.
Zur Auslegung der Begriffe "mittelgradige" und "schwere" soziale Anpassungsschwierigkeiten können die vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit am Beispiel des nach den VG, Teil B, Nr. 3.6 zu bewertenden schizophrenen Residualzustandes entwickelten Abgrenzungskriterien herangezogen werden (BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 VG 1/08 R - juris). Danach kann bei mit einem GdB von 30 bis 40 zu beurteilenden leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten eine Berufstätigkeit auf dem freien Markt in den meisten Berufen trotz Kontaktschwäche beziehungsweise Vitalitätseinbuße ausgeübt werden und sind die Beeinträchtigungen in Beziehungen, in der Familie und bei Freundschaften nicht wesentlich. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten erlauben zwar eine Berufstätigkeit in den meisten Berufen, gehen jedoch mit verminderter Einsatzfähigkeit und einer daraus resultierenden Gefährdung des Arbeitsplatzes einher. Bei schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten ist die berufliche Tätigkeit sehr stark gefährdet oder sogar ausgeschlossen und es gibt schwerwiegende Probleme in der Familie sowie im Partner- und Bekanntenkreis (Abgrenzungskriterien des Sachverständigenbeirats, Niederschrift über die Tagung der Sektion Versorgungsmedizin vom 18./19.03.1998, abgedruckt in Rohr/Sträßer/Dahm, Kommentar zum Bundesversorgungsgesetz, 96. Ergänzungslieferung, Stand Dezember 2011, Band II, Teil B, Nr. 3.6). Daraus ergibt sich, dass mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten bei einer in den meisten Berufen sich auswirkenden psychischen Veränderung angenommen werden können, die zwar eine weitere Tätigkeit grundsätzlich noch erlaubt, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingt, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt. Als weiteres Kriterium werden erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung (gefühlsmäßige Verarmung) genannt, aber noch keine Isolierung und kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der zum Beispiel eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte (BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 VG 1/08 R - juris).
Damit ergeben sich für den Senat aus den Gutachten der Dres. T. und Sch. keine ausreichenden Hinweise für eine mit einem GdB von mindestens 50 zu bewertende schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Dr. T. hat in einer für den Senat schlüssigen Art und Weise dargelegt, dass sich bei der von ihm vorgenommenen psychiatrischen Untersuchung keine wesentlichen depressiven Beschwerden gezeigt haben. Er hat dabei zutreffend auf die gute Tagesstruktur und berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin hingewiesen. Die Klägerin ist nach ihren gegenüber Dr. T. gemachten Angaben verheiratet, hat zwei zwischenzeitlich erwachsene Kinder und lebt gemeinsam mit ihrem Ehegatten in einem Haus mit großem Garten. Die Klägerin geht einer vollschichtigen Bürotätigkeit als kaufmännische Angestellte in einer Maschinenfabrik nach, macht häufig Überstunden und arbeitet dabei bis zu zehn Stunden täglich. Fehlzeiten wegen Depressionen hat sie nicht. Abends geht die Klägerin Einkaufen, macht den Haushalt, kocht und versorgt die Wäsche sowie ihren Ehegatten. Ferner versorgt sie den 1.000 Quadratmeter großen Garten, was ihr viel Spaß bereitet. Außerdem erledigt sie die schriftlichen Dinge. Hinzukommt, dass die Klägerin nach ihren gegenüber Dr. Sch. gemachten Angaben über einen guten Rückhalt in ihrer Familie sowie auch in Freundschaften verfügt und sozial gut eingebunden ist. Ferner war es der Klägerin nach ihren Angaben bis vor circa eineinhalb Jahren möglich, eine über 90jährige kinderlose und rund 45 Kilometer entfernt wohnende Tante mehrmals wöchentlich zu besuchen und versorgen. Daraus ergibt sich weder eine sehr starke Gefährdung der beruflichen Tätigkeit noch ergeben sich schwerwiegende Probleme in der Familie oder im Partner- und Bekanntenkreis. Erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust oder affektive Nivellierung liegen im Fall der Klägerin gerade nicht vor. Dieser Eindruck wird durch den psychischen Befund bestätigt. Zwar hat Dr. Sch. angegeben, die Klägerin habe eine Erinnerungsschwäche an Zahlen, sei im formalen Denken eingeengt, etwas sprunghaft und zerfahren wirkend, bei ängstlicher Grundhaltung mit Verzweiflungsgefühlen, im Antrieb deutlich verringert, vitalitätsarm und schwunglos wirkend sowie in ängstlich-depressiver Grundstimmung. Demgegenüber hat aber Dr. T. die Klägerin als im persönlichen Kontakt offen und freundlich, mit wacher Bewusstseinslage, in allen Qualitäten voll orientiert, ohne auffällige Störungen der Gedächtnisfunktionen, mit regelrechter Konzentration und Aufmerksamkeit, ohne formalen Denkstörungen oder Störungen der kognitiven Funktionen, ohne neuropsychologische Störungen, ohne Wahrnehmungsstörungen, ohne Sinnestäuschungen, mit ausgeglichener Affektlage, in der Schwingungsfähigkeit und im Antrieb nicht auffällig sowie ohne Ich-Störungen beschrieben. Der Senat hat sich daher nicht von einem eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten rechtfertigenden psychischen Befund überzeugen können. Dies verkennt Dr. Sch., indem er im Wesentlichen auf eine bei der Klägerin vorliegende "intakte Fassade" hinweist und "ein schweres psychisches und psychosomatisches Krankheitsbild" ausmacht, ohne dabei die von der Klägerin gezeigte Funktionsfähigkeit genügend zu beachten. Entgegen seiner Einschätzung liegen "massive Einschränkungen in ihrer körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit" objektiv gerade nicht vor. Dagegen spricht auch, dass bei der mehrwöchigen stationären Rehabilitationsmaßnahme im August 2012 noch nicht einmal eine depressive Erkrankung diagnostiziert oder ein Schmerzsyndrom beschrieben, die Klägerin vielmehr als in ausgeglichener Stimmungslage beschrieben wurde. Auch eine, wie von ihm angegeben, bislang erfolglose "intensive psychotherapeutische Intervention" liegt nicht vor. Eine Medikation mit Psychopharmaka oder fachärztlich betreute psychotherapeutische Behandlung ist bislang gerade nicht erfolgt. Auf all dies hat Dr. W. in der vom Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme zutreffend hingewiesen. Dass noch nicht einmal ein medikamentöser Behandlungsansatz durchgeführt wird, belegt einen fehlenden Leidensdruck und steht auch nach Ansicht des Senats einer stärker behindernden Störung entgegen (Urteil des Senats vom 24.10.2013 - L 6 SB 5267/11). Auch dies relativiert die Einschätzung des Dr. Sch ...
Mithin beträgt der Einzel-GdB für die rezidivierende depressive Störung und den Tinnitus beidseits und damit insgesamt im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche jedenfalls nicht mehr als 40.
Für das Funktionssystem Rumpf ist der Einzel-GdB mit 10 zu beurteilen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 beträgt bei Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität der GdB 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40. Bei der Klägerin liegen keine mittelgradige oder gar schwere Auswirkungen in einem oder gar zwei Wirbelsäulenabschnitt/en vor. Der Senat stützt sich dabei auf die auch insoweit überzeugenden gutachterlichen Ausführungen des Dr. T., wonach bei der Klägerin keine wesentlichen degenerativen, über der Altersnorm liegende Veränderungen vorliegen. Er hat die Klägerin vielmehr in einem sehr guten körperlichen Zustand wirkend dargestellt. Auch lässt sich dem gesamten Akteninhalt kein orthopädischer Befund entnehmen, der einen Einzel-GdB von mehr als 10 rechtfertigende mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt rechtfertigen könnte.
Auch die weiteren Gesundheitsstörungen wie die chronische Nebenhöhlenentzündung, chronische Epicondylitis radialis links, die Krampfadern, die Sensibilitätsstörung am linken Unterschenkel, die Fußheber- und Fußsenkerschwäche links, die Funktionsbehinderung des linken Sprunggelenks, der Bluthochdruck sowie das geklagte Carpaltunnelsyndrom lassen sich nicht mit höheren Einzel-GdB-Werten als 10 beurteilen. Dies entnimmt der Senat der zutreffenden versorgungsärztlichen Einschätzung des Dr. R ...
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte beträgt der Gesamt-GdB nicht mehr 40. Dabei war zu berücksichtigen, dass nach den VG, Teil A, Nr. 3, a, ee leichte, nur einen GdB von 10 bedingende Gesundheitsstörungen von Ausnahmefällen abgesehen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen.
Nach alledem war auf die Berufung des Beklagten das angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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BWB
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