L 6 U 19/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 19 U 183/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 19/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung - bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung (im weiteren BK Nr. 2108) - vorliegt.

Der 1947 geborene Kläger erlernte von September 1963 bis August 1966 den Beruf eines Rohrschlossers und arbeitete im Weiteren als Rohr- sowie Heizungsschlosser in den B.-Werken. Anschließend war er von 1992 bis 1997 als Heizungsmonteur bei der Firma M. M. Haustechnik GmbH beschäftigt. Danach war er 1998 noch zeitweise als Rohr- bzw. Heizungsschlosser in der Firma O. Personalservice tätig. Dieses letztgenannte Arbeitsverhältnis wurde betriebsbedingt gekündigt.

Bei einer Röntgenaufnahme am 13. September 2002 zeigte sich eine relative Steilhaltung der Lendenwirbelsäule. Im Segment L5/S1 lagen eine erhebliche Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes sowie ausgeprägte zirkuläre degenerative Kantenanbauten vor. Es bestand eine Einengung des knöchernen Spinalkanals sowie eine Spondylosis deformans bei L2 bis L4. Die übrigen Zwischenwirbelräume waren nicht höhengemindert. Bei einer weiteren Röntgenuntersuchung am 25. Mai 2004 zeigte sich eine unveränderte Zwischenwirbelraumverschmälerung in Höhe von L5/S1 mit Nachweis von ventralen randosteophyten Ausziehungen ab L2 bis S1 bei einer mäßigen Streckhaltung.

Im Mai 2007 zeigte Dr. S. an, dass bei dem Kläger der Verdacht auf eine Berufskrankheit bestehe. 1984 seien erstmals solche Beschwerden aufgetreten. Es bestehe ein Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule mit wiederkehrenden Lumboischialgien sowie einem Radikulärsyndrom. Als Ursache sehe er das häufige Tragen von Heizkörpern und Gasflaschen sowie die Einnahme von Zwangshaltungen an.

Der beratende Arzt Dr. W. führte daraufhin aus, dass der Kläger offensichtlich keine rückenbelastende Tätigkeit ausgeübt habe. Zudem sei die Aufgabe der Tätigkeit auch nicht aus gesundheitlichen Gründen erfolgt. Es lägen keinerlei Behandlungsunterlagen des Versicherten vor, die auf ein chronisches Rückenleiden schließen lassen könnten. Die Röntgenaufnahmen zeigten eine komplette Spondylodese bei L5/S1 bei offenbar vorbestehender Spondylolisthesis in dieser Höhe. Alle anderen Wirbelzwischenräume und Wirbelkörper sähen altersentsprechend normal aus ohne besondere Hinweise auf eine schwerwiegende Degeneration oder sonstige krankhafte Veränderungen. Eine Berufserkrankung sei damit sehr unwahrscheinlich.

Mit Bescheid vom 14. August 2007 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung der Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers als BK Nr. 2108 ab und stützte sich im Wesentlichen auf die Ausführungen ihres Beratungsarztes. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Bescheid vom 7. November 2007 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 7. Dezember 2007 erhobene Klage. Zur Begründung hat der Kläger seine langjährige, aus seiner Sicht schwere körperliche Tätigkeit geschildert. Der Umstand, dass wohl nur ein sogenannter monosegmentaler Befall bei L5/S1 vorliege, spreche allein nicht gegen die Annahme einer Berufskrankheit.

Nach einem vom Sozialgericht eingeholten Befundbericht des Facharztes für Orthopädie/Chirotherapie Herrn S. hat sich der Kläger einmalig am 24. Januar 2008 bei ihm vorgestellt. Dabei hat er links einen abgeschwächten Achillessehnenreflex festgestellt. Eine Bandscheibenerkrankung sei anzunehmen. Eine Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule vom 24. Januar 2008 hat eine geringe Rotationsfehlstellung mit Nachweis einer Osteochondrosis intervertebralis und Spondylosis deformans im unteren Lendenwirbelsäulenbereich gezeigt. Zeichen einer Spondylosis deformans haben auch von L2 bis S1 bestanden. Das Sozialgericht hat weiter Kopien aus dem Sozialversicherungsausweis des Klägers bzgl. seiner medizinischen Behandlungen beigezogen.

Im Auftrag der Beklagten hat der Facharzt für Chirurgie Prof. Dr. M. nach einer ambulanten Untersuchung unter dem 29. April 2010 ein Gutachten erstattet. Dabei haben sich eine endgradige Einschränkung der komplexen Bewegung von Brust- und Lendenwirbelsäule sowie ein gering erhöhter Finger-Boden-Abstand bei einer verminderten Dehnungsfähigkeit von Brust- und Lendenwirbelsäule gezeigt. Die Diagnosen des Gutachters haben auf ein pseudoradikuläres Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule bei Wirbelgleiten L5/S1 gelautet. Seiner Ansicht nach war auf der Röntgenaufnahme vom 10. September 2002 eine ausgeprägte Osteochondrose auf der Basis eines Wirbelgleitens mit deutlicher Erniedrigung des Zwischenwirbelraumes und massiver vorderer knöcherner Überbrückungsreaktion zwischen L5/S1 festzustellen. Oberhalb des fünften Lendenwirbelkörpers haben sich seiner Einschätzung nach normal weite Zwischenwirbelräume gezeigt. Ähnliches gelte für die Röntgenaufnahmen vom 24. Januar 2008.

Nach den Konsensempfehlungen sei gefordert, dass ein Chondrosegrad II oder höher vorliege. Dies könne er bei einer genauen Untersuchung der Röntgenbilder nicht feststellen. Der Chondrosegrad II bestehe nur im Segment L5/S1 bei ansonsten fehlendem Bandscheibenverschleiß messbaren Grades in den übrigen Lendenwirbelsäulensegmenten. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung lasse sich nur monosegmental am lumbosacralen Übergang feststellen. Dabei handele es sich aber nicht um eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2018. Für eine Berufskrankheit sei typisch, dass in der Lendenwirbelsäule ein von oben nach unten zunehmendes Schadensbild auftrete; außerdem entstehe - im Sinne einer positiven Indizwirkung - eine pathologische Begleitspondylose. Eine solche liege bei dem Kläger nicht vor. Die monosegmentale Schädigung der Bandscheibe im Segment L5/S1 resultiere aus einem schicksalhaften Wirbelgleiten an dieser Stelle. Der Bandscheibenvorfall sei also aus innerer Ursache entstanden. Es sei im Übrigen auch nicht ersichtlich, dass im November 1998 ein Zwang zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit bestanden haben könnte. Tatsächlich sei das Arbeitsverhältnis auch betriebsbedingt gekündigt worden.

Der Kläger hat daraufhin eine Epikrise vom 10. Dezember 1990 vorgelegt. Darin wird als Diagnose von einem abklingenden Radikulärsyndrom S1 links gesprochen. In weiteren beigefügten Unterlagen von April 1985 wird über eine rezidivierende Ischialgie links bei L5/S1 sowie einen NPP (Nukleus Pulposus-Prolaps [Bandscheibenvorfall]) bei S1 links berichtet.

Mit Urteil vom 18. November 2010 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Stellungnahmen von Dr. W. sowie Prof. Dr. M. sowie die Konsensempfehlungen gestützt.

Gegen die ihm am 8. Februar 2011 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 24. Februar 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, seine Erkrankung sei ausschließlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Das Sozialgericht habe es versäumt, alte Röntgenaufnahmen von ihm auszuwerten. Weiterhin hat der Kläger die Auswertung eines MRT vom 23. Dezember 2011 vorgelegt. Danach findet sich bei dem Lendenwirbelkörper 3/4 eine flachbogige Protrusion, welche den Duralsack einschnüre und die intraspinalen Nervenwurzeln erreiche. Bei dem Lendenwirbelkörper 4/5 zeigt sich eine großbogige Protrusion mit hochgradiger Einschnürung des Duralsackes und beidseitige Neuroforameneinengung mit lumbosacral zungenförmigem Prolaps mit umschriebener Irritation der linksseitigen intraspinalen Nervenwurzel bei einer Extrusion über ca. 0,5 cm. Hier bestehen auch knöcherne Belastungszeichen. Weiterhin liegt eine hochgradige Spinalkanalstenose im Lendenwirbelkörper 4/5 vor. Weiter hat der Kläger einen Bericht von Dr. S. - Facharzt für Orthopädie/Chirurgie - vom 19. Januar 2012 vorgelegt. Darin hat dieser die Diagnosen Prolaps bei L 4/5, Spinalkanalstenose lumbal, radikuläres Reizsyndrom S1 links, Affektion des ISG links (Iliosakralgelenk = Kreuzbein-Darmbein- Gelenk) sowie angeborene Beinlängendifferenz gestellt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. November 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. August 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Wirbelsäulenerkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach der Nummer 2108 der Liste zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Auf Bitten des Senats hat Prof. Dr. M. erneut Stellung genommen. Er hat bestätigt, dass das Wirbelgleiten keine konkurrierende Ursache im Sinne der Konsensempfehlungen darstelle. Gleichwohl komme dem monosegmentalen Befund im letzten Wirbelsäulensegment keine positive Indizwirkung zu, wenn ein darüber befindliches belastungskonformes Schadensbild vollständig fehle. Die Röntgenaufnahmen von 2002 und 2008 zeigten nicht ansatzweise Spuren einer übermäßigen äußeren Einwirkung, so dass derartige Befunde auch zu einem früheren Zeitpunkt nicht vorgelegen haben könnten. Auch eine Black disc oberhalb von L5/S1 sei nach dem Gesamtbefund nicht zu erwarten. Diese zeige einen Flüssigkeitsmangel in der Bandscheibe an, der sich dann in einem Elastizitätsverlust mit Höhenminderung niederschlage, was hier nicht erkennbar sei. Damit könne die B2-Konstellation der Konsensempfehlungen ausgeschlossen werden. Zudem fehle das klinische Bild eines Bandscheibenschadens.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Dem Gericht haben bei der Entscheidung die Gerichtsakte sowie die Akte der Beklagten vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Hierüber konnte der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. August 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2007 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil die Beklagte darin zutreffend die Anerkennung einer BK Nr. 2108 abgelehnt hat.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung (BKV) mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Die näheren Einzelheiten zum Erlass der BKV regelt § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 6 SGB VII. Voraussetzung für die Anerkennung der hier strittigen BK Nr. 2108 ist nach deren Tatbestand das Vorliegen bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

1. Eine solche bandscheibenbedingte Erkrankung liegt nach den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. M. nicht vor.

Eine Erkrankung ist mehr als eine bestimmte Veränderung im Röntgen- oder MRT-Bild. Dies wird in den "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Konsensempfehlungen; veröffentlicht in Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff., 215) unter 1.3 dahingehend konkretisiert, dass der bildgebende Nachweis eines Bandscheibenschadens (Höhenminderung und/oder Vorfall) eine unabdingbare, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung darstelle. Hinzukommen muss danach eine korrelierende klinische Symptomatik. Zu diesem klinischen Befund sollten als Einzelbefunde

ein erhöhter Muskeltonus,

die Entfaltungsstörung der Lendenwirbelsäule,

der provozierbare Segmentschmerz,

der provozierbare Bewegungsschmerz

vorliegen. All dieses verneint Prof. Dr. M. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. Juni 2013 ausdrücklich (siehe dort Bl. 6; genauso schon sein Gutachten Bl. 9). Mit dem Fehlen von 4 von 5 klinischen Voraussetzungen, die nach den Konsensempfehlungen als Kriterien erfüllt sein sollen, ist das Fehlen eines hinreichenden klinischen Krankheitsbildes hinreichend belegt. Insoweit kommt es nicht mehr darauf an, dass die Auffassung Prof. Dr. M.s, auch das Vorliegen einer Nervenwurzelreizung/-schädigung im gleichen Segment sei notwendige Voraussetzung, zumindest für ein lokales Lumbalsyndrom in den "Konsensempfehlungen" keine Grundlage findet.

Weiterhin kann den Kläger keine bandscheibenbedingte Erkrankung im zeitlichen Umfeld der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit – objektiv – zu dieser Aufgabe gezwungen haben, weil eine solche auch zu dieser Zeit von den klinischen Symptomen her nicht feststellbar ist. Auch dies verneint der Gutachter Prof. Dr. M. überzeugend. Bereits der Beratungsarzt der Beklagten Dr. W. hat darauf hingewiesen, dass die konkrete Aufgabe nicht wegen eines solchen Krankheitsbildes erfolgt ist. Zudem sind weder in der Zeit von 1992 bis 1997 (während der Tätigkeit als Heizungsmonteur) noch aus dem Jahre 1998 (zur Zeit einer endgültigen Aufgabe der Tätigkeit) überhaupt Behandlungen wegen Rückenbeschwerden ersichtlich. Vielmehr datieren die Behandlungen einerseits aus der Mitte der 80er Jahre und dann wieder ab 2002. Selbst die Aufstellung des Klägers im Klageverfahren über Behandlungen wegen Rückenbeschwerden von 1983 bis 2002 spart den Zeitraum von 1990 bis August 2002 vollständig aus. Eine fachärztliche Behandlung, die den Beleg konkreter Funktionsbefunde im Sinne der "Konsensempfehlungen" hätte erbringen können, hat der Kläger noch 2007 verneint. Dazu passt es, dass der Kläger auf Befragen des Gutachters Prof. Dr. M. mitgeteilt hat, er hätte ohne die betriebsbedingte Kündigung im Jahre 1998 die berufliche Tätigkeit "gern weiter fortgeführt."

Danach fehlt es auch an einem plausiblen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten behandlungsbedürftiger Beschwerden und dem Ende der gefährdenden beruflichen Belastungen. Insofern weist Dr. W. in seiner Stellungnahme folgerichtig darauf hin, dass das Unterlassen einschlägiger Tätigkeiten seit 1998 gegen die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs späterer Krankheitserscheinungen mit den Belastungen aus der Tätigkeit spricht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved