S 15 R 1465/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 15 R 1465/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 14.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2010 verurteilt, die Regelal-tersrente auch für die Zeit vom 01.07.1997 bis 31.12.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften nachzuzahlen und die Nachzahlung gemäß den ge-setzlichen Vorschriften zu verzinsen. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 die gemäß den Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigun¬gen in einem Ghetto (ZRBG) bewilligte Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines niedrigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 gel¬tenden Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab dem 01.01.2005 gewährten Regelaltersrente herangezogenen Zugangsfaktors) zu gewähren ist und ob diese Nach-zahlung zu verzinsen ist.

Die Klägerin wurde am 00.00.1927 in L1 bei M/Polen als polnische Staatsbür¬gerin jüdischer Abstammung geboren. Zumindest von Mai 1940 bis Mai 1945 war sie durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen in ihrer Freiheit beeinträchtigt bzw. ihrer Freiheit beraubt. Während dieses Zeitraumes war sie jedenfalls vom 01.01.1942 bis zum 31.10.1942 gezwungen, im Ghetto Kamionka, das damals zum sogenannten Gene-ralgouvernement gehörte, zu wohnen. In dem vorgenannten Zeitraum ging sie einer ihr durch den Judenrat des Ghettos Kamionka vermittelten Beschäftigung in der Landwirt¬schaft des Gutes L2 nach; als Entlohnung bekam sie Bargeld in einer Höhe, die ihr gerade das Überleben ermöglichte. Im Zuge der Liquidierung des Ghettos am 08.10.1942 gelang es ihr zu flüchten. Unter dem Namen I X meldete sie sich bei dem Arbeitsamt in Lublin für eine Arbeitsleistung in Deutschland an. Dieses verschickte sie nach Deutschland, wo sie vom 01.11.1942 bis zu ihrer Befreiung Anfang Mai 1945 in ver¬schiedenen damals sogenannten Polenlagern untergebracht war; während dieser Zeit wurde sie unter dem vorerwähnten Namen geführt. Von diesen Lagern aus ging sie bis zu ihrer Befreiung ihren jeweiligen Arbeitseinsätzen nach. Sie hielt sich von ihrer Befreiung bis April 1949 in Deutschland auf. In diesem Monat verließ sie Deutschland Richtung Israel, wo sie am 25.05.1949 eintraf. Seitdem lebt sie in Israel als israelische Staatsangehörige. Sie hat keine Leistungen nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Ver¬antwortung und Zukunft" (EVZStiftG) und auch keine Leistungen aus einem System der Sozialen Sicherheit für die Zeit ihrer Beschäftigung während ihres Ghettoaufenthaltes geltend gemacht.

Am 27.11.2002 ging bei der israelischen Nationalversicherungsanstalt der Antrag der Klä-gerin auf die Gewährung der Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung un¬ter besonderer Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG ein.

Die Beklagte zog die bei der Jewish Claims Conference (JCC), Frankfurt am Main, über die dort von der Klägerin gestellten Anträge verwahrten Unterlagen und die die Klägerin betreffende Bundesentschädigungsgesetz (BEG)-Akte der Oberfinanzdirektion München – Landesentschädigungsamt – bei.

Nach Auswertung dieser Unterlagen lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 05.01.2004 ab, der Klägerin eine Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, aus der beigezogenen Entschädigungsakte und den Angaben der Klägerin im Verfahren bei der Claims Conference sei zu entnehmen, dass die Klägerin von Mai 1940 bis Oktober 1942 außerhalb des Ghettos auf einem Gutshof landwirtschaftliche Arbeiten verrichtet habe. Während der Arbeit sei sie nach der Aussage zweier Zeugen von deutschen Soldaten be-wacht worden. Die Art der von der Klägerin geleisteten Arbeiten, die Arbeit unter Bewa¬chung und die fehlenden Angaben zum Arbeitgeber ließen auf eine Beschäftigung schlie¬ßen, die nicht nach dem Modell eines "Normalarbeitsverhältnisses" verrichtet worden sei. Somit sei das Vorliegen einer Beschäftigung im Sinne der Vorschriften des ZRBG nicht glaubhaft. Die Angaben der Klägerin sprächen vielmehr für das Vorliegen eines Zwangsar-beitsverhältnisses. Die Klägerin focht den Bescheid vom 05.01.2004 damals nicht an.

Am 15.05.2009 stellte die Klägerin erneut den Antrag auf die Gewährung einer Regelal-tersrente.

Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin durch den Bescheid vom 14.04.2010 ab dem 01.01.2005 die Regelaltersrente. Dieser legte sie gemäß den Vorschriften des ZRBG eine Pflichtbeitragszeit (Ghettobeitragszeit) vom 01.01.1942 bis zum 31.10.1942 und Er¬satzzeiten gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI vom 01.11.1942 bis zum 31.12.1946 und vom 01.04.1949 bis zum 31.12.1949 zugrunde. In Bezug auf den Beginn der Rente führte sie unter anderem aus, die höhere Leistung werde längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des Bescheides erbracht. Dabei werde der Zeitpunkt der Rücknahme vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde oder der Antrag auf Rücknahme des Bescheides gestellt worden sei. Den Nachzahlungsbetrag verzinste sie in dem Bescheid vom 14.04.2010 gemäß den Berechnungen der Anlage 11 des Bescheides.

Gegen den Bescheid vom 14.04.2010 erhob die Klägerin am 16.04.2010 Widerspruch. Sie machte im Wesentlichen geltend, nach § 3 ZRBG gelte ein bis zum 30.06.2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18.06.1997 gestellt. Dies treffe auch auf ihren Fall zu, so dass § 3 ZRBG als lex specialis gegenüber dem § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gelte und daher auch entsprechend anzuwen¬den sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2010 zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem sinngemäß aus, nach § 44 Abs. 4 SGB X würden bei Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit Sozi¬alleistungen längstens für einen Zeitraum von bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme er-bracht. Dabei werde der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde. Erfolge die Rücknahme auf Antrag, trete bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen seien, anstelle der Rücknahme der Antrag. In den von der Rechtsprechung des Bundes-sozialgerichts in den Urteilen vom 02. und 03.06.2009 – B 13 R 81/08 R, B 13 R 85/08 R, B 13 R 139/08 R; B 5a R 66/08 R, B 5a/5 R 26/08 R – erfassten Fällen werde unterstellt, dass die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides am 04.06.2009 beantragt worden sei. Die Rente werde daher zutreffend ab dem 01.01.2005 geleistet. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X stelle eine ausgewogene Gesamtregelung dar, die zwischen dem Interesse des Einzelnen an einer möglichst vollständigen Erbringung der ihm zu Unrecht vorenthaltenen Sozialleistung einerseits und dem Interesse der Solidargemeinschaft aller Versicherten an einer möglichst geringen finanziellen Belastung mit Ausgaben für Leistungen für zurücklie¬gende Zeiträume andererseits vermittele. Das Bundessozialgericht habe daher keinen Zweifel daran gelassen, dass diese Vorschrift verfassungsgemäß sei (Bundessozialge¬richt, Urteil vom 23.07.1986 – 1 RA 31/85 -). Die anspruchsvernichtende Wirkung des § 44 Abs. 4 SGB X trete auch dann ein, wenn der Versicherungsträger bei Erlass des rechts¬widrigen Verwaltungsaktes schuldhaft gehandelt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Vierjahresfrist selbst im Rahmen des sozialrechtlichen Her¬stellungsanspruchs zu beachten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27.03.2007 – B 13 R 58/06 R -). Auch in den Fällen, in denen ein Ablehnungsbescheid mangels Mitwirkung ergangen sei, sei bei späterer Nachholung der Mitwirkungshandlung der Rechtsgedanke des § 44 Abs. 4 SGB X im Rahmen der vom Versicherungsträger zu treffenden Ermessensentscheidung heranzuziehen. Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSGE 60, 245, 247) entnehme der Vorschrift sogar einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach Sozialleistungen nicht über 4 Jahre hinaus rückwirkend zu gewähren seien. Aus dem Sinn und Zweck des ZRBG ergebe sich bei Berücksichtigung der zugrunde liegenden Interessenbewertung nicht, dass es die Rücknahme – und Rückforderungsvoraussetzungen für die von ihm erfassten Sachverhalte eigenständig und abweichend von § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X festlegen wolle. Dem ZRBG lasse sich insbesondere nicht entnehmen, dass ZRBG-Leistungen grundsätzlich und in allen Fällen rückwirkend bis zum 01.07.1997 zu erbringen seien. Denn § 3 Abs. 1 ZRBG sehe nur für die bis zum 30.06.2003 gestellten Anträge Leistungen ab 01.07.1997 vor. Diese Anträge seien mit bestandskräftiger Bescheiderteilung verbraucht. Später gestellte Überprüfungsanträge sollten nach der Intention des Gesetzgebers diese Rechtswirkung grundsätzlich nicht mehr erzeugen können. Dies gelte entsprechend auch für Überprüfungen von Amts wegen. Die Widerspruchsstelle weise darauf hin, dass die ungünstige Sonderregelung des § 100 Abs. 4 SGB VI, die in Fällen der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rückwirkende Leistungen ausschließe, nicht angewendet worden sei. Im Unterschied zu § 100 Abs. 4 SGB VI, der erst am 01.05.2007 in Kraft getreten sei, sei dem ZRBG-Gesetzgeber die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Abs. 1 SGB X bekannt gewesen. Er hätte die Anwendung der Norm deshalb explizit ausschließen können, was er aber nicht getan habe. Auch unter Gleichheitsaspekten gebe es im Rahmen des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X keinen Anlass für eine Nichtanwendung dieser Vorschrift in ZRBG-Fällen. Denn § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X unterscheide in seinen Rechtsfolgen nicht danach, ob und wann ein Überprüfungsantrag gestellt worden sei. Ebenso wenig unterscheide § 44 Abs. 4 SGB X danach, auf welchem konkreten Rechtsgrund die zusprechende Entscheidung des Leistungsträgers beruhe. Vielmehr erhielten alle Betroffenen rückwirkend Leistungen für maximal 4 Jahre.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 24.06.2010 richtet sich die am 28.06.2010 bei dem Sozialgericht Düsseldorf eingegangene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung der Regelaltersrente auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 und Verzinsung der Nachzahlung weiterverfolgt.

Die Klägerin wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend sinngemäß vor, das ZRBG sei geschaffen worden, um der Situation der Rentenberechtigten, die sich im Ghet¬to aufgehalten hätten und dort freiwillig einer Beschäftigung gegen Entgelt nachgegangen seien, gerecht zu werden. Möglichst alle Verfolgten, die in einem Ghetto einer Beschäfti¬gung nachgegangen seien, sollten in den Genuss einer Rentenzahlung kommen. Dies habe auch das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – so gesehen; dort sei vor allem ausgeführt worden, dass es bei der Schaffung des ZRBG darum gegangen sei, möglichst vielen und nicht nur wenigen eine Rentenzah¬lung zu verschaffen. Bereits in der vorgenannten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 sei unter Nichtanwendung des dort wesentlichen § 306 Abs. 1 SGB VI nach Maßgabe des Gleichheitsgrundsatzes entschieden worden, Renten ab dem 01.07.1997 bzw. deren Erhöhung zu gewähren, um so dem Zweck des ZRBG überhaupt gerecht werden zu können. Hierbei sei es um Bestandsrentner gegangen, zu deren Guns¬ten eine Erhöhung angenommen worden sei, um eine Ungleichbehandlung zu verhindern. Somit müsse erst recht gegenüber denen, die in der gleichen geschichtlichen Situation ge¬wesen seien, die aber aufgrund der falschen Rechtsauffassung der Rentenversicherungs¬träger ablehnende Bescheide erhalten hätten, eine Rentengewährung ab dem 01.07.1997 erfolgen. Unter Heranziehung des Gesichtspunktes, dass diejenigen, die weiter prozes¬siert hätten oder deren Verfahren aus anderen Gründen zum Zeitpunkt des Ergehens der maßgeblichen Urteile des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 nicht vollständig abgeschlossen gewesen seien, Renten ab dem 01.07.1997 erhielten, verbiete sich ein Rückgriff auf § 44 Abs. 4 SGB X. Dieser würde letztlich eine ungerechtfertigte Ungleichbe¬handlung darstellen und widerspräche dem Willkürverbot. Denn nachdem klar seitens des Bundessozialgerichts festgestellt worden sei, dass die Entscheidungspraxis der Deut¬schen Rentenversicherung rechtswidrig gewesen sei, könne wohl kaum diese rechtswidri¬ge Praxis der Klägerin zur Last gelegt und ihr zum Vorwurf gemacht werden, dass sie nicht weiter prozessiert habe, da die einheitliche negative Entscheidungspraxis es nahege¬legt habe, dass eine anderweitige Entscheidung nicht zu erreichen gewesen sei. Ein sol¬ches Vorgehen gemäß § 44 Abs. 4 SGB X verstieße gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Zudem kenne das Gesetz durchaus Ausnahmen von § 44 Abs. 4 SGB X, so im Be¬reiche der gesetzlichen Unfallversicherung oder im Krankenversicherungsrecht. § 44 SGB X finde also nicht überall zwingend Anwendung. Auch im vorliegenden Falle sei § 44 Abs. 4 SGB X nicht anzuwenden und eine dagegen gerichtete Gesetzesauslegung vorzuneh¬men. Hier sei der Rechtsgedanke des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dessen Urteil vom 22.02.2001, Az.: IX ZR 113/00, Seite 11 anzuwenden. Dort heiße es wörtlich: "Der Zweck der Entschädigungsgesetzgebung geht dahin, das zugefügte Unrecht so bald und so weit wie irgend möglich wiedergutzumachen. Der Senat hat deshalb wiederholt betont, dass eine Gesetzesauslegung, die möglich ist und diesem Ziel entspricht, den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung verdient, die die Wiedergutmachung erschwert oder zunichte macht." Auch aus diesem Gesichtspunkt heraus sei § 3 ZRBG vorrangig anzuwenden und nicht § 44 Abs. 4 SGB X, so dass die Rentengewährung ab dem 01.07.1997 zu erfolgen habe. - Darüber hinaus gehe das ZRBG dem allgemeineren Gesetz des § 44 Abs. 4 SGB X als lex specialis vor. § 3 ZRBG lege den Rentenbeginn ganz klar auf den 01.07.1997 fest, soweit alle Antragsvoraussetzungen entsprechend nebst einem fristgerechten Antrag gegeben gewesen seien. Dies sei bei ihr eindeutig der Fall gewesen.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2010 zu verurteilen, ihr zusätzlich die Regelal-tersrente für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 nach Maßgabe der ge-setzlichen Vorschriften zu zahlen und die entsprechende Nachzahlung gemäß § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.

Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, der Ansicht der Klägerin, dass der Rückgriff auf § 44 Abs. 4 SGB X eine unangemessene Benachteiligung darstelle und dem Sinn und Zweck des ZRBG zuwiderlaufe, sei zu widersprechen. Eine derartige Begründung lasse sich weder aus der Gesetzesbegründung noch aus den Motiven herlei¬ten. Aus dem Sinn und Zweck des ZRBG ergebe sich bei Berücksichtigung der zugrunde liegenden Interessenbewertung nicht, dass es die Rücknahme- und Rückforderungsvor-aussetzungen für die von ihm erfassten Sachverhalte eigenständig und abweichend von § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X festlegen wolle. Dem ZRBG lasse sich insbesondere nicht ent¬nehmen, dass ZRBG-Leistungen grundsätzlich und in allen Fällen rückwirkend bis zum 01.07.1997 zu erbringen seien. Denn § 3 Abs. 1 ZRBG sehe nur für die bis zum 30.06.2003 gestellten Anträge Leistungen ab 01.07.1997 vor. Später gestellte Anträge soll¬ten nach der Intention des Gesetzgebers diese Rechtswirkung grundsätzlich nicht mehr erzeugen können. Der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung des Bundessozialge¬richts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – sei nicht zielführend. In dieser Entscheidung habe das Bundessozialgericht erstmalig darüber entschieden, ob in den Fällen, in denen Antragsteller nach dem ZRBG bereits vor dem 01.07.1997 eine Rente bezogen hätten, einer Neufeststellung der Rente nach dem ZRBG § 306 SGB VI entgegenstehe. Da in diesem Verfahren ein fristgerechter Antrag vorgelegen habe, sei die Frage des Leistungsbeginns nicht streitig gewesen, sondern allein die Frage, ob das ZRBG überhaupt auf derartige Fälle Anwendung findet. Das Bundessozialgericht habe sich in dieser Entscheidung auch nicht entscheidungserheblich zum Renten- bzw. Zahlungsbeginn geäußert. Insoweit sei der vorliegende Rechtsstreit mit dem vom Bundessozialgericht am 03.05.2005 entschiedenen Fall nicht vergleichbar. - Soweit der Gesetzgeber – entgegen den aktuell anzuwendenden Regelungen – für alle ZRBG-Berechtigten eine Leistung zum 01.07.1997 unabhängig von der Antragstellung oder dem Wiederaufgreifen des Verfahrens vorsehen wollte, müsste er in das ZRBG eine entsprechende ausdrückliche Regelung des Renten- und Zahlungsbeginns aufnehmen. Dem ZRBG-Gesetzgeber sei die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X bekannt gewesen. Er hätte die Anwendung der Norm deshalb explizit ausschließen können, was er aber nicht getan habe. - Die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Seitens der Rechtsprechung bestünden gegenüber der Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch der von der Klägerin in anderem Zusammenhang angesprochenen Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – lasse sich indirekt entnehmen, dass § 44 Abs. 4 SGB X grundsätzlich gelte, wenn die Spezialregelung des § 3 ZRBG keine Anwendung finde. Dies sei der Fall, wenn die Fiktionswirkung des § 3 ZRBG verbraucht sei. Vorliegend habe die Klägerin den Bescheid vom 13.11.2003 (gemeint: 05.01.2004) bestandskräftig werden lassen. Damit seien die Rechte aus dem fristgerechten Antrag verbraucht. Bei eingetretener Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung habe ein solcher Rentenanspruch nur im Wege des Überprüfungsantrags und mit der daraus sich ergebenden Konsequenz des § 44 Abs. 4 SGB X geltend gemacht werden können. Soweit in anderen Fällen am 02./03.06.2009 Gerichtsverfahren noch anhängig gewesen seien, hätten diese auf einem fristgerecht gestellten Antrag basiert. Dies sei ein vom Gesetzgeber vorgesehenes Differenzierungsmerkmal, welches diese Verfahren von rechtskräftig oder bestandskräftig abgeschlossenen Verfahren unterscheide und insoweit auch eine unterschiedliche Behandlung rechtfertige. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege somit nicht vor; eine Gleichbehandlung mit Fällen noch anhängiger Verfahren aufgrund eines fristgerecht gestellten Erstantrages könne die Klägerin nicht erfolgreich einfordern. Maßgebliches Differenzierungsmerkmal für die Anwendung von § 44 SGB X sei die gesetzliche Vorgabe, dass ein bestandskräftiger rechtswidriger Bescheid vorliege. - Es treffe nicht zu, dass das Bundessozialgericht in seinen Entscheidungen vom 02./03.06.2009 die bis dahin vertretene Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger als offenkundig rechtswidrig festgestellt habe. Vielmehr sei in den vorgenannten Entscheidungen eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu sehen. Nicht nur die Rentenversicherungsträger, sondern auch die Sozialgerichtsbarkeit habe für die Anerkennung einer Beitragszeit nach dem ZRBG bis zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf die Kriterien "Freiwilligkeit" und "Entgeltlichkeit" die strengeren Maßstäbe angelegt, die vom Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R – festgelegt worden seien. Bei einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung könne aber die bisherige Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger nicht als von Beginn an offenkundig rechtswidrig beurteilt und daraus die Folgerung gezogen werden, die Rentenversicherungsträger hätten auch bereits vor Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Ghettobeitragszeiten anerkennen und hieraus Renten ab dem 01.07.1997 bewilligen müssen. In der Konsequenz könne auch daraus nicht der weitere Schluss gezogen werden, dass nunmehr bei Überprüfungsanträgen § 44 Abs. 4 SGB X keine Anwendung finden könne und die Antragsteller im Wege der Gleichbehandlung Rentenleistungen ab dem 01.07.1997 erhalten müssten. § 44 Abs. 4 SGB X differenziere nicht zwischen (vermeintlich) offenkundig rechtswidrigen und einfach rechtswidrigen Bescheiden. - Die am 01.05.2007 in Kraft getretene Regelung des § 100 Abs. 4 SGB VI regele sogar abweichend von § 44 SGB X, dass ein rechtswidriger, nicht begünstigender und bestandskräftiger Bescheid nur mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden könne, wenn der Bescheid auf einer Rechtsnorm beruhe, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als von den Rentenversicherungsträgern ausgelegt werde. Nach der Gesetzesbegründung diene diese Regelung der Stärkung des Interesses der Solidargemeinschaft an Rechtssicherheit und der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung. Die Rentenversicherungsträger hätten sich aber darauf verständigt, diese für die Betroffenen ungünstigere Regelung des § 100 Abs. 4 SGB VI nicht anzuwenden, weil diese Vorschrift dem ZRBG-Gesetzgeber im Unterschied zu § 44 Abs. 4 SGB X nicht bekannt gewesen sei und er daher die Anwendung von § 100 Abs. 4 SGB VI nicht habe ausschließen können.

Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwal-tungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Be¬zug genommen.

Von dem Verhandlungstermin vom 19.04.2011 ist der Vertreter der Kläge¬rin laut Empfangsbekenntnis am 04.04.2011 unter dem Hinweis benachrichtigt worden, dass auch im Falle des Ausbleibens und Nichtvertretenseins der Klägerin mündlich verhandelt und entschieden werden könne. Die Klägerin hat den Termin weder selbst noch durch einen Vertreter wahrgenommen. Es ist aufgrund einseitlicher mündlicher Verhandlung entschieden worden.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte auch bei Abwesenheit und Nichtvertretensein der Klägerin mündlich verhandeln und entscheiden. Denn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist mit ord-nungsgemäßer Terminsbenachrichtigung auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens aufmerksam gemacht worden, und die übrigen Voraussetzungen für eine derartige Ent-scheidung liegen vor (§§ 110, 127 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die statthafte, form- und fristgerecht erhobene Klage ist begründet.

Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 14.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 24.06.2010 insoweit im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, als die Beklagte ihr die Regelaltersrente nicht auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines niedrigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Sechs¬tes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab dem 01.01.2005 gewährten Regelaltersrente herangezogenen Zugangsfaktors) nachgezahlt und auch diese Nachzahlung gemäß § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verzinst hat.

Denn die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass ihr auch für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 die gemäß den Vorschriften des ZRBG bewilligte Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (und damit unter Zugrundelegung eines nied¬rigeren Zugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 gelten¬den Fassung als des für die Berechnung der bisherigen, ab 01.01.2005 gewährten Regel-altersrente herangezogenen Zugangsfaktors) gewährt wird.

Mit dem Bescheid vom 14.04.2010 hat die Beklagte zu Recht den Bescheid vom 05.01.2004 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, weil durch diesen Ver¬waltungsakt, wie es für eine derartige Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gefordert wird, das Recht unrichtig angewandt worden ist und dadurch Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Nach dem Ergehen der Urteile des Bundessozialgerichts vom 02.06.2009 ( - B 13 R 81/08 R -, - B 13 R 139/08 R -, - B 13 R 85/08 R -) und vom 03.06.2009 (- B 5 R 66/08 R – und – B 5 R 26/08 R -) steht nämlich fest, dass die dem Bescheid vom 01.03.2004 zugrunde liegende Rechtsauffassung rechtswidrig war, dass stattdessen eine Beschäftigung in einem Ghetto auch dann als aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen zu werten ist, wenn für die Ghettobewohner Arbeitspflicht bestand, der Betroffene aber nicht zu einer bestimmten Arbeit gezwungen wurde, sondern – insbesondere bei einer Vermittlung durch den Judenrat wie im Falle der Klägerin – das Ob und Wie der Arbeit bestimmen konnte, dass Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b) ZRBG jede Entlohnung, ob in Geld oder Naturalien ist, ohne dass sie irgendeine Geringfügigkeitsgrenze überschreiten müsste, - vielmehr reicht die Gewährung freien Unterhalts dafür aus – und dass es auch unerheblich ist, ob das Entgelt dem Beschäftigten direkt oder Dritten (z. B. dem Judenrat) zukam. Durch diese in den o. a. Urteilen der nunmehr einzigen für die Entscheidung dieser Rechtsfrage zuständigen Senate des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 übereinstimmend zum Ausdruck gebrachte Auslegung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a) und b) ZRBG vorgeschriebenen Tatbestandsmerkmale der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung und der gegen Entgelt ausgeübten Beschäftigung, die jetzt auch von den Rentenversicherungsträgern ohne jede Einschränkung akzeptiert und angewandt wird, ist nunmehr andererseits abschließend geklärt, dass die dem entgegenstehende Interpretation des Rentenversicherungsträgers, der Instanzgerichte und auch des Urteils des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R – rechtswidrig war.

Im Übrigen liegen auch die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der Regelalters-rente – ab dem 01.07.1997 – vor, weil die Klägerin mit Ablauf des 20.06.1992 das 65. Le-bensjahr vollendet hatte und weil sie unter Berücksichtigung der Pflichtbeitragszeit vom 01.01.1942 bis zum 31.10.1942 und der die Zeiten vom 01.11.1942 bis zum 31.12.1946 und vom 01.04.1949 bis 31.12.1949 umfassenden Ersatzzeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI die in § 35 SGB VI vorgeschriebene Mindestversicherungszeit (allgemeine Warte¬zeit) von 5 Jahren zurückgelegt hat, da eben diese vorgenannten Zeiten gemäß § 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI auf die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren angerechnet werden.

Für die Zeit vom 01.01.1942 bis zum 31.10.1942, während deren die Klägerin im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekom¬menen Beschäftigung gegen Entgelt nachging, erhält sie auch nicht bereits eine Leistung aus einem System der Sozialen Sicherheit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZRBG. –

Auf diese Regelaltersrente hat sie aber entgegen dem angefochtenen Bescheide bereits ab dem 01.07.1997 einen Anspruch. Denn sie hatte den ursprünglichen Rentenantrag am 27.11.2002 gestellt, gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gilt ein bis zum 30.06.2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18.06.1997 gestellt, und dies führt aufgrund des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI und aufgrund dessen, dass § 3 ZRBG gemäß Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäfti¬gungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vom 20.06.2002 (Bundesgesetzblatt Teil I 2002, Seiten 2074, 2075) mit Wirkung vom 01.07.1997 in Kraft getreten ist, dazu, dass die Regelaltersrente auch bereits ab dem 01.07.1997 zu zahlen ist, weil dieser rückwirkenden Gewährung der Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften auch für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 weder § 44 Abs. 4 SGB X noch § 100 Abs. 4 SGB VI entgegensteht:

Diese die Gewährung der Regelaltersrente für den Zeitraum vor dem 01.01.2005 an sich ausschließenden Normen, die an sich von ihrem Wortlaut her wegen des nach § 77 be-standskräftig gewordenen Bescheides vom 05.01.2004 auch den Fall der Klägerin erfas¬sen, sind auf den Fall der Klägerin nicht anzuwenden, da der allgemeine Gleichbehand-lungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) es im Wege richterlicher – aus Verfassungsgründen notwendiger – Rechtsfortbildung zur Überzeugung der Kammer zwin-gend erfordert, die allgemeinen, die Rente von Versicherten beschränkenden Verfahrens- und Ausschlussvorschriften des Sozialrechts (hier § 44 Abs. 4 SGB X und § 100 Abs. 4 SGB VI) nicht anzuwenden. Diese müssen vielmehr zurücktreten zugunsten der hier gebo¬tenen alleinigen Anwendung der Vorschriften des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. Art. 1 § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vom 20.06.2002, wo¬nach der Rentenantrag der Klägerin vom 27.11.2002 als bereits am 18.06.1997 gestellt gilt mit der Folge eines Beginns der Rente schon ab dem 01.07.1997. Dass eine solche von der Kammer vorgenommene Auslegung geboten ist, ergibt sich – auch und gerade unter Berücksichtigung der rechtlichen Grundgedanken der Entscheidung des Bundessozialge-richts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – zur Nichtanwendung von § 306 SGB VI bei sog. Bestandsrentnern, die in Ghettos gearbeitet haben – daraus, dass – ähnlich wie in dieser vorgenannten Entscheidung zu den sog. Vorkämpfern für die Ghettorenten – hier sonst diejenigen aus rassischen Gründen bzw. wegen ihres Glaubens Verfolgten, welche einen Rentenantrag noch fristgerecht vor Juli 2003 stellten, Leistungen aber wie die Klägerin erst ab dem 01.01.2005 erhalten, ohne ausreichenden sachlichen Grund benachteiligt würden gegenüber denjenigen Versicherten bzw. Verfolgten, die ihren Rentenantrag noch vor Juli 2003 stellten, aber davon profitieren konnten, dass ihr Rentenantrag noch nicht vor dem Ergehen der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 bestandskräftig oder rechtskräftig beschieden war, und die infolge dessen die ihnen nunmehr zuerkannten Leistungen rückwirkend bereits ab dem 01.07.1997 erhalten. Für eine Benachteiligung des zuerst genannten Personenkreises besteht zur Überzeugung der Kammer kein vernünftiger Grund, weil es ansonsten angesichts der langwierigen, ca. fünfjährigen Entwicklung der Rechtsprechung der Instanzgerichte, der Landessozialgerichte und des Bundessozialgerichts praktisch nur von Zufällen – nämlich der Verfahrensdauer – abhinge, ob ein Verfolgter mit einem Rentenantrag bis Ende Juni 2003 Rente schon ab dem 01.07.1997 bekommt oder erst ab einem späteren Zeitpunkt. Ob ein Rechtsstreit noch bis in den Juni 2009 und darüber hinaus andauerte oder nicht und ob ein Verfahren anderen Verfahren vorgezogen wurde oder nicht, bis das Bundessozialgericht mit den Urteilen vom 02. und 03.06.2009 dafür sorgte, dass die Auslegung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG normierten Tatbestandsmerkmale der aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung und der gegen Entgelt ausgeübten Beschäftigung jetzt zweifelsfrei geklärt ist (mit der Folge, dass in noch nicht bestandskräftig entschiedenen Verfahren die Beklagte nun in ca. 90 – 95 % aller noch anhängigen Verfahren den Anspruch anerkannte oder zumindest Vergleichsvorschläge unterbreitete), hing angesichts der vieltausendfachen Verfahren (jedenfalls beim Sozialgericht Düsseldorf) letztlich davon ab, wie lang eine Klageakte im Sitzungsfach des Sozialgerichts lag (oder aber im Sitzungsfach eines anderen Sozialgerichts, eines Landessozialgerichts oder des Bundessozialgerichts), ohne dass die Kläger darauf einen entscheidenden Einfluss gehabt hätten. Diese Zufälligkeiten im Zeitablauf dürfen hier nach Auffassung der Kammer keinen Unterschied hinsichtlich der Frage des Rentenbeginns für die von Verfolgung betroffenen Ghettoarbeiter machen. - Die Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X bzw. des § 100 Abs. 4 SGB VI würde insbesondere deshalb eindeutig gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG verstoßen, weil dadurch in der Praxis gerade die Vorkämpfer der heutigen, sich aus den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 02. und 03.06.2009 ergebenden Rechtsauslegung des § 1 ZRBG und die älteren Versicherten, deren Fälle von den Kammern der Sozialgerichte in der Regel vorrangig entschieden wurden, benachteiligt würden, weil ihre Verfahren schon vor dem Ergehen der o. a. Urteile des Bundessozialgerichts vom 02./03.06.2009 rechtskräftig abgeschlossen waren; im letzteren Falle würden zudem gerade die Versicherten, die von einem früheren Rentenbeginn den größten Nutzen hätten und die in der Regel am wenigsten von der Erhöhung des Zugangsfaktors bei einem späteren Rentenbeginn profitieren würden, ohne jeden sachlichen Grund benachteiligt. In der Praxis war es nämlich vielfach so, dass die Verfahren der besonders alten Verfolgten vorgezogen wurden, um ihnen noch zu Lebzeiten eine Entscheidung zukommen zu lassen, damit ihnen im Falle der Stattgabe der Klage möglichst bald die Rente gezahlt werden könnte bzw. damit sie im Falle einer ablehnenden Entscheidung alsbald die Möglichkeit erhielten, die höheren Instanzen anzurufen. Die letztere Fallgestaltung ist ein weiterer – aber nicht primär ausschlaggebender – Gesichtspunkt dafür, dass es gegen das grundgesetzliche Gebot der Gleichbehandlung gleichartig gelagerter Sachverhalte verstoßen würde, wenn manche Verfolgte mit einem Rentenantrag noch vor Juli 2003 die Rente schon ab dem 01. Juli 1997 bekommen und andere Verfolgte mit einem Rentenantrag ebenfalls vor Juli 2003 erst ab 2005 (auf diese Problematik bereits hinweisend V G, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in jurisPR-SozR 3/2010 Anmerkung 4, am Ende). Nach alledem würden letztlich diejenigen Anspruchsberechtigten, die einen erfolglosen Vorprozess führten - möglicherweise sogar in mehreren Instanzen unter Ausschöpfung aller möglichen Rechtsmittel - , diejenigen Anspruchsberechtigten, die im Vertrauen auf die Richtigkeit einer Entscheidung eines Sozialgerichts eine ablehnende Entscheidung nicht anfochten, sowie diejenigen Anspruchsberechtigten, die eine ablehnende Entscheidung der Beklagten im Vertrauen auf die in den Bescheiden zitierten Vorschriften und Urteile hinnahmen - welche alle zu einem früheren Zeitpunkt vor Juni 2009 noch keine Rente zuerkannt bekamen - hier ohne für die Kammer erkennbaren sachlichen Grund wesentlich schlechter gestellt als diejenigen, deren Rentenantrag noch bis in den Juni 2009 hinein einer rechtskräftigen Entscheidung nicht zugeführt war; zu bedenken ist dabei auch, dass die betroffenen Personenkreise keinen nennenswerten steuernden Einfluss auf die Dauer ihres Verfahrens hatten.

Bei verständiger Würdigung von Sinn und Zweck des ZRBG, wie es das Bundessozialge¬richt nun in den Entscheidungen vom 02. und 03.06.2009 ausgelegt hat, ist diesem Gesetz ferner zu entnehmen, dass möglichst alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine Beschäfti¬gung ausgeübt haben, zum frühestmöglichen Zeitpunkt in den Genuss der Rentenzahlung kommen sollen, sofern sie ihren ersten Rentenantrag bis zum 30.06.2003 gestellt haben. Die Kammer sieht sich deshalb auch wegen der gesetzgeberischen Intention, mit diesem Gesetz "für Menschen, die alle bereits ein hohes Alter erreicht haben und gewöhnlich im Ausland leben, eine Lücke im Recht der Wiedergutmachung" zu schließen (so auch das Bundessozialgericht in der vorgenannten Entscheidung vom 03.05.2005), darin bestätigt, hier aus Gründen der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes die anspruchseinschränkenden Normen des § 44 Abs. 4 SGB X und des § 100 Abs. 4 SGB VI nicht anzuwenden, zumal es – da es hier um die Entschädigung für menschenunwürdiges Leben unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft geht, die Menschenwürde aber nach Art. 1 des Grundgesetzes höchstes Gut ist – auch unter Berücksichtigung dieses besonderen Stellenwertes des vom Gesetzgeber gewollten Entschädigungsgedankens (vgl. dazu Bundestags-Drucksache 14/8583, Seite 6) zwingend geboten erscheint, diejenigen Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechtes bzw. des Rentenversicherungsrechtes nicht anzuwenden, die eine Nachzahlung der Rente für Zeiten vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 ausschließen; die Kammer sieht sich dabei auch bestätigt durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum Entschädigungsrecht nach dem Bundesentschädigungsgesetz vom 22.02.2001 (Aktenzeichen: IX ZR 113/00), die in ähnlicher Weise wie die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R – davon ausgeht, dass der Zweck von auf Entschädigung gerichteten Regelungen dahin geht, das zugefügte Unrecht so bald und so weit wie irgend möglich wiedergutzumachen, weshalb eine Gesetzesauslegung, die möglich ist und diesem Ziel entspricht, den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung verdient, die die Wiedergutmachung erschwert oder zunichte machen würde (ähnlich auch schon Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.12.1994 – IX ZR 63/94 -, LM § 35 BEG 1956 Nr. 34 zu II.2).- In die gleiche Richtung geht, worauf die Klägerseite zutreffend hingewiesen hat, auch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.09.1960 - 1 RA 38/60- ( in BSGE 13, 67ff ). Dort hat das Bundessozialgericht ausgeführt: " Das LSG selbst hat das Unbefriedigende seiner Lösung erkannt, glaubte aber, die Klärung des Widerspruchs zwischen dem Wortlaut des Gesetzes und einer echten Wiedergutmachung dem Gesetzgeber überlassen zu müssen. Dabei hat das Gericht jedoch nicht die enge Verbindung zwischen der Stellung der Verfolgten in der Sozialversicherung und ihrer Stellung im allgemeinen Entschädigungsrecht berücksichtigt, eine Verbindung, auf die der Senat schon in einer früheren Entscheidung hingewiesen hat ( BSGE 10 S. 113). Im gesamten Entschädigungsrecht gebührt dem Prinzip der Wiedergutmachung der Vorrang vor formalen Bedenken. Es darf deshalb eine eben noch mögliche Lösung gewählt werden - und ihr gebührt der Vorzug -, die dazu führt, das verursachte Unrecht so weit wie möglich auszugleichen ( vgl. auch BGH, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1955, S. 55, 57 )."

Die rückwirkende Gewährung der Regelaltersrente für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 wird im Falle der Klägerin auch nicht durch die Regelung des § 16 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ¬StiftG) ausgeschlossen; denn die Klägerin hat keine Leistungen nach dem EVZStiftG er¬halten, so dass sich eine Prüfung, ob und ggf. inwieweit der Erhalt von Leistungen nach dem EVZStiftG die Bewilligung von Leistungen unter Anwendung der Normen des ZRBG ausschließt, erübrigt.

Der Anspruch auf die Verzinsung der entsprechend dem Urteil vorzunehmenden Nachzah¬lung für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 31.12.2004 ergibt sich aus der Anwendung der Vorschrift des § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1, 4 SGG.

Die Kammer hat hier nach § 161 Abs. 1 und 2 SGG i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Sprungrevision zugelassen, weil sie die grundsätzliche Bedeutung der streitigen Rechts¬frage, ob die Rente bei Berechtigten des Personenkreises des § 1 des ZRBG in dem Falle, dass der erstmalige Rentenantrag noch vor Juli 2003 gestellt ist, auch dann schon ab dem 01.07.1997 zu gewähren ist, wenn bereits eine bestandskräftig gewordene Ablehnung des Rentenantrages vorlag und die Rente erst danach aufgrund eines Überprüfungsverfahrens unter Anwendung von § 44 SGB X oder des § 100 Abs. 4 SGB VI bewilligt wurde, bejaht. Dazu sind beim Sozialgericht Düsseldorf bereits Verfahren in dreistelliger Anzahl anhängig geworden, und es gehen auch laufend dazu weitere neue Klagen ein.
Rechtskraft
Aus
Saved