S 17 AL 106/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AL 106/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Fließen Arbeitsentgelte aufgrund einer Verzichtsvereinbarungen nicht zu und ist als „Gegenleistung“ der Ausspruch be-triebsbedingter Kündigungen ausgeschlossen und ein Aufleben der Ansprüche bei Insolvenzanmeldung vereinbart, steht der Verzicht unter einer auflösenden Bedingung.

Leben Ansprüche auf Arbeitsentgelt mit dem Eintritt einer auf-lösenden Bedingung (z.B. Insolvenzanmeldung) wieder auf, sind diese erhöhend als Bemessungsentgelt zu berücksichtigen, wenn sie wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht ausgezahlt werden. Ihr Wiederaufleben fällt nicht unter § 131 Abs. 2 Nr. 1 SGB III a.F, wonach Arbeitsentgelte nicht berücksichtigt werden, wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder die im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit vereinbart worden sind.

Tarifvertragliche Konsolidierungsverzichte, die zeitlich in deutli-chem Abstand vor einer Insolvenz vereinbart worden sind, lassen kein missbräuchliches Verhalten zu Lasten der Versicher-tengemeinschaft erkennen.
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 22. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2011 verurteilt, dem Kläger Arbeitslo-sengeld für die Zeit vom 1. Juli bis 3. Juli 2011 unter Berücksichtigung eines um 2.843,82 EUR erhöhten Entgelts im Bemessungszeitraum Juli 2010 bis Juni 2011 zu gewähren. 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers. 3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 01. bis 03. Juli 2011.

Der am XXXX 1979 geborene Kläger arbeitete seit September 1996 als Flachdrucker bei der S-GmbH (im Folgenden Arbeitgeberin) in F. Die S.-Gruppe AG und ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - schlossen zum 01. Juli 2009 einen Konzern-tarifvertrag mit dem Ziel, Produktionskapazitäten abzubauen und Personalkosten einzusparen und so eine existenzbedrohende Situation abzuwenden. In dem Ergeb-nisprotokoll der Verhandlungen vom 24., 25. und 26. Juni 2009 einigten sich Ver.di und die S. -Gruppe u.a. auf folgende Änderungen: "1. Entfall von Einmalzahlungen 1.1 In den tarifgebundenen Unternehmen [ ...] S. -GmbH, entfallen in den kom-menden Jahren dreimal die tariflichen Sonderzahlungen (TJL und ZUG) zu jeweils 50%. Im ersten Jahr 2009/2010 entfallen einmalig die Sonderzah-lungen (TJL und ZUG) zu 53%. Die Auszahlungen für die verbleibenden 47 % bzw. 50 % der Sonderzahlungen werden in den Unternehmen auf Juni und November verteilt. 1.2 [ ] 1.3 Abweichend von dieser Regelung gilt für die S.-GmbH folgende Vereinbarung. Die erste in diese Laufzeit fallende Sonderzahlung (TJL und ZUG) wird zu je 73,5% ausbezahlt."

Der Konzerntarifvertrag (KTV) samt Ergebnisprotokoll galt auch für die Arbeitgeberin des Klägers (§ 1 Abs. 1 KTV) und seine Geltung war bis 30. September 2012 befristet (§ 7 Abs. 2 KTV). Der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen war ab Inkrafttreten des KTV bis zum 31. Dezember 2013 ausgeschlossen (§ 3 Abs. 1 KTV). Nach § 3 Abs. 3 war Folgendes vereinbart: "Meldet die S.-Gruppe AG Insolvenz an, leben die vollen Ansprüche auf die tarif-lichen Leistungen bzw. Entgeltleistungen in sämtlich betroffenen Unternehmen wieder auf. Wenn eines der in § 1 Ziff. 1.1. genannten Unternehmen Insolvenz anmeldet, leben die vollen Ansprüche auf Entgeltleistungen für die von betriebs-bedingten Kündigungen betroffenen Mitarbeiter dieses Unternehmens wieder auf. Die S. -Gruppe AG muss die gekürzten Beträge wieder zurückzahlen. Ver.di hat in diesem Fall ein Recht auf fristlose Kündigung des Tarifvertrages."

Die Arbeitgeberin und ver.di schlossen im Oktober 2009, inkrafttretend zum 01. Juli 2009, einen ergänzenden Firmentarifvertrag Konsolidierung (FTV) und vereinbarten eine Kürzung der tariflichen Jahresleistung 2009, des zusätzlichen Urlaubsgeldes 2010 um 53 %, der tariflichen Jahresleistung 2010 und 2011 sowie des zusätzlichen Urlaubsgeldes 2011 und 2012 um 50 %. In § 3 FTV vereinbarten die Parteien den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 31. Dezember 2013 und das Aufleben der vollen Ansprüche auf die tariflichen Entgeltleistungen bei Insolvenzanmeldung der Arbeitgeberin.

In dem Protokoll über die Tarifverhandlungen bei der S. -Gruppe AG vom 02. Juli 2010 vereinbarten die Tarifparteien in Ergänzung zum KTV (§ 4 KTV), dass die zum 01. April 2010 wirksamen tariflichen Lohn- und Gehaltserhöhungen von 2 % um zwölf Monate verschoben und zum 01. April 2011 wirksam werden. Vorgesehen war außerdem die Absenkung des zusätzlichen Urlaubsgeldes sowie der Jahresleistung für 2010 auf jeweils 20 % und für 2011 auf jeweils 30 % des tariflichen Anspruchs.

Von November 2009 bis Dezember 2010 zahlte die Arbeitgeberin die Konsolidie-rungsbeiträge wie vereinbart nicht an den Kläger und die übrigen tarifgebundenen Beschäftigten aus. Am 18. Januar 2011 beantragten die Arbeitgeberin und die S.-Gruppe AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Die Arbeitgeberin des Klägers und ver.di schlossen am 18. März 2011 eine Vereinba-rung zur Auslegung des KTV, die u.a. folgende Erklärungen enthielt: "§ 1 Auslegung des Konzerntarifvertrags [ ] Aufgrund des in Ziffer 3.3 des Konzerntarifvertrages enthaltenen "Besserungs-scheins" werden die Arbeitnehmer so gestellt, als hätte es die absenkenden tarif-lichen Regelungen nicht gegeben. D.h. es werden 100 % der tariflichen Jahres-sonderzahlungen und 100 % des zusätzlichen tariflichen Urlaubsgeldes pro rata temporis bis zum 31.03.2011 geschuldet. Auch die vom 01. April 2010 und den 01. April 2011 erfolgte Verschiebung der Tariflohnerhöhung um 2 % ist ab dem 01. April 2010 geschuldet. Für die Zeit ab 01. April 2011, d.h. ab Insolvenzeröffnung, gelten die tarifvertrag-lichen Absenkungen nach der Auslegung des § 3 Ziffer 3.3 des Konzerntarifver-trages vom 09.10./13.10./14.10.2009 wieder. Das bedeutet, dass ab dem 01. April 2011 Tariflohnerhöhung nicht mehr erfolgt und die tarifliche Jahressonderzahlung und das zusätzliche tarifliche Urlaubsgeld jeweils nur zu 30% geschuldet werden."

Das Amtsgericht S. eröffnete am 01. April 2011 das Insolvenzverfahren über die Ar-beitgeberin und die S.-Gruppe AG. Der Insolvenzverwalter B. kündigte dem Kläger am 27. Mai 2011 zum 31. August 2011 aus betrieblichen Gründen. Da der Kläger eine neue Arbeitsstelle für Juli 2011 in Aussicht hatte, schloss er am 31. Mai 2011 mit dem Insolvenzverwalter einen Aufhebungsvertrag zum 30. Juni 2011. In einer Abgeltungsklausel regelten die Parteien, dass sämtliche gegenseitige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erledigt seien, mit Ausnahme der Forderungen, die zur Insol-venztabelle angemeldet worden seien.

Am 08. Juni 2011 meldete sich der Kläger persönlich bei der Beklagten mit Wirkung zum 01. Juli 2011 arbeitssuchend und arbeitslos, um die Zeit bis zur Aufnahme der neuen Tätigkeit am 04. Juli 2011 zu überbrücken.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosen-geld für die Zeit vom 01. bis 03. Juli 2011 unter Berücksichtigung der in der Arbeits-bescheinigung angegebenen Entgelte des Klägers von Juli 2010 bis Juni 2011. Sie legte dabei ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 140,65 EUR zugrunde, so dass sich ein täglicher Leistungssatz in Höhe von 61,95 EUR (Lohnsteuerklasse 3, Prozentsatz von 67 %) ergab.

Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Kläger aus, in der Entgeltbescheinigung sei nicht das Entgelt zugrunde gelegt worden, dass er er-halten hätte, wenn die Arbeitgeberin nicht zahlungsunfähig geworden wäre, d.h. die Verzichtsleistungen aus den Sanierungstarifverträgen seien nicht enthalten.

Durch Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2011 wies die Beklagte den Wider-spruch als unbegründet zurück.

Mit der am XXX 2012 beim Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung trägt er vor, er habe wegen der Ver-einbarungen im Tarifvertrag einen Anspruch auf höheres Arbeitsentgelt. Bei der Be-rechnung des Bemessungsentgelts seien die Arbeitsentgelte zugrunde zu legen, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch gehabt habe und die nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen seien. Demnach seien auch solche Entgeltbestandteile, die aufgrund der Verzichtsleistungen in dem Sanierungstarifvertrag nicht ausbezahlt worden seien, zu berücksichtigen. Diese Verzichtsleistung sei in der Entgeltbescheinigung des Insolvenzverwalters nicht berücksichtigt worden und der Verzicht von 2010 auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld und die Tariflohnerhöhung müsse bei der Berechnung seines Arbeitslosengeldes berücksichtigt werden.

Das Gericht hat den Insolvenzverwalter B. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. B. hat eine Liste über die Entgeltbestandteile erstellt, die durch die Insol-venzanmeldung wieder aufgelebt seien und hat angegeben, diese Entgelte seien dem Kläger nicht ausgezahlt, sondern zur Insolvenztabellen angemeldet worden. Auf der Arbeitsbescheinigung für die Agentur für Arbeit habe er nur die ausgezahlten Entgeltbestandteile bescheinigt und nicht die zur Insolvenztabelle angemeldeten Verzichtsbeträge. Im Zuge der Ausstellung sei von Betriebsräten und Gewerkschaft gefordert worden, alle Ansprüche zu bescheinigen, auf die die Arbeitnehmer dem Grunde nach Anspruch gehabt hätten, auch wenn diese nicht zugeflossen seien. Zur Klärung habe er Kontakt zu den zuständigen Arbeitsagenturen aufgenommen. Gemäß dieser Absprache seien in der Arbeitsbescheinigung für den Kläger die nicht ausgezahlten Tariferhöhung um 2 % und die Kürzungen bei den tariflichen Einmal-zahlungen nicht bescheinigt worden. Zur Begründung verwies B. auf die Durchfüh-rungsanweisungen der Beklagten zu § 151 SGB III (§ 131 SGB III a.F. in der bis zum 31.03.2012 geltende Fassung). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Beweis-aufnahme wird auf die Bl. 80/85 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2011 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Juli bis 3. Juli 2011 unter Berücksichtigung eines um 2.843,82 EUR erhöhten Entgelts im Bemessungszeitraum Juli 2010 bis Juni 2011 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung zuzulassen.

Sie trägt vor, die einschränkende Vorschrift des § 151 Abs. 1 Satz 2 SGB III (§ 131 Abs. 1 S. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung) komme nicht zur Anwendung. Die Insolvenz des Arbeitgebers sei nicht alleinige Ursache des unterbliebenen Zuflusses der Tariferhöhung sowie von Teilen der Einmalzahlung, sondern es ging der vorherige Verzicht der Beschäftigten als Konso-lidierungsbeitrag im KTV voraus. Die auflösende Bedingung dieses Verzichts für den Fall der Insolvenz ändere hieran nichts. Nach den Weisungen der Bundesagentur für Arbeit seien diese Entgelte nicht zu berücksichtigen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist auch in der Sache begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung der tariflichen Lohnerhöhung und der Einmalzahlungen, die zur Insolvenztabelle angemeldet sind.

Nach § 118 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) - in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (a.F.) - haben Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Arbeitslos ist gemäß § 119 Abs. 1 SGB III a.F. ein Arbeitnehmer, der (1.) nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäfti-gungslosigkeit), (2.) sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigen-bemühungen) und (3.) den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Ver-fügung steht (Verfügbarkeit). Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger diese Voraussetzungen für die Zeit vom 01. bis 03. Juli 2011 erfüllt und daher dem Grunde nach einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.

Die Höhe des Arbeitslosengeldes beträgt nach § 129 SGB III a.F. für Arbeitslose - in Abhängigkeit zu berücksichtigender Kinder - 67 % bzw. 60 % des pauschalierten Bemessungs¬entgelts. Dieses ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende bei-tragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungs¬rahmen (§ 131 Abs. 1 S. 1 SGB III a.F.). Der Bemessungsrahmen umfasst wiederum ein Jahr und endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 S. 2 III a.F.). Der für den Kläger relevante Bemessungsrahmen geht vom 01. Juli 2010 bis 30. Juni 2011. Der Monat Juni 2011 ist nachweislich trotz der später datierten Abrechnung beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis vollständig abgerechnet gewesen. Laut der Arbeitsbescheinigung hat der Kläger im Bemessungszeitraum ein Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 51.335,83 EUR erzielt, welches von der Beklagten berücksichtigt worden ist.

Allerdings sind zusätzlich die zu der Insolvenztabelle angemeldeten Arbeitsentgelte (tarifliche Lohnerhöhung von 2 % sowie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 2.843,82 EUR) für den Bemessungszeitraum vom 01. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 erhöhend als Bemessungsentgelt zu berücksichtigen (vgl. i.E: SG Reutlingen, Urteil vom 10. Dezember 2012, Az. 3444/11). Nach § 131 Abs. 1 S. 2 SGB III a.F gelten Ar-beitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungs-verhältnis Anspruch hatte, als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zah-lungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind. Der Kläger hat nach Über-zeugung des Gerichts bei seinem Ausscheiden Anspruch auf diese Entgeltbestandteile gehabt. Einer Berücksichtigung dieser Arbeitsentgelte steht nicht der mit dem Insolvenzverwalter geschlossene Aufhebungsvertrag vom 31. Mai 2011 entgegen, da in der Abgeltungsklausel die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen ausdrücklich ausgenommen sind. Die tarifliche Lohnerhöhung von 2 % sowie die Einmalzahlungen hat der Kläger nur teilweise tatsächlich erhalten. Auch die Verzichtsvereinbarungen im KTV samt Protokollen und Ergänzungen sowie in dem FTV können einer Berücksichtigung der zur Insolvenztabelle angemeldeten Arbeitsentgelte nach Überzeugung des Gerichts nicht entgegenstehen. Der Beklagten ist zwar dahingehend zuzustimmen, dass diese Arbeitsentgelte in den Monaten Juli 2010 bis Dezember 2010 aufgrund dieser Verzichtsvereinbarungen nicht zugeflossen sind. Allerdings hat es sich dabei nicht um einen einseitigen Verzicht zum Nachteil der Arbeitnehmer gehandelt, sondern als "Gegenleistung" war der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen bis zum 31. Dezember 2013 ausgeschlossen und ein Aufleben der Ansprüche bei Insolvenzanmeldung vereinbart. Der Verzicht hat daher unter einer auflösenden Bedingung gemäß § 158 Abs. 2 BGB gestanden. Mit Eintritt der auflösenden Bedingungen des § 3 Abs. 3 Satz 1 KTV (Insolvenzanmeldung der S.-Gruppe AG im Januar 2011) und des § 3 FTV (Insolvenzanmeldung der Arbeitgeberin im Januar 2011, Kündigung am 27. Mai 2011) ist der frühere Rechtszustand wieder eingetreten und die Ansprüche des Klägers gegenüber den betroffenen Unternehmen sind wieder aufgelebt. Der Rechtsgrund für die teilweise Einbehaltung des laufenden Arbeitsentgelts ist damit nachträglich weggefallen. Für diese Auslegung spricht im Übrigen auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29. Januar 2008, in der eine Betriebsvereinbarung dahingehend nach §§ 133, 157 BGB ausgelegt worden ist, dass die einbehaltenen Arbeitsentgelte nur - auflösend bedingt durch eine betriebliche Kündigung - gestundet waren (BSG Urteil vom 29. Januar 2008, Az. B 7/7a AL 40/06 R, juris Rn. 10 f.). Folglich haben diese Arbeitsentgelte dem Kläger ab Januar 2011 wieder zugestanden und sind fällig gewesen. Der Zufluss dieser Arbeitsentgelte ist nach Auskunft des Insolvenzverwalters B. ab diesem Zeitpunkt allein wegen der Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin unterblieben und die Ansprüche sind folgerichtig zur Insolvenztabelle angemeldet worden.

Einer Berücksichtigung steht auch nicht § 131 Abs. 2 Nr. 1 SGB III a.F. entgegen, wonach beim Bemessungsentgelt solche Arbeitsentgelte außer Betracht bleiben, die Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder die im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit vereinbart worden sind. Diese Regelung soll verhin-dern, dass sich die Parteien eines Arbeitsverhältnisses nachträglich rückwirkend auf ein höheres Arbeitsentgelt des Betroffenen verständigen, um ein höheres Arbeitslosengeld zu erreichen, ohne dass der Arbeitgeber dies auszahlen muss (Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage, München 2010, § 131, Rn. 13). Eine solche rückwirkende Vereinbarung (nach Insolvenz der Arbeitgeberin oder erst bei Kündigung) über ein höheres Arbeitsentgelt, welches allein zu Lasten der Versichertengemeinschaft geht, ist hier jedoch nicht erfolgt. Aufgrund seines Arbeitsvertrages hat der Kläger ursprünglich von Anfang an einen Anspruch auf die ungekürzten tariflichen Sonderzahlungen sowie die zum 01. April 2010 wirksamen tariflichen Lohn- und Gehaltserhöhungen von 2 % gehabt. Erst durch den von ver.di und der S.-Gruppe AG abgeschlossenen KTV samt Ergebnisprotokoll sowie den von ver.di und der Arbeitgeberin geschlossenen Firmentarifvertrag Konsolidierung sind die tariflichen Sonderzahlungen gekürzt und die tarifliche Lohn- und Gehaltserhöhung um ein Jahr verschoben worden. Diesen "freiwilligen" Kürzungen haben die durch ver.di vertretenen Arbeitnehmer nur unter der Bedingung zugestimmt, dass das Unternehmen keine Insolvenz anmeldet und betriebsbedingte Kündigungen bis 31. Dezember 2013 ausgeschlossen sind. Folglich handelt es sich vorliegend nicht um Arbeitsentgelte, die im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit vereinbart worden sind, sondern um Arbeitsentgelte, auf die die Arbeitnehmer wegen der Insolvenzanmeldung und der bevorstehenden Arbeitslosigkeit (doch) nicht verzichten müssen. Dieser zeitliche Ablauf ändert sich auch nicht durch die nach Insolvenzanmeldung erfolgte Vereinbarung zur Auslegung des KTV vom 18. März 2011, in der ein Teil der ursprünglichen Vereinbarung klarstellend wiederholt wird ("als hätte es die absenkenden tariflichen Regelungen nicht gegeben") und im Übrigen nur weitere Verzichte für die Zeit ab Insolvenzeröffnung im April 2011 zu Lasten der Arbeitnehmer geregelt werden.

Ein missbräuchliches Verhalten zu Lasten der Versichertengemeinschaft kann das Gericht nicht erkennen. Die Konsolidierungsverzichte sind von ver.di, der S.-Gruppe AG und der Arbeitgeberin zirka 18 Monate vor der Insolvenz vereinbart worden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Scheitern der Konsolidierung bereits absehbar gewesen wäre und die Vereinbarungen schon im Hinblick auf eine sichere Insolvenz der Arbeitgeberin getroffen worden sind. Hinzu kommt, dass der Entgeltverzicht nur zeitlich begrenzt unter einer auflösenden Bedingung gestanden hat und die Ansprüche der Arbeitnehmer nicht in jedem Fall bei Insolvenz und Kündigung wieder aufgelebt wären. Der KTV endete am 30. September 2012 und der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen endete am 31. Dezember 2013. Eine spätere Insolvenzanmeldung oder betriebsbedingte Kündigung hätte damit nicht zur Fälligkeit der Entgeltansprüche geführt. Im Übrigen ist nicht ausgeschlossen, dass die zur Insolvenztabelle angemeldeten Entgeltforderungen zumindest zum Teil im Rahmen des Insolvenzverfahrens befriedigt werden.

Das Gericht übersieht dabei nicht, dass für die zur Insolvenztabelle angemeldeten, wiederaufgelebten Arbeitsentgeltansprüche keine Beiträge zur Arbeitslosenversiche-rung entrichtet worden sind. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber jedoch mit § 131 Abs. 1 S. 2 SGB III a.F. bewusst eine Regelung zugunsten des Arbeitslosen getroffen. Soweit sich die Beklagte und der Insolvenzverwalter auf die Durchführungsanweisungen der Beklagten berufen, handelt es sich dabei um interne Veraltungsvorschriften, die für das Gericht nicht bindend sind.

Aus diesen Gründen ist der am 01. Juli 2011 entstandene Arbeitslosengeldanspruch des Klägers höher, als von der Beklagten berechnet. Der Anspruch des Klägers ist daher aus einem um 2843,82 EUR höheren Bemessungsentgelt zu berechnen. Nach der Probeberechnung der Beklagten im Verfahren ergäbe sich daraus ein tägliches Arbeitslosengeld von 64,60 EUR (statt 61,95 EUR).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

3. Der Berufungsstreitwert von 750,- EUR wird aufgrund der kurzen Bezugsdauer nicht erreicht. Die Kammer geht jedoch im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung von § 131 Abs.1 S. 2 und Abs. 2 Nr. 1 SGB III in der Fassung bis 31. März 2012 (§ 151 SGB III neue Fassung) auf Konsolidierungs-Tarifverträge von einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache aus und lässt die die Berufung daher nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu.
Rechtskraft
Aus
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