S 38 KA 5197/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 5197/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Disziplinarbescheid der Beklagten vom 17.08.2011. Der Klägerin wurde eine Geldbuße in Höhe von 1000.- EUR auferlegt. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die AOK habe die Einleitung eines Disziplinarverfahrens beantragt. Im Zeitraum 1/2006 - 4/2008 sei es zu Vergütungsberichtigungen im KCH-Bereich in Höhe von 50.102,03 EUR gekommen. In der Sitzung des Disziplinarausschusses wurde ausgeführt, die Klägerin habe in der Praxis sehr wenig Prothetik angefertigt. Der Schwerpunkt liege in der Behandlung von Kindern. Gleichwohl gelangte die Beklagte zu dem Ergebnis, dass das nach ihrer Auffassung unwirtschaftliche Verhalten der Klägerin disziplinarisch zu sanktionieren sei. Denn die Vergütungsberichtigungen für die Quartale 1/2006 bis 4/2008 seien bestandskräftig. Ohne weitere Prüfung dürfe der Disziplinarausschuss die Entscheidung der Prüfinstanzen zu Grunde legen (§ 12 Abs. 1 S. 1 Disziplinarordnung). Außerdem wurde wie folgt ausgeführt: "Anhaltspunkte dahingehend, dass die durch die Prüfgremien getroffene Beurteilung mit offensichtlichen und gravierenden Mängeln behaftet ist, waren für den Disziplinarausschuss nicht ersichtlich". Bei der Feststellung von Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme dürfe nicht unbeachtet bleiben, dass die Klägerin das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise über einen sehr langen Zeitraum missachtet und die Vergütungsberichtigungen akzeptiert habe, ohne dass es zu einer Verhaltensänderung gekommen sei.

Dagegen ließ die Klägerin Klage zum Sozialgericht München einlegen. In Wiederholung des Vorbringens im Verwaltungsverfahren wurde darauf aufmerksam gemacht, wegen der vollkommen anderen Zusammensetzung des Klientels in der klägerischen Praxis (Schwerpunkt: Behandlung von Kindern) bestünden erhebliche Zweifel, ob überhaupt die richtige Datengrundlage, auf deren Basis die Wirtschaftlichkeitsprüfung gegen die Klägerin durchgeführt worden sei, zutreffend sei. Die Klägerin sei nämlich mit Praxen verglichen worden, die sich ausschließlich aus den Abrechnungsdaten der Behandlung Erwachsener zusammensetzten. In der klägerischen Praxis stehe aber die Behandlung eines am Milchzahn- und Wechselgebiss erkrankten Kindes oder Prophylaxeleistungen an gesunden Kindern im Vordergrund. Notwendige Sanierungen würden komprimiert in kurzer Zeit auch unter ITN (Mitwirkung einer in der Praxis angestellten Anästhesistin) durchgeführt. Damit unterscheide sich die Behandlungsweise in der klägerischen Praxis erheblich, woraus sich die zwangsläufig überdurchschnittlich hohen Fallwerte erklären ließen. Insofern sei eine ungeeignete Prüfmethode zur Anwendung gelangt.

Der Disziplinarausschuss hätte den Sachverhalt eigenständig ermitteln und in Würdigung aller Umstände entscheiden müssen. Ein Vertragspflichtverstoß sei angesichts der Stellungnahmen im Zusammenhang mit dem Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren nicht gegeben. Die Beklagte habe sich nicht lediglich auf die Ergebnisse der Prüfungsgremien stützen dürfen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin führte außerdem wie folgt aus: "Allein das nicht zur Wehr setzen gegen einen Bescheid, dessen Berechnungsgrundlage bereits auf die Praxis der Klägerin nicht anwendbar ist, ist nicht als Zugeständnis zu werten, und hätte als belastendes Argument zu Lasten der Klägerin nicht verwertet werden dürfen." Im Übrigen sei in § 12 Abs. 2 der Disziplinarordnung der Beklagten ausdrücklich festgehalten, dass eine Bindungswirkung durch Entscheidungen anderer Behörden und Verwaltungsstellen für den Disziplinarausschuss gerade nicht bestehe.

In Erwiderung wiederholte die Beklagte ihre Auffassung, eine eigene Prüfung durch den Disziplinarausschuss erübrige sich, wie aus der Bestimmung des § 12 Abs. 1 der Disziplinarordnung der Beklagten folge. Dem Wortlaut des § 12 Abs. 2 der Disziplinarordnung der Beklagten sei zwar zu entnehmen, dass andere Behördenentscheidungen keine Bindungswirkung auslösten. Diese Regelung gelte jedoch nicht uneingeschränkt, da die höherrangige Bestimmung des § 77 SGG und die höchstrichterliche Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 18.08.1972,Az. 6 RKa 4/72) zu beachten seien.

In der mündlichen Verhandlung am 09.01.2014 wurde auf Frage des Gerichts mitgeteilt, die Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Vergütungsberichtigungen im Zeitraum 1/06 bis 4/08 hätten sich überwiegend auf Einzelleistungen bezogen. Dabei seien jeweils Restüberschreitungen von über 100 % bei den Einzelleistungen belassen worden.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin betonte, bei § 12 Abs. 1 der Diszipli-narordnung der Beklagten handle es sich um eine "Kann-Bestimmung". Der Dis-ziplinarbescheid der Beklagten lasse eine differenzierte Betrachtung der Schuldhaftung nicht erkennen. Insofern liege ein Ermessensausfall vor.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte den Antrag, den Disziplinarbescheid vom 17.08.2011 aufzuheben. Außerdem wurde beantragt, der Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 09.01.2014 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 17.08.2011 ist rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Entscheidung der Beklagten ist § 81 Abs. 5 SGB V in Verbindung mit §§ 1 ff. der Disziplinarordnung der Beklagten. Nach §§ 1, 2 Disziplinarordnung der Beklagten kann der Disziplinarausschuss eine Verwarnung oder einen Verweis oder eine Geldbuße bis zu dem sich aus § 81 Abs. 5 SGB V ergebenden Höchstbetrag auferlegen oder das Ruhen der Zulassung nach Maßgabe des § 81 Abs. 5 SGB V anordnen, wenn Mitglieder oder Ermächtigte ihre vertragszahnärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen.

Nach Auffassung des Gerichts liegt eine objektive Pflichtverletzung vor. Für das Gericht steht fest, dass die Behandlungsweise der Klägerin eine über einen sehr langen Zeitraum fortbestehende Unwirtschaftlichkeit erkennen lässt. Die Prüfungsgremien haben in den Quartalen 1/2006 bis 4/2008 Vergütungsberichtigun-gen in beachtlicher Höhe (50.102,03 EUR) ausgesprochen. Die hierzu ergangenen Bescheide der mehreren Wirtschaftlichkeitsprüfungen sind - was unstreitig ist - bestandskräftig. Von der Bestandskraft dieser Bescheide geht eine sogenannte Tatbestandswirkung aus, wie sich auch aus der gesetzlichen Regelung des § 77 SGG ergibt. Danach ist geregelt, dass der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend ist, wenn der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Der "Beteiligten"- Begriff ist hierbei extensiv zu verstehen. Beteiligt sind alle, die von dem Verwaltungsakt betroffen werden, auch sogenannte Drittbetroffene (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, Rn 4a und § 77). Die Folgen der Tatbestandswirkung sind in zweierlei Hinsicht zu beachten. Zum einen erübrigt es sich für den Disziplinarausschuss, eigene Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen. Zum anderen kann der von der Wirtschaftlichkeitsprüfung betroffene Arzt/Zahnarzt nicht mehr mit dem Einwand gehört werden, er handle wirtschaftlich und die Wirtschaftlichkeitsprü-fungsmaßnahmen seien rechtswidrig (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 23.11.1999, Az. L 6 KA 16/99). Dies erscheint nicht nur im Interesse der Rechtssicherheit und der Wiederherstellung des Rechtsfriedens sachgerecht, sondern trägt auch der Überlegung Rechnung, dass den paritätisch besetzten Prüfungsgremien allein aufgrund ihrer Sachkunde die Aufgabe vom Gesetzgeber zugewiesen wurde, die Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise zu prüfen (§ 106 SGG i.V.m. §§ 1 ff. Prüfvereinbarung). Es ist nicht originäre Aufgabe des Disziplinarausschusses, statt derer die Wirtschaftlichkeitsprüfungen erneut "aufzurollen". Von den Entscheidungen der Prüfgremien kann allerdings dann keine Bindungswirkung / Tatbestandswirkung ausgehen, wenn diese nichtig, zumindest aber offensichtlich rechtswidrig sind. In einem solchen Fall ist der Disziplinarausschuss verpflichtet, eigene Ermittlungen zum Sachverhalt anzustellen. Von einer Nichtigkeit oder offensichtlichen Rechtswidrig ist jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht auszugehen. Wie sich der Beklagtenakte, die die Bescheide des Beschwerdeausschusses enthält, und den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entnehmen lässt, wurden in der Hauptsache statistische Einzelprüfungen durchgeführt. Der Beschwerdeausschuss hat dargetan, der hohe Anteil von Familienmitgliedern, was jetzt erneut von der Klägerseite geltend gemacht wird, sei berücksichtigt worden. Mitunter wurde ein Spezialvergleich zu den Bezugsleistungen hergestellt. Bei einzelnen Leistungen fand auch eine beispielhafte Einzelfallprü-fung statt. Der Klägerin wurden i.d.R. hohe Restüberschreitungen von weit über 100 %, z.T von beinahe 200 % belassen. Dies alles macht deutlich, dass sich der Beschwerdeausschuss mit den geltend gemachten Besonderheiten auseinandergesetzt hat und diesen auch Rechnung getragen wurde, was sich den belassenen Restüberschreitungen ablesen lässt. Eine Notwendigkeit, sich einer anderen "Prüfmethode" zu bedienen, ist trotz des Schwerpunktes in der Behandlung von Kindern nicht ersichtlich. Folglich ist eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Entscheidungen über die Wirtschaftlichkeitsprüfungen, geschweige denn eine Nichtigkeit dieser nicht erkennbar.

Der Annahme einer Tatbestandswirkung scheinen die Regelungen des § 12 Disziplinarordnung der Beklagten entgegenzustehen. § 12 Abs. 1 der Disziplinarord-nung lautet wie folgt: "Der Disziplinarausschuss kann die Ermittlungen und Entscheidungen anderer Behörden und Verwaltungsstellen (z.B. Berufsgerichte, Sozialgerichte, Staatsanwaltschaften, Gerichte, Zulassungs- und Prüfinstanzen, Gutachtergremien etc.) auch ohne weitere Prüfung seinen Entscheidungen zu Grunde legen und deren Akten in seine Ermittlungen mit einbeziehen. In § 12 Abs. 2 Disziplinarordnung ist bestimmt, dass eine Bindungswirkung durch Entscheidungen anderer Behörden und Verwaltungsstellen für den Disziplinarausschuss nicht besteht. Danach - es handelt sich um eine sogenannte "Kann" – Vorschrift - steht es im Ermessen des Disziplinarausschusses, ob er weitere Ermittlungen anstellt. Aufgrund des sich aus Art. 20 Grundgesetz ergebenden Grundsatzes über Vorrang des Gesetzes gilt, dass die Regelung des § 77 SGG der Regelung des § 12 der Disziplinarordnung der Beklagten vorgeht. Somit kann nicht, gestützt auf § 12 Abs. 1 Disziplinarordnung der Beklagten – ein Ermessensausfall eingewandt werden.

Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen sollte, ist festzustellen, dass sich der Disziplinarausschuss sehr wohl mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob ausnahmsweise die sich aus den bestandskräftigen Bescheiden über die Wirtschaftlichkeitsprüfungen ergebende Tatbestandswirkung dem Disziplinarverfahren nicht zugrunde zu legen ist. Dies lässt sich der Bescheidbegründung entnehmen, wonach Anhaltspunkte dahingehend, dass die durch den Prüfgremien getroffene Beurteilung mit offensichtlichen und gravierenden Mängeln behaftet ist, für den Disziplinarausschuss nicht ersichtlich waren. Insofern wurden von der Beklagten Ermessenserwägungen angestellt.

Zum Tatbestand gehört auch der subjektive Tatbestand, der nach Auffassung des Gerichts ebenfalls zu bejahen ist. Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme setzt voraus, dass ein Verschulden vorliegt. Ausreichend ist auch eine fahrlässige Pflichtverletzung. Die unwirtschaftliche Behandlungsweise legt nahe, dass diese zumindest fahrlässig geschah.

Auch die Verhängung der Geldbuße in Höhe von EUR 1000.- ist nach Auffassung des Gerichts rechtlich nicht zu beanstanden. Art und Umfang der Disziplinarmaßnahme nach § 81 Abs. 5 SGB V stehen im Ermessen der Verwaltung und sind daher vom Gericht nur eingeschränkt nachprüfbar. Die Maßnahme muss aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Dies ist der Fall, zumal es sich insgesamt um eine nicht unerhebliche Kürzungssumme handelte und die dem Disziplinarbescheid zu Grunde gelegte Dauer der Unwirtschaftlichkeit die ausgesprochene Maßnahme in Art und Umfang angemessen erscheinen lässt.

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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