L 11 EG 4648/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 EG 195/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 EG 4648/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10.03.2010 und der Bescheid der Beklagten vom 16.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2009 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Elterngeld in gesetzlicher Höhe für 12 Lebensmonate ab der Geburt ihrer Tochter J. N. (12.08.2009 bis 11.08.2010) zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Elterngeld von der Beklagten.

Die am 06.12.1970 geborene Klägerin ist US-amerikanische Staatsangehörige und Mutter der am 19.01.2006 geborenen M. I. und der am 12.08.2009 geborenen J. N ... Seit dem 27.05.1998 ist die Klägerin mit dem US-amerikanischen Staatsangehörigen J. D. verheiratet, der Mitglied einer in Deutschland stationierten Truppe der NATO-Streitkräfte gewesen ist. Die Eheleute hatten ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik von 2001 bis Ende 2011. Beide Kinder lebten in dieser Zeit im Haushalt der Eheleute in H. und wurden von der Klägerin betreut.

Die Klägerin war in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Geburt ihrer Tochter J. jahrelang versicherungspflichtig beschäftigt, vom 01.07.2002 bis 31.03.2008 bei der S. I. GmbH (H.) und ab dem 01.04.2008 bis zum Ende ihres Aufenthalts in Deutschland am 17.11.2011 bei der S. Deutschland AG & Co. KG als Business Senior Manager-Consulting; anschließend arbeitet sie seit dem 01.01.2012 für S. in den USA. Sie war während ihrer Zeit in der Bundesrepublik sozialversichert beschäftigt, privat kranken- und pflege(pflicht)versichert. Sie erhielt von der Familienkasse Kindergeld für beide Kinder.

Der Ehemann der Klägerin unterlag während der Zeit in der Bundesrepublik dem NATO-Truppenstatut (NATOTrStat, engl. NATO Status of Forces Agreement – NATO SOFA). Die Klägerin verfügte über eine sog SOFA-Card, die Angehörige erhalten, um dieselben Privilegierungen wie Truppenangehörige zu erhalten, insb von ausländer- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen befreit zu sein.

Am 29.10.2009 (Bl 25 Verwaltungsakte) beantragte die Klägerin bei der Beklagten Elterngeld für 12 Monate, zunächst ab dem 2. Lebensmonat, später korrigiert für den Zeitraum ab Geburt ihrer Tochter J. N. (12.08.2009 bis 11.08.2010).

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16.11.2009 ab (Bl 54 Verwaltungsakte). Die Klägerin sei weder deutsche Staatsangehörige noch Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz. Es fehle an einer Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige oder berechtigt habe. Ohne die entsprechende Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis habe sie daher keinen Anspruch auf Elterngeld.

Hiergegen legte die Klägerin am 08.12.2009 Widerspruch ein. Als Ehefrau eines Angehörigen der US-Armee sei auf sie das NATO-Truppenstatut anwendbar, weshalb sie keine Aufenthaltserlaubnis benötige. Gemäß § 9 Nr 13 der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung - ArGV) benötige sie als Angehörige eines Truppenangehörigen der NATO in Verbindung mit Art 6 Abs 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (BGBl 1961 Seite 1183, 1218) auch keine Arbeitserlaubnis. Sie bekomme daher auch keine extra Arbeitserlaubnis/Aufenthaltserlaubnis. Sie sei bereits acht Jahre versicherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt und habe aufgrund Ihres Status als Ehefrau eines Angehörigen der US-Truppen sogar ein viel stärkeres Aufenthaltsrecht als andere in Deutschland tätige Ausländer, die auch berechtigt seien, Elterngeld zu empfangen. Sollte sie kein Elterngeld bekommen, stelle dies eine unzulässige Diskriminierung dar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2009 (Bl 69 Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach § 1 Abs 7 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG) sei ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person einen der in dieser Vorschrift genannten Aufenthaltstitel besitze. Die Klägerin habe keine Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige oder berechtigt habe. Zwar benötige sie, um eine Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland ausüben zu können, keine Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsgenehmigung; jedoch würden die Voraussetzungen für den Bezug von Elterngeld von der Klägerin nicht erfüllt. Die Formulierung des Gesetzes lasse es nicht zu, bei fehlendem Besitz der genannten Aufenthaltstitel Elterngeld als Ermessensleistung zu gewähren. Sozialleistungen wie das Elterngeld dürften aber nur aufgrund einer gesetzlichen Grundlage gewährt werden. Dies gelte selbst bei Vorliegen eines Härtefalles (unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 09.09.1992, 14b/4 REg 16/91 zum Bundeserziehungsgeldgesetz).

Am 18.01.2010 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Gegen die Auffassung der Beklagten würden der Sinn und Zweck des BEEG sprechen, wie er sich aus der maßgeblichen Bundestagsdrucksache 16/2454, Seite 12, vorletzter Absatz zu Nr 4 ergebe. Auch die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 02.10.1997, 14/10 RKg 12/96) und die Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Senatsurteil vom 28.04.2009, L 11 EL 5023/08, stütze ihre Auffassung. Die Gesetzesbegründung verweise darauf, dass Ansprüche der NATO-Truppenmitglieder und ihrer Angehörigen nicht grundsätzlich ausgeschlossen seien. Ehegatten, bei denen zusätzliche Umstände vorlägen, durch die rechtliche Beziehungen zur sozialen Sicherheit und Fürsorge in der Bundesrepublik hergestellt würden, hätten einen Anspruch auf deutsche Familienleistungen. Dies sei der Fall, wenn der Ehegatte sozialversicherungspflichtig erwerbstätig sei. Es könne keinen Unterschied machen, ob es sich bei dem Angehörigen eines Truppenmitglieds der US-Truppen, der in Deutschland einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehe, um einen Deutschen, EG-Ausländer oder um einen US-Staatsbürger handele. Anderenfalls liege ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Grundgesetz vor.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Gewährung von Elterngeld für Mitglieder der in Deutschland stationierten ausländischen NATO-Streitkräfte, des zivilen Gefolges und ihrer Angehörigen stehe Art 13 Abs 1 Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut entgegen. NATO-Truppenangehörigen werde ähnlich wie konsularischen oder diplomatischen Angehörigen eine besondere Rechtsstellung eingeräumt. Als Kehrseite dieses besonderen Schutzes und der Herausnahme aus den Verpflichtungen im jeweiligen Land ergebe sich allerdings auch die Nichtbegünstigung bei vorteilhaften Regelungen des Vertragsstaates. Nach der Rechtsprechung des BSG könne zwar davon abweichend ein Anspruch auf Leistungen in Fragen der sozialen Sicherheit und Fürsorge bestehen, wenn die Klägerin sozialversicherungspflichtig erwerbstätig sei. Darüber hinaus müssten die weiteren gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen des BEEG erfüllt werden. Die Klägerin sei zwar sozialversicherungspflichtig beschäftigt, erfülle jedoch nicht die weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs 7 BEEG. Sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann hätten beide die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. Damit benötigten sie eine der in § 1 Abs 7 BEEG aufgeführten Aufenthaltserlaubnisse, um Elterngeld zu erhalten. Hierbei sei es unerheblich, ob eine solche faktisch überhaupt erteilt werden könne. Dem Deutschen Bundestag sei die Problematik der NATO-Angehörigen bekannt gewesen. Dies ergebe sich aus der Drucksache des Deutschen Bundestages 16/2454. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass auch im Falle der Klägerin Anspruch auf Elterngeld bestünde, hätte er die entsprechenden Änderungswünsche des Bundesrates mit in das BEEG aufnehmen können. Mit der dort aufgeführten Regelung wäre die Klägerin anspruchsberechtigt. Der Gesetzgeber habe sich jedoch bewusst gegen diese Regelung entschieden.

Mit Urteil vom 10.03.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig und würden die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen. Sie habe keinen Anspruch auf Elterngeld anlässlich der Geburt ihrer Tochter J. N ... Die Klägerin sei zwar nicht vom Anwendungsbereich des BEEG ausgenommen. Es fehle aber an der durch § 1 Abs 7 BEEG aufgestellten Voraussetzung eines entsprechenden Aufenthaltstitels. Von diesem Erfordernis könne nicht abgesehen werden. Von den Einschränkungen des § 1 Abs 7 BEEG seien nur Unionsbürger sowie alle sonstigen Ausländer ausgenommen, die aufgrund inter- oder supranationaler Vereinbarungen dieselbe Freizügigkeit wie Unionsbürger genießen würden. Hierzu gehörten neben den EU-/EWR-Bürgern Staatsangehörige Islands, Lichtensteins und Norwegens und Staatsangehörige der Schweiz aber nicht US-Amerikanische Staatsangehörige. Im Gesetzgebungsverfahren sei dies gesehen und bewusst so geregelt worden. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes liege darin nicht.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 17.03.2010 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat die Klägerin am 15.04.2010 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt (L 11 EG 1794/10). Mit Beschluss vom 28.05.2010 ist auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden.

Am 07.11.2012 hat die Beklagte das Verfahren wieder aufgerufen, welches unter dem Az L 11 EG 4648/12 fortgeführt worden ist.

Die Klägerin hat zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Es liege eine Regelungslücke bzw eine nicht sachgerechte Auslegung des § 1 Abs 7 BEEG vor. Die Gesetzesmaterialien würden zeigen, dass sie nicht ausgeschlossen werden sollte. Sie könne außerdem gar nie in den Besitz eines Aufenthaltstitels gelangen, weil sie freizügigkeitsberechtigte Ausländerin sei. Sie sei durchgehend sozialversicherungspflichtig erwerbstätig gewesen. Mit ihrer SOFA-Card dürfe sie unbeschränkt ein- und ausreisen und unterliege noch nicht einmal den deutschen Meldegesetzen. Sie könne daher auch keinen Aufenthaltstitel erhalten. Die rein formale Anknüpfung der Beklagten sei nicht geeignet, eine Prognose hinsichtlich des Daueraufenthalts vorzunehmen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10.03.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 16.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Elterngeld in gesetzlicher Höhe für 12 Lebensmonate ab der Geburt ihrer Tochter J. N. (12.08.2009 bis 11.08.2010) zu gewähren,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Sie nimmt auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide und die Ausführungen des SG Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf Elterngeld anlässlich der Geburt ihrer Tochter J. N ...

Das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz – BEEG) ist anwendbar. Die Klägerin ist bis zur Geburt ihrer Tochter J. N. in der Bundesrepublik sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen und ist daher, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, nicht vom Anwendungsbereich des BEEG ausgenommen. Auf Angehörige von NATO-Truppenmitgliedern ist der Erste Abschnitt des BEEG über das Elterngeld anwendbar, wenn sie vor der Geburt des betreuten Kindes durch Erwerbstätigkeit Einkommen außerhalb des Bereichs der NATO-Truppen erzielt haben, das bei der Bemessung des Elterngelds zu berücksichtigen ist (vgl eingehend BSG 30.09.2010, B 10 EG 11/09 R, BSGE 107, 10, SozR 4-6180 Art 13 Nr 1).

Anspruch auf Elterngeld hat nach § 1 Satz 1 BEEG, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, 2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Die in § 1 Abs 1 BEEG aufgestellten Voraussetzungen sind sämtlich erfüllt, da die Klägerin im fraglichen Zeitraum ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt (dazu sogleich) und mit ihrer Tochter J. N. in einem Haushalt gelebt, dieses Kind selbst betreut und erzogen hat und selbst keine (volle) Erwerbstätigkeit ausgeübt hat.

Insbesondere hatte die Klägerin im fraglichen Zeitraum ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 1 SGB I) bereits seit Jahren in der Bundesrepublik. Art. III Abs 1 Satz 2 2. Halbsatz NATOTrStat (englisch NATO SOFA) steht dem nicht entgegen. Danach sind NATO-Truppenmitglieder (und Inhaber eines sog SOFA-Ausweises oder SOFA-Stempels wie die Klägerin) von den Bestimmungen des Aufnahmestaates über die Registrierung und Kontrolle von Ausländern befreit, erwerben jedoch keinerlei Recht auf ständigen Aufenthalt oder Wohnsitz in den Hoheitsgebieten des Aufnahmestaates. Damit ist indes lediglich zum Ausdruck gebracht, dass sie keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besitzen. Über die Frage, ob die entsprechenden Personen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, sagt die Vorschrift nichts aus. Dies richtet sich ausschließlich nach den tatsächlichen Verhältnissen; er hat mit der in Art. III Abs 1 Satz 2 2. Halbsatz NATOTrStat angesprochenen Frage eines Rechts zum ständigen Aufenthalt nichts zu tun (Bayerischer VGH 30.01.2012, 12 BV 11.1787, juris Rn 25).

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 30 Abs 3 Satz 1 SGB I). Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs 3 Satz 2 SGB I). Dies ist im fraglichen Zeitraum bei der Klägerin der Fall gewesen. Für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer gilt gemäß § 37 Satz 1 SGB I iVm § 68 Nr 15 SGB I wegen der Besonderheiten des § 1 Abs 7 BEEG ein spezialgesetzlicher Prognosetatbestand (vgl eingehend BSG 03.12.2009, B 10 EG 6/08, juris Rn 50 ff zur inhaltlich entsprechenden Regelung des § 1 Abs 6 BErzGG). Die Klärung der Frage, ob ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer voraussichtlich auf Dauer in Deutschland bleibt, ist anhand der Maßstäbe zu beurteilen, die sich in der hierzu erlassenen spezielleren Regelung (hier § 1 Abs 7 BEEG) finden (vgl BSG 03.12.2009, B 10 EG 6/08, juris Rn 56).

§ 1 Abs 7 BEEG steht dem Anspruch nicht entgegen, sondern muss vorliegend in entsprechender Weise (analog) auf die Klägerin angewendet werden.

Nach § 1 Abs 7 BEEG ist eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin nur anspruchsberechtigt, wenn sie 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt, 2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde a) nach § 16 oder 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt, b) nach § 18 Abs 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden, c) nach § 23 Abs 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23 a, 24, 25 Abs 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt, d) nach § 104 a des Aufenthaltsgesetzes erteilt oder 3. eine in Nr. 2 c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und a) sich seit mindestens 3 Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält. Die weitere im Gesetz enthaltene Voraussetzung "b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt" ist nichtig (BVerfG 10.07.2012, 1 BvL 2/10 ua, BGBl I S 1898).

Die Klägerin ist, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin im Sinne des § 1 Abs 7 BEEG. Der Begriff "Freizügigkeit" iS des § 1 Abs 7 BEEG definiert sich aus dem europarechtlichen Kontext. Er bedeutet das grundsätzliche Recht der EU-Bürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Artikel 18 Abs 1 EGV). Von den Einschränkungen des § 1 Abs 7 BEEG sind nicht nur Unionsbürger, sondern auch alle sonstigen Ausländer ausgenommen, die aufgrund inter- oder supranationaler Vereinbarungen dieselbe Freizügigkeit wie Unionsbürger genießen. Hierzu gehören neben den EU-/EWR-Bürgern Staatsangehörige Islands, Lichtensteins und Norwegens (Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 02.05.1992 in der Fassung des Anpassungsprotokolls vom 17.03.1993) und Staatsangehörige der Schweiz (Abkommen zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit). Die Klägerin als US-Amerikanische Staatsangehörige fällt nicht hierunter.

Es fehlt zwar an der zusätzlich durch § 1 Abs 7 BEEG aufgestellten Voraussetzung eines entsprechenden Aufenthaltstitels. Unstreitig ist die Klägerin nicht im Besitz eines solchen Aufenthaltstitels, denn aufgrund von Art III Abs 1 NATOTrStat benötigt sie keinen, da sie von den entsprechenden ausländer- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen befreit ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG liegt nach Auffassung des Senats eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz vor, die eine analoge Anwendung der Vorschrift rechtfertigt, wodurch der Gesetzeszweck erreicht wird. Dh, die Klägerin ist anspruchsberechtigt, obwohl sie über keinen der in der Vorschrift genannten Aufenthaltstitel verfügt.

Die Klägerin hat während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik über eine Rechtsposition verfügt, die derjenigen des in § 1 Abs 7 BEEG genannten Personenkreises entsprochen hat, teilweise auch über die Rechtspositionen der in § 1 Abs 7 BEEG genannten Personen hinausgeht.

Entgegen der Auffassung des SG ist es nicht unerheblich, dass die Klägerin die in § 1 Abs 7 BEEG genannten Aufenthaltstitel als Angehörige eines NATO-Truppenmitglieds gar nicht erhalten kann. Der Gesetzgeber hat hier einen Rechtskreis völlig ausgeblendet, obwohl die Rechtsstellung der betreffenden Personen sich nicht in wesentlicher Weise von den in § 1 Abs 7 BEEG genannten unterscheidet.

Rechte und Pflichten der Streitkräfte aus NATO-Staaten, die in Deutschland auf Grundlage des Aufenthaltsvertrages dauerhaft stationiert sind, richten sich nach den stationierungsrechtlichen Regelungen des NATOTrStat vom 19.06.1951 (Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen, BGBl II 1961, 1190) sowie des Zusatzabkommens zum NATOTrStat vom 03.08.1959 (Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen, BGBl II 1961, 1183, 1218). Das Zusatzabkommen wurde nach der Herstellung der deutschen Einheit durch das Abkommen vom 18.03.1993 (BGBl II 1994, 2594, 2598) angepasst.

Auch Familienangehörige von NATO-Truppenmitgliedern halten sich aufgrund der völkerrechtlichen Regelungen des NATOTrStat in der Bundesrepublik auf (vgl Hailbronner, Handbuch Ausländerecht, 2. Aufl. 1989 Rn 45, 250, 846). Die Klägerin ist aufgrund des Art. 6 des Zusatzabkommens zum NATOTrStat von den ausländer- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen befreit.

Diese Sonderregelungen setzen sich bei der Arbeitserlaubnis fort. Personen, die auf Grund des Art 6 Abs 1 des Zusatzabkommens zum NATOTrStat als Mitglieder einer Truppe, eines zivilen Gefolges oder als Angehörige vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung befreit sind, benötigen keine Arbeitsgenehmigung (§ 9 Nr 13 der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer, Arbeitsgenehmigungsverordnung [ArGV] vom 17.09.1998, BGBl I, 2899, zuletzt geändert durch Art 10 d G v 17.06.2013, BGBl I, 1555). Hierauf wiederum zielt § 1 Abs 7 BEEG aber insbesondere ab, wenn das Vorliegen eines Aufenthaltstitels verlangt wird, der zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt.

Für NATO-Truppenmitglieder und ihre Angehörigen bestehen damit völkerrechtliche Regelungen, die gänzlich außerhalb der in § 1 Abs 7 BEEG vorgesehenen Anknüpfungspunkte verlaufen, aber im Ergebnis dem Adressatenkreis diejenigen Rechtspositionen (Aufenthaltsstatuts, Arbeitserlaubnis) verschaffen, nach denen § 1 Abs 7 BEEG fragt und zur Voraussetzung für den Elterngeldanspruch macht. Ein Ausschluss dieser Personen von den Ansprüchen des BEEG kann aber nicht allein wegen eines anderen Regelungssystems gerechtfertigt werden, soweit die übrigen Voraussetzungen des § 1 BEEG vorliegen, was im Falle der Klägerin der Fall ist (siehe oben).

Im Gesetzgebungsverfahren ist die Frage, ob für Angehörige von NATO-Truppenmitgliedern eine Regelungs- bzw Gesetzeslücke vorliegt, zwischen Bundesrat und Bundesregierung kontrovers erörtert worden. Der Bundesrat hat unter Hinweis auf die Zielsetzung des Elterngeldes, insbesondere als Ersatz eines ausfallenden Erwerbseinkommens für eine gesetzliche Regelung plädiert, wonach auch der Ehegatte oder Lebenspartner eines Mitglieds der Truppe oder des zivilen Gefolges eines NATO-Mitgliedstaats anspruchsberechtigt ist, soweit er ua bis zur Geburt des Kindes eine mehr als geringfügige Beschäftigung ausgeübt hat (BT-Drs. 16/2454, 9).

Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung (BT-Drs. 16/2454, 12) einerseits darauf hingewiesen, dass es sich beim Elterngeld um eine Familienleistung handle, die grundsätzlich nur solchen Personen zukommen solle, von denen zu erwarten sei, dass sie sich dauerhaft in Deutschland aufhalten. Das sei bei Ehegatten von NATO-Truppenmitgliedern naturgemäß nicht der Fall. Andererseits seien Ansprüche auf Elterngeld für Ehegatten von NATO-Truppenmitgliedern nach geltendem Recht möglich, insofern auch kein Tätigwerden des Gesetzgebers erforderlich sei, da insofern keine Lücke vorliege.

Die analoge des Anwendung des § 1 Abs 7 BEEG entspricht danach auch dem Gesetzeszweck des § 1 Abs 7 BEEG und widerspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers.

Die Bundesregierung hat Folgendes ausgeführt (BT-Drs. 16/2454, 12):

Jedoch sind auch ohne die vom Bundesrat vorgeschlagene Ergänzung des § 1 BEEG Ansprüche von Ehegatten der NATO-Truppenmitglieder bzw. Ehegatten der Mitglieder des zivilen Gefolges nicht gänzlich ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts haben Ehegatten, bei denen zusätzliche Umstände vorliegen, durch welche rechtliche Beziehungen zur sozialen Sicherheit und Fürsorge in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden, durchaus einen Anspruch auf deutsche Familienleistungen. Das ist der Fall, wenn der Ehegatte sozialversicherungspflichtig erwerbstätig ist bzw. als selbstständiger Arbeitgeber für Mitarbeiter Beiträge zu allen fünf Zweigen der Sozialversicherung leistet. Bestehen solche Beziehungen zur sozialen Sicherheit und Fürsorge nicht, so besteht auch kein Anspruch auf Elterngeld.

Insbesondere sozialversicherungspflichtig erwerbstätige Deutsche und EU-/EWR-Staatsangehörige, die mit einem NATO-Truppenmitglied bzw. Mitglied des zivilen Gefolges verheiratet sind, haben damit stets einen Anspruch auf deutsches Elterngeld."

Mit den Ausführungen des Gesetzgebers ist eine analoge Anwendung des § 1 Abs 7 BEEG nicht nur möglich, sondern vorliegend nach Auffassung des Senats auch geboten. Eine Analogie setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Eine Gesetzeslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, dh ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (vgl zum Kindergeldanspruch eines dem NATOTrSt unterliegenden Ausländers und der dortigen analogen Anwendung von § 62 Abs 2 EStG BFH 08.08.2013 III R 22/12, BFHE 242, 344, juris Rn 15 f; zum Anspruch eines Kindes eines NATO-Truppenmitglieds auf Unterhaltsvorschuss nach dem BVerwG 23.10.2008, 5 C 5/08, BVerwGE 132, 210, FEVS 60, 448).

Das SG hat aus der von der Bundesregierung verwendeten Formulierung "insbesondere" geschlossen, dass andere Personen als erwerbstätige Deutsche und EU-/EWR-Staatsangehörige keinen Anspruch haben sollen und damit eine entsprechende Anwendung der Vorschrift verneint. Hingegen handelt es sich nach der Auffassung des Senats lediglich um eine nicht abschließende Aufzählung, wie sich aus dem vorangegangenem Absatz der zitierten Bundestags-Drucksache ergibt. Ansprüche von anderen Personen, als aus dem zuletzt beispielhaft genannten Personenkreis, sind nach Auffassung des Gesetzgebers gerade nicht ausgeschlossen.

Maßgeblich ist neben der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs 1 BEEG, ob "zusätzliche Umstände vorliegen, durch welche rechtliche Beziehungen zur sozialen Sicherheit und Fürsorge in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden". Dies ist bei der Klägerin nach jahrelanger sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung bei gleichzeitigem Innehaben des Wohnsitzes bzw gewöhnlichen Aufenthalts/Lebensmittelpunkts und völkerrechtlich gesichertem Aufenthaltsstatus bei nicht erforderlicher Arbeitsgenehmigung in der Bundesrepublik unzweifelhaft der Fall gewesen. Mehr kann man nach Auffassung des Senats an den geforderten zusätzlichen Umständen nicht verlangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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