L 4 KR 55/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 KR 34/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 KR 55/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 104/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Juli 2010 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist ein Kostenerstattungsanspruch für eine von der Klägerin selbst beschaffte Krankenhausbehandlung in Höhe von 5.059,40 EUR.

Die am ... 1968 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin beantragte am 22. September 2008 die Übernahme der Kosten für eine Bauchdeckenplastik. Dem beigefügten Bericht des Facharztes für Orthopädie Dipl.-Med. T. sind die Diagnosen einer Adipositas permagna und eines Zustandes nach Bandscheibenoperation L5/S1 rechts zu entnehmen. Das Körpergewicht der Versicherten sei von 150 auf 112 kg reduziert worden. In dem gleichfalls beigefügten Bericht der Familientherapeutin des Paritätischen Wohlfahrtverbandes Sachsen-Anhalt F. vom 16. September 2008 wird ausgeführt, dass die Klägerin im Jahr 2000 erstmals eine Beratung in Anspruch genommen habe. Seit Juni 2008 sei sie wieder in Therapie. Sie habe durch gesunde Ernährung und Sport ca. 40 kg abgenommen, spritze nach eigenen Angaben seitdem kein Insulin mehr und brauche auch keine Bluthochdrucktabletten mehr einzunehmen. Durch die erhebliche Gewichtsabnahme innerhalb eines kurzen Zeitraums habe die Haut nicht folgen können. Herunterhängende Hautlappen begünstigten Entzündungen, die aufgrund der ständigen Belastung der Hautfalten nicht mehr ausheilen könnten. Sie müsse ein Mieder tragen, was Entzündungen gerade bei Wärme verschlimmere. Durch die ständigen Entzündungen werde nicht nur das Immunsystem geschwächt, sondern auch die Psyche schwer belastet. Aufgrund ihres Aussehens habe die Klägerin keinen Antrieb mehr, am öffentlichen Leben teilzunehmen, ihre Arbeit verrichte sie zuhause. Es sei für sie auch schwierig, passende Bekleidung für ihre Größe zu kaufen. Die vorgesehene Bauchstraffung sei erforderlich, um die körperlichen Symptome und die daraus resultierenden Kosten, die die Folge einer langjährigen psychischen Belastung seien, zu vermeiden.

Daraufhin erstattete der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) – Dr. H. – ein sozialmedizinisches Gutachten vom 16. Oktober 2008 nach Untersuchung der Klägerin am 15. Oktober 2008. Die Sachverständige hat angegeben, die Klägerin sei zu einer Reduzierung des Körpergewichtes motiviert worden, als ihr die sich noch in Ausbildung befindliche Tochter mitgeteilt habe, schwanger zu sein. Mit Hilfe der Klägerin habe die Tochter gehofft, nach der Entbindung die Ausbildung beenden zu können. Aufgrund ihrer körperlichen Verfassung habe sich die Klägerin perspektivisch nicht zur Betreuung des Enkelkindes in der Lage gesehen. Da sie an dieser Aufgabe aber großes Interesse gehabt habe, habe sie beschlossen, ein Angebot der Krankenkasse zur Reduktion des Körpergewichtes wahrzunehmen. Dieses Angebot habe aus einer Kombination von Ernährungsberatung und Fitnesstraining bestanden. Dabei habe sich insbesondere zu ihren Fitnesstrainer ein gutes Verhältnis eingestellt, so dass sie letztlich das Körpergewicht auf inzwischen 114 kg habe verringern können. Sie strebe eine weitere Reduktion des Gewichts an, allerdings würden die dafür erforderlichen körperlichen Aktivitäten durch wiederholt auftretende schmerzhafte Entzündungen der Haut im Bereich einer Fettschürze erschwert. Gelegentlich träten ähnliche Entzündungen auch unter der Brust, unter den Armen und an den Oberschenkeln auf. Diese Entzündungen stellten sich zum Teil plötzlich über Nacht ein. Die Haut nässe dann teilweise, so dass die Klägerin Papiertaschentücher in die Hautfalten einlegen müsse, um diese Flüssigkeit aufzusaugen. Unabhängig von den Entzündungen empfinde die Klägerin das schlaffe Herabhängen der Bauchhaut als unschön, so dass sie sich beim Entkleiden vor anderen Menschen schäme. Probleme träten außerdem beim Kauf der Bekleidung auf, besonders der Hosen, die entweder im Bereich der Oberschenkel oder im Bereich der Taille passten. Eine dermatologische Mitbehandlung sei in letzter Zeit nicht erfolgt. Vor längerer Zeit habe sie sich wegen rezidivierender Furunkel, besonders im Bereich der Achselhöhlen, in dermatologischer Behandlung befunden. Diese Behandlung habe sie aber schließlich aufgegeben, da die vom Hautarzt verordneten Salben nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hätten. Zum Befund hat die Sachverständige angegeben, es bestehe eine deutliche Vermehrung des Unterhautfettgewebes im Bereich der Bauchdecken, des Gesäßes, beider Beine und beider Oberarme. Die Bauchdecken hingen schlaff herab, so dass der Nabel 17 cm unterhalb der Verbindungslinie der Spinae iliacae anterior superior lokalisiert sei. Ferner bestehe ein gardinenartiger Überhang der Bauchdecken über Symphyse, Leistenregionen und oberem Bereich der Oberschenkel beidseits mit einem Ausmaß von 7 cm im Bereich der Mittellinien und maximal 13 cm im Bereich der Leisten- bzw. Oberschenkelregion. Die hieraus resultierende tiefe Hautfalte verstreiche auch in Rückenlage nicht vollständig. Die Haut im Bereich der durch den Überhang der Bauchdecken entstehenden Falte weise eine diffuse gleichmäßige leichte Rötung auf und es finde sich ein leicht säuerlicher Geruch. Diese Hautrötung erstrecke sich sowohl auf den unteren Bereich der Bauchhaut als auch auf den zentralen Bereich der Symphyse und der proximalen Anteile beider Oberschenkel. Keine entzündlichen Veränderungen der Haut fänden sich im Bereich der Axillae sowie submammär. Als Diagnose benannte die Sachverständige eine rezidivierende intertriginöse Entzündung der Haut unterhalb der Fettschürze bei trotz Gewichtsabnahme fortbestehender Adipositas. In der gutachterlichen Einschätzung führte die Sachverständige aus, es resultiere aus der Fettschürze trotz des deutlichen Überhangs der Bauchdecke über die Leistenregion keine Einschränkung der Beweglichkeit der in der Nähe befindlichen Gelenke, speziell der Hüftgelenke. Es handele sich bei der Fettschürze nicht um einen krankheitswertigen Zustand, sondern um eine Situation, die nach der erheblichen Reduktion des Körpergewichtes aufgrund der begrenzten Elastizität der Haut, die zuvor erheblich gedehnt gewesen sei, zu erwarten gewesen sei. Die Klägerin beklage vordergründig das rezidivierende Auftreten von Entzündungen im Bereich der durch die Fettschürze an deren Unterseite entstehenden Hautfalte. Diese Entzündungen bildeten sich, trotz prophylaktischer Maßnahmen in Form der Anwendung von Hautschutzsalbe und dem Einlegen von Tempotaschentücher zum Aufsaugen des sich bildenden Schweißes, wiederholt und teilweise recht plötzlich aus und bedürften andererseits zur Rückbildung mehrere Tage. Diese Entzündungen seien schmerzhaft, wobei die Schmerzen durch das insbesondere bei sportlichen Aktivitäten auftretende Aneinanderreiben der Haut im betroffenen Bereich verstärkt würden. Zur Vermeidung solcher Entzündungen bzw. zu ihrer besseren Beherrschung sollten wohnortnahe Behandlungsmöglichkeiten einschließlich einer fachärztlich dermatologischen Mitbehandlung ausgeschöpft werden. Dies sei bisher nicht geschehen. Da konservativen Behandlungsmöglichkeiten generell der Vorzug zu geben sei, resultiere aus den rezidivierenden Entzündungen der Haut derzeit keine Indikation für die angestrebte Operation.

Gestützt auf das Gutachten des MDK lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 21. Oktober 2008 ab, da für die geplante Operation derzeit keine medizinische Indikation bestehe. Es handele sich nicht um einen krankheitswertigen Zustand. Zur Vermeidung der Hautentzündungen und zur rascheren Beherrschung sollten wohnortnahe Behandlungsmöglichkeiten einschließlich der fachärztlichen dermatologischen Mitbehandlung ausgeschöpft werden. Dagegen hat die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 24. November 2008 vorgetragen, sie habe seit dem 1. Februar 2008 mehr als 40 kg Körpergewicht verloren. Durch die Gewichtsabnahme bestünden kein insulinpflichtiger Diabetes mellitus und kein Bluthochdruck mehr. Allerdings habe der Gewichtsverlust zur Ausbildung sehr ausgeprägter Fettschürzen im gesamten Bauchbereich geführt, die nach allen ihr vorliegenden Informationen nur operativ sinnvoll beseitigt werden könnten. Sie leide unter ständig rezidivierenden Ekzemen, die anders als die Beklagte dies meine, dermatologisch nicht erfolgreich behandelt werden könnten. Eine solche Behandlung sei auch nicht Erfolg versprechend, da die Ursache für die ständigen Ekzeme in den überschüssigen Hautfettfalten liege. Eine zweckmäßige Behandlung habe aber grundsätzlich eine kausale Therapie zu erfassen, nicht die "okkasionelle" Beseitigung einzelner Symptome. Eine kausale Beseitigung der Hautekzeme sei aber nur durch eine Resektion der Bauchdecke möglich. Ständig wiederkehrende Ekzeme, die eine permanente Behandlung mit Hautcremes und Hautsalben erforderlich machten, ohne eine Aussicht auf eine kausale Behebung des Zustandes zu bieten, stellten zweifellos einen regelwidrigen Zustand dar. Der gegenwärtige Zustand bedeute auch eine erhebliche Entstellung, da sie auf andere Menschen in hohem Maße abstoßend wirke. Dabei dürfe sie nicht darauf beschränkt werden, am normalen Leben nur in Straßenkleidung teilzunehmen. Auch der Besuch von öffentlichen Schwimmbädern, Saunen oder Stränden gehöre zur Teilnahme am normalen Leben. Es sei ihr auch ein Badeurlaub verwehrt, wie er jedem anderen Menschen ohne eine derartige Entstellung möglich sei. Außerdem fühle sie sich aufgrund der abstoßenden und Ekel erregenden Wirkung ihrer gesamten Bauchregion vollständig an der Ausübung eines normalen Sexuallebens gehemmt. Der Zustand ihres Körpers sei keinem Mann zuzumuten. Ferner bedeutet das erhebliche Gewicht der Bauchfettschürzen aber auch eine ständige Beeinträchtigung ihrer ohnehin lädierten Wirbelsäule und der Bandscheiben. Auch insofern diene die Operation zur Behebung eines regelwidrigen Zustandes, denn eine durch die Operation bewirkte Reduktion des nach vorne ziehenden Gewichts würde ihre Bandscheibenprobleme lindern und ein weiteres Fortschreiten aufhalten.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere Begutachtung der Klägerin durch den MDK (Dr. M. K.) vom 18. Dezember 2008 mit folgenden Feststellungen: die 40-jährige Versicherte wiege bei einer Größe von 172 cm 113,9 kg (BMI 38,2 kg/m²). Im Unterbauch finde sich eine etwa 40 cm breite, das Abdomen seitlich etwas überragende Fettfalte mit einer maximalen Tiefe von ca. 8 bis 12 und einer Dicke von ca. 8 cm. Die Fettschürze verstreiche auch im Liegen nicht vollständig. Im Bereich der Hautauflageflächen zeigten sich bei teilweise eingelegten Papiertaschentüchern an verschiedenen Stellen, an denen die Haut aufeinander liege, diskrete flächige Rötungen ohne scharfe Begrenzung. Der Bauchumfang betrage am Nabel 121 cm, der stärkste Bauchumfang 140 cm, der Umfang der Hüfte 118 cm. Beide Hüften seien frei beweglich; das Gangbild flüssig und unauffällig. Es habe sich bei der Untersuchung eine weiterhin adipöse Versicherte (Adipositas Grad II) in gutem Allgemeinzustand gezeigt. Zusammenfassend sei festzustellen, dass bei allgemeiner Adipositas die Fettschürzenbildung unter entsprechender Kleidung, sie von der Versicherten getragen werde, im Alltagsleben nicht auffalle. Erhebliche Funktionsdefizite bestünden nicht. Dementsprechend sei kein regelwidriger Körperzustand im Sinne der derzeit geltenden Rechtsprechung festzustellen. Es werde empfohlen, auftretende entzündliche Veränderungen im Bereich der Hautauflageflächen durch Einlage von Kompressen und konservative hautärztliche Mitbehandlung zu therapieren. Unabhängig davon bestehe bei einem allgemeinen Körpergewicht von 115 kg eine Adipositas Grad II mit dem Risiko vorzeitiger Verschleißerscheinungen des Muskel- und Skelettsystems sowie einer übermäßigen Belastung des kardiopulmonalen Systems, so dass eine weitere Reduktion des Körpergewichtes dringend indiziert sei. Sollten sich in deren Folge wesentliche Veränderungen im Lokalbefund ergeben, sei eine erneute Begutachtung möglich. Zum derzeitigen Zeitpunkt könne keine medizinische Indikation zur Durchführung einer Fettschürzenresektion bzw. Bauchdeckenplastik gesehen werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da sich aus der Rechtsprechung mehrerer Landessozialgerichte sowie auch der des Bundessozialgerichts (BSG) ergebe, dass die Krankenkassen nicht verpflichtet seien, die Kosten für den operativen Eingriff einer Bauchdeckenplastik zu tragen. Den beiden Gutachten des MDK von 15. Oktober 2008 und 16. Dezember 2008 sei zu entnehmen, dass derzeit keine medizinische Indikation zur Kostenübernahme für die beantragte Fettschürzenresektion bestehe.

Mit der am 8. Mai 2009 beim Sozialgericht (SG) Dessau erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und vorgetragen, die Fettschürze habe zu einer Anpassungsstörung (ICD-10 F43.2) geführt, die durch die am 3. Februar 2009 durchgeführte Fettschürzenresektion zurückgegangen sei. Andere Behandlungsmaßnahmen, insbesondere Mittel der Psychiatrie und der Psychotherapie, hätten nicht zum gleichen Erfolg geführt. Ihr stehe ein Kostenerstattungsanspruch zu, da es sich bei der Anpassungsstörung um eine Krankheit im Sinne von § 27 SGB V handele. Mit Schreiben vom 20. Mai 2010 hat die Klägerin Unterlagen über die am 3. Februar 2009 in der Klinik am R. GmbH, Fachklinik für plastisch-ästhetische Chirurgie, L., durchgeführte Bauchdeckenstraffung vorgelegt, aus denen sich Kosten von 5.059,40 EUR errechnen. Ferner hat sie Fotos aus den Jahren 1997, 2003, 2004 und 2009 nach durchgeführter Bauchdeckenstraffung vorgelegt.

Das SG hat medizinische Ermittlungen durchgeführt und von der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. Z. einen Befundbericht vom 16. März 2010 eingeholt, dem zahlreiche weitere medizinische Unterlagen beigefügt waren. Die Ärztin hat zum Behandlungszeitraum vom 25. Februar 2008 bis 21. Januar 2010 angegeben, die Klägerin habe über rezidivierende panische Störungen mit Angstattacken geklagt. Es bestehe bei ihr eine episodische Angstgefühl-Panikstörung. Die Beschwerden der Patientin seien wechselnd vertebragen und psychischer Art, mal mehr, mal weniger. Der Gesundheitszustand sei nicht stabil. Bei den beigefügten Unterlagen befindet sich ein Bericht der Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dipl.-Med. S. vom 1. Dezember 2009, wonach bei der Klägerin aktuell seit Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses im September 2009 starke Ängste und gehäufte Panikattacken aufgetreten seien, die es anamnestisch jedoch bereits in den letzten Jahren gegeben habe. Diese seien seit Geburt der Enkelin intensiver und gingen mit verstärkten Bemühungen der Patientin um eine Gewichtsreduktion einher. Sie habe starke Ängste, sobald sie allein sei. Immer müsse jemand in ihrer Nähe sein. Diagnostisch bestehe eine gesicherte Panikstörung (F41.0, episodisch paroxymale Angst) und ein Verdacht auf eine ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung (F60.6). Die Fachärztin für Orthopädie und Rheumatologie Dr. K. hat im Bericht vom 21. März 2010 angegeben, die Klägerin zuletzt am 17. Juni 2008 behandelt zu haben, weshalb aktuellere Angaben nicht gemacht werden könnten. Schließlich hat das SG einen Befundbericht von der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie S. vom 25. April 2010 eingeholt, worin über einen Behandlungszeitraum vom 2. Juli 2008 bis 31. August 2009 berichtet wird. Die Ärztin hat angegeben, die Klägerin leide seit 20 Jahren unter ihrer Unförmigkeit und das erhöhte Gewicht. Es bestünden Probleme durch erhöhte Schweißbildung in Form sog. feuchter Stellen, die durch das Abdomen bedeckt würden. Ferner bestehe eine verstärkte Entzündungsneigung und ein erhebliches Übergewicht. Neurologisch seien keine Defizite festzustellen gewesen. Die gleichfalls festgestellte Anpassungsstörung habe sich im Verlauf bis 2009 gebessert, so dass jetzt kein Leidensdruck mehr bestehe.

In der mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2010 hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zur Erstattung der Kosten in Höhe von 5.059,40 EUR zu verurteilen. Das SG hat der Klage mit Urteil vom 7. Juli 2010 stattgegeben, hat den Bescheid vom 21. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2009 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 5.059,40 EUR abzüglich gesetzlich vorgeschriebener Zuzahlungen zu erstatten. In den Entscheidungsgründen hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die begehrte Leistung, die Operation zur Straffung der Bauchdecke, zu Unrecht abgelehnt. Bei der Klägerin sei von einer Entstellung auszugehen, weil es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 28. Februar 2008 (B 1 KR 19/07 R) darauf ankommen könne, ob in Badekleidung eine Einstellung anzunehmen sei. Dies sei bei der Klägerin vor der Operation der Fall gewesen, wie sich aus dem im MDK-Gutachten vom 16. Oktober 2008 erhobenen Befund ergebe. Danach bestehe ein schlaffes Herabhängen der Bauchdecken, so dass der Nabel 17 cm unterhalb der Verbindungslinie des vorderen oberen Darmbeinstachels zu lokalisieren sei. Ferner sei in dem Gutachten ein gardinenartiger Überhang der Bauchdecken über der Schambeinfuge festgestellt worden. Diesen Befunden müsse entnommen werden, dass bei der Klägerin vor der Operation eine Entstellung auch im bekleideten Zustand vorgelegen habe. Denn eine bis auf die Oberschenkel herabhängende Hautfalte mache sich auch in bekleidetem Zustand schon "im Vorbeigehen" bemerkbar und führe regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen.

Das ihr am 10. August 2010 zugestellte Urteil greift die Beklagte mit der am 25. August 2010 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegten Berufung an. Sie trägt unter Hinweis auf die Rechtsprechung mehrerer Gerichte vor, es habe bei der Klägerin kein krankheitswertiger Zustand festgestellt werden können. Wenn keine körperliche Krankheit im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB V vorliege, bestehe auch keine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Krankenkassen seien auch nicht verpflichtet, die Kosten für derartige operative Eingriffe bei einem im Normbereich liegenden Körperzustand zu tragen, der zur Behebung einer psychischen Störung vorgenommen werde. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG in den Urteilen vom 28. Februar 2008 (B 1 KR 19/07 R) und 19. Oktober 2004 (B 1 KR 3/03 R) seien hier unzureichende Feststellungen zum Problem der Entstellung getroffen worden. Aus den vorgelegten Fotos könne darauf nicht geschlossen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Juli 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und trägt vor, dass nach der Rechtsprechung des BSG anatomische Abweichungen nicht nur dann eine Krankheit darstellten, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt sei, sondern auch dann, wenn die anatomische Abweichung entstellend wirke. Darauf habe das SG zutreffend hingewiesen. Sie habe ein Recht, Bäder und Strände zu besuchen, wo zwangsläufig Badesachen getragen würden. Davon gehe auch das BSG in seinem Urteil vom 28. Februar 2008 (B 1 KR 19/07 R) aus, indem es ausführe, dass es für die entstellende Wirkung nicht auf normale Bekleidung ankomme, sondern es bereits ausreiche, wenn eine entstellende Wirkung in Badesachen gegeben sei. Hiervon dürfe die Beklagte nicht ablenken, indem sie vortrage, die Klägerin zeige sich in der Öffentlichkeit nur bekleidet.

Im Erörterungstermin vom 9. März 2011 hat der vormalige Berichterstatter des Senats darauf hingewiesen, dass eine rein medizinische Indikation für die Fettschürzenoperation nicht ausreichend belegt sein dürfte. Auch die Hautprobleme der Klägerin hätten, insbesondere im Hinblick auf die Kürze der Zeit, in der dieser Körperzustand bestanden habe, nicht die Intensität erreicht, die eine solche Operation notwendig erscheinen lasse. Ferner hat er darauf hingewiesen, dass aus der Entscheidung des BSG vom 28. Februar 2008 nicht der Rechtssatz gefolgert werden könne, eine Entstellung sei grundsätzlich in Badekleidung zu beurteilen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben in der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung vorgelegen und sind ausgewertet worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhoben. Bedenken gegen eine ordnungsgemäße Vertretung der Beklagten bei Einlegung der Berufung bestehen nicht. Der Justitiar der Beklagten, Klaus M., hat das Berufungsschreiben vom 25. August 2010 "namens und in Vollmacht für die Beklagte" verfasst und eigenhändig unterschrieben. Damit hat er im Rahmen seiner seit 7. Januar 1997 bestehenden und bei Gericht hinterlegten Dauerprozessvollmacht gehandelt, wonach der Umfang der vom damaligen stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Beklagten ausgestellten Vollmacht den §§ 73 SGG, 81 Zivilprozessordnung entspricht. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 SGG sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbunden Unternehmens; Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts vertreten lassen. Hiernach ist die Wirksamkeit der am 25. August 2010 durch den Justitiar M. der Beklagten erhobenen Berufung durch das nicht näher belegte Argument der Klägerin, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei eine "im Auftrag" erhobene Berufung unzulässig, nicht zu erschüttern. Abgesehen davon, dass der Justitiar M. eindeutig im Rahmen seiner Vollmacht gehandelt hat, hat er die Berufung auch nicht im Auftrag, sondern namens und in Vollmacht für die Beklagte erhoben.

Das Urteil des SG war aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihr durch die Operation zur Straffung der Bauchdecke entstandenen Kosten.

Die Voraussetzungen des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V (anzuwenden i. d. F. des Art. 5 Nr. 7 Buchst. b SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. 6. 2001, BGBl. I S. 1046) sind nicht erfüllt. Diese Rechtsnorm bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Anspruch auf Kostenerstattung ist demnach nur gegeben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. zum Ganzen: BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 20 RdNr. 25; E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Bd. 1, 19. Aufl, Stand: 1. 1. 2012, § 13 SGB V RdNr. 233 ff.): Bestehen eines Primärleistungs(Naturalleistungs-)anspruchs des Versicherten und dessen rechtswidrige Nichterfüllung, Ablehnung der Naturalleistung durch die Krankenkasse, Selbstbeschaffung der entsprechenden Leistung durch den Versicherten, Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung, Notwendigkeit der selbst beschafften Leistung und (rechtlich wirksame) Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin eine stationäre Behandlung zur Operation mittels Straffung der Bauchdecke zu gewähren. Deshalb kann die Klägerin auch nicht beanspruchen, dass ihr die Kosten, die durch die selbstbeschaffte Leistung entstanden sind, von der Beklagten erstattet werden.

Versicherte – wie die Klägerin – haben nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit i. S. von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 20 RdNr. 10 m. w. N. – Zisidentität). Die Klägerin hat zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2009 mindestens an zwei behandlungsbedürftigen Krankheiten gelitten, nämlich psychisch an einer Angststörung und dermatologisch an rezidivierenden Ekzemen. Allerdings war es zur Behandlung dieser Krankheiten nicht erforderlich, eine operative Straffung der Bauchdecke durchzuführen. Denn die Bauchfalte (Fettschürze) selbst hat keinen behandlungsbedürftigen Krankheitszustand aufgewiesen. Deshalb wären die psychischen und dermatologischen Erkrankungen mit den Mitteln der entsprechenden Fachgebiete zu behandeln gewesen. Dass dies möglich und – zumindest teilweise – Erfolg versprechend war, ist aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen abzuleiten. Darüber herrscht zwischen den Beteiligten inzwischen auch kein Streit mehr.

Hinsichtlich gewünschter operativer Eingriffe am gesunden Körper wegen einer psychischen Erkrankung gilt im Übrigen: Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Behandlung psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl. z. B. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 20 RdNr. 13 – Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 14, RdNr. 16; jeweils m. w. N.). In Bezug auf Operationen am – krankenversicherungsrechtlich betrachtet – gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 20 RdNr. 13 m. w. N. – Zisidentität).

Auch unter dem Gesichtspunkt der Entstellung besteht der geltend gemachte Anspruch nicht.

Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die nahe liegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit erzeugt und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein (ständige Rechtsprechung des BSG, u. a. Urteile vom 28.02.2008 – 1 KR 19/07 R – und vom 09.12.2003 – B 1 KR 9/04 R – jeweils m. w. N.).

Auch das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs. 1 Satz 3, § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V; vgl. zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12, RdNr. 23 m. w. N.) und – bei der Frage, ob eine Entstellung besteht – der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 14 LS und RdNr. 13 f.). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl. zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 20 RdNr. 14 m. w. N. – Zisidentität).

Im Urteil des BSG vom 28. Februar 2008 (a. a. O.), das von beiden Beteiligten zur Bekräftigung der jeweiligen Ansicht herangezogen wird, ist zu Entstellung im Wortlaut ausgeführt:

Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsordnung im Interesse der Eingliederung behinderter Menschen fordert, dass Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung von Behinderung korrigieren müssen (vgl. dazu BSG SozR 3-3870 § 48 Nr. 2 S. 5 f.). Die Rechtsprechung hat als Beispiele für eine Entstellung z. B. das Fehlen natürlichen Kopfhaares bei einer Frau oder eine Wangenatrophie oder Narben im Lippenbereich angenommen oder erörtert (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 3, jeweils RdNr. 6). Dagegen hat er erkennende Senat bei der Fehlanlage eines Hodens eines männlichen Versicherten eine Entstellung nicht einmal für erörterungswürdig angesehen (vgl. BSGE 82, 158, 163 f. = SozR 3-2500 § 39 Nr. 5) und eine Entstellung bei fehlender oder wenig ausgeprägter Brustanlage unter Berücksichtigung der außerordentlichen Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust revisionsrechtlich abgelehnt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 3, jeweils RdNr. 6). Die Feststellung, dass im Einzelfall ein Versicherter wegen einer körperlichen Anormalität an einer Entstellung leidet, ist in erster Linie Tatfrage (vgl BSG SozR 3-1750 § 372 Nr. 1; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 3, jeweils RdNr. 6).

Die Frage, ob eine Entstellung anzunehmen ist, muss infolgedessen unter Beachtung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien im Einzelfall auf der Grundlage tatsächlicher Feststellungen beantwortet werden. Danach ist unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin und insbesondere der Lichtbilder, die sie nach erheblicher Gewichtsabnahme, aber vor dem Eingriff vom 3. Februar 2009 zeigen, keine Entstellung anzunehmen. Die im unbekleideten Zustand optisch störende Bauchfalte ließe sich durch das Tragen geeigneter Badekleidung soweit verdecken, dass eine für jedermann sichtbare grobe Auffälligkeit im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung hätte vermieden werden können. Erst recht wäre es möglich gewesen, diesen körperlichen Zustand durch geeignete Straßenbekleidung zu kaschieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen hier nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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