L 3 U 126/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 734/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 126/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1952 geborene Klägerin begehrt gegenüber der Beklagten die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Am 26. Juni 1992 ging bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Eigenunfallversicherung Berlin, die Unfallanzeige der Staatsoper vom 18. Juni 1992 ein, wonach am 12. Juni 1992 bei der Klägerin als Solotänzerin nach gründlicher Erwärmung und mehreren "Großen Sprüngen" bei einem nochmaligem Absprung ein plötzliches hörbares und schmerzhaftes Knacken im rechten Kniegelenk auftrat. Die Klägerin habe die Vorstellung zu Ende getanzt (mit Kühlspray und Eisbeutelbehandlung). Anschließend sei sie zur C-Unfallstelle gefahren und sei ein Arbeitsunfall gemeldet worden. Dort wurde sie vom Durchgangsarzt Dr. H untersucht. Dieser hielt in seinem Durchgangsarztbericht (DAB) vom 15. Juni 1992 fest, dass die Klägerin sich das rechte Knie während eines Sprungs verletzt habe. Er befundete ein Spannungsgefühl über der Patella des rechten Knies ohne Anhalt einer Seitenbandläsion und ein uneingeschränktes Anheben, keine Meniskuszeichen und keinen Druckschmerz über dem medialen und lateralen Kniegelenkspalt. Eine Röntgenuntersuchung ergab keinen Anhalt für Traumafolgen. Dr. H diagnostizierte eine Distorsion des rechten Kniegelenks und stellte als vom Unfall unabhängige krankhafte Veränderungen eine Arthrose der retropatellaren Gleitbahn fest.

Die Eigenunfallversicherung ließ die Klägerin unter dem 15. November 1992 einen Fragebogen ausfüllen, in welchem sie angab, dass es beim Absprung zu einer gewaltsamen Verdrehung des Kniegelenks gekommen sei. Zur Erläuterung fügte die Klägerin dem Fragebogen das Foto einer im Sprung begriffenen Balletttänzerin bei. Das Knie sei ca. anderthalb Stunden später angeschwollen. Sie betreibe seit 30 Jahren klassisches Ballett. Vorher seien rechts keine Knieverletzungen oder –erkrankungen eingetreten.

Die Klägerin meldete sich bei der Beklagten erstmals wieder mit Anwaltsschreiben vom 10. Juli 2007 und machte Angaben zu zwei Unfällen vom 27. Juni 1986 in Gera und am 12. Juni 1992 in Berlin. Dem Schreiben vom 10. Juli 2007 war u.a. eine gegenüber der Krankenkasse der Klägerin abgegebene Unfallschilderung vom 24. Juli 1992 beigefügt, wonach bei einer Ballettvorstellung auf der Bühne beim Ausführen mehrerer großer Sprünge ein plötzliches Knallen mit anschließenden Schmerzen im rechten Kniegelenk eintrat, das Knie später dick und heiß wurde sowie sich eine Bewegungsbehinderung (Belasten und Beugen) einstellte.

Die Beklagte versuchte vergeblich, Behandlungsunterlagen der C beizuziehen, welche wegen Zeitablaufs dort nicht mehr aufbewahrt worden waren. Sie ließ von der Klägerin einen weiteren Fragebogen ausfüllen. Nach den dortigen Angaben der Klägerin vom 16. August 2007 waren weder Fuß noch Unterschenkel fixiert oder festgeklemmt. Es sei zu keiner gewaltsamen Verdrehung des Kniegelenks gekommen. Ein Sturz habe nicht stattgefunden; sie sei auf den Füßen gelandet. Sie sei auch nicht auf das Knie gestürzt. Wegen der Eisbehandlung während der Vorstellung sei das Knie erst später stark angeschwollen und rot geworden; eine offene Wunde sei nicht vorhanden gewesen. Die Klägerin schilderte den Unfall dahingehend, dass sie am 12. Juni 1992 bei der Ballettvorstellung "Carmina Burana" mehrere große Sprünge habe ausführen müssen. Beim Absprung für einen solchen Sprung habe sie ein Knacken im rechten Fußgelenk (gemeint und später richtig gestellt: Kniegelenk) und einen anschließenden starken Schmerz vernommen. Hinter der Bühne sei das bereits steif gewordene Knie mehrfach gekühlt worden. Nach der Vorstellung sei sie sofort zum Arzt gefahren und eine Distorsion festgestellt worden.

Die Beklagte ließ von Dr. H von der Unfallbehandlungsstelle Berlin (UBS) am 10. April 2008 aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage erstellen. Die Klägerin sei bei ihrer Unfallschilderung vom 16. August 2007 geblieben. Sie sei nach dem Unfall von einer physiotherapeutischen Einrichtung der Staatsoper behandelt worden. Die Hauptbeschwerden lägen aufgrund einer Schmerzsymptomatik vor allem im rechten Fußgelenk und im linken Kniegelenk. An beiden Kniegelenken lägen nach einer anlässlich der aktuellen Untersuchung gefertigten Röntgenaufnahme Retropatellararthrosen vor, rechtsseitig zudem destruktive Veränderungen am medialen Femurkondylus. Mangels einer von der Klägerin berichteten Fixation des rechten Fußes beim Absprung sei ein Unfallgeschehen am 12. Juni 1992 nicht nachvollziehbar. Ein gesichertes, traumatologisch begründbares Schädigungsmuster und eine begründbare Strukturzerstörung sei nicht festgestellt worden. Die von der Klägerin geschilderte Beschwerdesymptomatik habe sich im Nachhinein entwickelt. Eine aufgetretene Schmerzsymptomatik und auch mögliche Schwellungen seien nachvollziehbar, erklärten sich aber aus der enormen Belastung der Gelenke während der durchgeführten Tanzbewegungen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. Juli 2008 die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 12. Juni 1992 ab. Es fehle an einem Unfallereignis. Das Ereignis vom 12. Juni 1992 sei nur eine Gelegenheitsursache, d.h. zufälliger Auslöser für das deutliche Hervortreten eines bereits bestehenden Anlageschadens im rechten Kniegelenk. Das Ereignis sei nicht geeignet, einen Körperschaden im rechten Kniegelenk ursächlich hervorzurufen. Dies habe das Gutachten von Dr. H ergeben.

Die Klägerin erhob am 15. August 2008 Widerspruch. Das äußere Unfallereignis sei die Ausführung der Sprünge bei der Vorstellung gewesen, die zu der ungünstigen Fehlbelastung des Knies bei der Landung geführt und damit die Verletzung im Kniegelenk maßgeblich verursacht hätten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2009 als unbegründet zurück, welcher der Klägerin am 26. Juni 2009 zugestellt wurde.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 21. Juli 2009 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie hat behauptet, durch das Ereignis am 12. Juni 1992 sei es beim Absprung zu einer Krafteinwirkung auf das rechte Knie gekommen, welche zu einer Fehlbelastung und damit zu einer Distorsion geführt habe.

Gleichzeitig erhob sie eine u.a. auf Anerkennung eines Ereignisses am 27. Juni 1986 (Sprunggelelenksverletzung während des Ballettgastspiels "Schwanensee") als Arbeitsunfall gerichtete Klage zum SG, welche unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 68 U 464/09 geführt wurde. Das SG gab der Klage in diesem Verfahren mit Urteil vom 30. Mai 2012 teilweise statt, indem es das Ereignis vom 27. Juni 1986 als Arbeitsunfall und eine ausgeheilte Verstauchung als Arbeitsunfallfolge feststellte. Soweit das SG die Klage im Übrigen (u.a. bezüglich einer begehrten Verletztenrentengewährung) abgewiesen hatte, legte die Klägerin hiergegen Berufung ein, welche unter dem landessozialgerichtlichen Aktenzeichen L 3 U 119/12 beim erkennenden Senat anhängig ist.

Das SG hat das schriftliche Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. W vom 26. Januar 2012 eingeholt, welches dieser aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 25. Januar 2012 erstellt hatte. Dieser hat sich zu den Ereignissen vom 27. Juni 1986 und 12. Juni 1992 geäußert. Bezüglich des Ereignisses vom 12. Juni 1992 ist Dr. W zur Einschätzung gelangt, dass das kontrollierte Aufsetzen oder auch Abspringen ohne jegliche weitere abnorme Stresseinwirkung keinerlei Eigenschaften eines Unfalls besitze. Möglicherweise sei es damals kurzfristig durch die spontane Zugbelastung bei gebeugtem Kniegelenk zu einem leichten Verkippen der Kniescheibe im Gleitlager gekommen. Diese löse auch ohne Subluxation oder Luxation hörbare Knack-/ Schnappphänomene aus. Zudem könne spontan ein Reiz vor allen Dingen an den Ansätzen der Strecksehne entstehen. Der klinische Erstbefund weise ein Spannungsgefühl im Kniescheibenbereich bei Beugung bei ansonsten weitestgehend unauffälligem Status aus. Explizit sei auf einen stabilen Bandapparat und negative Meniskuszeichen hingewiesen worden. Die als Nebenbefund gelistete Arthrose der retropatellaren Gleitbahn sei sicherlich die eigentliche Ursache für den spontan auftretenden Schmerz gewesen, welcher sich auch über Jahre hin wiederholt eingestellt habe. Somit lasse sich für das vorgetragene Problem am rechten Kniegelenk eine ebenfalls nicht unfallabhängige Alteration des femoro-patellaren Gelenkknorpels identifizieren. Die beschriebene Akutsymptomatik könne hierdurch hinlänglich erklärt werden. Mithin habe sich am 12. Juni 1992 kein Unfall ereignet. Ein Schaden am rechten Kniegelenk habe sich nicht eingestellt. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte die retropatellare Gelenkfläche einen unfallunabhängigen, altersungemäßen Knorpelschaden aufgewiesen. Dieser sei in Verbindung mit den beruflichen Anforderungen verantwortlich für die über Jahre andauernden vorderen Knieschmerzen. Die Sprungbewegung selbst habe wahrscheinlich zu einer Patellasehnenreizung geführt und sei kurzfristig folgenlos ausgeheilt. Insofern müsse auch keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) berücksichtigt werden.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 30. Mai 2012 abgewiesen. Es liege nach den Maßstäben der gesetzlichen Unfallversicherung kein Arbeitsunfall vor. Es fehle an einem im Wesentlichen auf das angeschuldigte Ereignis zurückführbaren Gesundheitserstschaden. Hierfür sei auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W zu verweisen. Dieser habe überzeugend dargelegt, dass es an einem geeigneten direkten oder indirekten Unfallmechanismus fehle, nachdem ein kontrollierter Absprung sowie ein kontrolliertes Absetzen ohne Verdrehung oder Sturz erfolgt seien. Es sei lediglich ein Knackgeräusch beobachtet worden. Davon abgesehen liege jedenfalls keine wesentliche Bedingung vor, sondern allein eine Gelegenheitsursache im Sinne einer überragenden Bedeutung der Vorschäden. Bereits im DAB sei eine Vorschädigung des femoro-patellaren Gleitlagers vermerkt. Soweit ein Arbeitsunfall zu verneinen sei, komme auch keine Feststellung von bestimmten Arbeitsunfallfolgen in Betracht; so lasse sich insbesondere nicht die Arthrose im rechten Kniegelenk als Arbeitsunfallfolge feststellen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 11. Juni 2012 zugestellte Urteil am 29. Juni 2012 Berufung eingelegt. Der Einschätzung von Dr. W sei nicht zu folgen, weil dieser sich nicht mit der Unfallschilderung der Klägerin auseinandergesetzt habe, dass es eine gewaltsame Verdrehung beim Absprung gegeben habe. Dies sei ein unnatürlicher Vorgang, der durch Krafteinwirkung des eigenen Körpers plötzlich eintrete und zu einer Schädigung führe. Das SG habe es versäumt zu ermitteln, welche anderen Ursachen vorgelegen haben könnten und welche von ihnen gegebenenfalls wesentlich hätten sein können.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2009 aufzuheben, festzustellen, dass das Ereignis vom 12. Juni 1992 ein Arbeitsunfall war und dass die schwere Kniearthrose rechts Folge dieses Unfalls ist, und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des vorgenannten Arbeitsunfalls eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Berichterstatter hat der Klägerin unter dem 07. Februar 2013 einen rechtlichen Hinweis erteilt und die Beteiligten zuletzt unter dem 10. Oktober 2013 zum beabsichtigten Erlass eines Beschlusses angehört, mit welchem die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung einstimmig als unbegründet zurückgewiesen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, ferner auf die Gerichtsakten L 3 U 119/12 und die nach dort beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen, welche vorgelegen haben und Gegenstand der vorliegenden Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung kann gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückgewiesen werden, weil der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und im Übrigen auch zulässige Berufung der Klägerin (§§ 143, 144, 151 SGG) gegen das Urteil des SG vom 30. Mai 2012 hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit; Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, a.a.O., Rn. 16); ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 18 und 20). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht ausschließlich eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Soweit das Gesetz in § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII eine äußere Ursache für den Gesundheitsschaden fordert, lösen im Umkehrschluss solche Gesundheitsschäden keinen Anspruch aus, welche auf so genannten inneren Ursachen beruhen. Dies sind körpereigene Ursachen infolge krankhafter Erscheinungen oder der Konstitution des Betroffenen (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Kap. 1.6.2, S. 28).

Hiervon ausgehend ist der Senat schon nicht im nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG erforderlichen Maße, d.h. insofern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen eines Unfallereignisses im Sinne eines von außen auf die Klägerin einwirkenden Ereignisses überzeugt. Das Erfordernis der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung von unfallbedingten Gesund¬heitsschäden zu Gesundheitsbeeinträchtigungen aus inneren Ursachen sowie zu Selbstschädi¬gungen (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 29. November 2011 – B 2 U 10/11 R -, zitiert nach juris Rn. 16). Hiervon ausgehend erscheint etwa das bloße Abspringen in einen Ballettsprung nicht als von außen einwirkendes Ereignis. Ein Unfall ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass ein normaler Geschehensablauf plötzlich durch einen ungewollten Vorfall unterbrochen wird. Durch das Abspringen wirken zwar physikalische Kräfte auf einen Körper ein. Unabhängig da¬von, ob diese physikalische Kraftentfaltung ein Ereignis i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII darstellt, wird dadurch aber nicht von außen auf den Versicherten eingewirkt, solange er in seiner von ihm gewollt herbeigeführten Einwirkung und damit in seiner Eigenbewegung nicht beeinträchtigt wird (vgl. BSG, ebd.). Eben so liegt es hier. Soweit die Klägerin nun u.a. behauptet, sich das Knie beim Absprung gewaltsam verdreht zu haben, kann ein solcher Geschehensablauf mit der insofern erforderlichen mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht zugrunde gelegt werden. Denn ein solcher Ablauf lässt sich nach den unterschiedlichen Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren bzw. gegenüber den begutachtenden Ärzten Dr. H und Dr. Wnicht ohne vernünftige Zweifel annehmen. Zwar gab die Klägerin bei ihrer ersten formularmäßigen Befragung durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten unter dem 15. November 1992 noch an, dass es zu einer gewaltsamen Verdrehung gekommen sei, jedoch widerspricht diese Schilderung bereits dem dem am 15. November 1992 ausgefüllten Fragebogen zur Erläuterung beigefügten Foto, welches lediglich eine in einem Sprung begriffene Tänzerin mit in der Luft überstreckten Füßen, in der Luft nach vorn gestrecktem Bein und rückwärts gebeugten Oberkörper, also insbesondere keinen gedrehten Sprung zeigt, bei welchem es vielleicht noch zu einer gewaltsamen Verdrehung hätte gekommen sein können. Zudem enthält auch die unfallnächste Schilderung der Klägerin, welche sie unter dem 24. Juli 1992 gegenüber ihrer Krankenkasse abgab, nichts für eine gewaltsame Verdrehung; dort ist lediglich von einem beim Ausführen mehrerer großer Sprünge plötzlich aufgetretenen Knallen mit anschließenden Schmerzen im rechten Kniegelenk die Rede. Dementsprechend erscheinen auch die zwischenzeitlichen Angaben der Klägerin schlüssig, welche die Frage nach einer gewaltsamen Verdrehung des rechten Beins bzw. Fixation des rechtren Fußes/ Unterschenkels im Zeitpunkt des Absprungs im unter dem 16. August 2007 ausgefüllten Fragebogen der Beklagten gegenüber ausdrücklich verneinte. Von einer Verdrehung war ferner weder in der Unfallanzeige vom 18. Juni 1992 noch im DAB vom 15. Juni 1992 die Rede gewesen. Auch gegenüber Dr. H von der UBS, welcher die Klägerin im Auftrag der Beklagten bezüglich der Zusammenhangsfrage begutachtete, äußerte sie keinen von ihren Angaben vom 16. August 2007 abweichenden Geschehensablauf.

Selbst wenn man in der einfachen physikalischen Krafteinwirkung ein äußeres Ereignis, mithin ein Unfallereignis erblicken sollte, ist nichts dafür ersichtlich, dass es hier einen Gesundheitserstschaden im Sinne einer haftungsbegründenden Kausalität im Wesentlichen herbeigeführt haben könnte. Der Senat ist nicht im Sinne hinreichender Wahrscheinlichkeit davon überzeugt, dass sich die Klägerin im Wesentlichen durch das Abspringen während der Ballettaufführung vom 12. Juni 1992 etwa eine Distorsion oder sonstige Verletzung des rechten Kniegelenks im Sinne eines Gesundheitserstschadens zuzog.

Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein (BSG, a.a.O., Rn. 16).

Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Maßgebend ist, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (BSG, a.a.O., Rn. 17). Dies erfordert nicht, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG, a.a.O., Rn. 18). Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte ist so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen: Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, a.a.O., Rn. 19). Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, vor allem wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG, a.a.O., Rn. 20).

Hieran gemessen liegt ein im Wesentlichen auf das angeschuldigte Ereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rückführbarer Gesundheitserstschaden in der Tat nicht vor. Der gerichtliche Sachverständige Dr. W hat in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 26. Januar 2012 in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgutachten von Dr. H vom 10. April 2008 ausgeführt, dass es an einem für die Verdrehung eines gesunden Kniegelenks geeigneten Unfallmechanismus fehlt, weil vorliegend nur von einem kontrollierten Aufsetzen bzw. Abspringen ohne jegliche abnorme Stresseinwirkung ausgegangen werden kann. Die Einschätzung überzeugt; insbesondere kann nach den vorstehenden Ausführungen zum Unfallereignis von vornherein nicht von einer gewaltsamen Verdrehung beim Absprung ausgegangen werden. Hier mag nur noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die Klägerin im unter dem 16. August 2007 ausgefüllten Fragebogen der Beklagten gegenüber eine Fixation des rechten Fußes im Zeitpunkt des Absprungs ausdrücklich verneinte. Allein dies spricht bereits gegen eine gewaltsame Verdrehung des Kniegelenks, welche unter Umständen für eine Distorsion hätte verantwortlich gemacht werden können, zumal nach dem zuvor Gesagten auch kein – als solcher gewollter - gedrehter Sprung angenommen werden kann. Ein für eine Distorsion (Verdrehung) erforderliches Verdrehtrauma kann nach den vorstehenden Ausführungen so nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zugrunde gelegt werden.

Soweit sich die Klägerin – nach den Ausführungen von Dr. W – beim Absprung möglicherweise eine leichte Verkippung der Kniescheibe im Gleitlager zugezogen haben mag, ist dies ebenfalls nicht im insofern zu fordernden Vollbeweis gesichert. Davon abgesehen ist für ein solches gesundheitliches Problem – so überzeugend Dr. W in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten - die bereits im DAB festgestellte Arthrose der retropatellaren Gleitbahn im Wesentlichen verantwortlich zu machen und nicht ein kontrollierter Absprung. Nach alldem kann dahinstehen, ob ein Knorpelschaden so, wie Dr. W in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten annimmt und das SG der angefochtenen Entscheidung u.a. zugrunde legt, im rechten Knie bereits röntgenologisch dokumentiert war oder nicht. Das angeschuldigte Ereignis lässt sich nach keiner Betrachtungsweise mit einem vollbeweislich gesicherten Gesundheitserstschaden in Verbindung bringen.

Nach alldem ist auch kein Raum für die Feststellung von bestimmten Arbeitsunfallfolgen, insbesondere einer Arthrose des rechten Kniegelenks.

Mangels feststellbarer Arbeitsunfallfolgen liegen die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Verletztenrente aus § 56 SGB VII von vornherein nicht vor und ist die Berufung insofern eben schon von daher unbegründet. Deshalb kann dahin stehen, ob über den Verletztenrentenanspruch überhaupt schon eine gerichtlich überprüfbare, d.h. verwaltungsaktsmäßige Regelung i.S.v. § 31 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) getroffen wurde oder im angefochtenen Bescheid nur eine sog. Leerformel ("die Gewährung einer Entschädigung") ohne Ablehnung konkreter Entschädigungsleistungen enthalten ist, welche einer gerichtlichen Überprüfung mithin nicht zugänglich ist.

Bei dieser Sach- und Rechtslage sah der Senat entgegen der Anregungen der Klägerin keine Veranlassung zu weiteren medizinischen Ermittlungen von Amts wegen, worauf die Klägerin bereits mit Schreiben des Berichterstatters vom 07. Februar 2013 hingewiesen worden war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist mangels Zulassungsgrunds nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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