L 5 R 2977/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2446/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2977/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 15.07.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Begrenzung der Hinterbliebenen- und Altersrente ihrer Mutter nach Maßgabe des § 22b Fremdrentengesetz (FRG).

Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter, der am 02.08.2003 verstorbenen L. Z ... Diese hatte seit ihrem Zuzug in die Bunderepublik Deutschland am 26.11.1997 eine Altersrente bezogen, bei deren Berechnung 19,7053 Entgeltpunkte zugrunde gelegt worden waren. Mit Bescheid vom 19.06.1998 war der Mutter der Klägerin eine große Witwenrente nach dem 1973 verstorbenen Vater der Klägerin bewilligt und eine Begrenzung der Entgeltpunkte aus Zeiten nach dem Fremdrentenrecht nach § 22 b Abs. 1 FRG vorgenommen worden.

Am 12.11.2002 hatte die Mutter der Klägerin einen Überprüfungsantrag gerichtet auf Neuberechnung der Witwenrente ohne Berücksichtigung der Begrenzung nach § 22 b des Fremdrentengesetzes (FRG) gestellt.

Die Klägerin griff diesen Antrag durch Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 22.04.2004 auf und erbat eine Entscheidung durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten.

Mit Bescheid vom 05.08.2004 wurde der Antrag auf Neufeststellung der Hinterbliebenenrente abgelehnt. Das BSG habe zwar entschieden (B 4 RA 118/00 R, B 13 RJ 44/03 R, B 13 RJ 52/03 R und B 13 RJ 56/03 R), dass eine Begrenzung nach § 22b Abs. 1 FRG allein beim Zusammentreffen mehrerer eigener Rentenrechte eines Berechtigten gerechtfertigt sei, die Begrenzung von Versichertenrente und Hinterbliebenenrente aus zusammen 25 Entgeltpunkte aus Fremdrentenzeiten hingegen unzulässig sei. Die Begrenzungsregelung des § 22b Abs. 1 FRG sei aber zwischenzeitlich vom Gesetzgeber mit Art. 8 Nr. 2 des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes rückwirkend zum 07.05.1996 im Sinne der Rechtsaufassung der Rentenversicherung klargestellt worden. § 22b Abs. 1 FRG habe jetzt folgenden Wortlaut: "Für anrechenbare Zeiten nach diesem Gesetz werden für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zugrunde gelegt". Der Gesetzgeber stelle mit dieser Formulierung klar, dass - entgegen der Auffassung des BSG - auch für einen einzelnen Berechtigten mit Anspruch auf eine eigene Versichertenrente und auf eine Hinterbliebenenrente der Höchstwert für alle seine Renten insgesamt auf 25 Entgeltpunkte begrenzt würde. Mit dem rückwirkenden Inkraftsetzen der Gesetzesänderung habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er die Auslegung der Begrenzungsregelung bereits von Anfang an habe so verstanden wissen wollen. Die Ergänzung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG mit dem RV-Nachhaltigkeitsgesetz diene also der Klarstellung der ursprünglichen Regelungsabsicht des Gesetzgebers und schreibe eine in Bezug auf die bisherige Regelung bestehende Auslegung fest. Der BSG-Rechtsprechung, auf die sich der Antrag der Klägerin stütze, komme demnach über den Einzelfall hinaus keine Bedeutung zu. Ein Neufeststellungsgrund für die Hinterbliebenenrente liege daher nicht vor.

Der hiergegen am 11.08.2004 erhobene Widerspruch wurde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2004 zurückgewiesen.

Dagegen erhob die Klägerin am 29.12.2004 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (S 4 RJ 3884/04). Nachdem mit Beschluss vom 08.03.2005 das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden war, wurde das wieder angerufene Verfahren unter dem Aktenzeichen S 4 R 3098/09 geführt. Nachdem mit Beschluss vom 10.11.2009 erneut das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden war, wurde das Verfahren am 27.06.2011 durch die Beklagte unter Hinweis auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes vom 21.07.2010, Az. 1 BvL 11/06,1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05 wieder angerufen und unter dem Aktenzeichen S 4 R 2446/11 fortgeführt.

Zur Klagebegründung machte der Klägerbevollmächtigte geltend, § 300 Abs. 3 SGB VI in seiner ab dem 01.01.2001 geltenden Fassung bestimme seitdem, dass für die Neufeststellung einer Rente die Vorschriften maßgebend seien, die bereits bei der erstmaligen Feststellung der Rente anzuwenden gewesen seien. Durch die Anwendung desselben Rechtes werde sichergestellt, dass ausschließlich der Neufeststellungsgrund - und nicht das Inkrafttreten zwischenzeitlicher Rechtsänderungen - die Höhe der jetzt zu ermittelnden Rente beeinflussten. Die Anwendung desselben Rechts sei hier die BSG-Rechtsprechung ab 30.08.2001, danach sei der Überprüfungsantrag vom 11.11.2002 zu beurteilen.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 15.07.2013 ab. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie könne ab dem 26.11.1997 bzw. 01.01.1998 neben der Versicherungsrente keine große Witwenrente aus 15 Entgeltpunkten bis zum 31.08.2003 beanspruchen. Die Anwendung des § 22 b des Fremdrentengesetzes (FRG) durch die Beklagte sei nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht schloss sich den Ausführungen des BVerfG aus den Beschlüssen vom 21.07.2010 (1 BvL 11/06,1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05), die es in seinem Urteil wörtlich wiedergab, an. § 300 SGB VI, der gemäß § 14 FRG auch für Änderungen des FRG gelte, schließe die Anwendbarkeit des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG in der geänderten Fassung nicht aus. Gleiches gelte für Art. 6 § 4 Abs. 4a des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) i.d.F. des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 18.07.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.07.2013 Berufung eingelegt. Sie lässt vortragen, die Entscheidung des BVerfG vom 21.07.2010 könne nicht maßgeblich für den Antrag aus dem Jahr 2002 sein, und beruft sich insoweit auf Vertrauensschutz.

Die Klägerin beantragt, sachdienlich gefasst, das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 15.07.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2004 zu verurteilen, den Bescheid vom 19.06.1998 abzuändern und ihr als Sonderrechtsnachfolgerin ihrer verstorbenen Mutter L. Z. ab dem 26.11.1997 bzw. 01.01.1998 neben der Versichertenrente eine große Witwenrente aus 15 EP bis zum 31.08.2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt nach sachdienlicher Auslegung,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20.07.2013 und vom 09.08.2013 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligen wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X, den Rentenbescheid vom 19.06.1998 abzuändern und ihr die (dem Grunde nach anerkannte) höhere Hinterbliebenenrente ihrer Mutter nach ihrem verstorbenen Vater ohne Anwendung der Begrenzungsregelung in § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG (n. F.) auszuzahlen. Die Beklagte hat das zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt.

Gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheids vom 19.06.1998 sind hinsichtlich der Rentenhöhe nicht erfüllt.

Maßgeblich ist das im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltende Recht, soweit es auch den Zeitpunkt des Bescheiderlasses umfasst. Hat sich das Recht während des anhängigen Rechtsstreits rückwirkend geändert, so ist das neue Recht im Berufungsverfahren (und auch in einem Revisionsverfahren) zu beachten. § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. ist zunächst mit Art. 9 Nr. 2 i. V. m. Art. 15 Abs. 3 RVNG vom 21.07.2004 (BGBl I S. 1791) rückwirkend zum 07.05.1996 durch eine Neufassung (§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F.) ersetzt worden, wonach für anrechenbare Zeiten nach dem FRG für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten (ab 01.01.2005: der allgemeinen Rentenversicherung) zugrunde gelegt werden. Bereits zuvor hatte Art. 12 Nr. 2 des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16.12.1997 (BGBl. I S. 2998) ebenfalls mit (Rück-)Wirkung zum 07.05.1996 § 22b Abs. 1 Satz 3 FRG angefügt, wonach Entgeltpunkte aus der Rente mit einem höheren Rentenartfaktor vorrangig zu berücksichtigen sind (BSG, Urt. v. 20.07.2011, - B 13 R 39/10 R -).

Die Entgeltpunkte aus der Altersrente der Mutter der Klägerin sind danach vorrangig zu berücksichtigen. Da bei der Altersrente bereits 19,7053 Entgeltpunkte für anrechenbare Zeiten nach dem FRG zu berücksichtigen waren, war die Witwenrente bis zur Höchstzahl an Entgeltpunkten (25 EP) zu begrenzen, die § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. für ein Zusammentreffen von Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes zulässt. Eine Berücksichtigung von 15 Entgeltpunkten bei der Witwenrente kam damit nicht in Betracht. Übergangsregelungen waren zur Umsetzung der Neufassung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG nicht erforderlich (BSG, Urt. v. 20.07.2011, a. a. O.).

Die Klägerin kann sich nicht auf die Regelung des § 300 Abs. 2 SGB VI berufen, wonach u. a. durch Neuregelungen innerhalb des SGB VI ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Monaten nach der Aufhebung geltend gemacht worden ist. Hieraus kann sie nicht herleiten, dass der Anspruch ihrer Mutter auf Witwenrente weiterhin nach § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. zu beurteilen sei, weil sie diesen bereits vor Verkündung des RVNG geltend gemacht habe. Dies gilt schon deshalb, weil "Aufhebung" i. S. von § 300 Abs. 2 SGB VI den - auch rückwirkenden - Zeitpunkt des Außerkrafttretens der alten und des Inkrafttretens der neuen Vorschrift meint, hier also, nach Art. 15 Abs. 3 RVNG, den 07.05.1996. Die Mutter der Klägerin hatte aber am 07.05.1996 (noch) keinen Anspruch auf Witwenrente. Ihr Witwenrentenanspruch ist dem Grunde nach erst mit ihrem Zuzug am 26.11.1997 entstanden. Nichts anderes ergibt sich aus Art. 6 § 4 Abs. 4a des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG), der seit dem 01.01.2001 in Kraft ist und speziell für das FRG - im Wesentlichen wortgleich mit § 300 Abs. 3 SGB VI - das Folgende regelt: Ist eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen und sind dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln, sind die Vorschriften des FRG maßgebend, die bei erstmaliger Feststellung der Rente anzuwenden waren, soweit § 317 Abs. 2a SGB VI nichts anderes bestimmt. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt, da vor Inkrafttreten des anzuwendenden Rechts am 07.05.1996 weder eine derartige Rente an die Klägerin geleistet wurde noch aus diesem Grund EP "neu" zu ermitteln waren (auch dazu BSG, Urt. v. 20.07.2011, a.a.O.).

Die rückwirkende Inkraftsetzung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. zum Stichtag 07.05.1996 durch Art. 15 Abs. 3 RVNG ist verfassungsgemäß. Das hat das BVerfG mit Beschluss vom 21.07.2010 (BVerfGE 126, 369, 388 f.) auf Vorlagebeschlüsse des BSG - mit Gesetzeskraft (§ 13 Nr. 11 i. V. m. § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) - entschieden; daran ist der Senat gebunden (vgl. näher BSG, Urt. v. 20.07.2011, a. a. O.). Dem Gesetzgeber steht bei der Ausgestaltung der Leistungen nach dem Fremdrentenrecht ein weiter Gestaltungsspielraum zu, den er mit den hier maßgeblichen Regelungen gewahrt hat. Diese sind weder willkürlich noch unverhältnismäßig, zumal ein Eigentumsschutz nach Art. 14 GG nicht in Rede steht (BSG, Urt. v. 20.07.2011, a.a.O.; auch BVerfG, Beschl. v. 13.06.2006, - 1 BvL 9/00 -).

Das BVerfG hat im Beschluss vom 21.07.2010 (a.a.O.) auf eine Verfassungsbeschwerde hin ebenfalls entschieden, dass die Regelung in § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. ihrerseits mit dem GG in Einklang steht (BVerfGE 126, 369, 391 ff.). Dem hat sich das BSG angeschlossen (Urt. v. 20.07.2011, a. a. O.). Auch der Senat hält § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. für verfassungsmäßig. Ob (was das BVerfG offengelassen hat) anderes gelten müsste, wenn ein Hinterbliebenenrentenanspruch sowohl auf Zeiten nach dem FRG als auch auf Beitragszeiten in einer deutschen Rentenversicherung beruhen würde, mag dahin stehen, da der verstorbene Vater der Klägerin in Deutschland Beitragszeiten nicht erworben hat; er hat sein Herkunftsland nicht verlassen hat und ist dort verstorben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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