Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 1479/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 3277/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 3. Juni 2013 und der Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2012 aufgehoben.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen zu tragen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen streitig.
Der am 8. Mai 1965 geborene und als selbständiger Kaufmann tätige Kläger, der eigenen Angaben zufolge seinen landwirtschaftlichen Betrieb abwickelte, im November 2008 bereits landwirtschaftliche Fläche verpachtet und auch nach und nach Maschinen und Geräte veräußert hatte (Bericht des Außendienstmitarbeiters O., Bl. 53 V-Akte), stürzte am 23. März 2009 beim Verkauf eines Mähdreschers auf den rechten Unterschenkel sowie das rechte obere Sprunggelenk. Er wurde noch am selben Tag in das Kreiskrankenhaus E. aufgenommen, wo der Durchgangsarzt Dr. T. eine komplette distale Unterschenkelfraktur rechts diagnostizierte, eine Erstversorgung (Reposition und Ruhigstellung in einer Unterschenkelgipsschiene) vornahm und den Kläger dann in das Universitätsklinikum U. verlegte (Bericht vom 23. März 2009). Dort wurde er bis zum 24. April 2009 stationär behandelt, am 17. April 2009 eine Innenknöchelrevision durchgeführt und der Kläger am 24. April 2009 in die Rehabilitation nach Bad S. verlegt, wo er am 15. Mai 2009 als arbeitsunfähig entlassen wurde, mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit könne bei weiterhin günstigem Verlauf ab dem 01. Juni 2009 gerechnet werden (Arztbericht vom 13. Mai 2009).
Nachdem der Kläger auf Nachfrage der Beklagten vom 1. Juli 2009 (Bl. 62 V-Akte) den Einkommensteuerbescheid für 2007 (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 8.177,00 EUR zzgl. Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 22.544,00 EUR) vorlegte, bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 15. Juli 2009 Verletztengeld für die Zeit vom 4. bis 31. Mai 2009 in Höhe von 50,10 EUR täglich. Weiterhin führte sie aus: "Bitte betrachten Sie dieses Schreiben als Zwischenabrechnung. Die Endabrechnung erfolgt nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit." Nach Wiedervorstellung des Klägers im Universitätsklinikum Ulm (Wiedervorstellung für den 24. Juli 2009 geplant, bis dahin bestehe weiterhin Arbeitsunfähigkeit, Bericht vom 1. Juli 2009), bewilligte die Beklagte dem Kläger mit weiterem Bescheid vom 22. Juli 2009 eine "Vorläufige Zwischenabrechnung von Verletztengeld" in der zuvor bewilligten Höhe unter erneutem Hinweis, dass es sich um eine Zwischenabrechnung handele. Nach Vorlage des radiologischen Befundberichts vom 18. Mai 2009 stellte das Universitätsklinikum Ulm Arbeitsunfähigkeit bis 30. August 2009 fest, woraufhin die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 30. August 2009 bis zum 13. August 2009 weiterhin Verletztengeld "vorläufig" bewilligte. Verletztengeld wurde in der Folge nach Vorlage der Arztberichte bzw. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Universitätsklinikums weitergewährt mit Bescheid vom 24. August 2009 bis 20. August 2009, mit Bescheid vom 23. September 2009 bis 21. September 2009, mit Bescheid vom 6. Oktober 2009 bis 15. Oktober 2009, mit Bescheid vom 16. November 2009 bis 15. November 2009, mit Bescheid vom 8. Januar 2010 bis 31. Dezember 2009, mit Bescheid vom 19. Januar 2010 bis 17. Januar 2010 und zuletzt mit Bescheid vom 2. März 2010 bis 16. Februar 2010.
Am 13. April 2010 wurde der Kläger chirurgisch begutachtet und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab 18. Februar 2010 in Höhe von 20 vom Hundert (v.H.) festgestellt (Erstes Rentengutachten vom 30. April 2010). Mit Bescheid vom 25. Juni 2010 lehnte die Beklagte daraufhin einen Rentenanspruch mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit sei nach dem Ende des Verletztengeldanspruchs, dies sei ab 15. Februar 2010 der Fall, nicht wenigstens um 30 v.H. gemindert.
Mit Schreiben vom 24. August 2010 forderte die Beklagte den Kläger auf, den Steuerbescheid für das Kalenderjahr 2008 vorzulegen. Dem kam der Kläger am 9. Oktober 2010 nach. Nach dem vorgelegten Steuerbescheid 2008 hatte er negative Einkünfte in Höhe von 73.067 EUR aus Gewerbebetrieb erzielt (Bl. 244 V-Akte).
Mit Bescheid vom 28. Januar 2011 forderte die Beklagte daraufhin das zu Unrecht erhaltene Verletztengeld nach § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurück. Die erteilten Bescheide über die Gewährung von Verletztengeld wurden aufgehoben und die sich daraus ergebende Überzahlung in Höhe von 14.228,40 EUR zurückgefordert. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger sei darauf hingewiesen worden, dass es sich um eine vorläufige Berechnung handele und er den Einkommensteuerbescheid 2007 (gemeint: 2008) vorlegen müsse, welchem er am 18. Oktober 2010 nachgekommen sei. Da er aus Gewerbebetrieb im Jahr 2008 kein Einkommen, sondern nur Verluste erzielt habe, sei Verletztengeld zu Unrecht gezahlt worden.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, Verletztengeld könne nicht zurückgefordert werden, weil er negative Einkünfte gehabt habe, die sich nicht durch das Unfallereignis 2009 erklären ließen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2012 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, Einkommen sei bei selbständiger Tätigkeit nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten, welches der Verwaltungsvereinfachung diene. Der Kläger habe im Fragebogen zu seiner selbständigen Tätigkeit angegeben, dass der maßgebliche Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 nicht vorliege und deswegen den für das Kalenderjahr 2007 vorgelegt. Danach hätten sich Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb in Höhe von 22.544,00 EUR ergeben, woraus ein vorläufiges Verletztengeld in Höhe von kalendertäglich 50,10 EUR resultiere. Demgegenüber weise der Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2008 negative Einkünfte in Höhe von 73.067 EUR aus. Danach sei eine Neuberechnung des kalendertäglichen Verletztengeldbetrages vorzunehmen. In Ermangelung eines positiven Einkommens ergebe sich die Überzahlung von 14.228,40 EUR. Diese Leistungen seien nach § 50 SGB X zu erstatten.
Dagegen hat der Kläger am 4. Mai 2012 Klage beim Sozialgericht Um (SG) mit der Begründung erhoben, er habe bis zum 30. September 2004 in einem nichtselbständigen Arbeitsverhältnis gestanden und parallel dazu nebenerwerblich Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sowie aus Gewerbebetrieb erzielt. Nach Beendigung der nichtselbständigen Tätigkeit habe er im September 2007 ein eigenes Ladengeschäft in Ulm eröffnet. Im September 2008 sei er an einen anderen Standort gewechselt und habe gleichzeitig die Gewinnermittlung von einer Bilanzierung auf eine Einnahme-Überschuss-Rechnung umgestellt. Dies habe im Ergebnis zu gewerblichen Verlusten geführt. Parallel dazu hätten sich die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft im Jahr 2007 und 2008 wegen der Veräußerung der Landmaschinen erhöht. Aus den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. April 2010 (B 9 VS 1/09 R) und vom 29. Februar 2012 (B 12 KR 7/10) folge, dass eine individuelle Ermittlung nicht ausgeschlossen sei und es damit nicht ausschließlich auf die Summe der Einkünfte, die sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergäben, ankomme.
Mit Urteil vom 3. Juni 2013, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 7. August 2013, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, das BSG habe in den zitierten Urteilen nicht entschieden, dass Verletztengeld auch im Falle negativen Einkommens gewährt werden könne. Auch sei Versorgungskrankengeld nicht mit Verletztengeld vergleichbar, da eine dem § 16b Abs. 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechende Vorschrift im Unfallversicherungsrecht fehle. Vielmehr hätte dem Kläger einleuchten müssen, dass Verletztengeld die unfallbedingt eingetretene Einkommensminderung bzw. den unfallbedingt eingetretenen Einkommensverlust ausgleichen solle. Wenn aber im maßgeblichen Zeitraum kein Arbeitseinkommen erzielt worden sei, könne auch Verletztengeld nicht beansprucht werden.
Hiergegen hat der Kläger am 8. August 2013 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er vorträgt, die Handhabung der Beklagten führe zu einem ungerechten Ergebnis.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 3. Juni 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und ist weiterhin der Ansicht, dass die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des BSG das Klagebegehren nicht stütze. Zwar werde aus dem Hinweis "Zwischenabrechnung von Verletztengeld" nicht eine Vorläufigkeit der Berechnung des Verletztengeldes deutlich. Der Bescheid sei jedoch nicht isoliert zu sehen. Denn der Kläger sei bereits zuvor mit Schreiben vom 1. Juli 2009 gebeten worden, den Steuerbescheid für 2008 oder eine Schätzung des Steuerberaters über die Einkünfte des Jahres 2008 vorzulegen. Erst hierauf habe er mitgeteilt, dass ihm dies nicht möglich sei und auch eine Schätzung nicht erfolgen könne, da diese erst in zwei Monaten mit dem Abschluss für das Jahr 2008 beginne. Deswegen habe der Kläger darum gebeten, den Steuerbescheid aus 2007 als Basis für die Berechnung des Verletztengeldes zu nehmen. Dem sei man nachgekommen, man habe aber den Kläger im Bescheid darauf hingewiesen, dass eine "Endabrechnung" nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit erfolge. Für den Kläger habe sich damit unter Berücksichtigung des vorangegangenen Schriftwechsels ergeben, dass eine vorläufige Berechnung des Verletztengeldes erfolgt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ) ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da die erforderliche Berufungssumme von 750,00 EUR überschritten wird. Die damit insgesamt zulässige Berufung des Klägers ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Allein aus formalen Gründen ist die Rückforderung rechtswidrig gewesen.
Der Rechtmäßigkeit der Bescheide steht nicht bereits die fehlende Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X entgegen. Zwar wurde dem Kläger vor Erlass des Aufhebungsbescheides keine Gelegenheit gegeben, sich zu dem für die Entscheidung aus Sicht der Beklagten erheblichen Tatsachen zu äußern. Dieser Verfahrensmangel ist aber nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt, denn der Kläger hatte Gelegenheit, im Rahmen seines Widerspruchs seine Einwände gegen die Entscheidung vorzutragen. Insoweit kommt es nämlich nicht darauf an, ob die Erwägungen materiell-rechtlich richtig sind (dazu siehe unten), sondern der Bescheid muss nur die Tatsachen enthalten, auf die die Behörde ihre Entscheidung stützt (BSG, Urteile vom 4. September 2013 - B 10 EG 11/12 R – Juris, und 30. April 1997 - 12 RK 34/96 - SozR 3-2940 § 7 Nr. 4; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 41 Rz. 15). Die Beklagte hat dem Kläger in dem angefochtenen Bescheid vom 28. Januar 2011 die aus ihrer Sicht entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt, auf die sie die teilweise Rückforderung gestützt hat. Dadurch hatte der Kläger die Gelegenheit, sich dazu sachgerecht zu äußern und ist dem auch nachgekommen.
§ 42 Abs. 2 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) scheidet als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Rückforderungsanspruch aus. Nach dieser Vorschrift sind Vorschüsse, d.h. wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, auf die zustehende Leistung anzurechnen und der Vorschuss, soweit er diese übersteigt, vom Empfänger zu erstatten.
Ein Bescheid kann nur dann die Rechtswirkungen des § 42 SGB I, insbesondere der Absätze 2 und 3, auslösen und den damit im Vergleich zu § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geringeren Vertrauensschutz bewirken, wenn er tatbestandsmäßig eindeutig als Vorschuss bezeichnet und erkennbar ist (so Seewald, Kasseler Kommentar, § 42 SGB I Rz. 18). Der Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB I hängt also nicht von der Rechtmäßigkeit der Vorschussbewilligung ab, er ist vielmehr eröffnet, wenn der Leistungsträger für einen an Treu und Glauben orientierten Begünstigten hinreichend verdeutlicht hat, er treffe eine lediglich einstweilige Regelung vom Typ eines Vorschusses im Sinne von § 42 Abs. 1 SGB I. Hierzu muss er wenigstens die typusprägenden Merkmale dieses einstweiligen Verwaltungsaktes mitteilen. Er hat zumindest zu verdeutlichen, er bewillige wegen eines nach seiner Ansicht dem Grunde nach bestehenden "Anspruches" auf Geldleistungen, dessen genaue Höhe noch nicht zeitnah festgestellt werden kann, ein Recht auf Zahlungen, das noch kein dauerhafter Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Gezahlten und dessen Ausübung somit wirtschaftlich risikobehaftet ist. Ob diese Mindestregelung verlautbar worden ist, muss in jedem Einzelfall durch Auslegung des Verwaltungsaktes aus der Sicht eines an Treu und Glauben orientierten, mit den Umständen des Falles vertrauten Erklärungsempfängers ermittelt werden. Keine Anwendbarkeits-, sondern Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist hingegen, ob der Leistungsträger die Einstweiligkeit der Regelung im Übrigen, d.h. über die vorgenannten typusprägenden Merkmale hinaus, hinreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X geregelt hat (BSG, Urteil vom 29. April 1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr. 9). Wirksam ist ein Vorschuss im Sinne des § 42 Abs. 1 SGB I nur dann bewilligt, wenn deutlich darauf hingewiesen wurde, dass im Falle einer sich im Nachhinein als überhöht erweisenden Berechnung eine rückwirkende Änderung der bereits bewilligten Leistungen mit entsprechenden Erstattungspflichten erfolgen wird (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Dezember 2009 - L 12 AL 268/07 - zitiert nach Juris)
Eine solche eindeutige Bestimmung fehlt den bewilligenden Bescheiden von Verletztengeld. Die Beklagte hat die jeweiligen Bewilligungsbescheide weder eindeutig als vorläufig gekennzeichnet, was sie mittlerweile selbst einräumt, noch sich eine Rückforderung vorbehalten, sondern die Bewilligung lediglich als Zwischenabrechnung bezeichnet und eine Endabrechnung nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit in Aussicht gestellt. Damit wird insbesondere keine Verknüpfung zu dem für den endgültigen Leistungsanspruch maßgebenden, später vorgelegten Einkommenssteuerbescheid für 2008, sondern nur eine zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit hergestellt. Nach dem insoweit maßgeblichen Empfängerhorizont konnte der Kläger daher nicht davon ausgehen, dass er ggfs. mit einer Rückforderung nach Vorlage des Steuerbescheides rechnen muss, denn die Beklagte hatte ihn auf diese entscheidende Rechtsfolge nicht hingewiesen. Die angekündigte Endabrechnung kann insbesondere nicht mit einer Erstattungspflicht ohne Vertrauensschutz gleichgesetzt oder so verstanden werden. Insoweit kann sich die Beklagte auch nicht auf ihren vorangegangenen Schriftsatz vom 1. Juli 2009 stützen. Denn in keinem Stadium des Verfahrens wurde - wie aber erforderlich - ausdrücklich dargestellt, dass es sich um eine vorläufige Leistungsbewilligung handelt, bei der der Vertrauensschutz herabgesetzt ist und der Kläger als Leistungsempfänger ggf. mit einer Rückforderung rechnen muss.
Als Rechtsgrundlage kommt somit allein § 45 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift darf ein begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schweren Maße verletzt hat.
Zwar ist die Bewilligung des Verletztengeldes nach § 55a Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) insoweit materiell-rechtlich rechtswidrig gewesen, als der Kläger zuvor kein Arbeitseinkommen erzielt hatte, sondern - wie sich aus dem vorgelegten und für die Bewilligung in 2009 maßgebenden Einkommenssteuerbescheid für das Kalenderjahr 2008 ergeben hat - negative Einkünfte erzielt hat. Da der Kläger seine Landwirtschaft zum Unfallzeitpunkt bereits nicht mehr in nennenswertem Umfang betrieben hatte, wurde das Verletztengeld ohnehin nur aus dem Einkommen aus Gewerbebetrieb in Höhe von 22.544,00 EUR berechnet.
Die Beklagte hat indessen die einzelnen Bescheide nicht wie erforderlich eindeutig und ausdrücklich nach § 45 SGB X aufgehoben (vgl. auch Urteil des Senats vom 20. Juni 2013 - L 6 VK 3112/10 - Juris).
Selbst wenn man die bloße Aufhebung der nicht im Einzelnen bezeichneten Leistungsbescheide ohne Nennung einer Rechtsgrundlage ausreichen lassen wollte, so setzt die Rücknahme eines anfänglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes des Weiteren voraus, dass Ermessen ausgeübt wird (vgl. Steinwedel, in Kasseler Kommentar, § 45 SGB X Rz. 50). Hierbei handelt es sich nicht lediglich um ein auf Ausnahmefälle beschränktes "Soll"-Ermessen (BSG, Urteile vom 4. Februar 1988 - 11 RAr 26/87 - SozR 1300 § 45 Nr. 34 - und 17. Oktober 1990 - 11 RAr 3/88 - SozR 3-1300 § 45 Nr. 5), sondern das Ermessen ist bei Rücknahmen für die Vergangenheit auszuüben. Eine solche Ermessensausübung hat die Beklagte weder in dem angefochtenen Bescheid vom 28. Januar 2011 noch in dem Widerspruchsbescheid vom 27. April 2012 vorgenommen. Anhaltspukte dafür, dass eine Ermessensschrumpfung auf Null vorliegt, d.h. jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre (BSG, Urteil vom 31. Oktober 1991 - 7 RAr 60/89 - SozR 3-1300 § 45 Nr. 10), liegen nicht vor. Ermessensschrumpfung auf Null setzt voraus, dass es nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige - den Betroffenen ganz oder teilweise begünstigende - Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei zuließen (BSG, Urteile vom 11. April 2002 - B 3 P 8/01 R – Juris - und 4. Februar 1988 - 11 RAr 26/87 - SozR 1300 § 45 Nr. 34). Dies ist in aller Regel nicht der Fall (BSG, Urteil vom 11. Dezember 1992 - 9a RV 17/91 - SozR 3-1300 § 45 Nr. 13). Für eine Ermessensschrumpfung reicht insbesondere nicht aus, dass der Tatbestand der Norm erfüllt ist und keine Gründe ersichtlich sind, die der Rücknahme entgegenstehen.
Insoweit musste der Senat auch nicht der Beklagten Gelegenheit geben, im Wege der Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG das fehlende Ermessen nachzuholen, weil es zum einen nicht der einzige Gesichtspunkt ist, der gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung spricht, zum anderen aber bereits die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X versäumt worden ist, da die Beklagte spätestens nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr 2008 am 9. Oktober 2010 Kenntnis von den zur Aufhebung berechtigenden Tatsachen hatte.
Nach alledem sind daher auf die Berufung des Klägers das angefochtene Urteil vom 3. Juni 2013 ebenso wie die Bescheide vom 18. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2012 aufzuheben, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen zu tragen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen streitig.
Der am 8. Mai 1965 geborene und als selbständiger Kaufmann tätige Kläger, der eigenen Angaben zufolge seinen landwirtschaftlichen Betrieb abwickelte, im November 2008 bereits landwirtschaftliche Fläche verpachtet und auch nach und nach Maschinen und Geräte veräußert hatte (Bericht des Außendienstmitarbeiters O., Bl. 53 V-Akte), stürzte am 23. März 2009 beim Verkauf eines Mähdreschers auf den rechten Unterschenkel sowie das rechte obere Sprunggelenk. Er wurde noch am selben Tag in das Kreiskrankenhaus E. aufgenommen, wo der Durchgangsarzt Dr. T. eine komplette distale Unterschenkelfraktur rechts diagnostizierte, eine Erstversorgung (Reposition und Ruhigstellung in einer Unterschenkelgipsschiene) vornahm und den Kläger dann in das Universitätsklinikum U. verlegte (Bericht vom 23. März 2009). Dort wurde er bis zum 24. April 2009 stationär behandelt, am 17. April 2009 eine Innenknöchelrevision durchgeführt und der Kläger am 24. April 2009 in die Rehabilitation nach Bad S. verlegt, wo er am 15. Mai 2009 als arbeitsunfähig entlassen wurde, mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit könne bei weiterhin günstigem Verlauf ab dem 01. Juni 2009 gerechnet werden (Arztbericht vom 13. Mai 2009).
Nachdem der Kläger auf Nachfrage der Beklagten vom 1. Juli 2009 (Bl. 62 V-Akte) den Einkommensteuerbescheid für 2007 (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 8.177,00 EUR zzgl. Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 22.544,00 EUR) vorlegte, bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 15. Juli 2009 Verletztengeld für die Zeit vom 4. bis 31. Mai 2009 in Höhe von 50,10 EUR täglich. Weiterhin führte sie aus: "Bitte betrachten Sie dieses Schreiben als Zwischenabrechnung. Die Endabrechnung erfolgt nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit." Nach Wiedervorstellung des Klägers im Universitätsklinikum Ulm (Wiedervorstellung für den 24. Juli 2009 geplant, bis dahin bestehe weiterhin Arbeitsunfähigkeit, Bericht vom 1. Juli 2009), bewilligte die Beklagte dem Kläger mit weiterem Bescheid vom 22. Juli 2009 eine "Vorläufige Zwischenabrechnung von Verletztengeld" in der zuvor bewilligten Höhe unter erneutem Hinweis, dass es sich um eine Zwischenabrechnung handele. Nach Vorlage des radiologischen Befundberichts vom 18. Mai 2009 stellte das Universitätsklinikum Ulm Arbeitsunfähigkeit bis 30. August 2009 fest, woraufhin die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 30. August 2009 bis zum 13. August 2009 weiterhin Verletztengeld "vorläufig" bewilligte. Verletztengeld wurde in der Folge nach Vorlage der Arztberichte bzw. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Universitätsklinikums weitergewährt mit Bescheid vom 24. August 2009 bis 20. August 2009, mit Bescheid vom 23. September 2009 bis 21. September 2009, mit Bescheid vom 6. Oktober 2009 bis 15. Oktober 2009, mit Bescheid vom 16. November 2009 bis 15. November 2009, mit Bescheid vom 8. Januar 2010 bis 31. Dezember 2009, mit Bescheid vom 19. Januar 2010 bis 17. Januar 2010 und zuletzt mit Bescheid vom 2. März 2010 bis 16. Februar 2010.
Am 13. April 2010 wurde der Kläger chirurgisch begutachtet und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab 18. Februar 2010 in Höhe von 20 vom Hundert (v.H.) festgestellt (Erstes Rentengutachten vom 30. April 2010). Mit Bescheid vom 25. Juni 2010 lehnte die Beklagte daraufhin einen Rentenanspruch mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit sei nach dem Ende des Verletztengeldanspruchs, dies sei ab 15. Februar 2010 der Fall, nicht wenigstens um 30 v.H. gemindert.
Mit Schreiben vom 24. August 2010 forderte die Beklagte den Kläger auf, den Steuerbescheid für das Kalenderjahr 2008 vorzulegen. Dem kam der Kläger am 9. Oktober 2010 nach. Nach dem vorgelegten Steuerbescheid 2008 hatte er negative Einkünfte in Höhe von 73.067 EUR aus Gewerbebetrieb erzielt (Bl. 244 V-Akte).
Mit Bescheid vom 28. Januar 2011 forderte die Beklagte daraufhin das zu Unrecht erhaltene Verletztengeld nach § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurück. Die erteilten Bescheide über die Gewährung von Verletztengeld wurden aufgehoben und die sich daraus ergebende Überzahlung in Höhe von 14.228,40 EUR zurückgefordert. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger sei darauf hingewiesen worden, dass es sich um eine vorläufige Berechnung handele und er den Einkommensteuerbescheid 2007 (gemeint: 2008) vorlegen müsse, welchem er am 18. Oktober 2010 nachgekommen sei. Da er aus Gewerbebetrieb im Jahr 2008 kein Einkommen, sondern nur Verluste erzielt habe, sei Verletztengeld zu Unrecht gezahlt worden.
Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, Verletztengeld könne nicht zurückgefordert werden, weil er negative Einkünfte gehabt habe, die sich nicht durch das Unfallereignis 2009 erklären ließen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2012 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, Einkommen sei bei selbständiger Tätigkeit nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten, welches der Verwaltungsvereinfachung diene. Der Kläger habe im Fragebogen zu seiner selbständigen Tätigkeit angegeben, dass der maßgebliche Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 nicht vorliege und deswegen den für das Kalenderjahr 2007 vorgelegt. Danach hätten sich Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb in Höhe von 22.544,00 EUR ergeben, woraus ein vorläufiges Verletztengeld in Höhe von kalendertäglich 50,10 EUR resultiere. Demgegenüber weise der Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2008 negative Einkünfte in Höhe von 73.067 EUR aus. Danach sei eine Neuberechnung des kalendertäglichen Verletztengeldbetrages vorzunehmen. In Ermangelung eines positiven Einkommens ergebe sich die Überzahlung von 14.228,40 EUR. Diese Leistungen seien nach § 50 SGB X zu erstatten.
Dagegen hat der Kläger am 4. Mai 2012 Klage beim Sozialgericht Um (SG) mit der Begründung erhoben, er habe bis zum 30. September 2004 in einem nichtselbständigen Arbeitsverhältnis gestanden und parallel dazu nebenerwerblich Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sowie aus Gewerbebetrieb erzielt. Nach Beendigung der nichtselbständigen Tätigkeit habe er im September 2007 ein eigenes Ladengeschäft in Ulm eröffnet. Im September 2008 sei er an einen anderen Standort gewechselt und habe gleichzeitig die Gewinnermittlung von einer Bilanzierung auf eine Einnahme-Überschuss-Rechnung umgestellt. Dies habe im Ergebnis zu gewerblichen Verlusten geführt. Parallel dazu hätten sich die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft im Jahr 2007 und 2008 wegen der Veräußerung der Landmaschinen erhöht. Aus den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. April 2010 (B 9 VS 1/09 R) und vom 29. Februar 2012 (B 12 KR 7/10) folge, dass eine individuelle Ermittlung nicht ausgeschlossen sei und es damit nicht ausschließlich auf die Summe der Einkünfte, die sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergäben, ankomme.
Mit Urteil vom 3. Juni 2013, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 7. August 2013, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, das BSG habe in den zitierten Urteilen nicht entschieden, dass Verletztengeld auch im Falle negativen Einkommens gewährt werden könne. Auch sei Versorgungskrankengeld nicht mit Verletztengeld vergleichbar, da eine dem § 16b Abs. 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechende Vorschrift im Unfallversicherungsrecht fehle. Vielmehr hätte dem Kläger einleuchten müssen, dass Verletztengeld die unfallbedingt eingetretene Einkommensminderung bzw. den unfallbedingt eingetretenen Einkommensverlust ausgleichen solle. Wenn aber im maßgeblichen Zeitraum kein Arbeitseinkommen erzielt worden sei, könne auch Verletztengeld nicht beansprucht werden.
Hiergegen hat der Kläger am 8. August 2013 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er vorträgt, die Handhabung der Beklagten führe zu einem ungerechten Ergebnis.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 3. Juni 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und ist weiterhin der Ansicht, dass die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des BSG das Klagebegehren nicht stütze. Zwar werde aus dem Hinweis "Zwischenabrechnung von Verletztengeld" nicht eine Vorläufigkeit der Berechnung des Verletztengeldes deutlich. Der Bescheid sei jedoch nicht isoliert zu sehen. Denn der Kläger sei bereits zuvor mit Schreiben vom 1. Juli 2009 gebeten worden, den Steuerbescheid für 2008 oder eine Schätzung des Steuerberaters über die Einkünfte des Jahres 2008 vorzulegen. Erst hierauf habe er mitgeteilt, dass ihm dies nicht möglich sei und auch eine Schätzung nicht erfolgen könne, da diese erst in zwei Monaten mit dem Abschluss für das Jahr 2008 beginne. Deswegen habe der Kläger darum gebeten, den Steuerbescheid aus 2007 als Basis für die Berechnung des Verletztengeldes zu nehmen. Dem sei man nachgekommen, man habe aber den Kläger im Bescheid darauf hingewiesen, dass eine "Endabrechnung" nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit erfolge. Für den Kläger habe sich damit unter Berücksichtigung des vorangegangenen Schriftwechsels ergeben, dass eine vorläufige Berechnung des Verletztengeldes erfolgt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers (§§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ) ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da die erforderliche Berufungssumme von 750,00 EUR überschritten wird. Die damit insgesamt zulässige Berufung des Klägers ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Allein aus formalen Gründen ist die Rückforderung rechtswidrig gewesen.
Der Rechtmäßigkeit der Bescheide steht nicht bereits die fehlende Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X entgegen. Zwar wurde dem Kläger vor Erlass des Aufhebungsbescheides keine Gelegenheit gegeben, sich zu dem für die Entscheidung aus Sicht der Beklagten erheblichen Tatsachen zu äußern. Dieser Verfahrensmangel ist aber nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt, denn der Kläger hatte Gelegenheit, im Rahmen seines Widerspruchs seine Einwände gegen die Entscheidung vorzutragen. Insoweit kommt es nämlich nicht darauf an, ob die Erwägungen materiell-rechtlich richtig sind (dazu siehe unten), sondern der Bescheid muss nur die Tatsachen enthalten, auf die die Behörde ihre Entscheidung stützt (BSG, Urteile vom 4. September 2013 - B 10 EG 11/12 R – Juris, und 30. April 1997 - 12 RK 34/96 - SozR 3-2940 § 7 Nr. 4; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 41 Rz. 15). Die Beklagte hat dem Kläger in dem angefochtenen Bescheid vom 28. Januar 2011 die aus ihrer Sicht entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt, auf die sie die teilweise Rückforderung gestützt hat. Dadurch hatte der Kläger die Gelegenheit, sich dazu sachgerecht zu äußern und ist dem auch nachgekommen.
§ 42 Abs. 2 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) scheidet als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Rückforderungsanspruch aus. Nach dieser Vorschrift sind Vorschüsse, d.h. wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, auf die zustehende Leistung anzurechnen und der Vorschuss, soweit er diese übersteigt, vom Empfänger zu erstatten.
Ein Bescheid kann nur dann die Rechtswirkungen des § 42 SGB I, insbesondere der Absätze 2 und 3, auslösen und den damit im Vergleich zu § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geringeren Vertrauensschutz bewirken, wenn er tatbestandsmäßig eindeutig als Vorschuss bezeichnet und erkennbar ist (so Seewald, Kasseler Kommentar, § 42 SGB I Rz. 18). Der Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB I hängt also nicht von der Rechtmäßigkeit der Vorschussbewilligung ab, er ist vielmehr eröffnet, wenn der Leistungsträger für einen an Treu und Glauben orientierten Begünstigten hinreichend verdeutlicht hat, er treffe eine lediglich einstweilige Regelung vom Typ eines Vorschusses im Sinne von § 42 Abs. 1 SGB I. Hierzu muss er wenigstens die typusprägenden Merkmale dieses einstweiligen Verwaltungsaktes mitteilen. Er hat zumindest zu verdeutlichen, er bewillige wegen eines nach seiner Ansicht dem Grunde nach bestehenden "Anspruches" auf Geldleistungen, dessen genaue Höhe noch nicht zeitnah festgestellt werden kann, ein Recht auf Zahlungen, das noch kein dauerhafter Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Gezahlten und dessen Ausübung somit wirtschaftlich risikobehaftet ist. Ob diese Mindestregelung verlautbar worden ist, muss in jedem Einzelfall durch Auslegung des Verwaltungsaktes aus der Sicht eines an Treu und Glauben orientierten, mit den Umständen des Falles vertrauten Erklärungsempfängers ermittelt werden. Keine Anwendbarkeits-, sondern Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist hingegen, ob der Leistungsträger die Einstweiligkeit der Regelung im Übrigen, d.h. über die vorgenannten typusprägenden Merkmale hinaus, hinreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X geregelt hat (BSG, Urteil vom 29. April 1997 - 4 RA 46/96 - SozR 3-1200 § 42 Nr. 9). Wirksam ist ein Vorschuss im Sinne des § 42 Abs. 1 SGB I nur dann bewilligt, wenn deutlich darauf hingewiesen wurde, dass im Falle einer sich im Nachhinein als überhöht erweisenden Berechnung eine rückwirkende Änderung der bereits bewilligten Leistungen mit entsprechenden Erstattungspflichten erfolgen wird (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. Dezember 2009 - L 12 AL 268/07 - zitiert nach Juris)
Eine solche eindeutige Bestimmung fehlt den bewilligenden Bescheiden von Verletztengeld. Die Beklagte hat die jeweiligen Bewilligungsbescheide weder eindeutig als vorläufig gekennzeichnet, was sie mittlerweile selbst einräumt, noch sich eine Rückforderung vorbehalten, sondern die Bewilligung lediglich als Zwischenabrechnung bezeichnet und eine Endabrechnung nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit in Aussicht gestellt. Damit wird insbesondere keine Verknüpfung zu dem für den endgültigen Leistungsanspruch maßgebenden, später vorgelegten Einkommenssteuerbescheid für 2008, sondern nur eine zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit hergestellt. Nach dem insoweit maßgeblichen Empfängerhorizont konnte der Kläger daher nicht davon ausgehen, dass er ggfs. mit einer Rückforderung nach Vorlage des Steuerbescheides rechnen muss, denn die Beklagte hatte ihn auf diese entscheidende Rechtsfolge nicht hingewiesen. Die angekündigte Endabrechnung kann insbesondere nicht mit einer Erstattungspflicht ohne Vertrauensschutz gleichgesetzt oder so verstanden werden. Insoweit kann sich die Beklagte auch nicht auf ihren vorangegangenen Schriftsatz vom 1. Juli 2009 stützen. Denn in keinem Stadium des Verfahrens wurde - wie aber erforderlich - ausdrücklich dargestellt, dass es sich um eine vorläufige Leistungsbewilligung handelt, bei der der Vertrauensschutz herabgesetzt ist und der Kläger als Leistungsempfänger ggf. mit einer Rückforderung rechnen muss.
Als Rechtsgrundlage kommt somit allein § 45 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift darf ein begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schweren Maße verletzt hat.
Zwar ist die Bewilligung des Verletztengeldes nach § 55a Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) insoweit materiell-rechtlich rechtswidrig gewesen, als der Kläger zuvor kein Arbeitseinkommen erzielt hatte, sondern - wie sich aus dem vorgelegten und für die Bewilligung in 2009 maßgebenden Einkommenssteuerbescheid für das Kalenderjahr 2008 ergeben hat - negative Einkünfte erzielt hat. Da der Kläger seine Landwirtschaft zum Unfallzeitpunkt bereits nicht mehr in nennenswertem Umfang betrieben hatte, wurde das Verletztengeld ohnehin nur aus dem Einkommen aus Gewerbebetrieb in Höhe von 22.544,00 EUR berechnet.
Die Beklagte hat indessen die einzelnen Bescheide nicht wie erforderlich eindeutig und ausdrücklich nach § 45 SGB X aufgehoben (vgl. auch Urteil des Senats vom 20. Juni 2013 - L 6 VK 3112/10 - Juris).
Selbst wenn man die bloße Aufhebung der nicht im Einzelnen bezeichneten Leistungsbescheide ohne Nennung einer Rechtsgrundlage ausreichen lassen wollte, so setzt die Rücknahme eines anfänglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes des Weiteren voraus, dass Ermessen ausgeübt wird (vgl. Steinwedel, in Kasseler Kommentar, § 45 SGB X Rz. 50). Hierbei handelt es sich nicht lediglich um ein auf Ausnahmefälle beschränktes "Soll"-Ermessen (BSG, Urteile vom 4. Februar 1988 - 11 RAr 26/87 - SozR 1300 § 45 Nr. 34 - und 17. Oktober 1990 - 11 RAr 3/88 - SozR 3-1300 § 45 Nr. 5), sondern das Ermessen ist bei Rücknahmen für die Vergangenheit auszuüben. Eine solche Ermessensausübung hat die Beklagte weder in dem angefochtenen Bescheid vom 28. Januar 2011 noch in dem Widerspruchsbescheid vom 27. April 2012 vorgenommen. Anhaltspukte dafür, dass eine Ermessensschrumpfung auf Null vorliegt, d.h. jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre (BSG, Urteil vom 31. Oktober 1991 - 7 RAr 60/89 - SozR 3-1300 § 45 Nr. 10), liegen nicht vor. Ermessensschrumpfung auf Null setzt voraus, dass es nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige - den Betroffenen ganz oder teilweise begünstigende - Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei zuließen (BSG, Urteile vom 11. April 2002 - B 3 P 8/01 R – Juris - und 4. Februar 1988 - 11 RAr 26/87 - SozR 1300 § 45 Nr. 34). Dies ist in aller Regel nicht der Fall (BSG, Urteil vom 11. Dezember 1992 - 9a RV 17/91 - SozR 3-1300 § 45 Nr. 13). Für eine Ermessensschrumpfung reicht insbesondere nicht aus, dass der Tatbestand der Norm erfüllt ist und keine Gründe ersichtlich sind, die der Rücknahme entgegenstehen.
Insoweit musste der Senat auch nicht der Beklagten Gelegenheit geben, im Wege der Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG das fehlende Ermessen nachzuholen, weil es zum einen nicht der einzige Gesichtspunkt ist, der gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung spricht, zum anderen aber bereits die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X versäumt worden ist, da die Beklagte spätestens nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Kalenderjahr 2008 am 9. Oktober 2010 Kenntnis von den zur Aufhebung berechtigenden Tatsachen hatte.
Nach alledem sind daher auf die Berufung des Klägers das angefochtene Urteil vom 3. Juni 2013 ebenso wie die Bescheide vom 18. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2012 aufzuheben, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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