S 6 R 301/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 301/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird in einem Kündigungsschutzprozess durch das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung beendet wurde, stellt die Nachzahlung des Gehaltes nach Abschluss des Kündigungsschutzprozesses kein einmaliges Arbeitsentgelt nach § 23 a SGB IV dar.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 22.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26.06.2013 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 01.04.2013 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu gewähren.

2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu gewähren ist.

Die Klägerin ist 1948 geboren.

Die Klägerin bezieht seit 01.10.2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt (Bl. 78 VA).

Die Klägerin beantragte am 14.02.2013 eine Rente für schwerbehinderte Menschen (Bl. 74-77 VA).

Die Klägerin war bei der Stadt C. beschäftigt. Zuletzt führte sie Reinigungsarbeiten halbtags auf der Basis von 4 Stunden aus (Bl. 18 GA). Die Klägerin bezog ein monatliches Arbeitsentgelt von 1.010,95 EUR.

Mit Schreiben vom 30.01.2009 kündigte der Arbeitgeber der Klägerin fristlos (Bl. 18 GA).

Die Klägerin erhob daraufhin Kündigungsschutzklage.

Im Februar und März 2009 übte die Klägerin ihre Beschäftigung nicht aus. Erst am 02.04.2009 wurde die Klägerin wieder beschäftigt (Bl. 22 GA).

Der Prozess wurde durch Abschluss eines Vergleiches beendet. In dem Vergleich stimmten die Parteien u.a. überein, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher fristgerechter Kündigung aus dringenden betrieblichen Gründen mit Ablauf des 30.09.2009 endet (Bl. 20 GA).

Am 17.06.2009 schloss die Klägerin und ihr ehemaliger Arbeitgeber einen weiteren Vergleich, wonach der Arbeitgeber an die Klägerin zum Ausgleich der Klageforderung 2.020,00 EUR brutto zahlt (Bl. 128 VA).

Auf der Gehaltsabrechnung für Juli 2009 ist ein Entgelt von 1.010,95 EUR und eine Einmalzahlung von 2.020,00 EUR ausgewiesen (Bl. 25 GA). Die Beklagte schrieb im Rahmen der Klärung des Versicherungsverhältnisses den ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin an (Bl. 141). Dieser teilte im Schreiben vom 08.05.2013 mit, das die Beitragszahlung vom 01.02.2009 bis 02.04.2009 wegen unentschuldigtem Fehlen unterbrochen gewesen sei (Bl. 142 VA). Auf der Rückseite wird ausgeführt: "In den Monaten 02/03/2009 hat Frau A. kein Arbeitsentgelt erhalten. Aber lt. Vergleich Arbeitsgericht Einmalzahlung i.H.v. 2.020 EUR (Entgelt für 02/03/2009) im Monat 07/2009" (Bl. 142 R VA).

Mit Bescheid vom 22.05.2013 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente für schwerbehinderte Menschen mit der Begründung ab, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen, die Klägerin habe nur 418 Monate statt der erforderlichen 420 Monate erfüllt (Bl. 7 GA).

Die Klägerin legte Widerspruch ein und führte aus, dass sie auch in den Monaten Februar und März 2009 beschäftigt gewesen sei. Ihr Arbeitgeber habe auch für diesen Zeitraum aufgrund des Vergleiches den Verdienst nachgezahlt (Bl. 155 VA).

Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 26.06.2013 zurückgewiesen. In dem Bescheid wird ausgeführt, dass die im Juli 2009 für die Monate Februar und März erfolgte Zahlung des Verdienstes als Einmalzahlung im Sinne von § 23 a SGB IV anzusehen sei. Es sei dem Entgeltzeitraum zuzuordnen, in dem es gezahlt wurde (Bl. 169 ff VA).

Die Klägerin hat am 25.07.2013 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben.

Sie ist der Ansicht, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig. Sie erfülle die Wartezeit, denn auch für die Monate Februar und März 2009 seien Beiträge zur Rentenversicherung durch ihren Arbeitgeber abgeführt worden. Der Arbeitgeber habe rückwirkend die Anmeldung zur Sozialversicherung durchgeführt (Bl. 31-33 GA).

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.05.2013 über die Ablehnung des Antrages auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 26.06.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.04.2013 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf den angegriffenen Bescheid und ist der Ansicht, dass dieser rechtmäßig sei. Die Klägerin sei im Februar und März 2009 keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen. die Zahlung von 2.020,00 EUR sei als Einmalzahlung im Juli 2009 berücksichtigt worden.

Die Beteiligten stimmten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu (Bl. 43, 45 GA).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Kammer konnte nach § 124 Abs. 2 SGG aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Der Bescheid der Beklagten vom 22.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2013 ist aufzuheben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 01.04.2013 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen zahlen. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Aus diesem Grund ist der Klage stattzugeben.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236 a SGB VI, da sie die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt.

Gemäß § 236 a Abs. 1 S. 1 SGB VI haben Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet haben, bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt sind und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.

Die Klägerin ist 1948 geboren und damit vor dem 01.01.1964. Zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung am 14.02.2013 war die Klägerin 64 Jahre alt. Sie hatte damit das 63. Lebensjahr vollendet.

Bei der Klägerin ist seit 30.07.2010 ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt. Damit zählt die Klägerin zum Personenkreis der schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 2 SGB IX.

Die Voraussetzungen des § 236 a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB VI werden von der Klägerin erfüllt.

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt. § 236 a Abs. 1 Nr. 3 SGB VI schreibt für den Bezug der Altersrente für schwerbehinderte Menschen eine Wartezeit von 35 Jahren, mithin 420 Monaten vor. Auf die Wartezeit von 35 Jahren werden gemäß § 51 Abs. 3 SGB VI alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten angerechnet.

Erheblich ist hier, wie die Zahlung von 2.020,00 EUR im Juli 2009 durch den ehemaligen Arbeitgeber zu bewerten ist.

Die Beklagte betrachtet diese Zahlung als einmaliges Arbeitsentgelt im Sinne von § 23 a SGB VI. Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt sind nach § 23 a Abs. 1 S. 1 SGB IV Zuwendungen, die dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind und nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt werden. Die Beklagte stuft die zum zusammen mit dem Gehalt für Juli 2009 ausgezahlte Zahlung von 2.020 EUR als einmaliges Arbeitsentgelt ein, weil ihrer Ansicht nach, die Klägerin für diese Zahlung keine Arbeitsleistung erbracht wurde.

Für die Ansicht der Beklagten spricht zunächst, dass der Arbeitgeber in der Gehaltsabrechnung von Juli 2009 die Zahlung von 2.020 EUR als Einmalbezüge ausweist (Bl. 28 GA).

Für die Ansicht der Beklagten scheint auch zu sprechen, dass die Klägerin in den Monaten Februar und März 2009 keine Arbeitsleistung gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber erbracht hat. Jedoch berücksichtigt die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht hinreichend, dass zum einen der Arbeitgeber gegenüber der Klägerin eine fristlose Kündigung zum 31.01.2009 ausgesprochen hatte und die Klägerin diese Kündigung vor dem Arbeitsgericht im Wege einer Kündigungsschutzklage erfolgreich angegriffenen hat. Das Arbeitsverhältnis wurde erst zum 30.09.2009 beendet. Aus diesem Grund kann der Klägerin von Seiten der Beklagten nicht entgegengehalten werden, dass sie im Monat Februar und März 2009 während der Anhängigkeit des Kündigungsschutzprozesses keine Arbeitsleistung erbrachte.

Zum anderen spricht gegen die Ansicht der Beklagten, dass der ehemalige Arbeitgeber der Klägerin davon ausging, dass es sich bei der Zahlung um das Arbeitsentgelt für die beiden Monate handelt. Das ergibt sich sowohl aus der Meldebescheinigung für den Arbeitnehmer nach § 25 DEÜV mit der Zeiten der Beschäftigung für den 01.02.2009 bis 31.03.2009 und für den 01.04.2009 bis 02.04.2009 gemeldet wurden (Bl. 32, 33 GA). Dafür, dass der Arbeitgeber davon ausging, dass die Zahlung von 2.020 EUR als Gehaltsnachzahlung für die Monate Februar und März erfolgte, spricht auch die Angaben des Arbeitgebers gegenüber der Beklagten im Schreiben von 08.05.2013. Dort heißt es auf die Frage, ob die Beitragszahlung unterbrochen gewesen sei: "Ja, vom 01.02.2009 bis 02.04.2009 wegen unentschuldigtem Fehlen" (Bl. 142 VA). Auf der Rückseite wird ausgeführt: "In den Monaten 02/03/2009 hat Frau A. kein Arbeitsentgelt erhalten. aber lt. Vergleich Arbeitsgericht Einmalzahlung i.H.v. 2.020 EUR (Entgelt für 02/03/2009) im Monat 07/2009" (Bl. 142 R VA).

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass während der Dauer eines Kündigungsschutzprozesses Beiträge zur Sozialversicherung nicht fällig sind (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.1981, Az: 12 RK 58/80). Daher kann aus der Unterbrechung der Beitragszahlung durch den Arbeitgeber nicht geschlossen werden, dass die Zahlung von 2.020,00 EUR im Juli als einmaliges Arbeitsentgelt und nicht als Gehaltsfortzahlung für die Monate Februar und März 2009 erfolgte.

Darüber hinaus steht auch die Entrichtung des Beitrages im Juli 2009 einer Zuordnung zu den Monaten Februar und März 2009 nicht entgegen. Zwar gilt grundsätzlich, dass die Beiträge jeweils in dem Monat gezahlt werden (Zahlungsmonat), für den sie gelten sollen

(Geltungsmonat) (vgl. Peters, Kasseler Kommentar, 80. Ergänzungslieferung, Stand Dezember 2010, § 197 Rn. 2). Aus der Vorschrift des § 197 SGB VI folgt aber, dass ein Auseinanderfallen von Zahlungs- und Geltungsmonat möglich ist.

Die Entrichtung des Beitrages im Juli 2009 für die beiden Monate ist nach § 197 Abs. 1 SGB VI zulässig, da die Beiträge innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist gezahlt wurden und somit zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren (vgl. Peters, Kasseler Kommentar, 80. Ergänzungslieferung, Stand Dezember 2010, § 197 Rn. 2).

Dem steht auch nicht entgegen, dass das Recht zur Zahlung für zurückliegende Zeiträume jedoch nicht die Pflicht bzw. das Recht ersetzen kann, im Geltungszeitraum überhaupt Beiträge entrichten zu müssen oder zu dürfen. Da das Arbeitsverhältnis erst zum 30.09.2009 – wie vom Arbeitsgericht festgestellt wurde fortbestand - bestand es auch im Februar und März 2009, mit der Folge, dass die Klägerin in diesem Zeitraum der Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 SGB VI unterlag und damit ein Pflicht zu Beitragsentrichtung bestand. Das die Klägerin faktischen in diesem Zeitraum keine Arbeitsleistung erbrachte kann ihr aufgrund der Fehlerhaftigkeit der fristlos ausgesprochenen Kündigung aufgrund der Feststellung des Arbeitsgerichts nicht entgegengehalten werden.

Für die Zuordnung der Zahlung als Beiträge für die Monate Februar und März 2009 spricht nach Ansicht der Kammer des Weiteren die Systematik des § 197 Abs. 3 S. 1 SGB VI, wonach in Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, auf Antrag der Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen zuzulassen ist, wenn die Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert waren. Eine vergleichbare Situation ist im hiesigen Fall gegeben. Denn durch die Zuordnung der Zahlung von 2.020,00 EUR durch die Beklagte zum Monat Juli, wird die Klägerin so behandelt als hätte das Arbeitsverhältnis in den Monaten Februar und März 2009 nicht bestanden. Die von der Beklagten erfolgte Zuordnung der Zahlung als einmaliges Arbeitsentgelt entspricht damit nicht der Feststellung des Arbeitsgerichts, dass das Arbeitsverhältnis über den 31.01.2009 bis zum 30.09.2009 fortbestand. Um eine besondere Härte vergleichbar der in § 197 Abs. 3 SGB VI beschriebenen, muss eine Zuordnung des Beitrages zu den Monaten Februar und März erfolgen, da andernfalls der Verlust der Anwartschaft droht ohne dass dies die Klägerin verschuldet hat, denn die Fehlerhaftigkeit der ausgesprochenen Kündigung kann nicht zu ihren Lasten gehen.

Aus diesen Gründen ist die Zahlung von 2.020,00 EUR nicht als einmaliges Arbeitsentgelt nach § 23 a SGB IV sondern als Lohnfortzahlung für die Monate Februar und März 2009 zu werten.

Aufgrund der Zuordnung der Zahlung zu den Monaten Februar und März 2009 erfüllt die Klägerin entgegen der Ansicht der Beklagten die in § 236 a Abs. 1 Nr. 3 SGB VI gesetzlich vorgeschriebene Wartezeit von 35 Jahren bzw. 420 Monaten.

Da somit die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 236 a SGB VI erfüllt sind, ist der angegriffene Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Aus diesem Grund ist er aufzuheben und die Beklagte zur Rentenzahlung ab 01.04.2013 zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gegen die Entscheidung ist das Rechtsmittel der Berufung statthaft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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