L 1 RS 18/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 12 R 704/11
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 RS 18/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RS 8/14 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. März 2013 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Beklagte die Feststellung höherer Entgelte für Zeiten der fiktiven Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) zurücknehmen durfte.

Der am ... 1950 geborene Kläger erwarb ausweislich der Urkunde der Agraringenieurschule F. vom 20. Juli 1972 die Berechtigung, die Berufsbezeichnung Meliorationsingenieur zu führen. Anschließend war er zunächst bei der Meliorationsgenossenschaft U. beschäftigt. Es folgte vom 21. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1981 eine Tätigkeit als Sachbearbeiter Kooperation und Verträge beim VEB Industriebau "Altmark" S., Betrieb des VEB Bau- und Montagekombinat (BMK) M. Schließlich arbeitete er vom 01. Januar 1982 bis zum 30. Juni 1990 als Ingenieur für WAO (Wissenschaftliche Arbeitsorganisation) bzw. Leiter für WAO beim VEB B. M., KB Industrie- und Kraftwerksbau S. (Betriebsbezeichnung bis 31. Dezember 1984) bzw. KB Kernkraftwerk(sbau). Eine schriftliche Versorgungszusage erhielt er während des Bestehens der DDR nicht.

Am 26. Juni 2001 beantragte der Kläger die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 04. August 2004 die Zeit vom 21. Januar 1980 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech fest. Am 27. Februar 2008 beantragte der Kläger die Feststellung zusätzlicher Entgelte (Jahresendprämien). Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 2010 höhere Entgelte für die Zeit vom 21. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1989 fest. Dagegen legte der Kläger am 19. August 2010 Widerspruch ein und trug vor, der KKW-Großbaustellenzuschlag sei bei den festgestellten Entgelten nicht berücksichtigt worden. Mit Schreiben vom 18. Januar 2011 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, im Rahmen des anhängigen Widerspruchsverfahrens sei festgestellt worden, dass der Bescheid vom 04. August 2004 in der Fassung des Bescheides vom 22. Juli 2010 fehlerhaft sei. Als Absolvent des agrarwissenschaftlichen Studiums mit der Berufsbezeichnung Meliorationsingenieur erfülle er nicht die persönliche Voraussetzung für eine (fiktive) Einbeziehung in die AVItech. Es sei daher beabsichtigt, den Bescheid vom 22. Juli 2010 gemäß § 45 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) zurückzunehmen, soweit darin im Zeitraum vom 21. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1989 zu Unrecht höhere Entgelte berücksichtigt worden seien. Hierzu hat der Kläger ausgeführt, gerade das Studium zum Meliorationsingenieur sei ein wissenschaftlich-technisch ausgerichteter Studiengang gewesen und habe mit Landwirtschaft kaum etwas zu tun gehabt. Es seien Fächer wie Statik, Baustoffkunde, Straßenbau, Hydraulik, Mechanisierung, Konstruktion u. a. gelehrt worden. Dieses Studium habe ihn befähigt, vom 21. Januar 1980 bis zum 30. Juni 1990 in der Bauindustrie als Ingenieur arbeiten zu können. Außerdem sei er ausweislich der Urkunde des Ministers für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes B. vom 20. März 1995 berechtigt, den Grad Diplom-Ingenieur (FH) zu führen.

Mit Bescheid vom 08. Februar 2011 hob die Beklagte den Bescheid vom 22. Juli 2010 auf, soweit darin im Zeitraum vom 21. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1989 höhere Entgelte berücksichtigt wurden. Dagegen legte der Kläger am 16. Februar 2011 Widerspruch ein und trug vor, er habe kein agrarwissenschaftliches, sondern ein technisches Studium absolviert. Dieses sei mit der Erarbeitung eines technischen Projektes abgeschlossen worden. Das Studium der Meliorationstechnik sei gleichzusetzen mit dem eines Tiefbauingenieurs oder auch mit dem eines Ingenieurs für Wasserwirtschaft. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04. Mai 2011 zurück. Sie führte aus, der Kläger habe ein agrarwissenschaftliches Studium absolviert; die Agrarwissenschaften lägen außerhalb der "Technischen Wissenschaften".

Dagegen hat der Kläger am 06. Juni 2011 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Die Auffassung der Beklagten werde durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), insbesondere die Entscheidung vom 18. Oktober 2007 (B 4 RS 17/07 R), nicht getragen. Denn der Studiengang Melioration sei technisch-wissenschaftlich ausgerichtet gewesen. Das finde seinen Ausdruck auch darin, dass ihm das Recht verliehen worden sei, die Berufsbezeichnung Meliorationsingenieur zu führen. Dies wäre sicherlich nicht geschehen, wenn nach dem Sprachgebrauch der ehemaligen DDR ein landwirtschaftlich ausgerichteter Studiengang der Agrarwissenschaften absolviert worden wäre. Zudem ergebe sich aus dem Abschlusszeugnis, dass der Studiengang Meliorationswesen im Wesentlichen von technisch-wissenschaftlichen Fächern geprägt gewesen sei und die landwirtschaftstypischen Fachbereiche Pflanzenproduktion, Agrarchemie, Pflanzenschutz, Pflanzenzüchtung und Saatgutproduktion bzw. Tierproduktion hier überhaupt keine Rolle gespielt hätten. Sein Studium sei mit dem Studiengang Mechanisierung der Landwirtschaft vergleichbar. Mit Urteil vom 15. März 2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 45 SGB X lägen vor. Insbesondere sei der Studiengang Melioration der Agrarwirtschaft zuzuordnen.

Gegen das am 22. April 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er bezieht sich auf seine Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren und führt ergänzend und vertiefend aus, die vom erkennenden Senat im Urteil vom 27. Januar 2011 (L 1 R 324/07, juris) geäußerte Ansicht deute darauf hin, dass der Studiengang Melioration durchaus als technischer Studiengang zu verstehen sei, da die zu belegenden Fächer überwiegend technischer Art gewesen seien. Der erkennende Senat habe in dem genannten Urteil zu Recht darauf hingewiesen, dass ein großer Teil der unterrichteten Fächer dem technischen Bereich zuzurechnen sei. Er, der Kläger, habe die Fächer Mathematik, EDV, Physik, Chemie, Vermessungskunde, Standortlehre, Mechanisierung, Bautechnologie, angewandte Hydraulik und bautechnische Grundlagen belegen müssen. Es seien u. a. Fächer wie Statik, Baustoffkunde, Straßenbau, Hydraulik, Mechanisierung und Konstruktion gelehrt worden. Die Agrarwirtschaft sei lediglich ein Randgebiet gewesen. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass der Meliorationsgedanke vor 1990 durchaus ausgeprägter gewesen sei im Sinne einer einheitlichen Wasserwirtschaft in einer Gesamtkonzeption. So sei mit hohem technischen Aufwand der Grundwasserspiegel reguliert worden. Bewässerungs- und Entwässerungssysteme seien großflächig angelegt, konstruiert und erstellt worden. Insbesondere der Hochwasserschutz komme ohne technische Grundlagen nicht aus. Insgesamt sei davon auszugehen, dass die technischen Anforderungen an meliorationsgebundene Vorhaben teilweise höher seien als bei anderen technischen Bauwerken im Hoch- oder Tiefbau. Dabei komme es insbesondere darauf an, dass neben den gut kalkulierbaren, vom Menschen herzustellenden Werken die Umwelt selbst zu berücksichtigen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. März 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Mai 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. März 2013 zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf § 3 Abs. 2 der Anordnung über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulausbildung vom 04. März 1988, auf § 4 Abs. 1 der Anordnung über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulausbildung vom 25. Oktober 1979 und auf § 4 Abs. 1 der Anordnung über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulausbildung vom 03. März 1976 sowie auf die Anlage zu letztgenannter Anordnung. Aus den dort vorgenommenen Differenzierungen sei zu schließen, dass nur die Absolventen der technischen Wissenschaft befugt gewesen seien, den Titel eines Diplom-Ingenieurs zu führen. Dem Kläger habe als Diplom-Meliorationsingenieur nicht die Befugnis gehabt, den Titel "Diplomingenieur" zu führen. Damit erfülle er die persönliche Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung in die AVItech nicht.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung (seit dem Urteil vom 19. März 2009 – L 1 R 91/06 –, www.sozialgerichtsbarkeit.de; vorher offen gelassen) die Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem nur möglich ist, wenn zu Zeiten der DDR eine entsprechende schriftliche Versorgungszusage erteilt worden ist. Eine fiktive Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem der DDR – wie dies das BSG für möglich hält – scheidet nach Auffassung des erkennenden Senats aus. Außerdem hat der Senat den Beteiligten die Anordnung über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulausbildung vom 03. März 1976 sowie auszugsweise die dazugehörige Anlage (GBl. der DDR, Sonderdruck Nr. 869) übersandt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 142, 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das Urteil des SG vom 15. März 2013 ist im Ergebnis und in der Begründung nicht zu beanstanden. Deshalb verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinem Urteil (S. 8 bis 11) und macht sich diese gemäß § 153 Abs. 2 SGG zu eigen. In der Berufungsbegründung sind insoweit im Wesentlichen keine neuen relevanten Tatsachen vorgetragen worden.

Ergänzend merkt der Senat Folgendes an: Vorliegend kommt es im Ergebnis nicht darauf an, dass der Senat der Rechtsprechung des BSG zur fiktiven Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem nicht folgt, da die Voraussetzungen hierfür auch auf der Grundlage dieser BSG-Rechtsprechung nicht erfüllt sind. Dies hat das SG in seinem Urteil überzeugend herausgearbeitet. Der Senat folgt dem SG auch in der Begründung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X. Insoweit ist den dortigen Urteilsgründen nichts hinzufügen.

Im Kern geht es materiell-rechtlich um die Frage, ob der Kläger als Meliorationsingenieur die persönliche Voraussetzung für eine (fiktive) Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der AVItech erfüllt. Diese Frage hatte der Senat in dem Verfahren L 1 R 324/07 (Urteil vom 27. Januar 2011) offen gelassen, weil der dortige Kläger nach Auffassung des Senats die betriebliche Voraussetzung nicht erfüllte und bereits daran der geltend gemachte Anspruch scheiterte. Der Senat schließt sich nunmehr der Auffassung der Beklagten an, wonach in der Anlage zur Anordnung über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulausbildung vom 03. März 1976 die Differenzierung zwischen Technischen Wissenschaften einerseits und Agrarwissenschaften andererseits angelegt ist. Nach dieser Anlage waren Absolventen der Agrarwissenschaften nur dann befugt, den Titel eines Diplomingenieurs zu führen, wenn sie einen Abschluss in der Fachrichtung Mechanisierung der Landwirtschaft oder Lebensmitteltechnologie besaßen (vgl. auch Landessozialgericht für das Land Brandenburg, Urteil vom 12. April 2005 – L 22 RA 324/04 – juris, Rdnr. 33; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Februar 2006 – L 27 RA 246/07 – juris, Rdnr. 36; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 09. Juli 2007 – L 7 R 739/06 – juris, Rdnr. 33).

Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass das Studium des Klägers auch technische Bereiche beinhaltete. Das allein führte jedoch nicht zu der Berechtigung, die Bezeichnung "Ingenieur" zu führen. Hierzu mussten nämlich auch die Voraussetzungen der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl. II der DDR S. 278) – Ingenieur-VO – erfüllt sein. Nach § 1 Abs. 1 der Ingenieur-VO waren zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" folgende Personengruppen berechtigt:

in der Wortverbindung "Dr.-Ing." und "Dr.-Ing. habil." Personen, denen dieser akademische Grad von einer deutschen Hochschule oder Universität vor 1945 oder den Hochschulen, Universitäten und Akademien der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt verliehen wurde;

in der Wortverbindung "Dipl.-Ing." Personen, die den Nachweis eines ordnungsgemäß abgelegten technischen Abschlussexamens an einer deutschen Hochschule oder Universität vor 1945 oder den Hochschulen bzw. Universitäten der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können und denen das entsprechende Diplom verliehen wurde;

Personen, die den Nachweis eines abgeschlossenen technischen Studiums bzw. einer erfolgreich abgelegten Prüfung durch das Ingenieurzeugnis einer staatlich anerkannten deutschen Fachschule vor 1945 oder einer Fachschule der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können;

Personen, denen die Berufsbezeichnung "Ingenieur" aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen zuerkannt wurde.

Im Übrigen galten die Bestimmungen des § 1 Abs. 1 Buchstaben b und c Ingenieur-VO (nur noch) für die Berufsbezeichnung "Dipl.-Ing. Ök." und "Ing.-Ök." (§ 1 Abs. 2 Ingenieur-VO). § 1 Abs. 2 Ingenieur-VO ist somit eindeutig zu entnehmen, dass ausschließlich die Berufsbezeichnung Diplom-Ingenieurökonom bzw. Ingenieurökonom der Bezeichnung Diplom-Ingenieur bzw. Ingenieur gleichstand. Alle anderen Bezeichnungen, auch wenn sie den Wortteil Ingenieur enthalten, wie der dem Kläger verliehene Titel "Meliorationsingenieur", haben diese Gleichstellung nicht erfahren.

Darüber hinaus ersetzt die vom Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg verliehene Berechtigung, den Grad Diplom-Ingenieur (FH) führen zu dürfen (was auf die von ihm gleichzeitig gemäß dem Einigungsvertrag bescheinigte Gleichstellung bzw. Gleichwertigkeit des Beildungsabschlusses beruht), nicht den nach der Ingenieur-VO erforderlichen Titel als solchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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