L 9 U 3557/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 2850/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3557/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. Juli 2011 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2007 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, beim Kläger eine Berufskrankheit Nr. 4302 der Anl. 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 4302 bzw. 4301 der Anl. 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) sowie die Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1944 geborene Kläger hat nach dem Besuch der Schule nach seinen Angaben in der Türkei von 1960 bis 1964 in der Landwirtschaft gearbeitet, von 1964 bis 1966 seinen Militärdienst geleistet und anschließend bis 1974 als Busfahrer gearbeitet. Im Jahr 1974 kam er in die Bundesrepublik Deutschland. Hier war er von 1977 bis 1978 in einer Gießerei beschäftigt und hat anschließend in zwei Firmen Blech- und Montagearbeiten durchgeführt. Von April 1979 bis Juli 2005 war der Kläger bei der Firma S. mit Blechbearbeitung und Schweißen beschäftigt. Seit 07.02.2005 war er arbeitsunfähig und bezieht seit November 2005 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit und seit Mai 2009 Regelaltersrente. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 50 wegen der Funktionsstörungen Lungenblähung und Lungenfunktionsbeeinträchtigungen festgestellt.

Am 22.06.2005 ging bei der Beklagten eine Anzeige der A. wegen des Verdachts einer BK beim Kläger ein, bei dem eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD), eine Bronchitis und ein Emphysem diagnostiziert worden seien. Beigefügt war ein Leistungsauszug die Zeit vom 23.02.1994 bis 06.06.2005 betreffend, in der Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen einer Bronchitis (02.12.1997 – 05.12.1997, 21.05.2001 – 01.06.2001 und 13.05.2002 – 24.05.2002) sowie wegen eines akuten Infekts der oberen Atemwege (02.06.2002 – 05.06.2002 und 29.06.2004 – 02.07.2004) verzeichnet sind.

Der Kläger gab unter dem 11.07.2005 an, seine Atembeschwerden hätten sich vor ca. zehn Jahren erstmals bemerkbar gemacht. Er sei deswegen von Dr. M. und Dr. T. behandelt worden.

Der Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. T. erklärte unter dem 18.07.2005, der Kläger habe ihn erstmals am 22.06.1987 wegen Atembeschwerden aufgesucht und über Atemnot bei Anstrengung sowie Husten bei Lack- und Küchendämpfen geklagt. Er habe angegeben, seit zwölf Jahren als Schweißer zu arbeiten und eine Schachtel Zigaretten pro Tag zu rauchen. Er habe beim Kläger eine obstruktive Bronchitis mit Lungenemphysem und eine instabile Trachea diagnostiziert. Im späteren Verlauf (Berichte von 2002 und 2005) habe sich eine zunehmende COPD-Symptomatik und ein deutliches Emphysem gezeigt; zusätzlich bei der letzten Vorstellung im Januar 2005 eine respiratorische Partialinsuffizienz.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. M. berichtete unter dem 25.07.2005 über Behandlungen des Klägers seit Januar 1988. Die Erstvorstellung sei wegen einer chronischen Bronchitis mit rezidivierenden Hustenattacken, zum Teil mit Auswurf, erfolgt; anamnestisch sei über eine Viruspneumonie 1985 und Nikotinabusus (20 Zigaretten täglich) berichtet worden. Beim Kläger liege eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung, beeinflusst durch Nikotinabusus sowie hohe Staubbelastung am Arbeitsplatz, vor.

Die Beklagte holte eine Auskunft beim letzten Arbeitgeber des Klägers, der Firma Franz S., vom 19.07.2005 ein und veranlasste Ermittlungen durch ihren Präventionsdienst. Dieser führte unter dem 07.09.2005 aus, der Klägers sei bei seiner 26-jährigen Tätigkeit als Schweißer ca. halbschichtig einer allgemeinen Belastung durch allgemeinen Feinstaub und Eisenoxid ausgesetzt gewesen, die zum Teil ein Vielfaches des Grenzwertes betragen habe. Wegen seiner gesundheitlichen Probleme und auf Anraten seines Arztes sowie auf Drängen der Krankenkasse habe er sein Arbeitsverhältnis gekündigt.

Die Beklagte holte ein internistisch-pneumologisch-allergologisches Fachgutachten ein. Dr. R., Chefarzt der Kurklinik L., stellte im Gutachten vom 27.01.2006 beim Kläger eine chronische obstruktive Atemwegserkrankung mit Lungenemphysem und ausgeprägter unspezifischer Überempfindlichkeit sowie Zeichen einer chronisch rezidivierenden Nasennebenhöhlenentzündung fest. Als ursächlich für die Atemwegserkrankung kämen chronisch rezidivierende Entzündungen der oberen Atemwege und der Zustand nach Viruspneumonie, die langjährige Exposition gegenüber chemisch-irritativ und toxisch wirkenden Substanzen am Arbeitsplatz, der jahrzehntelange Nikotinabusus und wenig wahrscheinlich die Milbensensibilisierung in Betracht. Im Rahmen seiner Schweißarbeiten sei der Kläger nicht nur Schweißrauchen ausgesetzt gewesen, sondern auch Eisenoxid, dem Metallschleifstaub und gelegentlich Lösungsmittel- und Lackdämpfen durch den Nachbararbeitsplatz. Dabei sei die Belastung durch allgemeinen Feinstaub und Eisenoxid zum Teil auf ein Vielfaches des Grenzwertes geschätzt worden. Es sei bekannt, dass im fortgeschrittenen Lebensalter eine Kombinationswirkung durch Zigarettenrauch und Schweißrauchen bestehe. Das Zigarettenrauchen begünstige darüber hinaus eine Infekt-anfälligkeit. Der Kläger habe das Rauchen jedoch vor ca. 16 Jahren aufgegeben. Eine erhöhte Infektanfälligkeit lasse sich aus den dokumentierten Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht entnehmen. Eine aktuelle Sensibilisierung gegenüber Hausstaubmilben lasse sich nicht nachweisen, so dass eine diesbezügliche Mitverursachung der Atemwegserkrankung dadurch wenig wahrscheinlich sei. Das Fortschreiten der obstruktiven Atemwegserkrankung und die Zunahme des Lungenemphysems in den letzten Jahren sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf berufsspezifische Substanzen zurückzuführen. Als Kofaktoren für die Bronchialobstruktion und wesentlicher Faktor für das Lungenemphysem sei der langjährige Nikotinkonsum anzusehen. Dieser sei jedoch bereits vor 16 Jahren aufgegeben worden. Rezidivierende Entzündungen der oberen und unteren Atemwege könnten Folge des Rauchens wie auch der weiter bestehenden Schadstoffexposition am Arbeitsplatz oder ihrer damaligen Kombination sein. Die medizinischen Voraussetzungen einer BK nach Nr. 4302 der BKV seien mit der Krankschreibung im Februar 2005 erfüllt. Der Kläger sollte alle irritativ auf das bronchiale System wirkenden Stoffe und rasche Temperaturschwankungen meiden. Die berufliche Tätigkeit sei wegen der obstruktiven Atemwegserkrankung bereits im Februar 2005 aufgegeben worden. Er schätze die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund der BK auf 20 v.H.; die Gesamt-MdE auf 50 v.H.

Die Beklagte holte – unter Darlegung ihrer Ansicht im Schreiben vom 07.04.2006, dass keine BK Nr. 4301 bzw. 4302 vorliege – eine Stellungnahme bei Professor Dr. H., Arzt für Innere Medizin, Pneumologie, Allergologie und Umweltmedizin, ein. Dieser führte unter dem 09.05.2006 aus, er stimme Dr. R. insoweit zu, dass die konkrete Gefahr der Verschlimmerung der COPD bestanden hätte, wenn der Kläger die gefährdende Tätigkeit ohne Präventionsmaßnahmen fortgesetzt hätte. Insoweit sei die Zuständigkeit der Beklagten im Rahmen des § 3 BKV in jedem Fall gegeben. Er habe aber Zweifel, ob angesichts des Überwiegens der anlagebedingten krankheitsunterhaltenden außerberuflichen Faktoren die COPD tatsächlich ursächlich bzw. teilursächlich durch die berufliche Tätigkeit ausgelöst worden sei. Unabhängig davon sei die MdE-Einschätzung problematisch. Es sollte vor der abschließenden Bewertung noch eine hoch auflösende Computertomographie (CT) durchgeführt werden, da die Strukturanalyse des vermuteten Lungenemphysems häufig richtungsweisende Rückschlüsse zulasse. So sei die Überblähung der Lungenobergeschosse in der Regel ein (typischer) Hinweis auf einen anlagebedingten Emphysemschaden.

Die CT Thorax und HR-CT zeigten eine beginnende bzw. diskrete Bronchiektasie/Bronchiekta-senbildung bei ansonsten im Wesentlichen altersentsprechenden Befund (Bericht vom 22.05.2006). In der Stellungnahme vom 18.07.2006 führte Professor Dr. H. aus, es fänden sich eindeutig zentrale Bronchiektasen und auch air trapping mit geringen beginnenden zentroazinären Emphysemumbauten der Lunge. Damit liege klinisch das Vollbild der COPD mit Infekt-exazerbation vor. Bronchiektasen entstünden auf dem Boden chronisch-entzündlicher Veränderungen und seien nicht Folge toxisch-irritativer Einwirkungen. Diese Veränderungen seien als BK-unabhängiger Vorschaden zu werten. Die Atemwegserkrankung sei nicht durch den Arbeitsplatz ausgelöst bzw. rechtlich wesentlich verschlimmert worden.

Der Staatliche Gewerbeart schlug am 06.09.2006 eine BK Nr. 4302 der BK nicht zur Anerkennung vor, da die haftungsausfüllende Kausalität nicht habe wahrscheinlich gemacht werden können.

Auf Nachfrage der Beklagten vom 06.11.2006, die Bedenken hinsichtlich der Gewährung von Leistungen im Rahmen von § 3 BKV äußerte, erklärte Professor Dr. H. unter dem 11.12.2006, wenn arbeitsorganisatorische Maßnahmen mit konsequenter Absauganlage, die funktionsfähig sei, und das Tragen von Arbeitsschutz-/Feinstaubmasken gewährleistet sei, komme der Restgefährdung am Arbeitsplatz keine andere Bedeutung zu als den üblichen Risiken des allgemeinen Lebens, wie es in der Co-Morbidität, die gesichert sei, zum Ausdruck komme.

Mit Bescheid vom 18.01.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, bei ihm bestehe keine BK nach Nr. 4301 oder 4302 der BK-Liste. Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Dies gelte auch für Leistungen oder Maßnahmen, die geeignet seien, dem Entstehen einer BK entgegenzuwirken. Die Auswertung der von Dr. R. erhobenen Befunde sowie der bisherigen Untersuchungsergebnisse der behandelnden Ärzte ergebe, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Atemwegserkrankung und seiner früheren Tätigkeit nicht bestehe. Die Atemwegs-beschwerden seien vielmehr durch außerberufliche rezidivierende Infekte und seinen Nikotinkonsum verursacht. Hierfür spreche insbesondere, dass anlässlich der CT-Untersuchung am 22.05.2006 Bronchiektasen nachgewiesen wurden. Diese entstünden ausschließlich durch chronisch entzündliche Prozesse und nicht durch toxisch irritative Einwirkungen. Der Schadstoffexposition an seinem früheren Arbeitsplatz, die sicher zu einem verstärkten Auftreten von Atem-wegsbeschwerden geführt habe, komme lediglich die Bedeutung eines sog. Anlassgeschehens zu.

Hiergegen legte der Kläger am 25.01.2007 Widerspruch ein und trug vor, seit 1979 sei er Schweißerei- und Lackierdämpfen ausgesetzt gewesen, die als Mitursache der Atemwegserkrankungen zu berücksichtigen seien. Eine Absauganlage sei erst seit dem Jahr 2001 vorhanden. Er sei nicht wegen häufiger Infekte bzw. Entzündungen arbeitsunfähig gewesen. Das Rauchen habe er schon vor über 20 Jahren aufgegeben. Es sei daher nicht zulässig, die jahrzehntelange Exposition mit Rauch, Dämpfen und Gasen am Arbeitsplatz als bloßes Anlassgeschehen zu bewerten. Das Gutachten von Dr. R. stütze seinen Anspruch auf Feststellung einer Atemwegserkrankung als BK.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2007 zurück. Zur Begründung führte sie aus, im angefochtenen Bescheid sei bereits ausführlich begründet worden, weswegen den beruflichen Einwirkungen keine wesentliche Teilursache an der bei ihm bestehenden Atemwegserkrankung beigemessen werden könne. Schon das Beschwerdeauftreten im Rahmen einer unabhängigen Viruspneumonie im Jahr 1985 bzw. der Umstand, dass er bereits bei Einwirkung von Küchendünsten bzw. Kältereizen entsprechende Atemwegs-beschwerden habe, spreche gegen einen beruflichen Zusammenhang. Hinzu kämen vielfältige außerberufliche Ursachen wie chronische Nasenebenhöhlenentzündungen, Refluxösophagitis, wiederholte Virusinfektionen und langjähriges Inhalationsrauchen mit Entwicklung einer chronischen Bronchitis, die gleichermaßen mit entsprechenden Atemwegsbeschwerden einhergingen. Letztlich verdeutliche auch die CT das Vollbild einer sog. COPD. Es zeigten sich Veränderungen, die gerade nicht durch berufliche Schadstoffeinwirkung entstehen könnten.

Hiergegen hat der Kläger am 17.07.2007 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben, sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren im Wesentlichen wiederholt und sich auf das Gutachten von Dr. R. berufen.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers Dr. T. und Dr. M. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört (Auskünfte vom 14.09.2007 und 02.10.2007) und anschließend lungenfachärztliche Gutachten eingeholt.

PD Dr. K., Chefarzt der Pneumologischen Abteilung der Klinik S., hat im Gutachten vom 13.01.2009 unter Mitberücksichtigung eines röntgenfachärztlichen Gutachtens von 30.09.2008 beim Kläger eine COPD (Stadium II nach GOLD) mit mittelgradiger obstruktiver Ventilationsstörung auf dem Boden eines zentroazinären Lungenemphysems (zentrale Bronchiektasen, Zustand nach Nikotinabusus 29 pack years) festgestellt. Er hat ausgeführt, die COPD sei ein Sammelbegriff sowohl für die chronisch obstruktive Bronchitis als auch für das Lungenemphysem. Bei der COPD handle es sich um eine progrediente Lungenerkrankung, deren Hauptursache (bei ca. 80 % der Betroffenen) inhalatives Zigarettenrauchen sei. Sie bewirke einen jährlichen Verlust an Lungenfunktion (bei unbehandelten Rauchern ca. 60 ml und mehr pro Jahr), der mit den derzeit verfügbaren medikamentösen Maßnahmen (Inhalationstherapie) zwar gebessert, aber nicht gestoppt werden könne. Auch nach Einstellen des inhalativen Zigarettenrauchens zeige die COPD bei Ex-Rauchern einen progressiven Charakter auf dem Boden einer chronischen Entzündungsreaktion. Die massive Schadstoffexposition durch inhalatives Zigarettenrauchen stelle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache der COPD dar. Bereits im Juli 1987 habe sich der Kläger wegen Belastungsatemnot in ärztlicher Behandlung befunden; schon damals sei lungenfunktionell eine ausgeprägte obstruktive Ventilationsstörung beschrieben worden. Die von Dr. R. nachgewiesene bronchiale Hyperreagibilität beruhe auf der im Rahmen der COPD bestehenden chronischen Entzündungsreaktion in den Atemwegen. Aktuell habe keine bronchiale Hyperreagibilität nachgewiesen werden können. Die COPD sei berufsunabhängig. Auf dem Boden der berufsunabhängigen Grunderkrankung könnten inhalative Noxen wie z.B. Witterungseinflüsse, Zigarettenrauch, Dämpfe und Stäube sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich zu einer Destabilisierung der pulmonale Grunderkrankung führen. Relevante allergisierende inhalative Noxen seien bereits bei der Begutachtung durch Dr. R. ausgeschlossen worden. Die vorliegende COPD sei auch nicht durch chemisch-irritativ bzw. toxisch wirkende Stoffe mit Wahrscheinlichkeit hervorgerufen worden, da das inhalative Zigarettenrauchen mit 29 Jahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Hauptursache der COPD darstelle. In der Längsschnittbeurteilung sei eine richtungsweisende Verschlimmerung der pulmonalen Grunderkrankung bei persistierender mittelgradiger obstruktiver Ventilationsstörung, tendenziell verbesserter körperlicher Belastbarkeit (bis 112 W), und unveränderten Blutgaswerten im Vergleich zur Voruntersuchung von Dezember 2005 nicht nachweisbar. Im Vergleich zur Lungenfunktionsuntersuchung von Januar 2005 (vor Aufgabe der beruflichen Tätigkeit) zeige sich im Abstand von drei Jahren jedoch eher eine tendenzielle Verschlechterung des FEV1 (1,81 l, 66 % Soll; aktuell 1,54 l, 61 % Soll). Dies sei im Rahmen des progressiven Charakters der COPD als berufsunabhängige Lungenerkrankung zu werten und spreche gegen eine richtungsweisende Verschlimmerung des Krankheitsbildes im Rahmen der beruflichen Tätigkeit. Dies würde nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit vor drei Jahren eher eine Besserungstendenz nach mehrjährigem Expositionsausschluss gegenüber Dämpfen und Stäuben am Arbeitsplatz erwarten lassen. Prinzipiell könne eine länger andauernde intensive Exposition von chemisch-irritativen und/oder toxischen Schweißrauch-Bestandteilen über mehrere Jahre (meist acht bis zehn Stunden pro Tag) unter arbeitshygienisch unzureichenden Expositionsbedingungen (insbesondere enge Räume, fehlende Absaugung der Schweißrauche an der Entstehungstelle) als wesentliche Teilursache bei einer Entstehung obstruktiver Atemwegserkrankungen anzusehen sein. Entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen seien jedoch am Arbeitsplatz des Klägers vorhanden gewesen. Das nachgewiesene zentrolobuläre Lungenemphysem werde nicht als typische Folge einer jahrelangen Schweißrauchexposition diskutiert. Weiter habe sich auch drei Jahre nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit keine Besserung der Lungenfunktionswerte nachweisen lassen. Die Nikotinkarenz sei kein Argument für eine richtungsweisende Verschlimmerung der Erkrankung durch arbeitsplatzbezogene Schadstoffexposition. Auch bei Ex-Rauchern werde das Fortschreiten einer COPD nach Triggerung beobachtet. Rezidivierende Infektexazerbationen, die nachgewiesene respiratorische Partialinsuffizienz und die Ausbildung eines Lungenemphysems entsprächen der typischen Klinik und dem Verlauf einer COPD. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 4302 seien nicht gegeben.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 29.03.2009 hat PD Dr. K. ausgeführt, in der Längsschnittbeurteilung zeige sich seit 1991 beim Kläger eine persistierende obstruktive Ventilationsstörung ohne Nachweis einer richtungsweisenden Verschlimmerung. Drei Jahren nach Aufgabe der Tätigkeit sei keine richtungsweisende Verbesserung nachweisbar.

In dem auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachten vom 17.11.2009 hat Dr. S., Chefarzt der Lungenfachklinik St. B., ausgeführt, beim Kläger liege eine chronisch obstruktive Bronchitis Stadium II nach GOLD vor. Zusätzlich bestünden Hinweise auf ein Lungenemphysem. Gehe man davon aus, dass die chronisch obstruktive Erkrankung durch das langjährige inhalative Zigarettenrauchen entstanden sei, sei davon auszugehen, dass mit Wahrscheinlichkeit eine Verschlimmerung durch chemisch-irritative bzw. toxisch wirkende Stoffe, denen der Kläger über viele Jahre in deutlich erhöhter Konzentration ausgesetzt gewesen sei, eingetreten sei. Unter der Annahme, dass die chronisch obstruktive Atemwegserkrankung durch die chemisch-irritativen bzw. toxisch wirkenden Stoffe, denen der Kläger über viele Jahre in deutlich erhöhter Konzentration ausgesetzt gewesen sei, entstanden sei, sei davon auszugehen, dass mit Wahrscheinlichkeit eine Verschlimmerung durch das langjährige inhalative Zigarettenrauchen eingetreten sei. Da der Kläger sowohl viele Jahre Raucher gewesen sei als auch über Jahre bei seiner Berufstätigkeit deutlich erhöhten Konzentrationen von chemisch-irritativ bzw. toxisch wirkenden Stoffen ausgesetzt gewesen sei, sei eine exakte wissenschaftliche Festlegung der primären Entstehung der chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung retrospektiv nicht möglich. Er sehe hier zwei gleichwertige Ursachen, die jede für sich sowohl die chronisch obstruktive Lungenerkrankung hervorgerufen oder verschlimmert haben können. Auch nach Beendigung des inhalativen Zigarettenrauchens (bereits 1989) habe der Kläger immer wieder über Atembeschwerden geklagt. Wenn die Lungenfunktionsstörungen nicht durch schädigende Einwirkungen bei der beruflichen Tätigkeit hervorgerufen worden seien, so seien sie jedoch dadurch verschlimmert worden. Der Kläger sei wegen der Lungenerkrankung auch gezwungen gewesen, seine Tätigkeit aufzugeben. Insbesondere sei die Fortsetzung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit ohne Arbeitsschutzmaßnahmen nicht mehr zumutbar gewesen. Nach Aktenlage sei schon nicht klar, ab wann, welche und wie viele Arbeitsschutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt worden seien. Auch sei eine adäquate Nutzung der Anlage zu bezweifeln, wie die vorliegenden Fotos zeigten. Die MdE für die BK werde auf 20 v.H. geschätzt; die Gesamt-MdE auf 50 v.H.

Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme von Professor Dr. H. vom 22.04.2010 vorgelegt, der ausführt, er verbleibe bei seiner Auffassung, dass das Thorax-CT vom 22.05.2006 Bronchiektasen ausweise. Diese seien Indikatoren für chronisch-entzündliche-Prozesse an und in den Atemwegen. Angesichts von fünf anlagebedingten berufsunabhängigen medizinisch krankheitsunterhaltenden Faktoren für die COPD sei eine rechtlich wesentliche teilursächliche Bedeutung der arbeitsplatzbezogenen Einwirkungen durch Schweißrauche nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen. Angesichts der unterschiedlichen Bewertungen durch die Radiologen empfehle er die Einholung einer zusätzlichen Stellungnahme durch einen auf dem Gebiet der Pneumologie besonders erfahrenen Fachradiologen.

Daraufhin hat das SG ein weiteres Gutachten eingeholt. Professor Dr. H., Chefarzt der Thoraxklinik H., hat in dem zusammen mit Dr. B. nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 27.07.2010 ausgeführt, in Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. R. und Dr. S. sei von einer BK Nr. 4302 ab 2005 auszugehen. Die MdE hierfür betrage 20 v.H.

In einem radiologischen Gutachten vom 08.02.2011 hat Professor Dr. C. erklärt, im CT vom 22.05.2006 gebe es in beiden Lungenoberlappen keinen Hinweis auf signifikante Bron-chiektasen. Leichte Bronchiektasen fänden sich in den Lungenunterfeldern mit leichter Wandbetonung der Bronchien. Minimale noduläre milchglasartige Verschattungen in zentrilobulärer Verteilung in den Lungenoberfeldern könnten eine leichte Bronchiolitis darstellen; eine klinische Korrelation werde empfohlen.

Mit Urteil vom 07.07.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung der bei ihm bestehenden Atemwegs- und Lungenerkrankung als BK nach der Nr. 4302 bzw. 4301 der Anlage zur BKV. Ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Klägers und den beruflichen Einwirkungen sei nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen. Das SG schließe sich den überzeugenden Ausführungen von PD Dr. K. an. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug.

Gegen das am 29.07.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.08.1011 Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG habe die Anerkennung seiner Lungenerkrankung und seinen Anspruch auf darauf basierend Rentenleistungen zu Unrecht abgelehnt. Im Hinblick auf die über Jahrzehnte hinweg gegebene extreme berufliche Exposition sei eine wesentliche Mitverursachung durch die diversen beruflichen Belastungen zu bejahen, wie die Gutachten von Dr. R. und Dr. S. belegten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. Juli 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit Nr. 4302 hilfsweise 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente i.H.v. 20 v.H. ab dem 1. August 2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, sie verweise auf den Inhalt der vorgelegten Akten, den Vortrag in erster Instanz und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Der Senat hat zunächst bei Professor Dr. H. eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme und anschließend ein arbeitsmedizinisches Gutachten bei Professor Dr. T. eingegangen.

Professor Dr. H. hat unter dem 17.07.2012 ausgeführt, dem Gutachten von Professor Dr. H. und Dr. B. könne er sich nicht anschließen, da diese es versäumt hätten, die kausale Schlüssigkeit der ins Feld geführten arbeitsplatzbezogenen Lungenschäden über den zeitlichen Verlauf der Lungenfunktion zu prüfen.

Professor Dr. T. ist im Gutachten vom 27.02.2013 zum Ergebnis gelangt, beim Kläger liege eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) mit dem Schweregrad II nach GOLD vor. Im zeitlichen Verlauf ab dem Jahr 2002 sei eine wesentliche Änderung nicht eingetreten. Eine Tendenz zur Verbesserung sei ab dem Jahr 2010 möglich. Die COPD sei typischerweise ein polyätiologisches Krankheitsbild, für deren Entstehung und Verlauf verschiedene Ursachen (chronisches Inhalationsrauchen, rezidivierende Atemwegsinfektionen/Entzündungen, Inhalationsallergien, Passivrauchexposition, Inhalationsnoxen am Arbeitsplatz) wissenschaftlich gesichert seien. Als Ursache aus dem nicht versicherten Bereich sei das Zigarettenrauchen von 1960 sich bis 1989 (rund 29 Packungsjahre) und die wiederholt aufgetretenen Atemwegsinfektionen, die im Zeitraum von 2000 bis 2004 zu Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt hätten, zu berücksichtigen. Ferner habe Dr. M. von einer Viruspneumonie im Jahr 1985 berichtet. Demgegenüber seien die von Professor Dr. H. vermutete Refluxösophagitis sowie die Hausstaubmilben-Sensibilisierung wahrscheinlich keine Ursachen für die COPD, da sich daraus keine behandlungsbedürftige Erkrankung entwickelt habe und die Sensibilisierung asymptomatisch sei. Nach den übereinstimmenden wissenschaftlichen Ergebnissen sei die Nikotinkarenz mit einer objektiven Verbesserung der COPD verbunden. Eine Progression der Erkrankung könne dadurch grundsätzlich verhindert werden. Dieser Verlauf sei auch beim Kläger eingetreten. Nach Aufgabe des Inhalationsrauchens sei es zu keiner weiteren Verschlechterung der Atemwegsobstruktion gekommen. In der Zeit von 1979 bis 2005 sei der Kläger beim Schutzgasschweißen einer inhalativen Belastung gegenüber Schweißrauchen und Schweißgasen, insbesondere Ozon, ausgesetzt gewesen. Wenn man die allgemeinen Erfahrungswerte der Berufsgenossenschaft zur Höhe der Staubkonzentrationen berücksichtige, sei von einer erheblichen Expositionshöhe auszugehen, die die früheren wissenschaftlich begründeten Staubgrenzwerte von 1,5 mg/m³ um den Faktor 27 (bis 1984) bzw. den Faktor 9 (1990 – 1995) überschritten habe. Lege man den aktuellen wissenschaftlich begründeten Staubgrenzwert von lediglich 0,3 mg/m³ zu Grunde, wären die Überschreitungsfaktoren mit 5 zu multiplizieren. Neben der Expositionshöhe sei auch die Expositionsdauer zu berücksichtigen. Neben der beruflichen Exposition hätten die bei Zigarettenrauch freigesetzten Partikel und Gase sowie die abgelaufenen Atemwegsinfektionen gemeinsam schädigend auf die Atemwege eingewirkt, so dass im Hinblick auf die daraus resultierenden Entzündungsreaktionen und die Entstehung von oxidativem Stress von einem Synergismus auszugehen sei. Eine quantitative Abschätzung von beruflichen im Vergleich zu nicht beruflichen Gefährdungen sei aufgrund der komplexen Interaktion nicht möglich. Aus der Epidemiologie sei allerdings bekannt, dass Schweißer mit langjähriger Exposition und mit Zigarettenkonsum ein erhöhtes Risiko auf Lungenfunktionseinschränkungen aufwiesen. Die berufliche Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen sei neben den nicht versicherten Ursachenfaktoren eine wesentliche Mitursache. Die obstruktive Atemwegserkrankung habe auch zum Unterlassen aller Tätigkeiten gezwungen, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die MdE für die BK 4302 betrage 30 v.H.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist auch begründet, soweit er die Anerkennung einer BK Nr. 4302 der Anl. 1 zur BKV begehrt. Die Berufung ist dagegen nicht begründet, soweit der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente im hier anhängigen Berufungsverfahren erstrebt.

Mit dem Bescheid vom 18.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2007 hat die Beklagte die Feststellung einer BK nach Nr. 4301 und 4302 der Anl. 1 zur BKV abgelehnt. Über eine konkrete Leistung – Verletztengeld, Verletztenrente usw. – hat die Beklagte nicht entschieden, sondern ganz allgemein Ansprüche auf Leistungen wegen der abgelehnten BK verneint. Mangels einer entsprechenden Entscheidung über eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist eine Leistungsklage auf Gewährung von Verletztenrente daher unzulässig. Bei sachgerechter Auslegung ist das Begehren des Klägers im Hinblick auf die im Ausgangsbescheid erfolgte Ablehnung der Anerkennung einer BK Nr. 4301 und 4302 der Anl. 1 zur BKV als Anfechtungs- und Feststellungsklage zu sehen (BSG, Urteil vom 20.03.2007, B 2 U 19/06 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 23; Urteil vom 15.02.2005, B 2 U 1/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.06.2009, L 9 U 5746/07, www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Rechtsgrundlage im vorliegenden Fall sind die Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), denn die vorliegend streitbefangene Atemwegserkrankung hat erst im Jahr 2005 zur Aufgabe der Tätigkeit des Klägers geführt. Ein potentieller Versicherungs- wie auch Leistungsfall liegt damit zeitlich nach dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 (Art 36 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, § 212 SGB VII), weshalb dessen Vorschriften Anwendung finden.

Beim Kläger liegt eine BK gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII in Verbindung mit den Vorschriften der BKV vor. Zwar sind die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK der Nr. 4301 der Anl. 1 zur BKV nicht erfüllt. Es liegt jedoch eine BK der Nr. 4302 der Anl. 1 zur BKV vor.

Berufskrankheiten (BKen) sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, SGB VII); sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggfs. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Recht der BKen gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung, die das BSG in seiner Entscheidungen vom 09.05.2006 (B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 und Juris) zusammengefasst dargestellt hat. Die Theorie der wesentlichen Bedingung hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache als solche, insbesondere Art und Ausmaß der Einwirkung, der Geschehensablauf, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, sowie die gesamte Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung am individuellen Versicherten ist der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und Gesundheitsschäden zugrunde zu legen. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang nach der Theorie der wesentlichen Bedingung positiv festgestellt werden muss und hierfür hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt, nicht jedoch die bloße Möglichkeit. Angesichts der multifaktoriellen Entstehung vieler Erkrankungen, der Länge der zu berücksichtigenden Zeiträume und des Fehlens eines typischerweise durch berufliche Einwirkungen verursachten Krankheitsbildes bei vielen BKen, stellt sich letztlich oft nur die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung der Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen.

Die BK Nr. 4301 der Anlage 1 der BKV setzt voraus: "Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Die BK Nr. 4302 verlangt: "Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".

Gemessen daran hat der Kläger Anspruch auf Feststellung einer BK Nr. 4302 der Anl. 1 zur BKV. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat insbesondere aufgrund des Gutachtens von Professor Dr. T. vom 27.02.2013, der die Beurteilungen von Dr. R. im Gutachten vom 27.01.2006, Dr. S. im Gutachten vom 17.11.2009 und Professor Dr. H./Dr. B. im Gutachten vom 27.07.2010 im Ergebnis bestätigt hat.

Beim Kläger liegt unstreitig eine obstruktive Atemwegserkrankung, nämlich eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) mit dem Schweregrad II nach GOLD, vor.

Für die chronische obstruktive Lungenerkrankung sind die schädigenden Einwirkungen der beruflichen Tätigkeit des Klägers eine wesentliche Ursache, d.h. zumindest mitursächlich.

Für den Senat ist aufgrund der Darlegungen des Präventionsdienstes im Bericht vom 27.07.2005 und den Ausführungen von Professor Dr. T. im Gutachten vom 27.02.2013 nachgewiesen, dass der Kläger bei seiner 26-jährigen Tätigkeit bei der Firma S. Feinstaub (Schweißrauchen, Eisenoxid), Schleifstaub (Stahl und gelegentlich Edelstahl) sowie gelegentlich Lösemitteldämpfen ausgesetzt war, wobei die Belastung durch Feinstaub und Eisenoxid ein Vielfaches des Grenzwertes betrug. So wurde der frühere wissenschaftlich begründete Staubgrenzwert von 1,5 mg/m3 um den Faktor 27 (bis 1984) bzw. den Faktor 9 (1990 bis 1995) überschritten. Würde man den aktuellen wissenschaftlich begründeten Staubgrenzwert von lediglich 0,3 mg/ m3 zugrundelegen, wären die Überschreitungsfaktoren mit 5 zu multiplizieren, wie Professor Dr. T. nachvollziehbar dargelegt hat. Die Schweißertätigkeiten wurden nach Angaben der Firma S. vom 19.07.2005 sechs Stunden täglich verrichtet, während der Kläger einen zeitlichen Umfang von sechs bis acht Stunden täglich angegeben hat. Daneben wurden noch allgemeine Schlosserarbeiten (Schneiden, Bohren und Schleifen) verrichtet. Außerdem war der Kläger Lackierdämpfen von Nachbararbeitsplätzen ausgesetzt. Die Tätigkeiten bei der Firma S. hat der Kläger langjährig, vom 23.04.1979 bis zum 07.02.2005, den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, ausgeübt. Die Belüftung erfolgte in der ca. 400 m² großen Halle, in der der Kläger beschäftigt war, mit einem Dachventilator und über Türen und Fenster. Mobile Schweißrauchabsaugungen und Feinstaubmasken waren – nach den Feststellungen des Präventionsdienstes am 07.09.2005 – vorhanden, wurden aber nicht immer benutzt. Nach Angaben des Klägers existierten die mobilen Schweißrauchabsaugungen jedoch erst ab dem Jahr 2000 bzw. 2001, und die Feinstaubmasken wurden nicht benutzt.

Diese schädigenden Einwirkungen bei der beruflichen Tätigkeit des Klägers sind auch grundsätzlich geeignet, eine chronische obstruktive Atemwegserkrankung zu verursachen, wie der Senat den übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. R., Dr. S., Professor Dr. H./Dr. B. sowie Professor Dr. T. entnimmt. Dies wird auch von PD Dr. K. und Professor Dr. H. nicht bezweifelt.

Als weitere Ursachen für die obstruktive Atemwegserkrankung kommen das chronische Inhalationsrauchen von 1960 bis 1989 (29 Packungsjahre) sowie rezidivierende Atemwegsinfekte und Entzündungen in Betracht. Eine erhöhte Infektanfälligkeit ergibt sich – wie Dr. R. nachvollziehbar ausführt – aus den bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiten (23.02.1994 bis 06.06.2005:4 Tage im Jahr 1997, 11 Tage im Jahr 2001, 16 Tage im Jahr 2002 und 4 Tage im Jahr 2004) nicht. Insbesondere fehlen sämtliche Anhaltspunkte dafür, dass bis zur Aufgabe des Rauchens im Jahr 1989 eine höhere Infektanfälligkeit vorgelegen hätte. Vielmehr entnimmt der Senat den Angaben des Lungenarztes Dr. T. vom 18.05.2005, dass es im Verlauf (in den Jahren 2002 und 2005) zu einer zunehmenden COPD-Symptomatik und einem deutlichen Emphysem sowie zusätzlich zu einer respiratorischen Partialinsuffizienz und somit zu einer Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers gekommen ist. Diese hat letztlich auch zu der ärztlichen Empfehlung geführt, die schädigende Tätigkeit bei der Firma S. aufzugeben.

Die von Professor Dr. H. vermutete Refluxösophagitis und die Hausstaubmilben-Sensibilisierung sind dagegen keine Ursachen für die COPD, da sich daraus keine behandlungsbedürftige Erkrankung entwickelt hat und die Sensibilisierung asymptomatisch ist, wie Professor Dr. T. nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat. Schon Dr. R. hat die Hausstaubmilben-Sensibilisierung als nicht ursächlich für die COPD angesehen.

Auch wenn das Inhalationsrauchen und die Atemwegsinfekte/Entzündungen als weitere Ursachen in Betracht kommen, ist zu berücksichtigen, dass der Kläger das Rauchen im Jahr 1989 eingestellt hat, während er danach noch von 1989 bis 2005 den schädigenden Einwirkungen von Feinstaub (Schweißrauchen, Eisenoxid), Schleifstaub (Stahl und gelegentlich Edelstahl) sowie gelegentlich Lösemitteldämpfen in erheblichem Ausmaß ausgesetzt war. Nach den übereinstimmenden wissenschaftlichen Ergebnissen ist die Nikotinkarenz mit einer objektiven Verbesserung der COPD verbunden, wie Professor Dr. T. für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat. Angesichts dessen ist es nicht wahrscheinlich, dass der beim Kläger vorliegende Gesundheitszustand auch bestehen würde bzw. sich entsprechend entwickelt hätte, wenn er seiner langjährigen Tätigkeit unter Schadstoffexposition bei der Firma S. in den Jahren 1979 bis 2005 nicht nachgegangen wäre.

Professor Dr. T. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass sowohl die schädigenden Einwirkungen der beruflichen Tätigkeit als auch die des Zigarettenrauchens und die rezidivierenden Atemwegsinfekte gemeinsam schädigend auf die Atemwege des Klägers eingewirkt haben, so dass im Hinblick auf die daraus resultierenden Entzündungsreaktionen und die Entstehung von oxidativem Stress von einem Synergismus auszugehen ist. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass aus der Epidemiologie bekannt ist, dass Schweißer mit langjähriger Exposition und mit Zigarettenkonsum ein erhöhtes Risiko auf Lungenfunktionseinschränkungen aufweisen. Seine Schlussfolgerung, dass die beruflichen Einwirkungen von Schweißrauchen und Schweißgasen neben den nicht versicherten Ursachenfaktoren eine wesentliche Mitursache darstellen, hält der Senat für überzeugend. Seine Beurteilung bestätigt die übereinstimmenden Einschätzungen von Dr. R., Dr. S. und Professor Dr. H./Dr. B.

Wegen der obstruktiven Lungenerkrankung war der Kläger, der seit Februar 2005 arbeitsunfähig war, auch gezwungen, seine berufliche Tätigkeit als Schweißer aufzugeben, wie sich aus den übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. R., Professor Dr. H./Dr. B. und Professor Dr. T. ergibt. Seinen Arbeitsplatz hat der Kläger auch tatsächlich aufgegeben und bezog seit November 2005 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Soweit Professor Dr. H. und PD Dr. K. einen Kausalzusammenhang zwischen der Lungenerkrankung mit den schädigenden Einwirkungen am Arbeitsplatz verneinen, vermag sich der Senat dieser Beurteilung nicht anzuschließen.

PD Dr. K. begründet schon nicht nachvollziehbar, warum er die langjährigen schädigenden Einwirkungen am Arbeitsplatz, die die Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten und die noch über 16 Jahre nach der Beendigung des Nikotinabusus fortbestanden, nicht als mit-ursächlich für die COPD ansieht. Unerheblich ist dabei, dass bei 80 % der Erkrankten das inhalative Zigarettenrauchen die Hauptursache für die Lungenerkrankung ist. Entscheidend ist allein, ob neben dem Inhalationsrauchen und den Atemwegsinfekten die schädigenden Einwirkungen am Arbeitsplatz wesentlich zum Eintritt der obstruktiven Lungenerkrankung des Klägers beigetragen haben. Der Begriff "wesentlich" ist nicht identisch mit den Beschreibungen "überwiegend", "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch (prozentual) verhältnismäßig niedriger zu bewertende Bedingung kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, a.a.O.). Dass den unabhängigen Umständen, insbesondere dem Zigarettenrauchen, eine überragende Bedeutung zugekommen ist, lässt sich aus den Ausführungen von PD Dr. K. nicht ableiten. Darüber hinaus scheint er auch unzutreffend davon auszugehen, dass hinreichende Arbeitsschutzmaßnahmen vorhanden waren, zumal er konzidiert, dass bei unzureichenden Arbeitsschutzmaßnahmen die berufliche Exposition eine wesentliche Teilursache sein kann, dies beim Kläger wegen vorhandener Arbeitsschutzmaßnahmen jedoch verneint. Darüber hinaus hat Professor Dr. T. auch darauf hingewiesen, dass nach den übereinstimmenden wissenschaftlichen Ergebnissen die Nikotinkarenz im Allgemeinen mit einer objektiven Verbesserung der COPD verbunden ist und eine Progression durch diese Maßnahmen grundsätzlich verhindert wird. Die Schlussfolgerung von PD Dr. K., dass das Fortschreiten einer COPD nach Triggerung durch jahrelanges inhalatives Zigarettenrauchen bei Exrauchern zu beobachten sei, stimmt somit schon nicht mit den von Professor Dr. T. genannten wissenschaftlichen Studien überein.

Die Einwände der Beklagten sind nicht geeignet, das überzeugende Gutachten Professor Dr. T., das im Ergebnis mit den Beurteilungen von Dr. R., Dr. S. und Professor Dr. H./Dr. B. übereinstimmt, zu erschüttern oder gar zu widerlegen. Da der Sachverhalt durch fünf Gutachten und zahlreiche beratungsärztliche bzw. gutachterliche Stellungnahmen umfassend aufgeklärt ist, bestand auch keinerlei Notwendigkeit, eine weitere gutachterliche Stellungnahme bei Professor Dr. H. einzuholen.

Nach alledem war auf die Berufung des Klägers das angefochtene Urteil abzuändern. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren aufzuheben und festzustellen, dass beim Kläger eine BK Nr. 4302 der Anl. 1 zur BKV vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung des Klägers im Wesentlichen Erfolg hatte und die Beklagte Veranlassung zur Klagerhebung gegeben hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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