S 33 EG 54/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
33
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 33 EG 54/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid des Beklagten vom 13.01.2012 in Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom 05.03.2012 wird insoweit aufgehoben, als in seiner Ziffer 3 die Rückzahlung einer Überzahlung in Höhe von 4.785,48 Euro gefordert wird.

II. Der Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung überzahlten Elterngeldes während eines laufenden Insolvenzverfahrens geltend machen darf.

Die Klägerin bezog auf Grundlage des Bescheids des Beklagten vom 05.05.2010 für ihren am XX.XX.2010 geborenen Sohn C. Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) für den ersten bis zwölften Lebensmonat (= Zeitraum 27.02.2010 bis 26.02.2011) in Höhe von 1.033,33 Euro monatlich. Die Bewilligung erfolgte vorläufig gemäß § 8 Abs. 3, 1. Alt. und 2. Alt. BEEG auf Grundlage des laut Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2008 glaubhaft gemachten Gewinns (brutto 22.411,00 Euro), da der für die Elterngeldbemessung erforderliche Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2009 noch nicht vorlag (vgl. § 2 Abs. 9 Satz 1 BEEG) und eine Teilzeitbeschäftigung von maximal 20 Wochenstunden ab April 2010 vorgesehen war.

Nach Vorlage des Steuerbescheids für das Kalenderjahr 2009 (Bruttogewinn 11.990,00 Euro) entschied der Beklagte mit Bescheid vom 13.01.2012 hinsichtlich des Einkommens vor der Geburt des Kindes endgültig über den Anspruch der Klägerin auf Elterngeld (Ziffer 1 des Bescheids). Er errechnete nunmehr lediglich einen monatlichen Anspruch in Höhe von 634,54 Euro (Ziffer 2 des Bescheids) und stellte eine Überzahlung in Höhe von insge-samt 4.785,48 Euro fest, die er gemäß § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückforderte (Ziffer 3 des Bescheids). Bezüglich des Einkommens im Bezugszeitraum verblieb es bei der Vorläufigkeit der Zahlung gemäß § 8 Abs. 3, 2. Alt. BEEG.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 31.01.2012 Widerspruch ein und trug vor, dass mit Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt vom 21.09.2011 über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Da die Forderung des Beklagten aus der Zeit vom 27.02.2010 bis 26.02.2011 und damit aus der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstamme, handele es sich um eine Insolvenzforderung. Insolvenzforderungen könnten nur über das Insolvenzverfahren geltend gemacht werden. Der Rückforderungsbescheid, mit dem ausdrücklich auch zur Rückzahlung der Überzahlung aufgefordert werde, sei unzulässig und daher aufzuheben.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2012 zurück. Mit dem angefochtenen Bescheid sei lediglich das rechtmäßig zustehende Elterngeld beziffert und die Rechtsgrundlage für die Rückforderung des zuviel gezahlten Elterngeldes benannt worden. Für die Einziehung der festgestellten Forderung bedürfe es einer nachrangigen Entscheidung. Mit Schreiben vom 06.03.2012 forderte der Beklagte die Klägerin zur Rückzahlung des Betrags von 4.785,48 Euro unter Fristsetzung und Androhung der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen für den Fall nicht fristgerechter Zahlung auf.

Die vom Beklagten mit Schreiben vom 08.02.2012 angemeldete Forderung wurde zur Insolvenztabelle festgestellt.

Mit ihrer am 10.04.2012 beim Sozialgericht eingegangen Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die per Verwaltungsakt geltend gemachte Rückforderung der Überzahlung und begehrte mit dem gleichzeitig gestellten Antrag die Anordnung der aufschieben-den Wirkung (Az. S 33 EG 52/12 ER). Diesen Antrag nahm die Klägerin zurück, nachdem der Beklagte verbindlich erklärt hatte, für die Dauer des anhängigen Klageverfahrens auf die Vollstreckung zu verzichten.

Die Klägerin führt aus, dass die Rückforderung des Beklagten aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stamme und der Beklagte damit Insolvenzgläubiger nach § 38 Insolvenzordnung (InsO) sei. Nach 87 InsO könnten Insolvenzgläubiger ihre Forderung nur nach den Vorschriften der InsO geltend machen. Die §§ 174 ff. InsO sähen hierfür eine Anmeldung der Insolvenzforderung im Insolvenzverfahren vor. Die Forderung werde gelte dann nach Prüfung als festgestellt, sofern kein Widerspruch erhoben werde. Die Forderung des Beklagten sei auch zur Insolvenztabelle festgestellt worden. Die Eintragung und Feststellung wirke gemäß § 178 Abs. 3 InsO wie ein rechtskräftiges Urteil, d. h. die Forderung werde über die Insolvenztabelle tituliert. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens könne der Gläubiger aus diesem Vollstreckungstitel nach § 201 InsO gegen den Schuldner vollstrecken. Die Beklagte habe mit dem angegriffenen Bescheid den Anspruch ein zweites Mal tituliert und sogar die Vollstreckung angedroht.

Demgegenüber wendet der Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts – OVG - Berlin-Brandenburg vom 26.01.2010 (Beschluss, Az. OVG 9 S 1.09) ein, dass es durchaus fraglich sei, ob er Insolvenzgläubiger im Sinne von § 38 InsO sei. Öffentlich-rechtliche Forderungen seien nicht schon dann im Sinne des § 38 InsO be-gründet, wenn die rechtlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes vorlägen, sondern erst dann, wenn der Verwaltungsakt dem Schuldner bekannt gegeben sei.

Außerdem bedinge die Regelung der §§ 51 Abs. 2, 52 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) eine Privilegierung der Sozialleistungsträger. Diese Vorschriften hätten ihn dazu ermächtigt, auch mit dem unpfändbaren Teil des Elterngeldes auch während des Insolvenzverfahrens bis zur Grenze der Sozialhilfebedürftigkeit zu verrechnen, was aufgrund des Beschlusses des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.04.2012 (Az. B 5 R 36/11 BH) außer Zweifel stehe. Eine – nicht genutzte - Aufrechnungs- bzw. Verrechnungsmöglichkeit mit dem Elterngeldanspruch für das Kind D. habe bestanden. Nachdem eine Verrechnung außerhalb des Insolvenzverfahrens zulässig sei, sei damit auch die Befugnis verbunden, die endgültige Entscheidung mit der Feststellung der Überzahlung der Klägerin gegenüber bekanntzugeben.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 13.01.2012 in Ziffer 3 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.03.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten des Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz – SGG) beim zuständigen Sozialgericht München eingelegt und ist als Anfechtungsklage gemäß § 54 SGG statthaft.

In der Sache erweist sich die Klage auch als begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 13.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.03.2012 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als in seiner Ziffer 3 die Rückzahlung einer Überzahlung in Höhe von 4.785,48 Euro gefordert wird. Die Ziffer 3 des Bescheids war daher insoweit aufzuheben.

Denn entgegen der Auffassung des Beklagten hätte eine Rückforderung der festgesetzten Überzahlung nicht mehr mit Bescheid geltend gemacht werden dürfen, sondern nur noch über die Vorschriften des Insolvenzverfahrens – wie später durch Anmeldung der Forderung zur Tabelle gemäß § 174 ff. Insolvenzordnung (InsO) auch geschehen.

Denn die Befugnisse des Beklagten, die Rückzahlung der Überzahlung von der Klägerin durch Verwaltungsakt geltend zu machen, werden von der InsO überlagert.

Nach § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Nicht fällige Forderungen gelten als fällig (§ 41 InsO). Insolvenzforderungen sind bei dem Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle anzumelden (§§ 174 f. InsO). Soweit über eine solche Forderung nicht bereits vor Insolvenzeröffnung ein Verwaltungsakt ergangen ist, darf er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Anmeldung der Forderung zur Tabelle und Prüfung der Forderung nicht erlassen wer-den (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.03.2003 - L 8 AL 278/02 -; SG Berlin, Urteil vom 14.02.2003 - S 86 KR 2117/00 -; zum früherem Recht: BSG, Urteil vom 17.05.2001 - B 12 KR 32/00 R -). Nur bei bestrittenen Forderungen kann ein Verwaltungsakt ergehen (§ 185 i. V. m. §§ 180 Abs. 2, 181 InsO), allerdings dann aber gegenüber dem Insolvenzverwalter in seiner Funktion als Vermögensverwalter (vgl. SG Marburg, Urteil vom 11.07.2007 - S 12 KA 711/06 -). Dementsprechend dürfen beispielsweise nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerpflichtigen keine Steuerbescheide und auch keine Haftungsbescheide mehr gegen diesen erlassen werden. Das Finanzamt muss seine Steuerforderungen vielmehr nach den Regeln der InsO geltend machen. Gleichwohl nach Insolvenzeröffnung erlassene Steuerbescheide sind unwirksam (vgl. SG Düsseldorf, Urteil vom 13.06.2012, Az. S 2 KA 38/09, Juris, Rn. 14 unter Verweis auf: BFH, Beschluss vom 31.01.2012 - I S 15/11 - BFH/NV 2012, 989 f. m. w. N.).

Diese Regelungen gelten zwar nur für Insolvenzforderungen der Insolvenzgläubiger. Insolvenzgläubiger sind nach der Legaldefinition des § 38 InsO persönliche Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Eine Insolvenzforderung liegt hiernach nur vor, wenn der Anspruch vor Eröffnung "begründet" war. Das bedeutet nicht, dass die Forderung bereits durchsetzbar gewesen sein muss, wie sich aus §§ 41, 191 InsO ergibt. Erforderlich ist nur, dass vor Insolvenzeröffnung die Grundlage des Schuldverhältnisses besteht, aus dem sich der Anspruch ergibt. Deshalb gewähren künftige Ansprüche, bei denen erst ein sogenannter "Rechtsboden" besteht, keine Insolvenzforderung. Nach Eröffnung "begründete" Ansprüche sind sog. Neuforderungen (Eickmann in HK-InsO, 4. Auflage, 2005, § 38 Rdn. 16).

Da die Insolvenz über das Vermögen der Klägerin mit Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt am 21.09.2011 eröffnet wurde, sind die Ansprüche aus der Insolvenzmasse zu befriedigen, die in diesem Zeitpunkt bereits begründet waren.

Dies ist bei der vom Beklagten geltend gemachten Überzahlung in Höhe von 4.785,41 Eu-ro der Fall. Zwar ist der Bescheid vom 13.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.03.2012 erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergangen. Die Rückzahlungsverpflichtung wegen der Überzahlung von Elterngeld gründet jedoch aus dem Zeitraum vom 27.02.2010 bis 26.02.2011 und damit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ...

Soweit der Beklagten unter Hinweis auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts – OVG - Berlin-Brandenburg vom 26.01.2010 (Beschluss, Az. OVG 9 S 1.09) davon aus-geht, dass eine Insolvenzforderung erst begründet ist, wenn dem Schuldner der Verwal-tungsakt bekanntgegeben ist, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. In dem vom OVG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die den Besonderheiten der in diesem Verfahren streitigen Vorausleistungen auf Erschließungsbeiträge nach § 133 Baugesetzbuch (BauGB) Rechnung trägt und daher nicht auf die vorliegend geltend gemachte Überzahlung von Elterngeld übertragbar ist.

Auch ergibt sich keine andere Beurteilung im Hinblick auf die Möglichkeit des Beklagten, gemäß §§ 51 Abs. 2, 52 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) den überzahlten Betrag durch Aufrechnung bzw. Verrechnung beizutreiben. Wie der Beklagten unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.04.2012 (Az. B 5 R 36/11 BH) richtig darlegt, enthalten die genannten Vorschriften eine sachlich begrenzte Privilegierung von Sozialversicherungsträgern, wonach diese ermächtigt sind, auch mit dem unpfändbaren Teil der Sozialleistung bis zur Hälfte der Ansprüche auf laufende Geldleistungen sowie bis zur Grenze der nachgewiesenen Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II bzw. SGB XII aufzurechnen bzw. zu verrechnen. Wie sich aus § 54 Abs. 4 SGB I, §§ 850, 850c ff. ZPO ergibt, hat der Gesetzgeber dieses Privileg, auch dann noch aufrechnen bzw. verrechnen zu können, wenn die Einzelzwangsvollstreckung und damit die Pfändung ausgeschlossen ist, im Interesse der Versichertengemeinschaft bewusst vorgesehen. In-soweit stehen Regelungen des Insolvenzrechts nicht entgegen, weil nach der ausdrücklichen Anordnung des § 36 Abs. 1 S. 1 InsO Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse im Sinne von § 35 InsO gehören und damit der unpfändbare Betrag von vorneherein nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegt. § 89 Abs. 1 InsO bedingt ebenfalls kein Verbot der Aufrechnung bzw. Verrechung, da es sich bei der Aufrechnung bzw. Verrechnung nicht um eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung handelt und eine analoge Anwendung der Norm über deren Wortlaut hinaus ausscheidet (vgl. BSG, Beschluss vom 19.04.2012, a. a. O. unter Hinweis auf: BGH, 26.5.1971, VIII ZR 137/70, NJW 1971, 1563). Allerdings gilt diese Privilegierung eben nur im Fall der Aufrechnung und Verrechnung, nicht jedoch, wenn wie vorliegend, die Klägerin gemäß § 50 SGB X zur Rückzahlung aufgefordert wird. Richtigerweise hätte die Überzahlung der Höhe nach - wie geschehen – festgestellt werden und mit einer Aufrechnung (sofern deren weitere Voraussetzungen vorlagen) verknüpft werden dürfen. Nimmt der Beklagten diese Möglichkeit nicht in Anspruch, ist er auf die Geltendmachung seiner Forderung im Rahmen und nach den Vorschriften des Insolvenzverfahrens beschränkt. Anderenfalls hätte der Beklagten, wie die Klägerin zu Recht ausgeführt hat, die Möglichkeit, aus zwei Titeln die Zwangsvollstreckung zu betreiben, einmal aus dem Verwaltungsakt, einmal aus dem Eintrag in die Tabelle (vgl. § 201 Abs. 2 InsO), was durch § 89 InsO gerade verhindert werden soll.

Nach alledem hätte der Beklagte zwar die Höhe des Elterngeldanspruchs neu feststellen und die Höhe der sich errechnenden Überzahlung benennen, nicht jedoch die Rückzahlung gemäß § 50 SGB X fordern dürfen.

Demgemäß war der Bescheid in seiner Ziffer 3 insoweit aufzuheben und der Klage statt-zugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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