L 8 SB 1618/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 2648/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1618/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Bei dem 1944 geborenen Kläger stellte das Landratsamt K. - Amt für Versorgung und Rehabilitation - (VA) mit Bescheid vom 05.03.2007 - in Ausführung eines im Rechtsstreit des Klägers beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) S 6 SB 1699/06 geschlossenen Vergleichs - wegen einer koronaren Herzkrankheit, abgelaufenem Herzinfarkt, Stentimplantation und Bluthockdruck (Teil-GdB 20), degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule bei degenerativen Gelenkveränderungen und Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 20), sowie einer Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, der linken Schulter und einer Polyneuropathie (Teil-GdB jeweils 10) den GdB mit 30 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz jeweils seit dem 27.04.2005 fest.

Am 12.05.2010 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB wegen neu hinzugetretener Gesundheitsstörungen (Z.n. eitriger Koxitis, postoperative Anämie). Der Kläger legte hierzu medizinische Befundunterlagen vor (Berichte S. W.-K. B. S. vom 28.04.2010, P. Klinik K. vom 07.03.2010). In der gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes, Dr. K., vom 19.06.2010 wurde unter zusätzlicher Berücksichtigung von Krampfadern weiterhin der GdB mit 30 vorgeschlagen; hinsichtlich der Entzündung des Hüftgelenkes sei eine Ausheilung zu erwarten.

Mit Bescheid vom 08.07.2010 entsprach das VA dem Neufeststellungsantrag des Klägers nicht.

Gegen den Bescheid vom 08.07.2010 legte der Kläger am 19.07.2010 durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein, mit dem er die Feststellung eines höheren GdB als 30 geltend machte und die Anforderung ausführlicher Befundberichte beantragte. Das VA zog weitere medizinische Befundunterlagen bei (Bericht PD Dr. M.-B. vom 13.07.2010, Diagnose: Z.n. Stripping-OP der rechten V. saphena magna; Befundbeschreibung Dr. M.-L. vom 01.10.2010). In der gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes, Dr. K., vom 08.11.2010 wurde daraufhin der Gesamt-GdB mit 40 vorgeschlagen. Mit Teil-Abhilfebescheid vom 07.12.2010 stellte das VA den GdB mit 40 seit dem 12.05.2010 fest. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten wurde für notwendig erklärt.

Der Kläger legte weitere medizinische Befundunterlagen vor (Berichte Hormonzentrum K. vom 21.03.2011 und Gemeinschaftspraxis Dr. V./Z. vom 03.09.2002). In der erneut eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes, Dr. C., vom 10.05.2011 wurde wegen einer koronaren Herzkrankheit, abgelaufenem Herzinfarkt, Stentimplantation und Bluthockdruck (Teil-GdB 20), degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20), einer Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks und des linken Hüftgelenks (Teil-GdB 20), einer Funktionsbehinderung der linken Schulter und Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 10) sowie einer Polyneuropathie und Krampfadern (Teil-GdB 10) der Gesamt-GdB unverändert mit 40 vorgeschlagen; eine Schilddrüsenvergrößerung sowie eine Fettstoffwechselstörung bedingten keinen Teil-GdB von mindestens 10.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2011 wies das Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers zurück. Die notwendigen Kosten des Vorverfahrens würden zu 1/4 erstattet. Die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 40 gebe das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers wieder. Eine weitere Erhöhung des GdB lasse sich nicht begründen.

Hiergegen erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 20.06.2011 Klage beim SG. Er machte zur Begründung geltend, der Bewertung der Funktionsbehinderung des Kniegelenks sowie des linken Hüftgelenks mit einem GdB von 20 könne nicht zugestimmt werden. Es bestehe ein Zustand nach einer eitrigen Koxitis links. Diesbezüglich seien 12 Operationen erforderlich gewesen. Noch heute sei sein Allgemeinzustand sehr geschwächt und die Gehstrecke deutlich reduziert. Er sei auf regelmäßige Schmerzmedikation angewiesen. Auch die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule seien mit einem Einzel-GdB von 20 nicht ausreichend gewürdigt. Weiter könne die Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren mit 1/4 nicht akzeptiert werden.

Das SG hörte vom Kläger benannte behandelnde Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Arzt für Allgemeinmedizin und Phlebologie PD Dr. M.-B. antwortete mit Stellungnahme vom 11.10.2011 unter Vorlage von medizinischen Befundunterlagen. Dr. M.-L. teilte in ihrer Stellungnahme vom 12.10.2011 unter Vorlage medizinischer Unterlagen den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen mit; nach der eitriger Koxitis sei der Kläger nicht wieder auf den körperlichen Ausgangszustand gekommen, er sei seither infektanfälliger und dann schnell in einem allgemeinen Schwächezustand. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. S. teilte in seiner Stellungnahme vom 27.10.2011 unter Vorlage medizinischer Unterlagen (insbesondere Entlassungsbericht der S. W.-K. vom 29.04.2010) die Diagnosen und den Behandlungsverlauf seit Mai 2010 mit; internistisch sei der Kläger stabil eingestellt.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 07.02.2012 entgegen.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG das orthopädische Gutachten des Dr. H. vom 23.08.2012 ein. Dr. H. gelangte in seinem Gutachten zusammenfassend zu der Bewertung, beim Kläger bestünden schwere Funktionseinschränkungen des Hüftgelenks links bei Zustand nach einer eitrigen Koxitis (im Dezember 2009) mit multiplen Operationen und begleitender Coxarthrose sowie Ossifikationen (Teil-GdB 30). In den versorgungsärztlichen Stellungnahmen sei die Behinderung des linken Hüftgelenkes nicht richtig eingeschätzt. Als Folge der Koxitis, der Coxarthrose und der ausgedehnten Ossifikation habe sich eine erhebliche Mehrbeeinträchtigung entwickelt. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, eine Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks und der linken Schulter, ein Schulter-Arm-Syndrom und eine Polyneuropathie seien nicht verändert. Die Gesamt-GdB schätzte Dr. H. auf 50 ab dem 12.05.2010 und auf 60 ab 01.06.2010 ein. Auf HNO-ärztlicher Seite sei ein zusätzlicher GdB zu erwarten.

Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 27.04.2012 der Klage weiter entgegen. Bezüglich des linken Hüftgelenks sei nach den Messwerten ein Teil-GdB von 20 abzuleiten. Hinsichtlich des Bewegungsumfangs des rechten Kniegelenks werde kein GdB-relevantes Ausmaß erreicht.

Das SG zog vom Facharzt für Hals- Nasen- und Ohrenheilkunde Professor Dr. H. insbesondere Ton- und Sprachaudiogramme vom 02.04.2012 bei. Hierzu nahm der Beklagte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 29.01.2013 Stellung, wonach sich nach den vorgelegten Sprachaudiogrammen ein GdB von 10 ableiten lasse.

Mit Urteil vom 07.02.2013 wies das SG die Klage ab. Es führte in den Entscheidungsgründen aus, für die Beeinträchtigung durch die Herzerkrankung ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine höhere Bewertung als mit einem Teil-GdB 20. Für die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule sei ein höherer Teil-GdB als 20 nicht zu begründen. Hinsichtlich der Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich der unteren Extremitäten sei ein höherer Teil-GdB als 20 nicht gegeben. Soweit Dr. H. die Beeinträchtigungen der linken Hüfte mit einem Teil-GdB von 30 bewerte, könne ihm nicht zugestimmt werden. Eine Bewegungseinschränkung, die nach den "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" (VG) einen Teil-GdB von 30 rechtfertige, liege beim Kläger nicht vor. Ein anderes Ergebnis ergebe sich auch nicht aus dem Entlassungsbericht der S. W.-K. B. S. vom 29.04.2010. Für den Bereich der Schultern sei ein höherer Teil-GdB als 10 nicht zu begründen. Entsprechendes gelte hinsichtlich der Polyneuropathie. Auf HNO-ärztlichem Gebiet lasse sich unter Berücksichtigung der Ton- und Sprachaudiogramme aufgrund einer Untersuchung am 02.04.2012 allenfalls ein Teil-GdB von 10 begründen. Weitere Behinderungen bzw. Funktionseinschränkungen mit einem messbaren Einzel-GdB von wenigstens 10 lägen beim Kläger nicht vor. Der Gesamt-GdB sei mit 40 zu bewerten. Dem Antrag des Klägers auf Tragung der Kosten des Widerspruchsverfahrens durch den Beklagten in Höhe von einem Drittel sei nicht nachzukommen.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16.03.2013 zugestellte Urteil richtet sich die vom Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 12.04.2013 eingelegte Berufung. Der Kläger hat zur Begründung ausgeführt, die Einschätzung des Gesamt-GdB von 40 sei aufgrund der bestehenden Funktionseinschränkungen im Bereich des linken Hüftgelenks nicht zutreffend. Wenn das SG der Einschätzung von Dr. H. alleine aufgrund der nach der Neutral-Null-Methode gemessenen Beweglichkeit nicht Folge, so greife der alleinige Verweis auf die in den VG lediglich beispielshaft genannten Angaben für das Funktionsausmaß des Hüftgelenkes zu kurz. Der Bewertung von Dr. H. sei zu folgen. Darüber hinaus scheine es fragwürdig, dass das SG sich auf die Untersuchungsergebnisse von Dr. M.-L. aus dem Jahr 2010 stütze. Dr. H. habe für den Folgezeitraum eine weitere Verschlechterung der Symptomatik festgestellt. Die im Widerspruchsverfahren festgesetzte Kostenquote sei zu gering bemessen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 07.02.2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 08.07.2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Teil-Abhilfebescheids vom 07.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2011 zu verurteilen, beim Kläger den Grad der Behinderung mit 50 seit dem 01.01.2012 festzustellen, sowie die Kosten für das durchgeführte Widerspruchsverfahren gemäß § 63 SGB dem Beklagten zu einem Drittel aufzuerlegen, hilfsweise, dass Dr. H. ergänzend zu seinem Gutachten zur Bewertung des GdB nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen gehört wird, unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 27.12.2011 im Rahmen von § 109 SGG.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Rechtsstreit ist durch den Berichterstatter mit den Beteiligten in der nicht-öffentlichen Sitzung am 31.01.2014 erörtert worden. In diesem Termin haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Auf die Niederschrift vom 31.01.2014 wird Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Gerichtsakte des SG S 6 SB 1699/06 sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Teil-Abhilfebescheid des Beklagten vom 07.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Eine wesentliche Verschlimmerung ist im Vergleich mit dem im Bescheid vom 05.03.2007 mit einem GdB von 30 berücksichtigten Behinderungszustandes des Klägers nur dahin eingetreten, dass der GdB mit 40 seit dem 12.05.2010 neu festzustellen ist. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).

Hiervon ausgehend steht dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf Neufeststellung eines höheren GdB als 40 seit dem 12.05.2010 nicht zu.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend begründet, dass sich für die Beeinträchtigung des Klägers durch die Herzerkrankung keine Anhaltspunkte für eine höhere Bewertung als mit einem Teil-GdB von 20 ergeben. Für die Beeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule ist ein höherer Teil-GdB als 20 nicht zu begründen. Hinsichtlich der Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich der unteren Extremitäten ist ein höherer Teil-GdB als 20 nicht gegeben. Soweit Dr. H. die Beeinträchtigungen der linken Hüfte mit einem Teil-GdB von 30 bewertet, kann ihm nicht zugestimmt werden. Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Entlassungsbericht der S. W.-K. B. S. vom 29.04.2010. Für den Bereich der Schultern ist ein höherer Teil-GdB als 10 nicht zu begründen. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Polyneuropathie. Auf HNO-ärztlichen Gebiet lässt sich unter Berücksichtigung der Ton- und Sprachaudiogramme aufgrund einer Untersuchung am 02.04.2012 allenfalls ein Teil-GdB von 10 begründen. Weitere Behinderungen bzw. Funktionseinschränkungen mit einem messbaren Einzel-GdB von wenigstens 10 liegen beim Kläger nicht vor. Der Gesamt-GdB ist mit 40 neu zu bewerten. Dem Antrag des Klägers auf Tragung der Kosten des Widerspruchsverfahrens durch den Beklagten in Höhe von einem Drittel ist nicht nachzukommen. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zur selben Überzeugung. Er schließt sich der zutreffenden Begründung des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids in vollem Umfang an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung seiner eigenen Entscheidung Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsverfahren bleibt auszuführen:

Im Vergleich zu dem im Bescheid vom 05.03.2007 mit einem GdB von 30 berücksichtigten Gesundheitszustand des Klägers ist eine Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks des Klägers durch eine im Dezember 2009 aufgetretene eitrige Koxitis neu hinzugetreten. Diese Funktionsbehinderung ist seit dem 12.05.2010 mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten, wie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend begründet hat. Der abweichenden Bewertung von Dr. H. in dem auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 23.08.2012, der von einem Teil-GdB von 30 wegen der Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks ausgeht, kann nicht gefolgt werden. Nach den vom SG im angefochtenen Urteil zutreffend dargestellten Bewertungskriterien der VG Teil B 18.14 ist der Teil-GdB wegen einer Funktionsbehinderung der Hüftgelenke erst bei einer einseitigen Bewegungseinschränkung mittleren Grades mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Dabei kommt für die Bewertung des GdB das Vorliegen einer Beugekontraktur die maßgebliche Bedeutung zu, wie der Vergleich der nach den VG für eine Bewegungseinschränkung mittleren Grades (Streckung/Beugung bis zu 0-30-90°) vorgesehenen Bewertung des GdB mit 30 (einseitig) mit dem für eine Bewegungseinschränkung geringen Grades (Streckung/Beugung 0-10-90°) vorgesehenen GdB von 10 bis 20 (einseitig) zeigt. Eine nach den VG mit mittelgradig zu bewertende Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenks (Streckung/Beugung bis zu 0-30-90°) liegt jedoch beim Kläger auch nach der von Dr. H. in seinem Gutachten beschriebenen Beweglichkeit (Streckung/Beugung 0-10-80°) nicht vor und ist auch in den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen nicht dokumentiert. Weiter besteht ein deutlicher Druckschmerz im Bereich des Hüftgelenkes und im Bereich der medialen Glutealmuskulatur bei glutealer Schwäche im Einbeinstand und einer deutlichen Standunsicherheit im Vergleich zur gesunden rechten Gegenseite. Bei der Demonstration des Gangbildes zeigt sich eine Schon- und funktionelles Verkürzungshinken auf der linken Seite. Diese Umstände rechtfertigen, den nach den VG für die Bewegungseinschränkung geringen Grades vorgesehenen GdB-Rahmen auf 20 voll auszuschöpfen. Die zudem bestehende Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit des linken Hüftgelenkes begründet entgegen der Ansicht des Klägers nach den Bewertungsvorgaben der VG für sich nicht die Annahme einer mittelgradigen Bewegungseinschränkung. Maßgeblich ist vielmehr das Ausmaß der Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes bei der Streckung/Beugung mit einer entsprechenden Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Nach dem Gutachten von Dr. H. liegen sonst beim Kläger keine zusätzlich zu berücksichtigenden Beeinträchtigungen hinsichtlich des linken Hüftgelenkes vor. Nach der Befundbeschreibung von Dr. H. bestehen im Bereich der linken unteren Extremität bei Z.n. multiplen Operationen reizlose Narben ohne ausgeprägte Verhärtung, unauffällige Verhältnisse für Hautfarbe, Hautturgor, Spannungs- und Druckverhältnisse sowie eine unauffällige periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität. Auch allein der Umstand, dass sich der Kläger wegen der eitrigen Koxitis mehrfach Operationen hat unterziehen müssen, begründet noch nicht die Annahme eines GdB (vergleiche VG Teil B 18.1). Auch die von Dr. M.-L. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 12.10.2011 gemachten Angaben rechtfertigen eine Anhebung des Teil-GdB auf 30 nicht.

Die abweichende Bewertung von Dr. H. überzeugt nicht. Dr. H. stützt seine Bewertung des Teil-GdB mit 30 für das linke Hüftgelenk maßgeblich auf eine dauerhafte Veränderung im Sinne einer Ossifikation (= Bildung von Knochengewebe), die nach Ansicht von Dr. H. zu einer erheblichen Verstärkung der Funktionseinschränkungen und Bewegungsmöglichkeiten geführt hat, weshalb er von einer Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes mittleren Grades ausgeht. Allein festgestellte Veränderungen (z. B. degenerativer Art) rechtfertigen jedoch noch nicht die Annahme eines GdB (vergleiche VG Teil B 18.1). Maßgeblich für die Bewertung des Teil GdB ist vielmehr die durch Veränderungen hervorgerufene Funktionsbeeinträchtigung. Die Ansicht von Dr. H. würde letztlich im Ergebnis auf eine Doppelbewertung hinauslaufen (Berücksichtigung der Ossifikation plus der hierdurch bedingten Funktionsein-schränkung/Bewegungseinschränkung). Entsprechendes gilt im Übrigen für eine von Dr. H. beschriebene Coxarthrose. Durch die Ossifikation und die Coxarthrose wird, wie oben ausgeführt, beim Kläger keine Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenkes mittleren Grades (Sinne der VG) hervorgerufen. Der abweichenden Bewertung von Dr. H. kann deswegen nicht gefolgt werden.

Weiter ist im Vergleich zu dem im Bescheid vom 05.03.2007 berücksichtigten Gesundheitszustand des Klägers eine Hörstörung neu hinzugetreten. Nach dem von Professor Dr. H. vorgelegten Sprachaudiogramm vom 02.04.2012 besteht nach dem gewichtete Gesamtwortverstehen für das rechte Ohr einen Hörverlust von 10 % und für das linke Ohr von 30 %. Nach den VG Teil B 5.2.4 ist diese Hörstörung des Klägers mit keinem höheren Teil-GdB als 10 zu bewerten, wie Dr. R. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.01.2013 ausgeführt hat.

Bestehend Schmerzen sind nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Nur wenn nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen ist, die eine ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden (vgl. VG Teil A 2j). Beim Kläger ist eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit ist nicht belegt. Den vorliegenden Gutachten und den zu den Akten gelangten sonstigen medizinischen Unterlagen lässt sich eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nicht entnehmen.

Hinsichtlich der sonst im Bescheid vom 05.03.2007 berücksichtigten Gesundheitsstörungen des Klägers kann eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung nicht festgestellt werden. Dies hat Dr. H. auf orthopädischem Gebiet in seinem Gutachten bestätigt. Dr. H. hat hierzu ausgeführt, dass sich hinsichtlich der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, der Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks sowie der linken Schulter, dem Schulter-Arm-Syndrom und der Polyneuropathie nach ausführlicher Anamnese und Durchsicht der Akten der Gesundheitszustand des Klägers nicht verändert hat. Soweit der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren einwendet, Dr. H. habe in seinem Gutachten für den Folgezeitraum eine weitere Verschlechterung der Symptomatik festgestellt, trifft dies hinsichtlich der vorstehend genannten Gesundheitsstörungen nicht zu. Die Ausführungen von Dr. H. im Gutachten, auf die sich der Kläger bezieht, betreffen ausschließlich das linke Hüftgelenk des Klägers. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Angaben von Dr. M.-L. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 12.10.2011, wie auch dem Bericht der S. W.-K. vom 29.04.2010, denen sich insbesondere hinsichtlich der Wirbelsäule und der Schultergelenke eine wesentliche Änderung nicht entnehmen lässt. Dies gilt auch für das internistische Gebiet. Dr. S. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 27.10.2011 bestätigt, dass der Kläger internistisch stabil eingestellt ist. Auch den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen lässt sich auf orthopädischem und internistischem Gebiet eine wesentliche Änderung nicht entnehmen und wird im Übrigen vom Kläger auch nicht (substantiiert) dargetan.

Damit ist beim Kläger der Gesamt-GdB mit 40 seit dem 12.05.2010 neu festzustellen. Ein Anspruch auf Feststellung des GdB mit 50 seit dem 01.01.2012 steht dem Kläger nicht zu. Denn nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Hiervon ausgehend sind die mit einem Teil-GdB von jeweils 20 zu bewertenden Wirbelsäulenschäden, die Herzerkrankung mit Bluthochdruck sowie die Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes bei der Bildung des Gesamt-GdB mit 40 zu berücksichtigen. Die mit einem Teil-GdB von 10 zu bewertenden Gesundheitsstörungen des Klägers erhöhen den Gesamt-GdB nicht.

Anlass für weitere Ermittlungen besteht nicht. Für den Senat ist der Sachverhalt durch die im Verwaltungsverfahren sowie im erstinstanzlichen Verfahren durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen geklärt. Der Senat hat sich auch nicht veranlasst gesehen, Dr. H. ergänzend zu seinem Gutachten zur Bewertung des GdB nach den VG unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 27.12.2011 im Rahmen von § 109 SGG anzuhören, wie der Kläger hilfsweise beantragt hat. Der auf die Bewertung des GdB gerichtete Hilfsantrag des Klägers wirft keine medizinische Frage auf, die durch eine ergänzende Anhörung des Dr. H. zu klären wäre. Die Bewertung des GdB betrifft vielmehr, wie bereits ausgeführt, eine reine Rechtsfrage, über die vom Gericht (Senat) unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung zu entscheiden und die nicht der Bewertung des medizinischen Sachverständigen vorbehalten ist, auch nicht im Rahmen des § 109 SGG. Der Hilfsantrag des Klägers war daher abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dem Antrag des Klägers, die Kosten für das durchgeführte Widerspruchsverfahren gemäß § 63 SGB X dem Beklagten zu einem Drittel aufzuerlegen, war nicht zu entsprechen. Der Kläger hat im Widerspruchsverfahren beantragt, einen höheren GdB als 30 festzustellen. Entgegen seiner Annahme hat er damit seinen Antrag nicht konkret beziffert und ggfs. begrenzt, worauf die Beklagtenvertreterin im Termin am 31.01.2014 zutreffend hingewiesen hat. Sein Antrag im Widerspruchsverfahren hat damit theoretisch einen GdB von 100 mit umfasst, weshalb die im Widerspruchsverfahren vom Beklagten getroffene Kostenquotelung von 1/4 nicht zu beanstanden ist, sondern im Übrigen eher großzügig erscheint.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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