L 1 KR 40/12

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 KR 632/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 40/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. März 2012 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung.

Die bei der Beklagten versicherte R.W. wurde zunächst vom 30. Juni bis 8. Juli 2008 in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus stationär wegen einer Bursitis praepatellaris behandelt. Es erfolgte eine totale Resektion des Schleimbeutels sowie eine begleitende Antibiotika-Therapie, da sich mikrobiologisch ein Staphylococcus mit multiplen Resistenzen gezeigt hatte. Am 10. Juli 2008 wurde die Versicherte wegen einer fluktuierenden Schwellung erneut stationär aufgenommen und bis zum 15. Juli 2008 behandelt. Durchgeführt wurden ein Debridement, tägliche Verbandswechsel sowie eine erneute Antibiose.

Entsprechend der Rechnung der Klägerin zahlte die Beklagte für den ersten Aufenthalt der Versicherten am 21. Juli 2009 eine Vergütung von EUR 6.234,69. Für ihren zweiten Aufenthalt forderte die Klägerin mit Rechnung vom 22. Juli 2008 eine weitere Vergütung in Höhe von EUR 1.594,80. Mit Schreiben vom 27. August 2008 teilte sie der Beklagten mit, die Voraussetzungen einer Fallzusammenführung seien nicht gegeben, da das Krankenhaus die Komplikation nicht verschuldet habe. Die Beklagte zahlte auch diesen Betrag zunächst, beauftragte aber den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung N. (MDK) mit der Prüfung, ob eine Fallzusammenführung vorzunehmen sei. Der MDK zeigte seine Beauftragung der Klägerin mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 an und führte in seinem Gutachten vom 13. November 2009 aus, dass es sich um einen komplikativen Verlauf gehandelt habe, wobei die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer derartigen Entzündung nach stattgehabter bakterieller Bursitis als relativ groß zu bezeichnen sei. Ob eine solche Komplikation in den Verantwortungsbereich der Klinik falle, sei eine leistungsrechtliche Entscheidung.

Die Beklagte verrechnete die gezahlte Vergütung daraufhin am 19. Januar 2010 mit einer anderen unstreitigen Vergütungsforderung. Sie vertrat dazu die Auffassung, dass eine Fallzusammenführung vorzunehmen sei, da es sich um eine Wiederaufnahme wegen einer in den Verantwortungsbereich der Klägerin fallenden Komplikation gehandelt habe.

Mit ihrer am 15. Juni 2011 erhobenen Klage hat die Klägerin eine Vergütung in Höhe von EUR 1.591,20 geltend gemacht und vorgetragen, die Komplikation sei nicht von dem Krankenhaus zu vertreten, denn sie sei erst nach der Entlassung der Versicherten aufgetreten und für das Krankenhaus weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen. Schicksalhafte Komplikationen könnten eine Fallzusammenführung nicht begründen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. März 2012 abgewiesen und ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Fallzusammenführung seien erfüllt. Der Begriff des Verantwortungsbereichs erfasse gerade auch schicksalhafte Verläufe und sei nur gegenüber Fällen abzugrenzen, in denen das Verhalten des Patienten oder eines Dritten ursächlich für die Komplikation sei.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 2. April 2012 zugestellte Urteil am 24. April 2012 Berufung eingelegt und bleibt unter Bezugnahme auf verschiedene Urteile von Sozial- bzw. Landessozialgerichten bei ihrer Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Fallzusammenführung nicht vorgelegen hätten. Die Wiederaufnahme der Versicherten habe nicht auf einer Komplikation beruht, die in den Verantwortungsbereich der Klägerin falle. An einer Verantwortung in diesem Sinne fehle es nämlich, wenn die Komplikation ein nicht vom Krankenhaus zu vertretender Umstand sei. So sei es hier, denn bei der postoperativen Infektion der Versicherten habe es sich um ein schicksalhaftes Geschehen gehandelt, das nicht auf ärztlichem Fehlverhalten beruht habe, sondern unvermeidbar und unvorhersehbar gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. März 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.591,20 nebst 5 % Zinsen seit dem 25. Januar 2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf dessen Entscheidungsgründe. Ergänzend weist sie darauf hin, dass eine Fallzusammenführung dazu führe, dass mit der für den ersten Aufenthalt der Versicherten gezahlten Vergütung der gesamte Behandlungsfall abgegolten sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) erhobene Klage ist nicht begründet, denn dem von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch steht die Aufrechnung der Beklagten mit einem späteren unstreitigen Vergütungsanspruch entgegen. Der Beklagten stand in Höhe der Klagforderung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, denn in dieser Höhe hat sie die stationäre Behandlung der Versicherten vom 10. bis 15. Juli 2008 ohne Rechtsgrund vergütet, weil die Klägerin insoweit keinen weiteren Entgeltanspruch hatte.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2008 (Fallpauschalenvereinbarung 2008 – FPV 2008) sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der H. Krankenhausgesellschaft e.V. und unter anderem der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R – Juris). Nach § 7 S. 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Vorliegend geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG), der FPV 2008. Die hier allein streitige Frage der Fallzusammenführung richtet sich nach § 8 Abs. 5 KHEntgG i.V.m. § 2 Abs. 3 FPV 2008. Hiernach durfte die Klägerin nur einen Behandlungsfall mit einer Gesamtvergütung von EUR 6.234,69 abrechnen, die die Beklagte auch gezahlt hat.

Werden Patientinnen oder Patienten, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus gemäß § 8 Abs. 5 S. 1 KHEntgG eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Näheres oder Abweichendes regeln die Vertragsparteien nach § 17b Abs. 2 Satz 1 KHG oder eine Rechtsverordnung nach § 17 Abs. 7 KHG (§ 8 Abs. 5 S. 2 KHEntgG). Aufgrund dieser Ermächtigung haben die damaligen Spitzenverbände der Krankenkassen, der Verband der Privaten Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft die zum 1.Januar 2008 in Kraft getretene FPV 2008 vereinbart, um eine verbesserte Handhabung der Regelungen zur Fallzusammenführung bei Wiederaufnahme wegen Komplikationen zu erreichen. Maßgeblich ist insoweit § 2 Abs. 3 S. 1 FPV 2008, welcher lautet: "Werden Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb der oberen Grenzverweildauer, bemessen nach der Zahl der Kalendertage ab dem Aufnahmedatum des ersten unter diese Vorschrift zur Zusammenfassung fallenden Aufenthalts, wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen."

Insoweit hatten sich zunächst unterschiedliche Auffassungen zu der Frage gebildet, wann eine in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallende Komplikation i.S.d. § 2 Abs. 3 S. 1 FPV 2008 gegeben ist. Diese im Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts noch uneinheitlich beantwortete Frage ist nunmehr durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Juli 2012 (B 3 KR 18/11 R – Juris) geklärt.

Danach umfasst der Begriff der Komplikation negative Folgen einer medizinischen Behandlung, wie z.B. Nachblutungen, Hämatome, Thrombosen, Infektionen und auch deren unerwünschte Nebenwirkungen. Die bei der Versicherten aufgetretene postoperative Infektion stellt somit unstreitig eine Komplikation dar.

In den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen nach dem Bundessozialgericht (Urteil vom 12. Juli 2012, a.a.O.) alle Komplikationen, die entweder durch einen Fehler der Ärzte oder Pflegekräfte bei der ersten stationären Behandlung verursacht wurden oder die sich als unvermeidbare, einem schicksalhaften Verlauf entsprechende Folge der Behandlung darstellen. Nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen dagegen Komplikationen, die auf einem unvernünftigen Verhalten des Versicherten beruhen oder durch einen Dritten (z.B. durch einen fehlerhaft ambulant weiter behandelnden Hausarzt) verursacht wurden. Das Bundessozialgericht hat diese Auslegung in erster Linie mit dem Wortsinn begründet, denn Verantwortung im rechtlichen Sinne bedeute, für etwas Geschehenes einzustehen, und zwar unabhängig davon, ob das Geschehene auf eigenem vorwerfbaren Verhalten beruhe oder unvermeidbar gewesen sei. Eine Gleichsetzung von Verantwortung und Schuld komme daher nicht in Betracht. Ferner bestätige Sinn und Zweck der Regelung diese Auslegung, denn Ziel der Fallzusammenführung sei es, im Hinblick auf mögliche Komplikationen zu frühe Entlassungen zu vermeiden und zumindest hierfür keinen finanziellen Anreiz zu geben.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Auslegung an. In den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen somit sowohl absehbare, behandlungstypische als auch unvorhersehbare, atypische Komplikationen. Nur wenn die erneute Einweisung in dasselbe Krankenhaus auf Umständen beruht, die mit der früheren Behandlung in keinerlei Zusammenhang im Sinne direkter oder gemeinsamer Ursächlichkeit stehen, handelt es sich um einen neuen Behandlungsfall, der zur Abrechnung einer weiteren Fallpauschale berechtigt. Nach Maßgabe dieser Grundsätze fällt die bei der Versicherten eingetretene Komplikation eindeutig in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um eine relativ wahrscheinliche Folge nach der stattgehabten bakteriellen Bursitis (so der MDK) oder um eine unvorhersehbare Entwicklung (so die Klägerin) gehandelt hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Komplikation auf einem Fehlverhalten der Versicherten oder eines Dritten beruht hätten, sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die Beklagte ist mit ihren diesbezüglichen Einwendungen auch nicht gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung, eine gutachtliche Stellungnahme des MDK einzuholen. Bei Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB V ist diese Prüfung gemäß dem zum 1. April 2007 eingeführten § 275 Abs. 1c S. 1 SGB V zeitnah durchzuführen. Nach Satz 2 der Vorschrift wird dies dahin gehend präzisiert, dass eine Prüfung spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen ist.

Vorliegend kann aber dahin stehen, ob die Beklagte den MDK fristgerecht eingeschaltet hat, denn Folge einer nicht rechtzeitigen Einleitung des Prüfverfahrens ist lediglich, dass die Krankenkasse insoweit mit medizinischen Einwendungen ausgeschlossen ist und das Gericht gegebenenfalls die dennoch beigezogene Krankenakte sowie das Gutachten des MDK nicht verwerten darf (BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 3 KR 14/11 R – Juris). Diese werden jedoch auch nicht benötigt, denn medizinische Fragen stehen gar nicht im Streit. Die Beteiligten waren sich vielmehr auf tatsächlicher Ebene stets darüber einig, dass es sich bei der eingetretenen Komplikation um einen schicksalhaften Verlauf gehandelt habe, und haben lediglich über die Rechtsfrage gestritten, ob ein derartiger Verlauf im Sinne des § 2 Abs. 3 S. 1 FPV 2008 dem Verantwortungsbereich des Krankenhauses zuzurechnen sei.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m.§ 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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