L 1 KR 34/12

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 KR 1338/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 34/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. März 2012 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.904,83 nebst 5 % Zinsen seit dem 20. Juli 2007 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung.

Die 1948 geborene und bei der Beklagten versicherte K.K. wurde in der Zeit vom 22. November bis 8. Dezember 2005 in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus stationär behandelt. Die Klägerin verlangte hierfür von der Beklagten mit Rechnung vom 13. Dezember 2005 eine Vergütung in Höhe von EUR 5.344. Als Hauptdiagnose war I63.4 (Hirninfarkt durch Embolie zerebraler Arterien) nach der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (hier: 10. Revision, Version 2005 – ICD-10; § 301 Abs. 2 S. 1 SGB V) verschlüsselt worden. Als Nebendiagnosen waren unter anderem G40.9 (Epilepsie), G81.9 (Hemiparese und Hemiplegie), I10.00 (Benigne essentielle Hypertonie ohne Angabe einer hypertensiven Krise), I48.11 (Chronisches Vorhofflimmern), I50.0 (Herzinsuffizienz), R47.0 (Dysphasie und Aphasie), U50.20 (Mittlere motorische Funktionseinschränkung) sowie U51.22 (Schwere kognitive Funktionseinschränkung) aufgeführt. Ferner kodierte die Klägerin unter anderem die Prozedur 8-550.1 (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung) nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS, hier: Version 2005) kodierte und gelangte dadurch zu der Diagnosebezogenen Fallgruppe (Diagnosis Related Group – DRG) B44Z (Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen des Nervensystems). In der Abrechnung war angegeben, dass die Behandlung auf der Inneren Abteilung erfolgt sei.

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 bat die Beklagte die Klägerin um eine korrigierte Entlassungsanzeige und eine neue Rechnung, weil der OPS 8-550.1 fehlerhaft kodiert sei, da die Behandlung nach Angaben des Krankenhauses in der Inneren Abteilung erfolgt sei und eine geriatrische Komplexbehandlung somit nicht stattgefunden haben könne. Nachdem die Klägerin hierauf nicht reagierte, zahlte die Beklagte ihr am 27. Februar 2006 einen Betrag von EUR 3.439,17, wobei sie der Abrechnung die DRG B70B zugrunde legte, die sich ohne die streitige Prozedur ergibt.

Mit Rechnung vom 26. Juni 2007 forderte die Klägerin erneut eine Vergütung in Höhe von EUR 5.344, wobei sie wiederum den OPS 8.550.1 sowie die DRG B44Z zugrunde legte. Die Rechnung enthielt nunmehr die Angabe, dass die Behandlung in der Abteilung für Geriatrische Frührehabilitation erfolgt sei. Der hinsichtlich der Diagnosen unveränderte Datensatz nach § 301 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) wurde ebenfalls am 26. Juni 2007 übermittelt. Die Beklagte bezahlte die Rechnung nicht, sondern verwies auf ihr Schreiben vom 29. Dezember 2005.

Mit ihrer am 16. Dezember 2009 erhobenen Klage hat die Klägerin den Restbetrag von EUR 1.904,83 geltend gemacht. Die Beklagte hat dagegen eingewandt, dass die für Nachforderungen des Krankenhauses vertraglich vereinbarte Sechsmonatsfrist abgelaufen gewesen sei. Auch sei die Nachforderung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen, da sie nicht mehr zeitnah nach Übersendung und Bezahlung der Rechnung erfolgt sei. Schließlich könne der OPS 8-550.1 auch deshalb nicht kodiert werden, weil nach den Begutachtungshinweisen des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) ein Patientenalter von unter 60 Jahren insoweit ein Ausschlusskriterium sei.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 5. März 2012 abgewiesen und ausgeführt, aufgrund des nach Treu und Glauben zwischen den Beteiligten geltenden allgemeinen Beschleunigungsgebotes habe die Klägerin ihren restlichen Vergütungsanspruch nicht mehr geltend machen können, nachdem sie zuvor anderthalb Jahre nicht auf die Aufforderung der Beklagten zur Übersendung einer korrigierten Rechnung reagiert habe.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. März 2012 zugestellte Urteil am 12. April 2012 Berufung eingelegt und trägt vor, sie sei mit ihren Einwendungen gegen die von der Beklagten vorgenommene Rechnungskürzung nicht wegen Zeitablaufs ausgeschlossen gewesen, sondern habe die Restforderung noch bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist einklagen können. Mit der korrigierten Rechnung habe sich weder der Rechnungsbetrag noch die abgerechnete DRG geändert. Es sei lediglich nunmehr zutreffend die Fachabteilung Geriatrie angegeben worden. Es habe sich daher nicht um eine Nachberechnung, sondern lediglich um die Korrektur eines offenkundigen Fehlers gehandelt. Das Prüfungsverfahren sei auch noch nicht abgeschlossen gewesen, denn die Beklagte habe die ursprüngliche Rechnung nicht vollständig bezahlt, sondern gekürzt. Der Abrechnung der streitigen DRG stehe schließlich nicht entgegen, dass die Patientin erst x Jahre alt gewesen sei, denn es gebe insoweit keine starre Altersgrenze und die bei der Patientin behandelten Krankheiten hätten die Abrechnung gerechtfertigt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. März 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.904,83 nebst 5 % Zinsen seit dem 20. Juli 2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, aus den aktuellen Urteilen des Bundessozialgerichts vom 13. November 2012 (B 1 KR 6/12 – Juris) und vom 22. November 2012 (B 3 KR 1/12 R – Juris) ergebe sich, dass Rechnungskorrekturen nur bis zum Ende des auf die unrichtige erste Abrechnung folgenden Kalenderjahres zulässig seien. Diese Frist sei hier verstrichen, sodass der geltend gemachte Anspruch wegen Zeitablaufs ausgeschlossen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) hat auch in der Sache Erfolg, da das Sozialgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hat. Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) erhobene Klage ist begründet, denn die Klägerin kann für die stationäre Behandlung der Versicherten K.K. eine weitere Vergütung in Höhe von EUR 1.904,83 verlangen.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten restlichen Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2005 (Fallpauschalenvereinbarung 2005 – FPV 2005) sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der H. Krankenhausgesellschaft e.V. und unter anderem der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die – dem Grunde nach hier nicht streitige – Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R – Juris). Nach § 7 S. 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG), der FPV 2005.

Der in Anlage 1 zur FPV 2005 enthaltene Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG) geordnet. Maßgebliche Kriterien für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG sind die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuelle den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen werden mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen ICD-10 verschlüsselt. Die Prozeduren werden nach dem ebenfalls vom DIMDI herausgegebenen OPS kodiert. Aus diesen Kodes wird sodann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall maßgeblichen Faktoren unter Verwendung einer bestimmten vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zertifizierten Software ("Grouper") die entsprechende DRG ermittelt (sog. "Groupierung"), anhand derer die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird (hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 18.09.2008 a.a.O.).

Allein streitig ist vorliegend, ob die Klägerin wegen Zeitablaufs mit ihrem restlichen Vergütungsanspruch ausgeschlossen ist (dazu 1.) und ob sie zu Recht die Prozedur 8-550.1 nach dem OPS 2005 kodiert hat (dazu 2.), da nur diese zu der abgerechneten DRG B44Z führt.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts steht der Geltendmachung des weiteren Vergütungsanspruchs nicht entgegen, dass die Klägerin auf das Schreiben der Beklagten vom 29. Dezember 2005 erst nach etwa anderthalb Jahren reagiert hat.

§ 11 Abs. 2 des Vertrages nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V kann dem Anspruch nicht entgegen gehalten werden. § 11 Abs. 2 Satz 1 des Vertrages bestimmt: "Nachdem die in § 301 SGB V vorgeschriebenen Daten der Krankenkasse zugeleitet worden sind, können Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art auch nach Bezahlung der Rechnung innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht werden." In § 11 Abs. 2 Satz 2 des Vertrages heißt es: "Die gleiche Frist gilt auch für Nachforderungen der Krankenhäuser." Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 12. Juli 2011 – L 1 KR 10/09 – Juris), sind Nachforderungen in diesem Sinne nur nachträglich geltend gemachte Forderungen, die über die ursprüngliche Forderung betragsmäßig hinausgehen. Eine Nachforderung liegt demnach nicht vor, wenn – wie hier – die ursprüngliche Forderung in unveränderter Höhe weiterhin geltend gemacht, aber (teilweise) anders begründet wird.

Die Klägerin ist mit ihrer Vergütungsforderung auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Das Bundessozialgericht hat allerdings seit längerem grundsätzlich anerkannt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben über § 69 SGB V gemäß dem Rechtsgedanken des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkasse einwirkt und diese zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet. Danach sind die dauerhaften, professionellen Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen von einem systembedingten Beschleunigungsgebot geprägt. Demgemäß kann auf der einen Seite die Krankenkasse mit ihren Einwendungen gegen eine Krankenhausrechnung ausgeschlossen sein, wenn sie das dafür vorgesehene Verfahren nicht rechtzeitig einleitet. Auf der anderen Seite wird hierdurch aber auch die Befugnis des Krankenhauses zur nachträglichen Rechnungskorrektur begrenzt, wobei der 1. Senat des Bundessozialgerichts hinsichtlich des zeitlichen Rahmens für zulässige Nachberechnungen auf das laufende Haushalts- bzw. Geschäftsjahr abstellt, während der 3. Senat das Ende des auf die unrichtige erste Abrechnung folgenden Kalenderjahres als äußersten Zeitpunkt für Korrekturmöglichkeiten für maßgeblich hält. Nach Fristablauf ist der Anspruch auf die noch offene restliche Vergütung in der Regel nach Treu und Glauben verwirkt, denn den Krankenhäusern ist zuzumuten, die Kontrollen der abgerechneten Behandlungsfälle innerhalb dieser Frist durchzuführen, und die Krankenkassen müssen sich darauf verlassen können, dass die abgerechneten Behandlungsfälle danach nicht wieder aufgerollt werden (BSG, Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 22/12 R; BSG, Urteil vom 22.11.2012 – B 3 KR 1/12 R;BSG, Urteil vom 13.11.2012 – B 1 KR 6/12 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 12/08 R; BSG, Urteil vom 08.09.2009 – B 1 KR 11/09 R; alle Juris).

Die vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze betreffen jedoch ausnahmslos echte Nachforderungen, also Fälle, in denen die Krankenkasse die ursprüngliche Rechnung des Krankenhauses vollständig bezahlt hat und das Krankenhaus erst im Nachhinein aufgrund einer Neuberechnung einen höheren Vergütungsanspruch geltend macht. Sie können demgegenüber nicht ohne Weiteres auf Fälle übertragen werden, in denen – wie hier – der ursprünglich geltend gemachte Rechnungsbetrag gerade nicht voll bezahlt wurde und nun vom Krankenhaus lediglich mit einer teilweise anderen Begründung, aber in unveränderter Höhe weiter verfolgt wird. Das Vertrauen der Krankenkasse in den endgültigen Abschluss eines Abrechnungsfalles ist nur dann schutzwürdig, wenn sie die Rechnung des Krankenhauses vollständig bezahlt hat, denn in diesem Fall hat sie regelmäßig keinen Anlass, mit nachträglichen Korrekturen zu rechnen. Hat sie aber selbst die ursprüngliche Rechnung angegriffen und nur einen Teilbetrag gezahlt, ist ihr von vornherein bewusst, dass über die Richtigkeit der Abrechnung Streit besteht, sodass innerhalb der Verjährungsfrist weitere Umstände hinzu kommen müssen, damit die Krankenkasse davon ausgehen darf, dass das Krankenhaus seinen von Anfang an geltend gemachten Anspruch nicht mehr weiter verfolgen will.

Dies folgt insbesondere daraus, dass es sich bei der zeitlichen Beschränkung von nachträglichen Rechnungskorrekturen um einen speziellen Fall der Verwirkung handelt (so ausdrücklich: BSG, Urteil vom 18.07.2013, a.a.O.). Nach diesem Rechtsinstitut reicht es für das Entfallen einer Leistungspflicht aber nicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat, sondern es müssen weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls die verspätete Geltendmachung des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete aufgrund eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte und tatsächlich darauf vertraut hat, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG, Urteil vom 29.1.1997 – 5 RJ 52/94; BSG, Urteil vom 1.4.1993 – 1 RK 16/92 – beide Juris). An einem derartigen Verwirkungsverhalten der Klägerin fehlt es aber, denn eine bloße Untätigkeit reicht hierfür gerade nicht, zumal dadurch die geltenden Verjährungsfristen unterlaufen würden.

2. Die Beklagte kann dem Vergütungsanspruch der Klägerin auch nicht entgegenhalten, dass die Prozedur 8-550.1 nach dem OPS 2005 nicht hätte kodiert werden können, weil eine geriatrische Behandlung der seinerzeit xjährigen Patientin schon wegen ihres Alters ausgeschlossen gewesen wäre. Entgegen ihrer erstmals im Klageverfahren vorgebrachten Auffassung setzt eine solche Behandlung nämlich kein starres Mindestalter von 60 Jahren voraus. Die in den Hinweisen zum OPS 8-550* genannten Mindestmerkmale enthalten eine solche Altersgrenze nicht. Die von der Beklagten zitierten Begutachtungshinweise des MDS sind insoweit nicht bindend. In Fachkreisen existieren unterschiedliche Definitionsansätze, die jedoch alle nicht auf ein starres Mindestalter, sondern im Wesentlichen auf die für ältere Menschen typische Multimorbidität abstellen.

So ist nach der Definition der European Union Geriatric Medicine Society vom 3. Mai/6. September 2008 die Geriatrische Medizin eine medizinische Spezialdisziplin, die sich mit den körperlichen, mentalen, funktionellen und sozialen Bedingungen der akuten, chronischen, rehabilitativen, präventiven Behandlung und Pflege – auch am Lebensende – befasst. Die Gruppe der Patienten wird mit einem hohen Grad von Gebrechlichkeit und aktiven Mehrfach-Erkrankungen asszoziiert, die einen ganzheitlichen Behandlungsansatz erfordern. Weiter heißt es, die Geriatrische Medizin sei nicht spezifisch altersdefiniert, sie behandele jedoch die typische Morbidität älterer Patienten. Die meisten Patienten seien allerdings über 65 Lebensjahre alt (zitiert nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Geriatrie).

Eine Expertenkommission der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie hat 1991 zur Definition des Faches Geriatrie "17 Dimensionen" erarbeitet (Wissensmodifikation bei den Ärzten, Multimorbidität, Risikoerkennung, Senile Demenz, Einwilligungsfähigkeit und Schutz von Rechten, Psychosomatische Zusammenhänge, Hierarchisierung, Rehabilitation, Irreversibilität, Todesnähe, Polarität, Weiterversorgung, Umfeldbezogenheit, Angehörigenarbeit, Konsiliarwirkung, Interdisziplinarität, strukturell-organisatorischer Umbruch). Eine feste Altersgrenze enthalten diese nicht.

In dem vom Arbeitskreis Klinische Geriatrie der Ärztekammer B. erarbeiteten "Geriatriekonzept B." aus dem Jahr 2010 heißt es ausdrücklich, geriatrische Patienten definierten sich nicht primär über das Lebensalter ("kalendarisches Alter"), sondern über eine charakteristische multifaktorielle Problemkonstellation bei einem gealterten Organismus ("biologisches Alter"). Geriatrische Patienten seien daher entweder definiert durch eine geriatrietypische Multimorbidität und ein höheres Lebensalter (überwiegend 70 Jahre oder älter), wobei die chronische geriatrietypische Multimorbidität vorrangig vor dem kalendarischen Alter zu sehen sei oder durch ein Alter 80+.

Aus all diesen Definitionen wird deutlich, dass die für Geriatriepatienten charakteristische Multimorbidität zwar typischerweise bei deutlich älteren Menschen vorkommt, es aber auch denkbar ist, dass ein jüngerer Patient aufgrund bestimmter Faktoren so stark vorgealtert ist, dass er die Kriterien erfüllt. Ob dies in Bezug auf die seinerzeit x Versicherte der Fall war und ob ihr eine geriatrische Behandlung tatsächlich zuteil wurde, ist eine medizinische Frage, sodass die Beklagte bei Zweifeln hieran gehalten war, den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung einzuschalten, was sie jedoch nicht getan hat. Die Klägerin hat mit der Übermittlung der Daten nach § 301 SGB V auch ihre Informationspflichten vollständig erfüllt und war insbesondere nicht verpflichtet, darüber hinaus ergänzende Angaben zu machen, denn hierzu besteht grundsätzlich kein Anlass, wenn ein Abweichen vom Regelfall bereits durch die kodierten Diagnosen plausibel wird (BSG, vom 21.03.2013 – B 3 KR 28/12 R – Juris, Rn. 17). So ist es hier, denn aus den übermittelten Diagnosen ergibt sich, dass bei der Versicherten eine Multimorbidität bestand, wie sie üblicherweise erst bei deutlich älteren Patienten vorliegt und die es durchaus schlüssig erscheinen lässt, dass bei ihr bereits eine geriatrische Komplexbehandlung angezeigt sein konnte. Es ist nicht ersichtlich, welche zusätzlichen Angaben die Klägerin darüber hinaus noch hätte liefern können, um ihr Vorgehen plausibel zu machen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 12 und 14 des zwischen den Beteiligten geltenden Vertrages nach § 112 SGB V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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