L 6 U 220/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 7 U 109/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 U 220/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Tätigkeiten im Rahmen einer Promotionsarbeit außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereiches der deutenschen Universität sind eigenwirtschaftlich und privat nützlich
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 19.08.2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Ereignisses vom 22.04.2009 als Arbeitsunfall.

Der am 1974 geborene Kläger erlitt am 22.04.2009 ausweislich des D-Arzt-Berichtes vom 13.05.2009 auf dem Weg zur Universität S einen Unfall, in dem er auf einem Fußgängerüberweg von einem PKW angefahren worden war. Diagnostiziert wurden Verstauchung und Zerrung des Kniegelenkes, Fraktur des fünften Halswirbels sowie Verstauchung und Zerrung sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Knies. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 25.05.2009 eine Behandlung zu ihren Lasten ab. Mit Schreiben vom 18.06.2009 wandte sich der Kläger an die Beklagte und teilte mit, dass er am 22.04.2009 in S (B ) Opfer eines Verkehrsunfalles geworden sei. Der Unfall habe sich auf dem Weg zu einer versicherten Tätigkeit ereignet. Er dissertiere im Fachbereich der Ethnologie/Minderheitenforschung und führe dabei eine Feldforschung durch. S stelle den Mittelpunkt der Studien dar, da sich dort der Hauptforschungspunkt der Zweitbetreuerin befinde und zum anderen seine Feldforschungsreisen nach M , B , R und U so am besten zu koordinieren seien. Die Feldforschung sei dabei der Hauptinhalt jeder ethnologischen Arbeit, so dass er sich für sein Studium in S aufhalten müsse. Zum Zeitpunkt des Unfalles habe es zudem eine innerakademische Konferenz gegeben, bei der er sein Projekt vorgestellt habe. Er habe sich seit März in S aufgehalten, der Feldforschungsaufenthalt sei bis Ende Oktober geplant gewesen. Die innerakademische Konferenz habe in der Akademie der Wissenschaften in S stattgefunden, die Unterkunft sei im "V -Hotel" gewesen. Der Unfall habe sich beim Überqueren des Zebrastreifens ereignet auf dem Weg zwischen Unterkunft und der Akademie der Wissenschaften. Zur Akte reichte der Kläger seinen Dissertationsplan.

Ergänzend hat der Kläger einen mit der Universität L für die Zeit vom 20.02.2009 bis einschließlich 28.02.2010 geschlossenen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft mit den Aufgaben "wissenschaftliche Hilfsarbeiten, Unterstützung in Forschung und Lehre" vorgelegt, ferner eine Bescheinigung über seinen Aufenthalt in S zur Durchführung von Felduntersuchungen von der b Akademie der Wissenschaften in S.

Für die Universität L nahm am 13.10.2009 Prof. Dr. S dahingehend Stellung, dass der Kläger seit dem 09.02.2009 am Institut für Ethnologie der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften einen Doktorandenförderplatz habe. Aufgabe des Inhabers eines solchen Platzes sei ausschließlich die Arbeit an einem Promotionsvorhaben. Im Fach Ethnologie gehörten dazu Feldforschungsaufenthalte, die der Doktorand nach eigenem Ermessen plane und durchführe. Wenn der Vertrag auch andere Aufgaben erwähne, liege das daran, dass die Universität nur ein Formular für "wissenschaftliche Hilfskräfte" besitze, sie würden nach der gleichen Tabelle wie die Inhaber von Doktorandenförderplätzen entlohnt. Der Unfall des Klägers sei also nicht bei der Wahrnehmung von "wissenschaftlichen Hilfsarbeiten zur Unterstützung in Forschung und Lehre", sondern im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes in B erfolgt, der seinerseits für die Abfassung der Dissertation Voraussetzung gewesen sei. Ergänzend teilte Prof. Dr. S am 04.11.2009 mit, dass Inhaber von Doktorandenförderstellen ihre Forschungsarbeiten im In- und Ausland selbstständig planten, auch wenn Rücksprache mit dem Betreuer in allen wichtigen Fragen genommen werde. Über die Vergütung als wissenschaftliche Hilfskraft hinaus sei keine Kostenerstattung von Aufwendungen im Zusammenhang der Forschungsaktivitäten erfolgt. Auch während des Forschungsaufenthaltes in B habe der Kläger seine übliche Vergütung ohne jede Zusatzleistung erhalten.

Mit Bescheid vom 04.12.2009 verneinte die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles im Ereignis vom 22.04.2009, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt keiner versicherten Tätigkeit nachgegangen sei. Bei dem Unfall in S habe ein räumlicher Zusammenhang zur Universität L nicht bestanden, da die Universität L. in S keine eigenen Einrichtungen unterhalte. Eine Einflussnahme der Universität L sei nicht erfolgt und sei von der Universität auch ausdrücklich nicht gewollt gewesen. Bei frei gewählten praktischen Ausbildungsabschnitten im Ausland bestehe regelmäßig kein Unfallversicherungsschutz, dies gelte selbst dann, wenn im Zusammenhang mit der Promotion eine praktische Tätigkeit im Ausland absolviert werden müsse. Der Forschungsaufenthalt des Klägers, bei dem sich der Unfall ereignet habe, habe sich außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Universität befunden. Auch aus dem Arbeitsvertrag sei kein Versicherungsschutz abzuleiten.

Diesen Bescheid griff der Kläger mit seinem Widerspruch vom 30.12.2009 an. Zur Begründung führte er aus, dass Versicherungsschutz sowohl für die Eigenschaft als Studierender als auch aufgrund des mit der Universität L abgeschlossenen Arbeitsvertrages bestehe. Er habe sich zum Unfallzeitpunkt auf einer Feldforschungsreise in S befunden, diese Reise sei zum Abschluss seiner Promotion und somit zum Abschluss des Studiums erforderlich gewesen. Im Prüfungsfach Ethnologie sei die Durchführung von Feldstudien zwingend für einen erfolgreichen Abschluss vorgesehen. Die Planung und Organisation der Reise habe nicht ausschließlich seinem Eigeninteresse oblegen, sondern vielmehr im Verantwortungsbereich der Universität, insbesondere des Betreuers der Promotionsarbeit Prof. Dr. S. Dieser habe maßgeblich das Thema der Promotionsarbeit und die notwendigen Arbeitsschritte vorgegeben. Es habe zahlreiche Absprachen zwischen ihm und Prof. Dr. S zum Inhalt und zur Thematik der erforderlichen Arbeiten und Feldforschungen gegeben. Maßgeblich dabei sei auch das Eigeninteresse des Betreuers für die eigene Forschung und Lehre, da die Erkenntnisse aus seinen Feldstudien auch in der weiteren Forschung und Lehre bei Prof. Dr. S Verwendung fänden. Ferner habe an der Partneruniversität in S die Zweitbetreuerin der Promotionsarbeit und enge Forschungskollegin von Prof. Dr. S selbst geforscht und gelehrt. Insgesamt sei ein deutlicher innerer Zusammenhang mit dem organisatorischen Bereich der Hochschule zum Unfallzeitpunkt gegeben, der Aufenthalt in S zur Durchführung von Feldstudien stelle eine sogenannte gemischte Tätigkeit dar. Zum einen sei der private Zweck verfolgt worden, die Dissertation fertig zu stellen, zum anderen habe eine versicherte Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft und Student zur Forschung und Lehre vorgelegen. Die Durchführung der Feldstudien in S gehe zurück auf einen Vorschlag von Prof. Dr. S. Er habe sich dieser Anweisung zwar widersetzen können, dies wäre aber nicht förderlich für seinen Abschluss gewesen. Daher sei die Teilnahme als wissenschaftliche Hilfskraft wesentlich und beherrschend. Private Zwecke würden demgegenüber weitgehend entfallen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Nach den tatsächlichen Verhältnissen habe gar kein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen, es fehle überwiegend an der Weisungsgebundenheit zur Durchführung der Tätigkeit in S. Der Kläger habe einen Doktorandenförderplatz mit finanzieller Unterstützung gehabt.

Hiergegen hat der Kläger am 12.07.2010 Klage zum Sozialgericht Leipzig (SG) eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass er einerseits eine Tätigkeit im Rahmen des geschlossenen Arbeitsvertrages als wissenschaftliche Hilfskraft für Forschung und Lehre an der Universität L im organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule ausgeübt habe. Die Reise nach S sei zum einen zum Abschluss der Promotion und somit zum Abschluss des Studiums erforderlich gewesen, sei aber auch mit dem Ziel der Verbesserung der Kontakte zwischen den Instituten für Ethnologie in Deutschland und B sowie des Ausbaus der wissenschaftlichen Beziehungen untereinander erfolgt. Die Planung und Organisation der Reise habe auch nicht ausschließlich seinem Eigenverantwortungsbereich oblegen, sondern sei im Rahmen von der Universität L , insbesondere dem Betreuer der Promotionsarbeit Prof. Dr. S , vorgegeben worden. Auch sein Aufenthalt in S habe im Eigeninteresse des Instituts für Ethnologie L und Prof. Dr. S gelegen, zumal dort an der Partnereinrichtung in S die Zweitbetreuerin seiner Promotionsarbeit forsche und lehre. In S habe er unter Weisungsbefugnis der Professorin M gestanden, diese habe Termine ausgewählt, an denen der er an Kongressen habe teilnehmen sollen, er vor Studenten referieren und ihr entsprechende Zuarbeiten habe leisten sollen. Aufgrund dieser Tätigkeiten sei auch für die Zeit der Forschungsreise sein Einkommen ausweislich des Vertrages über die Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft weitergewährt worden. Der Aufenthalt sei daher auch im Interesse von Forschung und Lehre der Universität L gewesen. Zur Akte gereicht hat der Kläger eine Bestätigung von Prof. Dr. S vom 23.06.2011, wonach er bezogen auf den Unfall am 22.04.2009 im Nachhinein erfahren habe, dass sich der Kläger auf dem Weg zum Ethnographischen Institut an der B Akademie der Wissenschaften befunden habe, um dort erste Ergebnisse seiner Untersuchungen vorzustellen. Das L Institut für Ethnologie habe mit der Abteilung Studii Romani am Ethnographischen Institut in S seit vielen Jahren in wissenschaftlichem Kontakt gestanden. Die Anbindung des Klägers an diese Einrichtung habe nicht nur seinem Promotionsvorhaben zugutekommen sollen, sondern auch die Kooperation beider Institute fortsetzen und intensivieren sollen.

Ferner hat der Kläger eine Bescheinigung von Prof. Dr. M vom 14.06.2011 zur Akte gereicht, wonach er am 22.04.2009 im Rahmen einer innerakademischen Konferenz die ersten Ergebnisse der Untersuchungen zu seiner Promotion vor Ort habe vorstellen sollen. Des Weiteren sei eine Sondierung weiterer kooperativer Projekte zwischen der Abteilung in S und dem Institut für Ethnologie L geplant gewesen. Diese Kooperationen hätten u. a. durch gemeinsam betreute Promovenden wie den Kläger mit gestaltet und zukünftig getragen werden sollen. Es handele sich um förmliche Institutionalisierungen der Zusammenarbeit der beiden Einrichtungen im Sinne des wissenschaftlichen Austausches und der Kooperation im Rahmen gemeinsamer Forschungsprojekte.

Mit Urteil vom 19.08.2011 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 04.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 22.04.2009 als Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen und zu entschädigen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass der Kläger unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 8c Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) gestanden habe, als er am 22.04.2009 verunglückt sei. Als Doktorand unterfalle er dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Der Versicherungsschutz sei auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Kläger in S auf dem Weg in das Ethnologische Institut gewesen sei und sich damit außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereiches der Hochschule L befunden haben könnte. Der organisatorische Verantwortungsbereich sei hier nicht lediglich der räumliche Bereich der Universität L , zum organisatorischen Verantwortungsbereich gehöre auch die vorliegende universitätsübergreifende Zusammenarbeit. Innerhalb dieser Zusammenarbeit sei die Promotion des Klägers erfolgt. Diese sei zwingend mit einem Auslandsaufenthalt verbunden gewesen. Zweitbetreuer der Doktorarbeit sei Dr. M vom Ethnologischen Institut der Universität S gewesen. Wenn in dieser Art eine Zusammenarbeit beider Universitäten erfolge, so falle auch eine Tätigkeit innerhalb dieser Zusammenarbeit mit in den organisatorischen Verantwortungsbereich der Universität L. Anderenfalls würde bei der Art der Promotion dem Doktoranden teilweise der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung versagt werden. Dies sei gesetzlich nicht gewollt. Grundsätzlich stehe die Tätigkeit einer Promotion unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 8c SGB VII. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe sich der Kläger am 22.04.2009 befunden. Er habe den spezifischen Ablauf einer Promotion, zu der gerade der Auslandsaufenthalt und die Zweitbetreuung durch das Ethnologische Institut in S gehören, absolviert. Die Zusammenarbeit beider Institute sei nach Angaben von Frau M förmlich institutionalisiert gewesen.

Gegen das der Beklagten am 08.09.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 06.10.2011 beim Sächsischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Es komme entscheidend darauf an, dass die Tätigkeit dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule zuzurechnen sei. Das Studium oder die sonstige praktische Tätigkeit von Studenten, Doktoranden oder Diplomanden im Ausland sei nur dann versichert, wenn es sich um eine ins Ausland ausstrahlende Maßnahme oder Veranstaltung der deutschen Hochschule handele. In der Regel werde es bei der Ableistung von Praktika im Ausland an dem geforderten organisatorischen Verantwortungsbereich der Hochschule fehlen. Für Doktoranden/Diplomanden bestehe Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 8c SGB VII, wenn sie ihre Tätigkeit mit dem Ziel der Erstellung ihrer Promotion/Diplomarbeit innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereiches der Hochschule ausübten, es müsse ein unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit der Hochschule und ihren Einrichtungen bestehen. Ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII liege grundsätzlich nicht vor. Doktoranden/Diplomanden seien bei der Erstellung ihrer Doktor-/Diplomarbeit im eigenen Interesse tätig. Die von ihnen in diesem Zusammenhang erbrachten Arbeitsleistungen hätten untergeordnete Bedeutung. Auch der Bezug eines Stipendiums allein begründe regelmäßig kein abhängiges und demzufolge versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Eine finanzielle Unterstützung habe keinen Einfluss auf die Beurteilung des Versicherungsschutzes. Entsprechend der Bestätigung des Doktorvaters Prof. Dr. S habe sich der Kläger auf einem sogenannten Doktorandenförderplatz befunden, Aufgabe eines Inhabers einer solchen Stelle sei ausschließlich die Arbeit an seinem Promotionsvorhaben. Der Verantwortungsbereich der Universität L ergebe sich jedenfalls aus den Angaben der Universität selbst nicht. Eine von der Klägerseite behauptete Tätigkeit im Rahmen eines Kooperationsvertrages zwischen den Universitäten ergebe sich weder aus den Aussagen des Doktorvaters noch aus dem mit der Universität L geschlossenen Vertrag. Eine Entsendung zu diesen Zwecken sei jedenfalls verneint worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 19.08.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er führt aus, dass er als Doktorand dem Anwendungsbereich von § 2 Abs. 1 Nr. 8c SGB VII unterfalle. Die universitätsübergreifende Zusammenarbeit mit dem Ethnologischen Institut der Universität S liege innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereiches der Universität L ... Die durchgeführten Arbeiten im Rahmen des Aufenthaltes in S hätten dem Weisungs- und Kontrollrecht von Prof. Dr. S und Frau Prof. Dr. M unterlegen, zudem habe die Universität L Einfluss auf Umfang, Inhalt und zeitliche Einteilung des Aufenthaltes in S genommen. Während des Aufenthaltes in S habe er in ständigem Kontakt zur Zweitbetreuerin Prof. Dr. M gestanden, wobei er sich zum Unfallzeitpunkt auf dem Weg zum innerakademischen Kongress befunden habe, um dort vor den anderen Teilnehmern im Namen des Institutes für Ethnologie der Universität L seine bisher erzielten Forschungsergebnisse vorzutragen.

Ergänzend hat der Kläger ausgeführt, dass Veranstalter der innerakademischen Konferenz vom 22.04.2009 das Institut in S gewesen sei und zwar unter der Leitung von Frau Prof. Dr. M. Er habe von Frau Prof. Dr. M die Anweisung erhalten, seine Forschungsergebnisse vorzustellen. Diese Anweisung sei durch die Zweitbetreuerin im Rahmen dieser Betreuung ergangen. An der innerakademischen Konferenz hätten Studenten des Instituts und andere Doktoranden teilgenommen, die auch referierten und zwischen diesem Personenkreis sollte dann der Erfahrungsaustausch stattfinden. Das sei eine Art Sonderseminar für die Studenten gewesen. Es habe für diese innerakademische Konferenz keine Extravergütung und keine Aufwandsentschädigung gegeben. Die Teilnahme des Klägers sei erwartet worden.

Dem Senat liegen die Gerichtsakte beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 04.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 das Ereignis vom 22.04.2009 nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Die entgegenstehende Entscheidung des SG konnte keinen Bestand haben.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 07.09.2004, Az.: B 2 U 35/03 R und B 2 U 45/03 R) ist das klägerische, auf Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall gerichtete Begehren als Feststellungsklage i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - auszulegen. Ein berechtigtes Interesse des Klägers an dieser Feststellung besteht, weil es die Vorfrage für die Entscheidung der Beklagten über die zu gewährenden Leistungen darstellt. Eine Entscheidung hierüber war dem Senat verwehrt, weil die Beklagte über einzelne in Betracht kommende Leistungen noch keine Entscheidung getroffen hat (BSG, a.a.O.).

Die vom Kläger begehrte Feststellung, dass das Ereignis vom 22.04.2009 ein Arbeitsunfall ist, findet ihre rechtliche Grundlage in § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, wonach Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit) sind. Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit versichert.

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind kraft Gesetzes versichert Beschäftigte. Ferner sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8c kraft Gesetzes versichert Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen. Ansatzpunkte dafür, dass auf den Fall des Klägers bezogen neben diesen beiden Versicherungstatbeständen weitere Tatbestände in Betracht kommen, waren für den Senat nicht ersichtlich.

Eine Versicherung des Klägers als Beschäftigter lag am 22.04.2009 nicht vor. Zwar war der Kläger Inhaber eines Arbeitsvertrages vom 09.02.2009 als wissenschaftliche Hilfskraft mit der Universität L , wobei ihm als Aufgaben wissenschaftliche Hilfsarbeiten und Unterstützung in Forschung und Lehre zugeteilt waren. Für den Senat von besonderer Bedeutung ist jedoch die Mitteilung des Doktorvaters des Klägers Prof. Dr. S vom 13.10.2009, wonach der Kläger seit dem 09.02.2009 einen Doktorandenförderplatz habe und Aufgabe des Inhabers eines solchen Platzes ausschließlich die Arbeit an einem Promotionsvorhaben sei. Soweit der Vertrag auch andere Aufgaben erwähne, liege das daran, dass die Universität nur ein Formular für "wissenschaftliche Hilfskräfte" besitze und diese nach der gleichen Tabelle wie die Inhaber von Doktorandenförderplätzen entlohnt würden. Ausdrücklich führt Prof. Dr. S aus, dass der Unfall des Klägers nicht bei der Wahrnehmung von "wissenschaftlichen Hilfsarbeiten zur Unterstützung in Forschung und Lehre" erfolgt sei, sondern im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes in B , der seinerseits für die Abfassung seiner Dissertation Voraussetzung sei. Mit Schreiben vom 04.11.2009 hat Prof. Dr. S ausdrücklich bestätigt, dass auch während des Forschungsaufenthaltes in B der Kläger seine übliche Vergütung erhalten habe ohne jede Zusatzleistung. Aus diesen Stellungnahmen zieht der Senat den Schluss, dass zwar ein Arbeitsvertrag geschlossen wurde, in dem auch Arbeitsleistungen genannt wurden, jedoch seitens des Arbeitgebers keine tatsächlichen Arbeitsleistungen erwartet wurden. Allein erwartet wurden Tätigkeiten für die Promotion. Soweit der Kläger ausführt, dass die Ergebnisse seiner Arbeit auch im Interesse der Universität L gestanden hätten, ist dies zwar nachvollziehbar. Jedoch muss eine mögliche Verwertung der Forschungsergebnisse das Urheberrecht beachten, ferner ist eine Verwertung der Ergebnisse durch Prof. Dr. S eher dem professoralen Tätigkeitsbild zuzurechnen, was auch die Begleitung einer Promotion, wie beim Kläger erfolgt, umfasst.

Eine abhängige Beschäftigung des Klägers in S konnte der Senat auch nicht vor dem Hintergrund erkennen, dass er auf die Absprachen mit der Zweitbetreuerin Prof. Dr. M hinweist. Selbst wenn er auf Anweisung seiner Zweitbetreuerin in S an der "innerakademischen Konferenz" vom 22.04.2009 teilnehmen sollte und gesonderte vertragliche Vereinbarungen verneint wurden, folgt daraus nicht, dass der seitens der Universität L mit dem Kläger geschlossene Arbeitsvertrag anders zu bewerten ist, da von der Universität L als Vertragspartner des Klägers keine Gegenleistungen des Klägers erwartet wurden. Von Prof. Dr. S wurden solche Gegenleistungen ausdrücklich verneint. Wenn Prof. Dr. S für die Universität L nicht davon ausgeht, dass der Kläger aus diesem Arbeitsvertrag heraus die darin genannten Tätigkeiten zu erbringen hat, so erschließt es sich dem Senat nicht, dass aus diesem Arbeitsvertrag Pflichten des Klägers gegenüber der Universität S aufgrund nicht konkret belegter Verknüpfungen beider Institute bestehen sollen. Von Frau Prof. Dr. M gegebenenfalls vorgenommene Anweisungen sind nicht mit dem vom Kläger vorgelegten Arbeitsvertrag in Verbindung zu bringen.

Auch ein Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8c SGB VII besteht nicht. Voraussetzung für diesen Versicherungsschutz ist eine organisatorische Zugehörigkeit durch eine Zulassung der Universität, in der Regel durch eine Immatrikulation (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, gesetzliche Unfallversicherung, § 2 SGB VII Rdnr. 19.2). Jedenfalls zu fordern ist eine organisationsrechtliche Anbindung an eine Hochschule (BSG, Urteil vom 13.02.2013 – B 2 U 24/11 R -), wobei der Versicherungsschutz endet, wenn die Aus- oder Fortbildung im Eigenstudium außerhalb einer Lehrstätte erfolgt (BSG, a. a. O.).

Unabhängig vom Vorliegen einer Immatrikulation des Klägers an der Universität L fehlt vorliegend eine organisationsrechtliche Anbindung an die Universität L bezogen auf das Unfallereignis vom 22.04.2009. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 19.08.2011 eine Bescheinigung des Ethnologischen Instituts der Universität S vorgelegt, wonach er im Rahmen einer innerakademischen Konferenz die ersten Ergebnisse seiner Untersuchungen zu seiner Promotion vor Ort vorstellen sollte. Des Weiteren sei eine Sondierung weiterer kooperativer Projekte zwischen der Abteilung an der Universität S und dem Institut für Ethnologie L geplant, diese Kooperationen sollten u. a. durch gemeinsam betreute Promovenden, wie den Kläger, mitgestaltet und zukünftig mitgetragen werden, wobei es sich um förmliche Institutionalisierungen der Zusammenarbeit der beiden Einrichtungen im Sinne des wissenschaftlichen Austauschs und der Kooperation im Rahmen gemeinsamer Forschungsprojekte handele. Aus dieser Bescheinigung ist jedoch nicht ausreichend konkret eine bereits zum Unfallzeitpunkt bestehende Kooperation zwischen der Universität L und der Universität S dergestalt abzuleiten, dass eine Fernwirkung der Organisationshoheit der Universität L in den Bereich der Universität S anzunehmen ist. Dies ergibt sich für den Senat daraus, dass in der Bescheinigung vom 14.06.2011 eine Sondierung weiterer kooperativer Projekte geplant war, also in die Zukunft gerichtete Überlegungen. Dies wird bestätigt durch den weiteren Satz, wonach die Kooperationen durch gemeinsam betreute Promovenden zukünftig getragen werden solle. Hieraus ist die Absicht einer engeren Zusammenarbeit beider Einrichtungen abzuleiten, nicht aber eine bereits zum Unfallzeitpunkt bestehende Fernwirkung der organisationsrechtlichen Verantwortung der Universität L nach S. Hierfür wäre vielmehr erforderlich, dass eine Betreuung und zumindest eine gewisse Einflussnahme der deutschen Universität im Hinblick auf die Inhalte und die Organisation des Auslandsstudiums gesichert ist (Schlaeger in Schlaeger/Linder, Unfallversicherung für Kinder in Tagesbetreuung, Schüler und Studierende, § 5 Rdnr. 57). Die organisatorische und rechtliche Verantwortung der Hochschule kann nicht dadurch ersetzt werden, dass ein von dem Studierenden selbst durchgeführter Aufenthalt für das angestrebte Ziel – hier die Promotion – sachgerecht, dienlich und unerlässlich ist (Schlaeger, a. a. O.). Hierbei war ferner zu berücksichtigen, dass im Gegensatz zu normalen Studienaufenthalten im Rahmen des Lehrbetriebes Diplomarbeiten und Promotionen grundsätzlich eigene und unabhängige Leistungen ohne Weisungen darstellen (Schlaeger, a. a. O., § 5 Rdnr. 59), was den Darstellungen des Klägers im Rahmen des Widerspruchsverfahrens entspricht, in denen er die Tätigkeit für die Promotion als privatnützig bewertet. Dass der Kläger bei der Planung der Promotion die Hilfe seines Doktorvaters in Anspruch genommen hat, stellt der Senat nicht in Frage. Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass ein Abweichen von den Ideen des Doktorvaters eventuell ungünstig für die weitere Arbeit hätte sein können. Diese Punkte berühren aber nicht die Tatsache, dass der Kläger seine Promotionsarbeit selbstständig und eigenverantwortlich zu erstellen hat. Diese Selbstständigkeit zeigt sich auch darin, dass der Doktorvater des Klägers, Prof. Dr. S , gemäß seines Schreibens vom 23.06.2011 erst im Nachhinein erfahren hat, dass der Kläger am 22.04.2009 auf dem Weg zum Ethnographischen Institut an der B Akademie der Wissenschaften war, um dort erste Ergebnisse seiner Untersuchungen vorzustellen. Er war also im Vorfeld nicht konkret über die einzelnen Tätigkeiten des Klägers in S bzw. an der Universität in S unterrichtet, was andererseits die fehlende Einflussnahme der deutschen Universität auf die Vorgänge in S untermauert.

In Gesamtwürdigung der aktenkundigen Umstände kam der Senat zu der Auffassung, dass der Aufenthalt des Klägers in B sowohl zur Durchführung von Feldforschungen als auch zur Darstellung der ersten Forschungsergebnisse als Tätigkeiten im Rahmen seiner Promotionsarbeit zu sehen sind, die als eigenwirtschaftlich und privatnützig zu werten sind, wobei sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt nach den dargestellten Grundsätzen nicht im organisatorischen Verantwortungsbereich der Universität L befand. Es bleibt kein Raum für ein Mindestmaß an Einflussnahme der deutschen Universität auf die Inhalte und die Organisation des Auslandsaufenthaltes. Weder hatte der Doktorvater des Klägers Kenntnis vom geplanten Vortrag des Klägers noch war eine Kooperation zwischen der Universität L und der Universität S so strukturiert, dass konkrete Tätigkeiten allein zwischen den Doktoranden und der Auslandsuniversität mit Fernwirkung auf die Universität L abgesprochen werden konnten, was einen Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung als tätigkeitsbezogene Personenversicherung ausschließt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

Petschel Strahn Guericke
Rechtskraft
Aus
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