L 32 AS 3155/13 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AS 27056/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 3155/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2013 geändert. Dem Antragsteller wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht für die Zeit ab dem 2. Oktober 2013 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung oder Beiträge aus dem Vermögen bewilligt und die Kanzlei der Rechtsanwälte N, E, M & Partner beigeordnet. Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren, in welchem der Antragsteller die Gewährung von Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2012 begehrt, welche ihm von der Beklagten unter Hinweis auf die Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II versagt werden. Die am 20. November 2012 gegen den Bescheid vom 12. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2012 erhobene Klage wurde durch Beschluss vom 12. September 2013 im Hinblick auf beim BSG anhängigen Verfahren auf Antrag der Beteiligten durch Beschluss ruhend gestellt. Am 2. Oktober 2013 hat der Antragsteller Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 11. November 2013 abgelehnt und dies damit begründet, dass eine Erforderlichkeit für eine anwaltliche Vertretung nicht bestehe, weil der Kläger für einen vorhergehenden Zeitraum bereits ein Klageverfahren unter denselben rechtlichen und gleichen tatsächlichen Umständen verfolge und ihm dafür Prozesskostenhilfe gewährt worden sei.

Der Antragsteller verfolgt sein Begehren mit seiner Beschwerde vom 19. November 2013 weiter. Die Meinungen der unterschiedlichen Kammervorsitzenden am SG Berlin seien durchaus unterschiedlich und diese würden sich mit unterschiedlichen, teilweise in juristischer Fachsprache abgefassten verfahrensleitenden Verfügungen an die Beteiligten wenden. Zudem würden Verfahren dadurch komplizierter, dass mehrere Klageverfahren anhängig seien. Die von der zuständigen Kammer des SG zitierte Entscheidung des LSG Hessen sei vereinzelt geblieben. Allein für die Entscheidung über die Frage des Gerichts, ob das Verfahren zum Ruhen gebracht werden solle, sei anwaltlicher Beistand erforderlich.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 155 Abs 3, 4 SGG erklärt.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Dem bedürftigen Antragsteller war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig. Die Beiordnung anwaltlichen Beistandes ist auch im Sinne von §§ 73a Abs 1 SGG, 121 Abs 2 ZPO erforderlich.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheintHinreichende Erfolgsaussicht ist dann anzunehmen, wenn das Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, RdNr 29) zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erfolg der Rechtsverfolgung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Diese gewisse Wahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung, der vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage § 73a RdNr. 7a). Bei nur teilweise anzunehmender Erfolgsaussicht ist in den gerichtskostenfreien Verfahren Prozesskostenhilfe unbeschränkt zu gewähren (vgl. Leitherer ebd. mwN); Ausnahmen kommen bei selbständigen Streitgegenständen, also insbesondere bei Klagenhäufung in Betracht. Einerseits dürfen die Anforderungen an eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht überspannt werden (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 358 - JURIS-RdNr 27). Andererseits darf Prozesskostenhilfe auch verweigert werden, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 357 - JURIS-RdNr 26). Kommt eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, bzw hält das Gericht eine Beweiserhebung für notwendig, so kann in der Regel Erfolgsaussicht nicht verneint werden (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2008, 1 BvR 1404/04, RdNr 30, Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 73a RdNr 7a). Weil es ausreicht, dass Vertretbarkeit des Rechtsvorbringens anzunehmen ist, kommt es hinsichtlich der rechtlichen Bewertung nicht auf die Rechtsansicht des erkennenden Spruchkörpers, sondern eine allgemeine Betrachtung an. Ein Rechtsschutzbegehren hat daher auch dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 358f - JURIS-RdNr 28 mwN). Nach diesen Maßstäben ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klage zulässig und der ablehnende Verwaltungsakt rechtswidrig ist mit einem daraus resultierenden Anspruch auf Leistung, jedenfalls eines Anspruchs auf Ausübung pflichtgemäßen Ermessens, anzunehmen. Dies hat das Sozialgericht im Grunde auch zutreffend erkannt. Es hat seine Bewertung der Erfolgsaussichten allerdings auf die von den Beteiligten angesprochenen gesetzlichen Normen beschränkt und weitere Normen, die zum Klageerfolg des Antragstellers führen können, nicht in die Beurteilung der Erfolgsaussichten und der Frage der Erforderlichkeit anwaltlichen Beistandes einbezogen.

So kommt ein Anspruch des Antragstellers auf Grundsicherungsleistungen unter Anwendung der Anspruchsgrundlage der §§ 7 Abs 2, 19, 20, 23 SGB II in Betracht, denn ausweislich der Feststellungen im Widerspruchsbescheid lebt der Antragsteller, der das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, gemäß § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II in Bedarfsgemeinschaft mit seiner leistungsberechtigten Mutter. Für Leistungsansprüche nach § 7 Abs 2 SGB II ist indes die Erfüllung der Voraussetzungen nach Abs 1 Satz 1 der Vorschrift ebenso irrelevant wie die Erfüllung der Ausschlusstatbestände nach Satz 2 der Vorschrift.

Zudem kommt ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung nach §§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I, 40 Abs 2 Nr 1 SGB II, 328 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III, die zu einer Leistungsgewährung, zumindest zu einer Aufhebung des angefochtenen Ablehnungsbescheides wegen ersichtlichen Ermessensausfalls führen kann, ernsthaft in Betracht. Die Voraussetzungen dürften im Hinblick auf das im Zeitpunkt der Erteilung des Ablehnungsbescheides beim BSG anhängige Verfahren zur Beurteilung der grundsätzlichen Frage der Anwendbarkeit der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II im Verhältnis zum europäischen Koordinationsrecht (jedenfalls B 4 AS 54/12 R) erfüllt gewesen sein.

Die Erforderlichkeit anwaltlichen Beistandes im Sinne des § 121 Abs 2 ZPO entfällt auch nicht im Hinblick auf die Gleichartigkeit zum Verfahren über den vorangegangenen Zeitraum. Insofern ist schon unklar, ob im Zeitpunkt der Entscheidung für den vorangegangen Zeitraum ebenso wie für den streitgegenständlichen die Voraussetzungen des § 328 Abs 1 Satz Nr 2 SGB III erfüllt sind, denn das Verfahren B 4 AS 54/12 R kann beim BSG erst nach Mai 2012 anhängig gemacht worden sein. Die Prüfung der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen für die einzelnen Zeiträume ist daher durchaus kompliziert und für jeden einzelnen Leistungszeitraum separat vorzunehmen, wie auch die für jeden einzelnen Zeitraum ggf erforderliche Bewertung der Ermessensbetätigung stets die Inanspruchnahme anwaltlicher Unterstützung gerechtfertigt erscheinen lässt.

Die Erforderlichkeit entfällt auch nicht deswegen, weil das Verfahren, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird, bereits vor Antragstellung zum Ruhen gebracht worden ist, denn auch während des Ruhens des Verfahrens kann die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistandes schon deshalb notwendig bleiben, um die Frage der Aufrechterhaltung des Ruhens, etwa im Hinblick auf neue rechtliche Aspekte aufgrund der Entwicklung der Rechtsprechung, zu bewerten.

Der Antragsteller ist zur Prozessführung nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage. Prozesskostenhilfe war ab dem Zeitpunkt der Vorlage der Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, also ab 2. Oktober 2013 zu gewähren.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO). Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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