L 4 R 3716/13 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2637/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3716/13 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 12. August 2013 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Antrags- und Beschwerdeverfahren wird endgültig auf je EUR 17.260,28 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 12. August 2013, mit dem das SG dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 12. Juni 2013 gegen ihren Bescheid vom 22. Mai 2013 stattgegeben hat.

Die Antragstellerin betreibt mit Erlaubnis nach § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ein Personaldienstleistungsunternehmen, das sich mit der Arbeitnehmerüberlassung speziell im Sanitär-, Heizungs-, Elektro- und Malerhandwerk beschäftigt. In den Arbeitsverträgen wurde auf die vom Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP) und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) geschlossenen Tarifverträge verwiesen. Auf der Basis der dort vereinbarten Vergütungen wurden im Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Dezember 2009 die Sozialversicherungsbeiträge für die beschäftigten Leiharbeitnehmer gezahlt sowie Meldungen und Beitragsnachweise abgegeben.

Zunächst führte die Antragsgegnerin bei der Antragstellerin am 3. und 4. Dezember 2007 eine stichprobenweise Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 31. Oktober 2007 durch und forderte mit Bescheid vom 3. Dezember 2007 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 6.409,46 wegen der Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs durch einen Arbeitnehmer und einer kurzfristigen Beschäftigung nach.

In der Zeit vom 27. Oktober 2011 bis zum 22. Mai 2013 führte die Antragsgegnerin bei der Antragstellerin eine Betriebsprüfung durch, die den Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Dezember 2009 umfasste. Mit Bescheid vom 22. Mai 2013 setzte die Antragsgegnerin eine Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich Umlagen nach dem bis 31. Dezember 2005 geltenden Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) und dem seit 1. Januar 2006 geltenden Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) sowie für das Insolvenzgeld (im Folgenden einheitlich Gesamtsozialversicherungsbeiträge) in Höhe von EUR 69.041,11 für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Dezember 2009 fest. Dem Bescheid war eine Anlage beigefügt, in der Erläuterungen zur Berechnung enthalten sind. Die Antragstellerin begründete die Beitragsnachforderung damit, dass der Tarifvertrag zwischen dem AMP und der CGZP nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10; in juris) unwirksam sei und die Leiharbeitnehmer deshalb nach § 10 Abs. 4 AÜG den Lohn beanspruchen könnten, der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde (Grundsatz des "equal pay"). Im Beitragsrecht der Sozialversicherung gelte nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) für laufendes Entgelt das sog. Entstehungsprinzip. Die Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger entstünden, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Bemessungsentgelt für die Beitragsansprüche sei deshalb nicht das vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte, sondern das von ihm geschuldete Arbeitsentgelt. Nach § 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV habe der prüfende Rentenversicherungsträger die Höhe der Arbeitsentgelte zu schätzen, wenn diese nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermittelt werden könnten. Zwar sei hier feststellbar, dass Arbeitsentgelte grundsätzlich bestimmten Beschäftigten zuzuordnen seien, jedoch sei die personenbezogene Ermittlung der jeweils geschuldeten Arbeitsentgelte - wenn überhaupt - nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich. Denn im Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Dezember 2009 hätten im Betrieb der Antragsgegnerin insgesamt 5319 Beschäftigungsverhältnisse vorgelegen. Eine Großzahl derer habe lediglich bis zu drei Monaten gedauert. Die Überlassung der Mitarbeiter sei an ca. 847 Entleiher erfolgt. Bei der Schätzung seien Beschäftigtengruppen nach Qualifikation/Entleiherbranche gebildet worden. Auf der Basis der geleisteten Gesamtstunden aller Beschäftigten sei die gruppenspezifische Bruttolohnsumme je Gruppe ermittelt worden. Die Gruppenlohnsummen seien um Lohnzahlungen, für Zeiten, in denen kein equal pay-Anspruch bestanden habe, bereinigt worden. Nach dem Zufallsprinzip sei eine repräsentative Stichprobe unter Einbeziehung unterschiedlicher Entleiher (1 % bis 3 % der Leiharbeitnehmer je Gruppe, mindestens fünf Leiharbeitnehmer) gebildet worden. Aus dieser sei ein Durchschnittswert gebildet worden. Hieraus ergebe sich für die Jahre 2005 bis 2009 ein prozentualer Lohnabstand zu vergleichbaren Stammarbeitnehmern von 2,07 % (für 2005 und 2006), 1,80 % (für 2007), 1,91 % (für 2008) und 1,09 % (für 2009). Dieser sei zur Ermittlung der Arbeitsentgeltdifferenz auf alle verbliebenen Leiharbeitnehmer angewendet worden.

Die Antragstellerin erhob mit Schriftsatz vom 10. Juni 2013 Widerspruch, über den bislang noch nicht entschieden ist, und beantragte mit am 12. Juni 2013 beim SG eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Der Prüfbescheid vom 22. Mai 2013 leide unter mehreren rechtlichen Mängeln, weshalb bei summarischer Prüfung die Wahrscheinlichkeit größer sei, dass der Bescheid wegen Verletzung subjektiver Rechte aufgehoben werde, als dass sein Bestand von den Gerichten bestätigt werde. Die Vollziehung der Beitragsnachforderung hätte eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Der Beschluss des BAG vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10; a.a.O.) sei verfassungswidrig und verletze sie - wie auch der Prüfbescheid - in ihren Grundrechten aus Artikel 9, 12 und 2 Abs. 1 (i.V.m. Artikel 20 Abs. 3) Grundgesetz (GG). Weder dieser Beschluss des BAG noch dessen nachfolgende Beschlüsse vom 22. Mai 2011 (1 ABN 27/12) und 23. Mai 2012 (1 AZB 58/11 und 1 AZB 67/11; alle in juris) könnten dazu führen, dass die Sozialversicherungsträger Beitragsnachforderungen nach den Prinzipien des "equal pay" und "equal treatment" stellen könnten. Auch halte sich die Antragsgegnerin nicht an die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), insbesondere was die Voraussetzungen der dreißigjährigen Verjährung sowie das Verbot, eine durch Änderung der Rechtsprechung geänderte Rechtslage auf die Vergangenheit anzuwenden, wenn der Arbeitgeber dadurch übermäßig belastet werde, betreffe. Nachforderungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2006 seien sogar im Falle ihres ursprünglichen Bestehens verjährt. Der Vorwurf der Bösgläubigkeit mit der Folge einer 30-jährigen Verjährung setze eine Einzelfallprüfung voraus und nicht den unhaltbaren pauschalen Vorwurf, sämtliche Arbeitgeber hätten noch im Dezember 2010 das Bewusstsein gehabt, für die Zeit ab dem 1. Dezember 2005 Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachzahlen zu müssen. Im Rahmen der Prüfung sei übersehen worden, die Beschäftigungsverhältnisse gesondert zu behandeln, bei denen sie nicht mehr die Möglichkeit habe, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung vom Arbeitsentgelt einzubehalten (Verweis auf BSG, Urteil vom 18. November 1980 - 12 RK 59/79; in juris). Der bestandskräftige, nicht aufgehobene Betriebsprüfungsbescheid vom 3. Dezember 2007 (Prüfzeitraum 1. Januar 2003 bis 31. Oktober 2007) lasse in dem Zeitraum, in dem sich die Bescheide zeitlich überschneiden, eine Beitragsnachforderung nicht zu. Letztlich seien Zusatzleistungen der Verleiher wie z.B. Verpflegungsmehraufwand außer Betracht gelassen worden.

Die Antragsgegnerin trat dem entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 1/04 R -; in juris) seien Rentenversicherungsträger selbst in kleinen Betrieben nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicheren verpflichtet. Betriebsprüfungen dienten der Sicherung der Beitragsentrichtung, nicht der "Entlastung" der Arbeitgeber. Der Bescheid vom 3. Dezember 2007 enthalte weder im Tenor noch in den Gründen eine Regelung des Inhalts, dass keine weiteren Forderungen geltend gemacht würden. Eine förmliche Aufhebung sei daher nicht erforderlich. Vertrauensschutz greife nicht, weil das BAG die Tarifunfähigkeit lediglich deklaratorisch festgestellt habe und der gute Glaube an die Tariffähigkeit sei nicht geschützt. Bei der Bewertung, ob das Vertrauen der CGZP-Tarifanwender schutzwürdig sei, sei zu berücksichtigen, dass die Tariffähigkeit der CGZP seit langem umstritten gewesen sei. Angesichts der Vielzahl der anhängig gewesenen Verfahren hätten sich Zweifel geradezu aufdrängen müssen. Da ab Bekanntgabe des Beschlusses des BAG zumindest bedingter Vorsatz gegeben sei, gelte für zu diesem Zeitpunkt unverjährte Beiträge die Verjährung von 30 Jahren gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Den Beschlüssen des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 19. November 2012 (L 11 R 3954/12 ER-B; in juris) und 5. März 2013 (L 4 R 4381/13 ER-B; in juris) sei nicht zu folgen. Die Ansicht, dass einer Schätzungsbefugnis immer eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers vorangehen müsse, finde im Gesetz keinen Halt und sei abzulehnen. Die Arbeitgeber/Entleiher hätten entgegen der Auffassung des LSG nicht auf die Wirksamkeit der Tarifverträge vertrauen dürfen und eine Aufzeichnung der vergleichbaren Arbeitsentgelte der Stammmitarbeiter des Entleiherbetriebes anlegen müssen. Im Übrigen sei der Aufwendungsersatz entgegen der gegnerischen Auffassung nicht bei der Berechnung der equal pay-Lohndifferenz berücksichtigt worden.

Mit Beschluss vom 12. August 2013 ordnete das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 22. Mai 2013 an. Zur Begründung führte es aus, es sei von ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides auszugehen, da die Antragsgegnerin die Höhe des Arbeitsentgelts geschätzt habe, ohne dass hierfür eine Rechtsgrundlage bestanden habe. Nach ihrem eigenen Vorbringen sei der Antragsgegnerin die Feststellung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts deshalb nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Aufwand möglich, weil die Ermittlung des equal-Pay-Arbeitsentgelts angesichts der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden gewesen sei. Dies beruhe aber nicht auf einer - erforderlichen - Verletzung der Aufzeichnungspflicht durch die Antragstellerin. Es lasse sich nicht feststellen, dass die Antragstellerin ihre Aufzeichnungspflicht in einer solchen Weise verletzt habe, dass deshalb die Beitragshöhe nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Verwaltungsaufwand hätte ermittelt werden können und die Zuordnung zu bestimmten Beschäftigten nicht möglich gewesen sei. Bis zum Beschluss des BAG vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10, a.a.O.) sei die Antragstellerin deshalb nicht verpflichtet gewesen, in den Verträgen mit den Entleihern Angaben über das Arbeitsentgelt für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers aufzunehmen, weil die Vertragsparteien angesichts der zwischen dem AMP und der CGZP geschlossenen Tarifverträge hätten davon ausgehen dürfen, dass dadurch die in § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG und § 9 Nr. 2 AÜG genannten Ausnahmen vorlägen. Dem stehe nicht entgegen, dass die Tarifunfähigkeit der CGZP und damit die Unwirksamkeit der mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge rückwirkend anzunehmen sei. Daraus folge zwar, dass objektiv eine Pflicht bestanden habe, in den Verträgen nach § 12 AÜG anzugeben, welche im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gelten würden. Dennoch habe eine Pflichtverletzung der Antragstellerin nicht vorgelegen. Denn eine Pflichtverletzung setze die Kenntnis der Obliegenheit voraus. Fehle den Vertragsparteien des Vertrages nach § 12 AÜG diese Kenntnis, gehe die Obliegenheit ins Leere (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. November 2012 - L 11 R 3954/12 ER-B - unter Verweis auf Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 16. September 2009 - IV ZR 246/08 -; beide in juris). Bis zum Beschluss des BAG vom 14. Dezember 2010 hätten die Vertragsparteien keine Kenntnis davon gehabt, dass die in § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG und § 9 Nr. 2 AÜG genannten Ausnahmen nicht vorliegen. Die Frage der Kenntnis von einer Obliegenheit - hier: Pflicht zur Aufnahme von Angaben über das Arbeitsentgelt für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers in den Verträgen nach § 12 AÜG - sei zu trennen von der Frage, ob eine Verletzung der Pflicht Verschulden voraussetze (vom BSG im Urteil vom 7. Februar 2002 - B 12 KR 12/01 R -, in juris, verneint). Gehe eine Obliegenheit ins Leere, könne sie schon tatbestandlich nicht verletzt werden. Die Frage des Verschuldens stelle sich in diesem Fall nicht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. November 2012 - L 11 R 3954/12 ER-B - in juris).

Gegen den ihr am 19. August 2013 zugestellten Beschluss erhob die Antragsgegnerin am 26. August 2013 Beschwerde. Zu einer Schätzung sei sie befugt gewesen. Dies ergebe sich aus § 28 f Abs. 2 Satz 3 SGB IV, weil die Antragstellerin ihren Aufzeichnungspflichten objektiv nicht nachgekommen sei. Die Ansicht, dass eine solche Schätzbefugnis immer eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers vorausgehen müsse, finde im Gesetz keinen Anhalt und sei abzulehnen. Im Urteil des BSG vom 7. Februar 2002 (- B 12 KR 12/01 R -; in juris) werde klargestellt, dass es auf ein Verschulden nicht ankomme, ebenso in den Kommentierungen von Kreikebohm (Kommentar zum SGB IV) sowie Wehrhahn-Kasseler-Kommentar, jeweils zu § 28f unter RdNr. 8. Dies entspreche auch dem Schutzzweck der Norm. Soweit das LSG Baden-Württemberg (Beschlüsse vom 19. November 2012 - L 11 R 3954/12 ER-B -, in juris und 5. März 2013 - L 4 R 4381/12 ER-B -; in juris) unter Bezugnahme auf die Bundestags-Drucksache 15/1515 S. 132 zu Nr. 2 (§ 12 AÜG) darauf abgestellt habe, dass Auskünfte des Entleihers über die Arbeitsbedingungen vergleichbarer Stammarbeitnehmer in seinem Unternehmen in der Regel (Unterstreichung im Original) entbehrlich seien, sei hiergegen einzuwenden, dass es sich bei der Terminologie "in der Regel" insoweit um eine offene Formulierung handele, die die Einbeziehung der Gesamtumstände in die Entscheidung, ob diese Auskünfte tatsächlich entbehrlich seien oder nicht, geradezu zwingend erfordere, insbesondere, da entsprechend Brors (Kommentar zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, § 13 Nr. 7) allein das Vorliegen eines Tarifvertrags nicht ausreiche und es bei Zweifeln an der Wirksamkeit des Tarifvertrags einer höchstrichterlichen Klärung der arbeitsrechtlichen Diskussion bedürfe. Entgegen den Beschlüssen des LSG Baden-Württemberg könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Verleiher/Arbeitgeber auf die Wirksamkeit der Tarifverträge und mithin auf das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen in § 3 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 AÜG hätten vertrauen dürfen (Hinweis auf Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 28. Juni 2012 - 15 Sa 228/12 -; in juris). Im Urteil des BAG vom 13. März 2013 (- 5 AZR 954/11 -; in juris) werde im Rahmen einer Entscheidungsbesprechung hierzu ebenfalls ausgeführt, dass nach Ansicht des BAG das Vertrauen der Verleiher in die Tariffähigkeit der CGZP und damit auch in die Wirksamkeit der von der Tarifgemeinschaft abgeschlossenen Tarifverträge nicht geschützt sei. Es hätte daher auch der Aufzeichnung der vergleichbaren Arbeitsentgelte der Stammmitarbeiter des Entleiherbetriebs bedurft. Es müsse zumindest von einem Kennenmüssen der Aufzeichnungspflicht ausgegangen werden, insbesondere hätten die Umstände die Verleiher/Arbeitgeber dazu veranlassen müssen, sich rechtlich zu informieren. Aufgrund des Beschlusses des BAG vom 14. Dezember 2010 sei klargestellt, dass gerade keine Befreiung des Verleihers von der Gleichstellungsverpflichtung von § 3 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 AÜG vorliege und es mithin zur Feststellung der tatsächlichen Beitragspflicht/Beitragshöhe durch den Rentenversicherungsträger auch der Höhe der Arbeitsentgelte vergleichbarer Stammarbeitnehmer bedurft hätte. Es entspreche dem Sinn und Zweck des § 28f SGB IV, dass § 28f Abs. 1 Satz 1 SGB IV erfüllt sei, wenn aus den Entgeltunterlagen die entscheidungsrelevanten Angaben nicht hervorgingen und erst durch weitere Ermittlungen des Rentenversicherungsträgers ausgeräumt werden könnten. Es liege zum Beispiel auch nicht in der Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers, ob in Zweifelsfällen Entgeltunterlagen angelegt und geführt werden müssten. Letztlich müsse ausreichend sein, dass objektiv eine Pflicht bestanden habe, in den Verträgen nach § 12 AÜG anzugeben, welche im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gegolten hätten oder gälten. Entgegen den Ausführungen des LSG Baden-Württemberg in den genannten Beschlüssen könne es nur darauf ankommen, dass die entscheidungsrelevanten Angaben zu den Arbeitsentgelten der Stammarbeitnehmer in den Lohnunterlagen nicht vorhanden gewesen seien. Im Übrigen bestehe gemäß § 28f Abs. 2 Satz 5 SGB IV mit der Vorlage der entsprechenden Nachweise jederzeit die Möglichkeit, die Höhe der Beitragsnachforderung aus personenbezogenen Arbeitsentgelten zu errechnen. § 28f SGB IV enthalte darüber hinaus keine verbindlichen Regelungen darüber, welche Schätzungsmethode anzuwenden sei. Um die Ermittlung der Schätzgrundlagen zu erleichtern, hätten die Rentenversicherungsträger ein dreistufiges Modell möglicher Handlungsoptionen entwickelt, mit deren Hilfe die tatsächlichen Verhältnisse in den einzelnen Leiharbeitsunternehmen möglichst wirklichkeitsgetreu abgebildet werden sollten. Die Wahl der Handlungsoption sei hierbei nicht in das Ermessen des einzelnen Betriebsprüfers gestellt, sondern habe sich an den tatsächlichen Verhältnissen im Hinblick auf Ermittlungsaufwand, -möglichkeiten und vorhandener prüffähiger Unterlagen zu orientieren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 12. August 2013 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22. Mai 2013 abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres eigenen Vortrags für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die SG-Akte und den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache wäre die Berufung zulässig. Der Beschwerdewert überschreitet den in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG genannten Betrag von EUR 750,00. Denn auf den im Beschwerdeverfahren noch streitigen Zeitraum entfallen entsprechend der Anlage zum Bescheid vom 22. Mai 2013 EUR 69.041,11.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 22. Mai 2013 angeordnet, mit dem die Antragsgegnerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2009 nachfordert.

Der von der Antragstellerin erhobene Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Mai 2013 hat nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Nach Abs. 1 des mit Wirkung vom 2. Januar 2002 durch Art. 1 Nr. 35 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des SGG (6. SGGÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl. I, S. 2144) eingefügten § 86a SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt jedoch - wie vorliegend - die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Zu den Entscheidungen, die unter § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG fallen, gehören auch Bescheide der Rentenversicherungsträger, die - wie hier - auf der Grundlage von § 28p Abs. 1 SGB IV nach einer Prüfung beim Arbeitgeber ergehen (z.B. Beschluss des Senats vom 10. Januar 2012 - L 4 R 945/11 ER-B -, nicht veröffentlicht).

Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache aber auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Wirkung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs tritt rückwirkend ab Erlass des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides ein und endet in den Fällen, in denen Klage erhoben wird, erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung (LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 11. Mai 2011 - L 11 R 1075/11 und L 11 KR 1125/10 ER-B -, veröffentlicht in juris; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012, § 86b Rdnr 19).

Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage aufgrund von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Da der vorläufige Rechtsschutz den Hauptsacherechtsschutz sichern soll, sind für diese Interessenabwägung die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs grundsätzlich ausschlaggebend. Wird der Hauptsacherechtsbehelf aller Voraussicht nach erfolgreich sein, überwiegt regelmäßig das private Aufschubinteresse des Antragstellers, andernfalls kommt dem öffentlichen Vollziehungsinteresse regelmäßig der Vorrang zu. Ist keiner dieser Fälle der erkennbaren Aussichtslosigkeit der Klage bzw. des Widerspruchs oder der erkennbaren Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gegeben, so sind die beteiligten Interessen anhand sonstiger Umstände im Einzelfall zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen (z.B. Beschluss des Senats vom 10. Januar 2012 - L 4 R 945/11 ER-B -, nicht veröffentlicht). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber auch im Einzelfall zugunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Mai 2010 - L 11 R 1806/10 ER-B -, nicht veröffentlicht). Dabei sind stets die Maßstäbe des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen. Demgemäß hat eine Aussetzung der Vollziehung zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Bei Beitragsstreitigkeiten liegen ernstliche Zweifel in Sinne des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG nur dann vor, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juni 2010 - L 11 R 1903/10 ER B -, nicht veröffentlicht). Andernfalls wäre in Beitragsangelegenheiten angesichts der vielfach in vorläufigen Rechtsschutzverfahren noch ungeklärten Verhältnisse eine Vollziehung häufig nicht durchsetzbar, was die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungsträger beeinträchtigen könnte (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Juli 2004 - L 5 B 2/04 KR ER - m.w.N.; in juris). Insoweit müssen erhebliche Gründe für ein Obsiegen in der Hauptsache sprechen, damit die in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG vorgenommene gesetzliche Risikoverteilung geändert werden kann.

Solche erheblichen Gründe liegen hier nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand vor.

Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Beitragsbescheides ist § 28p Abs. 1 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV erfüllen und erlassen im Rahmen dessen Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in den einzelnen Sozialversicherungszweigen. Für die Zahlung von Beiträgen von Versicherungspflichtigen aus Arbeitsentgelt zur gesetzlichen Krankenversicherung, gesetzlichen Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und sozialen Pflegeversicherung gelten nach § 253 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 174 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sowie § 60 Abs. 1 Satz 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) die Vorschriften über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§§ 28d bis 28n und 28r SGB IV). Diese Vorschriften gelten nach §§ 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 348 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) auch für die Arbeitsförderung. Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag der Arbeitgeber zu zahlen. Versicherungspflichtig sind in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, in der Rentenversicherung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 SGB III sowie in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB XI gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen im Rahmen der Lohnfortzahlung werden durch Umlagen, die jeweils in einem Prozentsatz des Entgelts (Umlagesatz) festzusetzen sind, von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht (bis 31. Dezember 2005 § 14 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 LFZG, seit 1. Januar 2006 § 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AAG). Die Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes werden durch eine monatliche Umlage, die nach einem Prozentsatz des Arbeitsentgelts (Umlagesatz) zu erheben ist, von den Arbeitgebern aufgebracht (§ 358 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB III). Als Arbeitsentgelt gelten gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Um das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht sowie ggf. die Höhe der zu entrichtenden Beiträge feststellen zu können, war es schon immer eine selbstverständliche Pflicht des Arbeitgebers, hierüber geeignete Aufzeichnungen anzufertigen. Diese Pflicht ist seit 1989 ausdrücklich in § 28f Abs. 1 Satz 1 SGB V normiert (Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 28f SGB IV, RdNr 3).

Seit 1. Januar 2003 haben Leiharbeitnehmer Anspruch auf Arbeitsentgelt in gleicher Höhe wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers. Dies folgt aus §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2 AÜG. Abweichende Regelungen können nur in einem Tarifvertrag getroffen werden. Ist ein solcher Tarifvertrag jedoch unwirksam, kann der Leiharbeitnehmer nach § 10 Abs. 4 AÜG vom Verleiher die Gewährung der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts verlangen. Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 AÜG sind hier erfüllt. Mitglieder des Christlichen Gewerkschaftsbundes (CGB) gründeten im Dezember 2002 die CGZP. Diese schloss im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung zahlreiche Haus- und Flächentarifverträge ab, die eine Abweichung vom Grundsatz des equal pay ermöglichten (Segebrecht in jurisPR-SozR 13/2011 Anm. 1). Diese Tarifverträge wandte die Antragstellerin für die bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmer an. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10; in juris; die gegen diesen Beschluss erhobene Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht [BVerfG] nicht zur Entscheidung an, BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. März 2014 - 1 BvR 1104/11 -; in juris) stellte das BAG jedoch fest, dass die CGZP nicht tariffähig ist. Dies gilt auch für den hier streitigen Zeitraum (vgl. BAG, Beschlüsse vom 23. Mai 2012 - 1 AZB 58/11 und 1 AZB 67/11 -, beide in juris) und hat zur Folge, dass die Antragstellerin den betroffenen Arbeitnehmern noch die Differenz des im (unwirksamen) Tarifvertrag vereinbarten Entgelts und dem Entgelt, auf das ein vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers Anspruch hatte, schuldet. Diese Entgeltansprüche wiederum begründen auch Beitragsansprüche der Antragsgegnerin. Denn die Beitragsansprüche bemessen sich gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV nach dem geschuldeten und nicht nach dem tatsächlich gezahlten Entgelt, da es sich um Ansprüche auf laufend gezahltes Entgelt handelt (Segebrecht, a.a.O.). Deshalb ist unerheblich, ob die Leiharbeitnehmer diese Entgeltansprüche geltend machen oder geltend machen können. Im Beitragsrecht des Sozialgesetzbuches gilt grundsätzlich das sogenannte Entstehungsprinzip und - anders als im Steuerrecht - nicht das Zuflussprinzip (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 30 August 1994 - 12 RK 59/92 -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. August 2011 - L 11 R 6067/09 -; Urteil des Senats vom 27. März 2009 - L 4 KR 1833/07 -; alle in juris).

Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 22. Mai 2013 bestehen jedoch - wie bereits in den Beschlüssen des erkennenden Senats vom 5. März 2013 (L 4 R 4381/12 ER-B; in juris) und 15. Mai 2013 (L 4 R 3852/12 ER-B; nicht veröffentlicht) ausgeführt und woran der Senat weiterhin festhält -, weil die Antragsgegnerin die Höhe des Arbeitsentgelts geschätzt hat, ohne dass hierfür eine Rechtsgrundlage bestand. Nach § 28f Abs. 2 SGB IV kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können (Satz 1). Satz 1 gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann (Satz 2). Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen (Satz 3; sog. Beitragssummenbescheid). Voraussetzung für ein Vorgehen nach § 28f Abs. 2 SGB IV ist, dass der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden kann. Die Voraussetzung der Verletzung der Aufzeichnungspflicht gilt nicht nur für den in Satz 1 der Vorschrift geregelten so genannten Lohnsummenbescheid, sondern ist auch Voraussetzung für die Schätzungsbefugnis des Satzes 3 (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14. August 2012 - L 6 R 223/12 B ER -; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. April 2012 - L 5 KR 20/12 B ER - m.w.N.; beide veröffentlicht in juris). Nach ihrem eigenen Vorbringen war der Antragsgegnerin die Feststellung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts im vorliegenden Fall deshalb nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Aufwand möglich, weil die Ermittlung des equal-pay-Arbeitsentgelts angesichts der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse (5319), die zu großer Zahl weniger als drei Monate gedauert haben, unangemessen aufwändig erschien. Dies beruht aber nicht auf einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht durch die Antragstellerin.

Nach der gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung des Sachverhalts lässt sich derzeit nicht feststellen, dass die Antragstellerin ihre Aufzeichnungspflicht in einer solchen Weise verletzt hat, dass deshalb die Beitragshöhe nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Verwaltungsaufwand ermittelt werden kann und die Zuordnung der Beiträge zu bestimmten Beschäftigten nicht möglich ist. Nach § 28f Abs. 1 Satz 1 SGB IV in der im Jahr 2009 geltenden Fassung hat der Arbeitgeber für jeden Beschäftigten Lohnunterlagen (seit 1. Januar 2012: Entgeltunterlagen) zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung nach § 28p SGB IV folgenden Kalenderjahres aufzubewahren. Zu diesen Lohnunterlagen gehören auch die zwischen dem Verleiher und dem Entleiher nach § 12 AÜG geschlossenen Verträge. In diesen Verträgen, die schriftlich abzuschließen sind, muss nach § 12 Abs. 1 Satz 3 AÜG u.a. angegeben werden, welche im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gelten. Die Einführung dieser Verpflichtung durch Art. 6 Nr. 7 Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I, S. 4607) wurde damit begründet, dass der Verleiher mit Hilfe dieser Information seiner Verpflichtung zur Gleichbehandlung des Leiharbeitnehmers in Bezug auf die wesentlichen Arbeitsbedingungen vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleihers nachkommen kann (Bundestags-Drucksache 15/25 S. 39).

Dieses Erfordernis gilt nach dem mit Art. 93 Nr. 2 Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 2848) eingefügten Halbsatz 2 in § 12 Abs. 1 Satz 3 AÜG allerdings nicht, soweit die Voraussetzungen der in § 3 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 AÜG genannten Ausnahme vorliegen. Dadurch sollte klargestellt werden, dass der Auskunftsanspruch des Verleihers gegen den Entleiher nur in dem Umfang besteht, wie dies für die Bestimmung der Arbeitsbedingungen des Leiharbeitnehmers im konkreten Einzelfall erforderlich ist. Werden die Arbeitsbedingungen des Leiharbeitnehmers durch einen Tarifvertrag geregelt und ist der Verleiher somit von der Gleichstellungsverpflichtung von § 3 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 Nr. 2 AÜG entbunden, sind Auskünfte des Entleihers über die Arbeitsbedingungen vergleichbarer Stammarbeitnehmer in seinem Unternehmen in der Regel entbehrlich (Bundestags-Drucksache 15/1515 S. 132; vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. November 2012 - L 11 R 3954/12 ER-B -; in juris).

Bis zum Beschluss des BAG vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10, a.a.O.) war die Antragstellerin deshalb nicht verpflichtet, in den Verträgen mit den Entleihern Angaben über das Arbeitsentgelt für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers aufzunehmen, weil die Vertragsparteien angesichts der zwischen dem AMP und der CGZP geschlossenen Tarifverträge, solange die Unwirksamkeit der Tarifverträge nicht feststand, davon ausgehen durften, dass dadurch die in § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG und § 9 Nr. 2 AÜG genannten Ausnahmen vorliegen. Dem steht nicht entgegen, dass nach Feststellung der Unwirksamkeit das frühere Vertrauen in die Wirksamkeit des Tarifvertrags nicht mehr geschützt sein dürfte und die Tarifunfähigkeit der CGZP und damit die Unwirksamkeit der mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge rückwirkend anzunehmen ist. Daraus folgt zwar, dass objektiv eine Pflicht bestanden hatte, in den Verträgen nach § 12 AÜG anzugeben, welche im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gelten. Dieser Pflicht ist die Antragstellerin nicht nachgekommen. Dennoch lag eine Pflichtverletzung der Antragstellerin nicht vor. Denn eine Pflichtverletzung setzt die Kenntnis der Obliegenheit voraus. Fehlt den Vertragsparteien des Vertrages nach § 12 AÜG diese Kenntnis, geht die Obliegenheit ins Leere (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. November 2012 - L 11 R 3954/12 ER-B - unter Verweis auf Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 16. September 2009 - IV ZR 246/08 -; beide in juris). Bis zum Beschluss des BAG vom 14. Dezember 2010 hatten die Vertragsparteien keine Kenntnis davon, dass die in § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG und § 9 Nr. 2 AÜG genannten Ausnahmen nicht vorliegen. Die Frage der Kenntnis von einer Obliegenheit - hier: Pflicht zur Aufnahme von Angaben über das Arbeitsentgelt für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers in den Verträgen nach § 12 AÜG - ist zu trennen von der Frage, ob eine Verletzung der Pflicht Verschulden voraussetzt (vom BSG im Urteil vom 7. Februar 2002 - B 12 KR 12/01 R -, a.a.O., verneint). Geht eine Obliegenheit ins Leere, kann sie schon tatbestandlich nicht verletzt werden. Die Frage des Verschuldens stellt sich in diesem Fall nicht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. November 2012 - L 11 R 3954/12 ER-B - a.a.O.; im Ergebnis ebenso Beschluss des LSG Schleswig-Holstein vom 20. April 2012 - L 5 KR 20/12 B ER - mit zustimmender Anmerkung von Dr. J. D. Wadephul in NZS 2012/627). Dies übersieht die Antragsgegenerin mit ihren Einwänden in ihrer Begründung der Beschwerde. Ob den Verleihern bis zur Feststellung der Unwirksamkeit der Tarifverträge der CGZP die Pflicht oblag, sich rechtlich zu informieren, es eine Diskussion über die Tariffähigkeit der CGZP gab, erscheint auch fraglich und wäre zudem abschließend in einem Hauptsacheverfahren zu klären.

Andere Gründe für die Berechtigung der Antragsgegnerin, die Höhe der Arbeitsentgelte zu schätzen, sind nicht ersichtlich. Der Vortrag der Antragsgegnerin, die Rentenversicherungsträger hätten, um die Ermittlung der Schätzgrundlagen zu erleichtern, ein dreistufiges Modell möglicher Handlungsoptionen entwickelt, mit deren Hilfe die tatsächlichen Verhältnisse in den einzelnen Leiharbeitsunternehmen möglichst wirklichkeitstreu abgebildet werden sollten und die Wahl der Option sei nicht in das Ermessen des einzelnen Betriebsprüfers gestellt, sondern habe sich an den tatsächlichen Verhältnissen im Hinblick auf Ermittlungsaufwand, -möglichkeiten und vorhandener prüffähiger Unterlagen zu orientieren, genügt hierfür nicht. Wenn eine Behörde mittels Verwaltungsaktes in die Rechte eines Betroffenen eingreift, gilt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gesetzesvorbehalt. Die Behörde benötigt eine Ermächtigungsgrundlage, deren Grenzen sie zu beachten hat. Die Entwicklung von Modellen genügt nicht (Beschluss des erkennenden Senats vom 15. Mai 2013 - L 4 R 3852/12 ER-B -; nicht veröffentlicht).

Da der Senat bereits aus den genannten Gründen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids der Antragsgegnerin vom 22. Mai 2013 hat, kommt es auf die Frage, ob sämtliche Forderungen vor dem 1. Januar 2007 verjährt sind oder ob die Antragsgegnerin den vorangegangenen Bescheid über die Betriebsprüfung vom 3. Dezember 2007 hätte aufheben müssen, nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird nach § 197 a SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz (GKG) entsprechend der ständigen Praxis des Senats auf ein Viertel der Nachforderung aus dem Bescheid vom 22. Mai 2013 festgesetzt. Dies sind EUR 69.041,11, ein Viertel mithin EUR 17.260,28.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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