S 13 AL 68/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 68/13
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wird die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Rahmen eines Klageverfahrens verpflichtet, einem Arbeitslosen Alg I bereits ab einem früheren als dem von der BA festgelegten Zeitpunkt zu gewähren, und hat der Arbeitslose seinen Anspruch auf Alg I ausgehend von dem von der BA festgelegten Anspruchsbeginn in der Zwischenzeit bereits vollständig ausgeschöpft, so kommt als Anspruchsgrundlage für die hierdurch am Ende der Bewilligung eingetretenen Überzahlung ausschließlich § 45 SGB X in Betracht.
2. Allein der Umstand, dass der Arbeitslose von Anfang an die Rechtsauffassung vertreten hat, dass ihm Alg I bereits ab einem früheren Zeitpunkt zusteht, begründet noch keine Bösgläubigkeit hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides in Bezug auf das Ende des von der BA festgelegten Bewilligungszeitraums.
I. Der Bescheid der Beklagten vom 08. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2013 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung und die Erstattung von überzahltem Arbeitslosengeld I (Alg I) im Anschluss an eine Verurteilung der Beklagten, dem Kläger für einen anderen als den ursprünglich bewilligten Zeitraum Alg I zu gewähren.

Der Kläger arbeitete ursprünglich als Schlosser für die Fa. Z. K ... Seit dem 26. April 2009 war der Kläger wegen einer chronischen Entzündung der Bauchspeicheldrüse arbeitsunfähig erkrankt.

Am 30. September 2010 schloss der Kläger mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag dahingehend ab, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. November 2010 enden sollte. Der Kläger erhielt für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 4.630,- Euro brutto.

Mit Ablauf des 01. November 2010 wurde der Kläger aus dem Krankengeldbezug ausgesteuert.

Am 04. Oktober 2010 meldete sich der Kläger mit Wirkung ab dem 02. November 2010 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg I. Der Ärztliche Dienst der Beklagten kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger trotz seiner Erkrankung noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig ausüben könne.

Mit Bescheid vom 22. November 2010 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg I in Höhe von 29,09 Euro kalendertäglich zunächst für den Zeitraum 01. Dezember 2010 bis 30. November 2011.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2010 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid ein und machte geltend, dass ihm Alg I bereits ab dem 02. November 2010 zustehe.

Mit Änderungsbescheid vom 14. Februar 2011 änderte die Beklagte die Bewilligung von Leistungen dahingehend ab, dass als Anspruchsbeginn zwar der 02. November 2010 aufgenommen wurde. Zugleich wurde jedoch festgestellt, dass der Anspruch des Klägers im Zeitraum 02. November 2010 bis 30. November 2010 wegen des Bezugs der Entlassungsentschädigung ruhe. Als Beginn der Leistungen wurde erneut der 01. Dezember 2010 festgelegt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2011 (W 9/11) wurde der Widerspruch des Klägers im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hatte der Kläger am 11. April 2011 Klage beim Sozialgericht Landshut erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 13 AL 78/11 registriert worden ist. Die Beklagte hatte im Rahmen der Klageerwiderung zu diesem Verfahren ausgeführt, dass die Klage bereits deshalb keinen Erfolg haben könne, weil der Kläger bis zum 30. November 2011 Alg I bezogen und seinen Alg I-Anspruch somit vollständig ausgeschöpft habe.

Mit Urteil vom 08. Oktober 2012 hat das Sozialgericht Landshut die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger auch im Zeitraum vom
02. November 2010 bis zum 30. November 2010 Alg I zu gewähren. Zur Begründung führte das Sozialgericht Landshut aus, die Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs im streitgegenständlichen Zeitraum lägen nicht vor. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Kläger seinen Anspruch auf Alg I ausgeschöpft habe. Die Bewilligung von Leistungen im Zeitraum 02. bis 30. November 2011 führe nicht analog § 362 BGB zur Erfüllung des Anspruchs im Zeitraum 02. bis 30. November 2010.

Mit Änderungsbescheid vom 27. November 2012 setzte die Beklagte das Urteil um und bewilligte dem Kläger daraufhin Alg I in Höhe von 29,09 Euro kalendertäglich ab dem
02. November 2010.

Mit Schreiben vom gleichen Tag hörte die Beklagte den Kläger zu einer Aufhebung und Erstattung von Alg I in Bezug auf den Zeitraum 02. bis 30. November 2011 an.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 08. Januar 2013 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg I für die Zeit vom 02. November 2011 bis zum 30. November 2011 auf und forderte von dem Kläger einen Betrag in Höhe von 843,61 Euro zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger aufgrund des Urteils vom 08. Oktober 2012 seinen Anspruch auf Alg I nicht erst mit Ablauf des 30. November 2011, sondern bereits mit Ablauf des 01. November 2011 ausgeschöpft habe.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2013 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 08. Januar 2013 ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass er das Geld verbraucht habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Aufhebung der Bewilligung ab dem 02. November 2011 beruhe auf § 48 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Mit der Umsetzung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 08. Oktober 2012 sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten und die Bewilligung sei ab dem 02. November 2011 rechtswidrig geworden. Dies hätte der Kläger auch wissen müssen, aufgrund des ausgehändigten Merkblattes habe er Kenntnis von der Höchstdauer seines Anspruchs auf Alg I gehabt.

Mit seiner am 15. April 2013 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Zur Begründung führt er aus, die Voraussetzungen des § 48 SGB X lägen nicht vor. Er habe weder vorsätzlich, noch grob fahrlässig gehandelt.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08. Januar 2013, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen und sind Gegenstand der Erörterung geworden. Wegen der Einzelheiten wird auf sie ergänzend Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig und begründet.

Der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 08. Januar 2013, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Als Anspruchsgrundlage für den angefochtenen Bescheid kommt aus Sicht der Kammer nicht § 48 SGB X, sondern ausschließlich § 45 SGB X in Betracht. Zwar wird in der Literatur die Auffassung vertreten, die Beklagte könne sich in der vorliegenden Fallkonstellation auf § 48 SGB X berufen (so Bienert, in SGb 10/09, S. 576 [580]). Diese Argumentation vermag die Kammer jedoch nicht zu überzeugen. § 45 SGB X regelt die Voraussetzungen für die Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsaktes. § 48 SGB X stellt demgegenüber die Rechtsgrundlage für die Abänderung eines Verwaltungsaktes dar, der ursprünglich rechtmäßig war, der aufgrund einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen jedoch nach seinem Erlass rechtswidrig geworden ist.

Der Anspruch auf Alg I folgt bei Vorliegen seiner Tatbestandsvoraussetzungen unmittelbar aus dem Gesetz. Mit Hilfe der Bewilligungsbescheide stellt die Bundesagentur für Arbeit im Verhältnis zu den Arbeitslosen jedoch verbindlich fest, ab welchem Zeitpunkt sie die Voraussetzungen für den Bezug von Alg I als gegeben ansieht. Neben der Festlegung des Anspruchsbeginns enthält jeder Bescheid - ausgehend von der im Zeitpunkt der Anspruchsbewilligung noch bestehenden Anspruchsdauer des Arbeitslosen - zugleich jedoch immer auch eine Regelung hinsichtlich des Endes des Bewilligungszeitraums.

Mit dem Bewilligungsbescheid vom 22. November 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 14. Februar 2011 hat die Beklagte den Anspruchsbeginn auf den 01. Dezember 2010 und das Anspruchsende auf den 30. November 2011 festgelegt.

Dem Kläger stand ursprünglich ein Anspruch auf Alg I für eine Zeitraum von längstens 360 Tagen zu. Aus dem Umstand, dass das Sozialgericht Landshut mit Urteil vom 08. Oktober 2012 - S 13 AL 78/11 - hat, dass der Kläger Anspruch auf Alg I bereits ab dem 02. November 2010 und nicht erst ab dem 01. Dezember 2010 hatte, führt somit zugleich dazu, dass die Bewilligung von Alg I von Anfang an, nicht nur hinsichtlich des Anspruchsbeginns, sondern auch hinsichtlich des Anspruchsendes objektiv rechtswidrig war.
Die Bewilligung von Alg I kann nicht losgelöst von einem konkreten Leistungszeitraum erfolgen (in diesem Sinne auch Hessisches Landessozialgericht, Urt. v. 21.05.2010 - L 7 AL 108/09 - Rn. 38 zitiert nach juris). Sinn und Zweck des von der Bundesagentur für Arbeit zu erlassenden Bewilligungsbescheides ist es, die gesetzlichen Vorgaben des SGB III hinsichtlich des Leistungszeitraums im Verhältnis zum Arbeitslosen bindend festzusetzen. Vor diesem Hintergrund vermögen die Ausführungen von Bienert (a.a.O.), nach denen die Rechtswidrigkeit der Bewilligung von Alg I für einen späteren Zeitraum nicht bereits im Zeitpunkt des Bescheiderlasses vorliegen soll, sondern erst dann eintritt, wenn über die gesetzliche Anspruchshöchstdauer hinaus Alg I für einen anderen Zeitraum bewilligt wird, nicht zu überzeugen. Diese Argumentation übersieht, dass der Bewilligungszeitraum von Anfang an für den Zeitraum vom 02. November 2010 bis zum 01. November 2011 und nicht vom 01. Dezember 2010 bis zum 30. November 2011 hätte festgelegt werden müssen. Die Ausschöpfung der maximal zulässigen Anspruchsdauer stellt auch keine auflösende Bedingung eines grundsätzlich unbefristeten Anspruchs dar, sondern der Anspruch besteht von Anfang an nur für einen bestimmten Zeitraum.

Nach § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 und § 50 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III). ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besondern schwerem Maße verletzt hat.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob der Kläger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder hätte kennen müssen, ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes (vgl. Schütze, in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 Rn. 60).

Aus Sicht der Kammer ist dem Kläger vorliegend jedoch keine Bösgläubigkeit hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Bewilligung über den 01. November 2011 hinaus vorzuwerfen. Zwar trifft es zu, dass der Kläger mit seinem Widerspruch vom 27. Dezember 2010 zum Ausdruck gebracht hat, dass er der Auffassung war, dass ihm Alg I bereits ab dem 02. November 2010 zusteht. Ausgehend davon, dass der Kläger in dem ihm ausgehändigten Merkblatt 1 für Arbeitslose und durch den Bescheid selbst über die Anspruchshöchstdauer informiert worden ist, hätte ihm auch klar sein müssen, dass ihm - falls sich seine Rechtsauffassung als richtig erweisen sollte - Alg I längstens bis zum 01. November 2011 zusteht. Aus Sicht der Kammer ist die vom Kläger vertretene Rechtsauffassung jedoch nicht mit einer Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 22. November 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 14. Februar 2011 gleichzusetzen. Bei der Frage nach dem richtigen Bewilligungszeitraum handelt es sich um eine reine Rechtsfrage. Die Beklagte als die grundsätzlich rechtskundige Behörde hat sowohl im Widerspruchsverfahren als auch im Klageverfahren an ihren Bescheiden festgehalten. Vor diesem Hintergrund kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, dass er hätte wissen müssen, dass ihm Alg I richtigerweise im Zeitraum vom 02. November 2010 bis zum 01. November 2011 und nicht vom 01. Dezember 2010 bis zum 30. November 2011 zusteht. Im Zeitpunkt des Bescheiderlasses hatte er noch keine Kenntnis davon, ob die von ihm vertretene Rechtsauffassung tatsächlich gerichtlich bestätigt wird.

Die mit Urteil vom 08. Oktober 2012 vertretene Rechtsauffassung des Sozialgerichts Landshut, nach der sich die Beklagte im Streit um den Beginn des Bewilligungszeitraums nicht auf Erfüllung berufen kann, wenn sie ausgehend von einem späteren Anspruchsbeginn Alg I in der Zwischenzeit in maximal möglichem Umfang ausgezahlt hat, deckt sich mit der obergerichtlichen Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts mit Urteil vom 21. Mai 2010 - L 7 AL 108/09 - zitiert nach juris. Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision zum Bundessozialgericht (Az. B 11 AL 27/10 R) wurde in der öffentlichen Sitzung des 11. Senats des BSG vom 12. Mai 2011 zurückgenommen. Diese Rechtsprechung hat jedoch gerade zur Konsequenz, dass die Beklagte im Fall einer rechtswidrigen Entscheidung über den Bewilligungszeitraum, Alg I unter Umständen über die gesetzlich geregelte Höchstdauer hinaus auszahlen muss.

Mangels Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Rechtskraft
Aus
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