S 2 RJ 364/99

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 2 RJ 364/99
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung der nach dem Fremdrentengesetz (FRG) errechneten Entgeltpunkte um 40 v.H. gemäß § 22 Abs. 4 FRG in der Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG).

Der 1938 in Rumänien geborene Kläger deutscher Abstammung hält sich seit 1975 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er seither bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres wegen einer vollschichtigen Beschäftigung bei der Fa. C. AG in C-Stadt in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig war.

Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 05.05.1998 mit Wirkung ab 01.04.1998 eine Altersrente für Schwerbehinderte. Die der Rentenberechnung unter anderem zugrunde liegenden Entgeltpunkte gemäß §22 Abs.1u.3 FRG vervielfältigte die Beklagte gemäß § 22 Abs. 4 FRG mit dem Faktor 0,6.

Am 24.09.1998 stellte der Kläger wegen dieser Kürzung einen Überprüfungsantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 14.10.1998 ablehnte. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.1999 zurück.

Mit der hiergegen am 03.03.1999 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, die von der Beklagten angewandte Bestimmung des § 22 Abs. 4 FRG in der Fassung des WFG sei verfassungswidrig und verletze den Kläger In seinen Grundrechten, weshalb gemäß Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen sei. Durch die rückwirkende Kürzung der nach dem FRG zu berücksichtigenden Entgeltpunkte sei der Kläger in seinen Grundrechten nach Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 20 Abs. 3 GG wie auch in seinem Eigentumsrecht nach Artikel 14 GG verletzt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Schriftsatz der Klägerseite vom 22.03.1999 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.10.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1999 zu verurteilen, den Bescheid vom 05.05.1998 zurückzunehmen, soweit die für die Berechnung der Altersrente des Klägers nach § 22 Abs. 1 und 3 FRG maßgeblichen Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt wurden, und die Altersrente des Klägers mit Wirkung ab 01.04.1998 neu festzustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie nimmt auf die Begründung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1999 Bezug, mit dem sie auf ihre Bindung an das geltende Gesetz hingewiesen hat, wobei sie § 22 Abs. 4 FRG in Verbindung mit Artikel 6 § 4 c des Fremdrenten- und Auslandsrenten- Neuregelungsgesetzes (FANG) in der Fassung des WFG für nicht verfassungswidrig hält.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, denn die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG -).

Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 14.10.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1999 ist zu Recht ergangen, denn der bestandskräftige Rentenbescheid vom 05.05.1998 beruht weder auf einer unrichtigen Anwendung des Rechts noch auf einem unzutreffenden Sachverhalt (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - SGB X).

Vielmehr hatte die Beklagte zutreffend die im Falle des Klägers nach § 22 Abs. 1 und 3 FRG maßgeblichen Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt.

Dies folgt aus § 22 Abs. 4 FRG in der Fassung des WFG. Von dieser Regelung kann auch der Anspruch des Klägers auf Altersrente wegen Schwerbehinderung nicht ausgenommen werden, denn gemäß Artikel 6 § 4 c FANG sind lediglich solche Versicherte ausgenommen, die vor dem 07.05.1996 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben und deren Rente vor dem 01.10.1996 beginnt. Zwar hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem 07.05.1996 im Bundesgebiet genommen, seine Altersrente für Schwerbehinderte beginnt jedoch zutreffend erst am 01.04.1998, weshalb er nach dieser Übergangsregelung keinen Vertrauensschutz genießt.

Die von dem Kläger begehrte Aussetzung des Rechtsstreits und Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 GG konnte jedoch nicht erfolgen, denn die Kammer konnte sich - wie schon in einem vergleichbaren Rechtsstreit - nicht von der Verfassungswidrigkeit der zuvor dargestellten und vom Kläger angegriffenen gesetzlichen Regelung überzeugen.

"Die Regelung des § 22 Abs. 4 FRG hat zunächst bezweckt, das bisher geltende Eingliederungsprinzip, nach welchem Renten nach dem FRG auf der Grundlage durchschnittlicher Entgelte im alten Bundesgebiet ermittelt wurden, durch eine Eingliederung auf der Grundlage des Lohnniveaus strukturschwacher Regionen im alten Bundesgebiet zu ersetzen (vgl. hierzu BT-Drucksache 12/405, Seite 115, 163). Danach sollte zwar auch nach der Herstellung der Einheit Deutschlands im Jahre 1990 und der gleichzeitig eingesetzten Öffnung und politischen Wandlung der Herkunftsländer der Aussiedler das Eingliederungsprinzip nicht völlig aufgegeben werden; es sollte jedoch auf die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Bundesrepublik Deutschland Rücksicht genommen werden im Hinblick insbesondere darauf, dass die Aussiedler im Beitrittsgebiet (frühere DDR) Leistungen zunächst auf dem dort gegebenen geringeren Rentenniveau erhielten. Eine demgemäss zunächst vorgesehene Absenkung der Entgeltpunkte um 20 v.H. ist auf 30 v.H. verschärft worden, dies vornehmlich auf Drängen des Bundesrates (Bundesrats-Drucksache 197/91; siehe hierzu BTDrucksache 12/630, Seite 15). Motiv der durch das WFG eingeführten noch weitergehenden Absenkung um 40 v.H. war die Erwägung, dass über 50 Jahre nach Kriegsende und wegen der Überwindung der deutschen und europäischen Teilung eine unveränderte Beibehaltung der für einen Übergangszeitraum konzipierten, ein hohes Rentenniveau sichernden Regelungen, sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sei. Im Gegensatz zum bisherigen Recht, nach dem die Höhe der Rente vom Zeitpunkt des Zuzugs abhing (Stichtag 01.01.1991), sollten alle künftigen Rentenzugänge gleich behandelt werden (vgl. BT-Drucksache 13/4814, Seite 7). Eine noch weitergehende Absenkung, letztlich eine Aufgabe der Orientierung der Fremdrenten am Berufs- und Entgeltniveau der Aussiedler, bringt die ebenfalls durch das WFG mit Wirkung vom 07.05.1996 - bei Aufenthaltnahme im Bundesgebiet ab diesem Tag (vgl. Artikel 6 § 4 b FANG) - eingeführte Vorschrift des § 22 b FRG. Danach werden für anrechenbare Zeiten nach dem FRG höchstens 25 Entgeltpunkte, bei Ehegatten höchstens insgesamt 40 Entgeltpunkte, zugrunde gelegt (vgl. im einzelnen § 22 b Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 FRG). Mit dieser Regelung ist der tragende Gedanke des FRG, Spätaussiedler in die Bundesrepublik "einzugliedern", zugunsten der bloßen Existenzsicherung auf dem Niveau einer annähernd für alle Berechtigten gleichen Sozialleistung sichtbar aufgegeben worden" (so: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.07.1998 - Az.: L 13 RA 1262/98 m.w.N.).

Die Eigentumsgarantie gemäß Artikel 14 GG kann hierbei nicht ebenso wie für inländische Beitragszeiten ein Prüfungsmaßstab sein, denn sozialversicherungsrechtliche Positionen sollen nur dann dem Eigentumsschutz unterfallen, wenn sie nicht nur dem Versicherten zu dessen Existenz dienen, sondern auch auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhen. Derartige Eigenleistungen hatte der Kläger für die in Rumänien zurückgelegten Zeiten zu einem Sozialversicherungsträger im Bundesgebiet nicht erbracht. Für an rumänische Sozialversicherungsträger erbrachte Leistungen kann der Kläger aber keinen Eigentumsschutz durch die Bundesrepublik Deutschland beanspruchen, ein derartiger verfassungsrechtlicher Anspruch lässt sich insbesondere auch nicht aus Artikel 116 Abs. 1 GG herleiten. Dieser Artikel begründet lediglich einen Status als Deutscher, es lässt sich hieraus jedoch kein Verfassungsrang des fremdrentenrechtlichen Eingliederungsprinzips und erst recht kein Anspruch auf eine bestimmte Bemessung von FRG-Zeiten herleiten (so zutreffend: Bundessozialgericht - Urteil vom 09.09.1998 - Az.: B 13 RJ 5/98 R).

Nach allem zählen die Leistungen des Fremdrentenrechts nach zutreffender Auffassung zu den sogenannten versicherungsfremden Leistungen, für die der Bund gemäß Artikel 120 GG einen Zuschuss zu leisten hat. Demzufolge kommt dem "Eingliederungsprinzip" kein Verfassungsrang zu, weshalb die sich für den Kläger ungünstig auswirkende Regelung vorrangig am allgemeinen rechtsstaatlichen Vertrauensschutz zu messen ist (siehe: Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 21.07.1998, a.a.O.).

Die angegriffene Regelung enthält jedoch keine verfassungsrechtlich regelmäßig verbotene echte Rückwirkung sondern nur eine verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung. Zum Zeitpunkt des Erlasses des WFG bezog der Kläger noch keine laufenden Leistungen, auf deren dauernden Bezug er sich hätte einstellen können und die ihm eine verlässliche Grundlage für Vermögensdispositionen geboten hätten. Auch kann sich der Kläger auf keinen besonderen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Fortgeltung der früheren, ihn begünstigenden gesetzlichen Regelungen stützen, der das mit dem WFG verfolgte Anliegen einer dauerhaften Sicherung der wirtschaftlichen Fundamente des Sozialstaats verdrängen könnte. Jedenfalls kann der Kläger keinen erhöhten Vertrauensschutz im Vergleich zu solchen Versicherten geltend machen, die durch die niedrigere oder verkürzte Berücksichtigung sonstiger beitragsloser Zeiten oder der Zeiten der beruflichen Ausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres ungünstig betroffen sind.

Dies gilt um so mehr, als der Kläger nach seiner Aufenthaltnahme im Jahre 1975 genügend Gelegenheit hatte, noch für mehr als 20 Jahre Beitragszeiten einer inländischen Beschäftigung zu erwerben, wodurch die Auswirkungen der Kürzung der FRG-Entgeltpunkte um 40 v.H. im Falle des Klägers wie in allen Fällen einer bereits langjährigen Beschäftigung in Deutschland erheblich abgemildert sind.

Ferner wird in der angegriffenen Regelung des § 22 Abs. 4 FRG auch keine Verletzung des Gleichheitssatzes gemäß Artikel 3 Abs. 1 GG wegen Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den Bürgern des Beitrittsgebietes und den Übersiedlern aus der ehemaligen DDR oder im Verhältnis zu Versicherten, auf die das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen Anwendung findet, gesehen. Insoweit fehlt es schon an der Vergleichbarkeit der zugrunde liegenden Sachverhalte, denn ein augenfälliger Unterschied besteht bereits darin, dass die Bürger des Beitrittsgebietes ihr Staatsgebiet mit eingebracht haben, worauf der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Rentenrechts im Interesse der Verwirklichung der inneren und äußeren Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk zweifellos besondere Rücksicht nehmen durfte, zumal die Bundesrepublik Deutschland in diesem Zusammenhang aufgrund völkerrechtlichen Vertrages bestimmte Verpflichtungen zu übernehmen hatte. Die besonderen Regelungen des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens sind vor dem Hintergrund der durch die historischen Ereignisse bedingten besonderen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zu sehen, hierauf beruhende Erwägungen im Zusammenhang mit dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen sind jedenfalls nicht willkürlich im Sinne des Artikel 3 Abs. 1 GG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Das Gericht hat die Sprungrevision gemäß § 161 SGG zugelassen, weil es der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG beimisst.
Rechtskraft
Aus
Saved