L 29 AS 514/14 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 147 AS 2469/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 514/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2014 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt S L, B Straße, B beigeordnet. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1966 geborene Antragsteller ist britischer Staatsbürger und hält sich nach seinen eigenen Angaben in Berlin seit dem 11. Dezember 2013 zur Arbeitsuche auf.

Am 19. Dezember 2013 hat der Antragsteller bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt. Diesen Antrag hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 30. Dezember 2013 unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II abgelehnt.

Am 31. Dezember 2013 hat daraufhin der Antragsteller bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Der Leistungsausschluss gemäß § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II sei europarechtswidrig.

Mit Beschluss vom 20. Februar 2014 hat das Sozialgericht Berlin den Antragsgegner zur Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 11. März 2014 bis zum bis zum 31. Juli 2014 in monatlicher Höhe von 332,35 Euro verpflichtet und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Es habe nach einer Folgenabwägung eine vorläufige Leistungsgewährung zu erfolgen, weil höchstrichterlich nicht geklärt sei, ob der Leistungsausschluss des § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform sei.

Gegen diesen dem Antragsgegner am 25. Februar 2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg am gleichen Tag Beschwerde eingelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners (Behelfsakte- ) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Auch im Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (OVG Hamburg, NVwZ 1990, 975).

Für den Zeitraum bis zur Entscheidung des erkennenden Senates ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Derartige Ansprüche für die Vergangenheit können regelmäßig nicht im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anerkannt werden. Diese sind in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Etwas Anderes kann nur dann in Betracht kommen, wenn die sofortige Verfügbarkeit von für zurückliegende Zeiträume zu zahlenden Hilfen zur Abwendung eines gegenwärtig drohenden Nachteils erforderlich ist. Hierzu sind Tatsachen jedoch weder glaubhaft gemacht worden, noch sonst für das Gericht ersichtlich.

Darüber hinaus ist auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Zumindest dieser fehlende Anordnungsanspruch steht der begehrten einstweiligen Anordnung auch für die Zukunft entgegen.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Ausgenommen sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,

3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt (§ 7 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB II).

Nach diesen Regelungen ist der begehrte Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht überwiegend wahrscheinlich im Sinne der Legaldefinition des § 23 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und damit nicht glaubhaft gemacht.

Schon am Bestehen eines Aufenthaltsrechts zum Zweck der Arbeitsuche bestehen erhebliche Zweifel. Der Antragsteller hat eine konkrete Arbeitsuche nicht einmal behauptet oder gar glaubhaft gemacht.

Ob ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche tatsächlich besteht, kann bei einem dann nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greifenden Leistungsausschluss jedoch dahinstehen. Ein anderes Aufenthaltsrecht des Antragstellers lässt sich jedenfalls nicht erkennen und ist von ihm nicht einmal behauptet. Lässt sich danach aber ein Aufenthaltsrecht allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, so greift der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, der nach Ansicht des Senats anwendbar ist.

Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass er eine Europarechtswidrigkeit dieser Regelung nicht feststellen kann. Im Anschluss an die Entscheidung des 20. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 29. Februar 2012 (L 20 AS 2347/11 B ER, zitiert nach juris) hat der Senat schon mehrfach darauf hingewiesen (unter anderem in den Beschlüssen vom 5. März 2012, L 29 AS 414/12 B ER, vom 7. Juni 2012, L 29 AS 920/12 B ER, vom 12. Juni 2012, L 29 AS 914/12 B ER, vom 22. Juni 2012, L 29 AS 1252/12 B ER und vom 9. November 2012, L 29 AS 1782/12 B ER, jeweils zitiert nach juris), dass nur eine Überzeugung von der Europarechtswidrigkeit dieser Regelung ausnahmsweise berechtigen könnte, dieses formelle Gesetz nicht anzuwenden. Die Nichtanwendung eines in Kraft getretenen Gesetzes (hier § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II) stellt einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar (vgl. zur Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009, 1 BvR 2492/08, zitiert nach juris) und birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG). Nicht zuletzt deshalb ist nach Art. 100 GG ein Gesetz auch nur dann nicht anzuwenden und das Verfassungsgericht anzurufen, wenn das zur Entscheidung berufene Gericht von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt ist.

Dieser Maßstab gilt nach Ansicht des Senats auch bei einer vermeintlichen Europarechtswidrigkeit der anzuwendenden einfachgesetzlichen Regelung. Es wäre ein eklatanter Wertungswiderspruch, wenn lediglich "Zweifel" an der Vereinbarkeit einer einfachgesetzlichen Norm mit der Verfassung noch zur Anwendung des Gesetzes führen, solche Zweifel im Hinblick auf Europarechtliche Regelungen, die nicht einmal den Rang von Verfassungsrecht haben, aber zur Nichtanwendung der gesetzlichen Regelung berechtigen würden. Entsprechend kann eine Nichtanwendung allenfalls dann in Betracht kommen, wenn das erkennende Gericht zu der Überzeugung eines Verstoßes der anzuwendenden Regelung gegen höherrangiges europäisches Recht kommt. Eine solche Überzeugung von einem Verstoß des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gegen Recht der Europäischen Union konnte und kann der Senat aus den in den oben genannten Beschlüssen genannten Gründen nicht gewinnen. Der Senat verweist insoweit auf seine bisherige Rechtsprechung, insbesondere die oben genannten Beschlüsse, und sieht von einer Wiederholung der Ausführungen hierzu ab.

Der Senat ist auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Dezember 2013 (B 4 AS 9/13 R - Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften [EuGH]) nicht von der Europarechtswidrigkeit der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II überzeugt und hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Der Senat verweist in diesem Zusammenhang zunächst auf die Mitteilung der Europäischen Kommission (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschaft-und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Freizügigkeit der EU-Bürger und ihrer Familien: fünf grundlegende Maßnahmen - vom 25. November 2013 - COM (2013) 837 final - deutsche Fassung veröffentlicht unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/ com/2013/com2013 0837de01.pdf). Hierin hat die Europäische Kommission im Zusammenhang mit der bestehenden Rechtslage betont, dass nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts bis zur Erlangung des Daueraufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat der Unionsbürger ohne Erwerbstätigkeit bzw. Unionsbürger, der erstmals eine Anstellung sucht, einen Anspruch auf "Sozialhilfe" (Mittel, die "ein Mitgliedstaat in der Regel Personen [gewährt], die nicht über ausreichende Mittel zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse verfügen") nach Unionsrecht nicht besitzt. Denn, um sein Aufenthaltsrecht zu erlangen, hätte er schließlich den nationalen Behörden gegenüber ausreichende Mittel nachweisen müssen, die mindestens der Einkommensschwelle entsprechen, unterhalb der Sozialhilfe gewährt wird. In der Mitteilung ist u.a. wörtlich ausgeführt:

" 2.2. Wer hat Anspruch auf Sozialhilfe?

Sozialhilfe gewährt ein Mitgliedstaat in der Regel Personen, die nicht über ausreichende Mittel zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse verfügen.

Mobile Arbeitnehmer aus der EU und ihre Familienangehörigen haben ab Beginn ihres Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat Anspruch auf dieselben Sozialhilfeleistungen wie die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Sonstige EU-Bürger mit rechtmäßigem Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat müssen genauso behandelt werden wie die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats, jedoch gibt es bestimmte Vorschriften, um den Aufnahmemitgliedstaat vor unangemessenen finanziellen Belastungen zu schützen.

Während der ersten drei Monate des Aufenthalts ist der Aufnahmemitgliedstaat nach dem EU-Recht nicht verpflichtet, EU-Bürgern ohne Er-werbstätigkeit oder Personen, die erstmals eine Anstellung suchen, Sozialhilfe zu gewähren.

Was den anschließenden Aufenthalt bis zu fünf Jahren betrifft, so ist es in der Praxis unwahrscheinlich, dass der betreffende EU-Bürger Anspruch auf Sozialhilfe hat. Schließlich hätte er, um sein Aufenthaltsrecht zu erlangen, den nationalen Behörden gegenüber ausreichende Mittel nachweisen müssen, die mindestens der Einkommensschwelle entsprechen, unterhalb der Sozialhilfe gewährt wird.

Beantragt jedoch ein nicht erwerbstätiger EU-Bürger Sozialhilfe, beispielsweise wenn sich seine wirtschaftliche Situation im Laufe der Zeit ändert, so muss sein Antrag im Lichte seines Rechts auf Gleichbehandlung geprüft werden. In bestimmten Fällen können die nationalen Behörden bei einem Antrag auf Sozialhilfe begründete Zweifel hegen, dass die betreffende Person zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Sozialhilfesystems geworden ist.

In diesem Fall kann ein Mitgliedstaat die Gewährung von Sozialhilfe oder besonderen beitragsunabhängigen Leistungen an einen EU-Bürger aus einem anderen Mitgliedstaat davon abhängig machen, dass dieser die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt von über drei Monaten erfüllt ..."

Das bedeutet vorliegend, dass sich der Antragsteller - auch unter Berücksichtigung der vorgenannten Ausführungen der Europäischen Kommission - nicht auf ein Aufenthaltsrecht berufen kann, denn Voraussetzung für einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland von über drei Monaten wäre auch hiernach der Nachweis ausreichender Mittel durch den Antragsteller. Über solche Mittel verfügt er nach eigenen Angaben nicht.

Dass das BSG - wie bereits ausgeführt - am 12. Dezember 2013 das Verfahren zum Aktenzeichen B 4 AS 9/13 R ausgesetzt und dem EuGH – im Hinblick auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – diverse Fragen über die Auslegung der Verträge bzw. der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstiger Stellen der Union im Wege einer Vorabentscheidung nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgelegt hat, kann zu keiner anderen Entscheidung führen. Denn der Senat ist - wie oben ausgeführt - davon überzeugt, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht gegen europäisches Recht verstößt und anwendbar ist, sodass eine Vorlage im Rahmen des Art. 267 Abs. 2 AEUV nicht in Betracht kommt.

Eine Vorlagepflicht hält der Senat aber auch aus Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht für gegeben. Zwar ist der Beschluss des erkennenden Senats gemäß § 177 SGG nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts anfechtbar. Die Regelung des Abs. 3 des Art. 267 AEUV ist auf Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz jedoch schon deshalb nicht anwendbar, weil einstweilige Entscheidungen schon nach ihrer Konzeption und Intention gerade keine endgültigen und nicht mehr angreifbaren Entscheidungen im Sinne des Art. 267 Abs. 3 AEUV darstellen, sondern nur vorläufige Regelungen bis längstens zum Abschluss eines durchzuführenden Hauptsacheverfahrens. Außerdem ist der erkennende Senat mit dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (vgl. Beschluss vom 6. Februar 2014, 7 CE 13.2222, zitiert nach juris) zudem der Auffassung, dass wegen der im vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich bestehenden Eilbedürftigkeit die durch eine Vorlage an den EuGH entstehende Verfahrensverzögerung in der Regel nicht tunlich ist. Ein Vorlageverfahren beim EuGH dauert üblicherweise mehrere Monate bis Jahre, sodass eine Vorlage im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Aushöhlung des Gebotes auf effektiven Rechtsschutz führen würde. Zur Erreichung des Ziels des Art. 267 AEUV, die einheitliche Auslegung und Anwendung europäischen Rechts sicherzustellen, ist es daher gegebenenfalls geboten aber auch ausreichend, im durchzuführenden Hauptsacheverfahren vor einer nicht mehr mit Rechtsmitteln angreifbaren Entscheidung die Frage der Vereinbarkeit des deutschen Rechtsakts mit europäischem Recht an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Schließlich hat eine Verpflichtung der Verwaltung zur vorläufigen Leistungserbringung durch die Gerichte auch nicht im Hinblick auf das oben erwähnte Vorlageverfahren des Bundessozialgerichts (im Verfahren B 4 AS 9/13 R) bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB X zu erfolgen.

Nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III, der über § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II auch im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende anwendbar ist, kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist.

Für den Erlass eines solchen vorläufigen Bescheides durch die Verwaltung ist jedoch dann schon kein Raum mehr, wenn über den Leistungsanspruch bereits endgültig entschieden wurde (vergl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31. Oktober 2012, L 12 AS 691/11, m.w.N., zitiert nach juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. März 2014, L 20 AS 502/14 B ER, zur Veröffentlichung vorgesehen; zur nicht möglichen Gewährung von Abschlagszahlungen bei bereits erfolgter endgültiger Abrechnung vergl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Juni 2002, 12 CE 02.376, ebenfalls zitiert nach juris). Denn eine vorläufige Entscheidung nach § 328 SGB III ist allenfalls zur vorläufigen Regelung einer Leistungsbewilligung für den Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung statthaft. Entsprechend werden auch vorläufige Leistungsbescheide durch endgültige Leistungsbescheide ersetzt und erledigen sich dann auf sonstige Weise im Sinn von § 39 Abs. 2 SGB X (vergl. hierzu BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, B 4 AS 139/10 R, m.w.N., zitiert nach juris). Vorliegend hat der Antragsgegner aber über den Leistungsantrag endgültig ablehnend entschieden.

Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass eine vorläufige Leistungserbringung nach § 328 SGB III nach ständiger Rechtsprechung des BSG zwar eine Leistung sui generis und ein aliud gegenüber der endgültigen Leistungserbringung darstellt (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2011, B 4 AS 139/10 R, m.w.N., zitiert nach juris - dort Rn. 15). Materiell -rechtlich handelt es sich mithin um zwei verschiedene Ansprüche, die auch jeweils gesondert anfechtbar sind.

Eine vorläufige Leistungserbringung nach § 328 SGB III betrifft allerdings, wie auch eine Vorschusszahlung nach § 42 Abs. 1 S. 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I), die Frage der Art und Weise einer Leistungserbringung. Bei § 328 SGB III handelt es sich um eine Ermächtigungsgrundlage der Verwaltung zur vorläufigen Leistungserbringung in Sonderfällen, d.h. vor einer abschließenden Entscheidung. Die Vorschrift ermächtigt die Verwaltung zum Erlass einer Zwischenregelung bis zur endgültigen Feststellung der Sozialleistung (Düe in Brand, SGB III-Komm., 6. Auflage 2012, § 328 Rn. 2f. m.w.N.). Dies folgt aus der Gesetzessystematik, der gesetzlichen Intention und dem Wortlaut der Regelung. Sowohl § 328 SGB III als auch § 42 SGB I sollen es dem zuständigen Leistungsträger ermöglichen, schnell Geldleistungen zu erbringen. So hat das BSG zu § 42 SGB I (vergl. Urteil vom 1. Juli 2010, B 11 AL 19/09 R, m.w.N., zitiert nach juris, Rn. 13f.) ausgeführt:

" Kennzeichnend für die Zahlung eines Vorschusses gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 SGB I ist , dass der Leistungsträger vom Bestehen eines Anspruchs auf eine Geldleistung dem Grunde nach ausgeht. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es insoweit nicht auf das objektive Vorliegen der materiellen Leistungsvoraussetzungen an; ausreichend, aber auch erforderlich ist vielmehr, dass der Anspruch zur Überzeugung des Leistungsträgers nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen gegeben ist Darüber hinaus liegt eine Vorschussleistung im Sinne des § 42 Abs. 1 SGB I nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn der zuständige Leistungsträger hinreichend deutlich macht, dass er wegen eines von seinem Standpunkt aus dem Grunde nach bestehenden Anspruchs auf Geldleistungen, dessen genaue Höhe noch nicht zeitnah festgestellt werden kann, ein Recht auf Zahlungen bewilligt, das noch keinen dauerhaften Rechtsgrund für das Behaltendürfen des gezahlten bildet und dessen Ausübung daher wirtschaftlich mit dem Risiko einer möglichen Rückzahlungspflicht behaftet ist Ob der Leistungsträger dies hinreichend deutlich gemacht hat, ist durch Auslegung des Verwaltungsakt aus der Sicht eines an Treu und Glauben orientierten, mit den Umständen des Falles vertrauten Erklärungsempfängers zu ermitteln "

Entsprechend setzt auch eine vorläufige Leistungsbewilligung nach § 328 SGB III voraus, dass dem Grunde nach voraussichtlich ein Leistungsanspruch besteht; im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende beispielsweise aus § 19 SGB II. Kommt ein Leistungsanspruch schon dem Grunde nach aber nicht in Betracht - beispielsweise aufgrund eines wirksamen Leistungsausschlusses -, so besteht auch kein Anspruch auf eine vorläufige Bewilligung nach § 328 SGB III.

Soweit die Auffassung vertreten wird, bei existenzsichernden Leistungen sei der als Ermessensregelung ("kann") ausgestaltete § 328 SGB III aufgrund einer vermeintlichen "Ermessensreduzierung auf Null" dahingehend auszulegen, dass vorläufig Leistungen zu bewilligen seien, so steht dies insbesondere im Widerspruch zur Konzeption der gesetzlichen Regelung. § 328 SGB III wurde gerade in einem gesetzlichen Bereich (dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung) geschaffen, in dem es oft und vorrangig um Lohnersatzleistungen und damit existenzsichernde Leistungen (u.a. Arbeitslosengeld, bis Dezember 2004 auch Arbeitslosenhilfe) geht und sollte es hier der Verwaltung ermöglichen, vor einer abschließenden Entscheidung über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig zu entscheiden, damit den Leistungsberechtigten finanzielle Mittel zur Existenzsicherung möglichst zeitnah zur Verfügung gestellt werden können (Düe, a.a.O.). Obwohl und gerade weil § 328 SGB III den Bereich von existenzsichernden Leistungen betrifft, hat der Gesetzgeber der Verwaltung gleichwohl nach dem klaren Wortlaut der Regelung ein Ermessen zur vorläufigen Entscheidung eingeräumt, ob vom Grundsatz, dass ein Bescheid an sich nur ergehen darf, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, abgewichen werden kann. Er hat damit der Verwaltung sowohl für das Entschließungs- als auch für das Auswahlermessen einen Entscheidungsfreiraum eingeräumt, der nach der Rechtsprechung des BSG auch bei einer Anwendung über § 40 SGB II im Bereich der Grundsicherungsleistungen gilt - ohne dass das BSG hierzu weitere Ausführungen für erforderlich hielt (BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, B 4 AS 139/10 R, m.w.N., zitiert nach juris - siehe dort Rn. 16).

Danach ist abschließend festzustellen, dass jedenfalls zumindest aufgrund des anzuwendenden Leistungsausschlusses § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches nicht gelungen ist.

Schließlich besteht wegen der nicht feststellbaren Europarechts- bzw. Völkerrechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses auch nicht die Möglichkeit einer Entscheidung über eine Folgenabwägung, weil dies letztlich zur Nichtanwendung der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und zu einer unzulässigen Durchbrechung des Prinzips der Gewaltenteilung führen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, ausführlich u.a. Beschluss vom 22. August 2013, L 29 AS 1952/13 B ER, m.w.N., zitiert nach juris).

Einer Beiladung des Trägers der Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) - wie von den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 7. März 2014 angeregt - bedurfte es nicht, da ein Anspruch des Antragstellers gegen diesen Träger nicht in Betracht kommt. Der Antragsteller ist als Erwerbsfähiger von den Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII, die hier allein von diesem begehrt werden, ausgeschlossen (vergl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Februar 2013 - L 20 AS 199/13 B ER, L 20 AS 197/13 B PKH, zitiert nach juris).

Danach ist abschließend festzustellen, dass jedenfalls zumindest aufgrund des anzuwendenden Leistungsausschlusses § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches nicht gelungen ist.

Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG in Verbindung mit § 119 Abs.1 S. 2 ZPO ohne Prüfung zu bewilligen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, weil der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat.

Durch diesen Beschluss hat sich der Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses des Sozialgerichts (§ 199 Abs. 2 SGG) erledigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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