Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 192 SB 50/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 2/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. November 2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 und des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab dem 20. Januar 2003.
Der 1946 geborene Kläger ist Diplomingenieur und war zuletzt selbstständig im Bereich Fernsehtechnik/Schlüsseldienst/Sicherheitstechnik tätig. Er ist nunmehr Rentenbezieher.
Aufgrund einer ihm gegenüber verübten Gewalttat vom 2. Juni 1989 ist zugunsten des Klägers aufgrund einer verheilten Nasenbeinfraktur, einer Orbitabodenfraktur links und der psychischen Begleiterscheinungen der Tat eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 bis 30 v.H. anerkannt und bezieht der Kläger Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Nachdem der Kläger am 13. Mai 2001 einen schweren Motoradunfall erlitten hatte, stellte der Beklagte auf Antrag des Klägers vom 4. Februar 2002 mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. Juli 2002 in der Fassung des Bescheides vom 17. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2003 einen GdB von 50 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest:
seelisches Leiden mit Restbeschwerden nach Orbitabodenfraktur links und Nasenbeinfraktur sowie Hirnblutung 1989; leichtes hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (SHT) 5/2001 (Einzel-GdB 40)
degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung mit rezidivierenden Wurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20)
Kniegelenksarthrose, Funktionseinschränkung des rechten Fußes nach Fraktur, Fußgelenksarthrose, Fußfehlform (Einzel-GdB 20)
Arthrose und Funktionseinschränkung des rechten Ringfingers (Einzel-GdB 10)
Chronische Bronichtis, Sinusitis (Einzel-GdB 10)
Refluxösophagitis bei Hiatushernie (Einzel-GdB 10).
Die Zuerkennung des Merkzeichens "G" lehnte der Beklagte ab.
Auf Antrag des Klägers vom 20. Januar 2003 auf Neufeststellung des GdB und Zuerkennung des Merkzeichens "G" nahm der Beklagte nach weiteren medizinischen Ermittlungen und angesichts der bisher nicht erfolgten Berücksichtigung der anerkannten Schädigungsfolgen nach dem OEG vorgenannte Bescheide mit Bescheid vom 3. September 2004 mit Wirkung vom 4. Februar 2002 zurück und stellte den GdB mit 60 aufgrund der folgenden Funktionsbeeinträchtigungen neu fest:
Hirnleistungsschwäche und Depression nach SHT II. Grades mit Subarachnoidalblutung und basofrontalen Contusionen (Einzel-GdB 40) – Unfallfolgen -
Schädigungsfolgen nach dem OEG (Einzel-GdB 25 - 30)
degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung mit rezidivierenden Wurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20)
Kniegelenksarthrose, Funktionseinschränkung des rechten Fußes nach Fraktur, Fußgelenksarthose, Fußfehlform (Einzel-GdB 20)
Arthrose und Funktionseinschränkungen des rechten Ringfingers (Einzel-GdB 10)
Chronische Bronchitis, Sinusitis (Einzel-GdB 10)
Refluxösophagitis, Hiatushernie (Einzel-GdB 10).
Im Übrigen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 den GdB mit 60 neu fest, lehnte jedoch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 29. November 2004 ließ der Beklagte den Kläger durch den Arzt für Orthopädie Dr. V begutachten, der in seinem Gutachten vom 24. Mai 2005 die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremität mit einem Einzel-GdB von 30 bewertete, den Gesamt-GdB jedoch unverändert mit 60 feststellte. Der gutachtlichen Einschätzung des Facharztes für Chirurgie und Urologie Dr. B vom 18. November 2005 folgend, der ein Prostataleiden zudem mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete, stellte der Beklagte unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2005 den GdB mit insgesamt 70 neu fest.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin hat das Sozialgericht den Facharzt für Orthopädie Dr. W mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 23. April 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 24. Oktober 2007 gelangte der Sachverständige nach körperlicher Untersuchung des Klägers vom 20. April 2007 zu der Einschätzung, dass der GdB aufgrund der von dem Beklagten festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen zutreffend mit 70 bewertet worden sei. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" seien nicht gegeben. Aufgrund der zunehmenden Kniegelenksproblematik sei eine Erhöhung des GdB von 70 ab dem Jahr 2005 gerechtfertigt.
Nachdem der Kläger unter Vorlage weiterer medizinischer Befundunterlagen eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geltend gemacht hat, hat das Sozialgericht nach Beiziehung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte den Arzt für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin L mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 19. November 2010 nebst ergänzender Stellungnahme vom 30. Juni 2011 gelangte der Sachverständige nach körperlicher Untersuchung des Klägers vom 1. November 2010 zu der Einschätzung, dass der Gesamt-GdB auch unter Berücksichtigung von weiteren Funktionsbeeinträchtigungen in Form von
Gleichgewichtsstörungen (Einzel-GdB 20)
eines Schlafapnoesyndroms (Einzel-GdB 20)
Bronchitis, Bluthochdruck, Adipositas (Einzel-GdB 20)
weiterhin mit 70 zu bewerten sei und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht gegeben seien.
Mit Urteil vom 25. November 2011 hat das Sozialgericht Berlin die Klage unter Bezugnahme auf die Feststellungen und Einschätzungen der Sachverständigen abgewiesen. Die hiergegen vorgebrachten Einwendungen des Klägers würden eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen.
Gegen das ihm am 7. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Januar 2012 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat gemäß § 109 SGG den Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Dr. Sch mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 16. Mai 2013 gelangt der Sachverständige nach körperlicher Untersuchung des Klägers vom 26. März 2013 zu der Einschätzung, dass der GdB mit 70 zu bewerten sei. Dabei sei die Funktionsbeeinträchtigung der unteren Extremität mit einem Einzel-GdB von 60 (Hüfte 10, Knie 30, Fuß 20) zu bewerten. Der Kläger erfülle daher zugleich die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Der von ihm festgestellte Gesundheitszustand sei im Wesentlichen seit dem 4. Februar 2002 gleichbleibend, wobei sich die Hüft- und Kniegelenksarthrose verstärkt hätten.
Der Kläger ist der Auffassung, dass dem Sachverständigen Dr. Sch hinsichtlich der Bewertung der gesundheitlichen Voraussetzungen zum Merkzeichen "G" zu folgen sei. Auch sei ein GdB von 80 anzuerkennen, zumal sich sein Gesundheitszustand zusehends verschlechtere.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin 25. November 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 3. September 2004 und des Bescheides vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2005 zu verpflichten, den Bescheid vom 1. Juli 2002 in der Fassung des Bescheides vom 17. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2003 zu ändern und für den Kläger ab dem 20. Januar 2003 einen Grad der Behinderung von 80 und die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurück zuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist ergänzend auf die versorgungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie Dr. P vom 30. Juli 2013.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass der derzeit anerkannte GdB von 70 seit dem 20. Januar 2003 anerkannt sei
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 3. September 2004 und vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2005 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat nach § 44 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X) keinen Anspruch auf die begehrte rückwirkende Feststellung eines GdB von 80 und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab dem 20. Januar 2003.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von 80 ab dem 20. Januar 2003 nicht zu.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als 6 Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipiertes Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend der streitgegenständlichen Zeit ab dem 20. Januar 2003 in den Fassungen 1996, 2004, 2005 und 2008. Seit dem 01. Januar 2009 sind die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), zuletzt geändert durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 11. Oktober 2012, festgelegten "versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben. Liegen dabei mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 19 Abs. 3 der AHP bzw. Teil A Nr. 3 c der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Dabei führen, von Ausnahmen abgesehen, zusätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnten, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 19 Abs. 4 der AHP bzw. Teil A Nr. 3 d der Anlage zu § 2 VersMedV).
Hiervon ausgehend rechtfertigt sich weiterhin kein höherer GdB als 70 ab 20. Januar 2003.
In Übereinstimmung mit den Sachverständigen ist das bei dem Kläger führende Leiden der Hirnleistungsminderung infolge des Motorradunfalles mit einem Einzel-GdB von 40 und die Schädigungsfolgen nach dem OEG mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Weiterhin bestehen aufgrund der medizinischen Ermittlungen unter Einschluss der eingeholten Sachverständigengutachten Funktionsbeeinträchtigungen, die maximal einen Einzel-GdB von jeweils 20 rechtfertigen (Wirbelsäulenleiden, Gleichgewichtsstörungen, Schlafapnoesyndrom, Funktionseinschränkung des rechten Fußes). Selbst wenn man mit dem Sachverständigen Dr. Sch das Kniegelenksleiden separat mit einem Einzel-GdB von 30 statt 20 bewerten würde, rechtfertigt sich unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen unverändert kein höherer GdB als 70. Das führende, mit 40 zu bewertende Leiden ist angesichts der mit 30 zu bewertenden Funktionsbeeinträchtigungen um je einen 10er-Grad zu erhöhen. Bei einem daraus resultierenden Gesamt-GdB von 60 rechtfertigt sich bei vier weiteren Einzel-GdB von 20 maximal eine weitere Erhöhung um einen 10er-Grad, um der Gesamtbehinderung insgesamt gerecht zu werden. Denn insoweit liegen allenfalls geringfügige Funktionsbeeinträchtigungen vor. Die darüber hinausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen, die lediglich einen GdB von 10 bedingen, führen, dem Regelfall entsprechend, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbehinderung. Der Senat schließt sich der im Ergebnis übereinstimmenden Auffassung der Sachverständigen an, dass die Gesamt-GdB mit 70 zutreffend bewertet ist. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf aktuelle Befundberichte aus dem Jahre 2014 auf eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes verweist, lassen sich daraus keine weiteren, länger als 6 Monate andauernden Funktionsbeeinträchtigungen ableiten, die im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zu einer Höherbewertung der Gesamtbeeinträchtigung führen können.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab dem 20. Januar 2003.
Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX). Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60 Nr. 2). Allerdings ist es für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht ausreichend, dass diese Wegstrecke nicht in dem genannten Zeitraum bewältigt werden kann.
Denn Teil B Nr. 30 der AHP bzw. Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 VersMedV vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) – geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, um annehmen zu können, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also dem Körperbau und etwaigen Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die versorgungsmedizinischen Grundsätze der Anlage zu § 2 VersMedV bzw. die AHP diejenigen heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die versorgungsmedizinischen Grundsätze beschreiben dabei Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (BSG, Urteil vom 13. August 1997, 9 RVs 1/96, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2).
Die in Teil B Nr. 30 AHP bzw. Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 VersMedV aufgeführten Fallgruppen liegen hier nicht vor.
Die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr lässt sich insbesondere nicht auf eine behinderungsbedingte Einschränkung des Gehvermögens gründen, da bei dem Kläger keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Es sind bei dem Kläger auch keine Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arterielle Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (vgl. Teil B Nr. 30 Abs. 3 AHP bzw. Teil D Nr. 1d S.1 und S. 2 der Anlage zu § 2 VersMedV).
Unter Berücksichtigung des Kniegelenksleidens (max. Einzel-GdB 30), der Funktionseinschränkung des rechten Fußes (max. Einzel-GdB 20) und teilweise des Wirbelsäulenleidens (Einzel-GdB 20) rechtfertigt sich allenfalls ein mobilitätsbedingter GdB von 40, ohne dass jedoch die Wechselwirkung der diesbezüglichen Beeinträchtigungen sich derart schwerwiegend auf das Gehvermögen auswirken, dass eine Vergleichbarkeit mit einer Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung als gegeben angesehen werden kann. Soweit Dr. Sch im Gegensatz zu den Sachverständigen Dr. W und L einen moblitätsbedingten GdB von 60 als gegeben ansiehtkann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil diese Einschätzung auf eine den versorgungsmedizinischen Grundsätzen widersprechende Addition der Einzel-GdB (Knie, 30, Fuß 20, Hüfte 10) hinausläuft.
Auch unter Berücksichtigung der bei dem Kläger bestehenden Gleichgewichtsstörungen und deren Zusammenspiel mit den bestehenden orthopädischen Leiden rechtfertigt sich die Annahme einer der in Teil B Nr. 30 Abs. 3 bis 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1d bis f der Anlage zu § 2 VersMedV ausdrücklich genannten Regelbeispielen vergleichbare erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr angesichts der Geringfügigkeit der Gleichgewichtsstörungen (Einzel-GdB 20) nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 und des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab dem 20. Januar 2003.
Der 1946 geborene Kläger ist Diplomingenieur und war zuletzt selbstständig im Bereich Fernsehtechnik/Schlüsseldienst/Sicherheitstechnik tätig. Er ist nunmehr Rentenbezieher.
Aufgrund einer ihm gegenüber verübten Gewalttat vom 2. Juni 1989 ist zugunsten des Klägers aufgrund einer verheilten Nasenbeinfraktur, einer Orbitabodenfraktur links und der psychischen Begleiterscheinungen der Tat eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 bis 30 v.H. anerkannt und bezieht der Kläger Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Nachdem der Kläger am 13. Mai 2001 einen schweren Motoradunfall erlitten hatte, stellte der Beklagte auf Antrag des Klägers vom 4. Februar 2002 mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. Juli 2002 in der Fassung des Bescheides vom 17. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2003 einen GdB von 50 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest:
seelisches Leiden mit Restbeschwerden nach Orbitabodenfraktur links und Nasenbeinfraktur sowie Hirnblutung 1989; leichtes hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (SHT) 5/2001 (Einzel-GdB 40)
degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung mit rezidivierenden Wurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20)
Kniegelenksarthrose, Funktionseinschränkung des rechten Fußes nach Fraktur, Fußgelenksarthrose, Fußfehlform (Einzel-GdB 20)
Arthrose und Funktionseinschränkung des rechten Ringfingers (Einzel-GdB 10)
Chronische Bronichtis, Sinusitis (Einzel-GdB 10)
Refluxösophagitis bei Hiatushernie (Einzel-GdB 10).
Die Zuerkennung des Merkzeichens "G" lehnte der Beklagte ab.
Auf Antrag des Klägers vom 20. Januar 2003 auf Neufeststellung des GdB und Zuerkennung des Merkzeichens "G" nahm der Beklagte nach weiteren medizinischen Ermittlungen und angesichts der bisher nicht erfolgten Berücksichtigung der anerkannten Schädigungsfolgen nach dem OEG vorgenannte Bescheide mit Bescheid vom 3. September 2004 mit Wirkung vom 4. Februar 2002 zurück und stellte den GdB mit 60 aufgrund der folgenden Funktionsbeeinträchtigungen neu fest:
Hirnleistungsschwäche und Depression nach SHT II. Grades mit Subarachnoidalblutung und basofrontalen Contusionen (Einzel-GdB 40) – Unfallfolgen -
Schädigungsfolgen nach dem OEG (Einzel-GdB 25 - 30)
degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung mit rezidivierenden Wurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20)
Kniegelenksarthrose, Funktionseinschränkung des rechten Fußes nach Fraktur, Fußgelenksarthose, Fußfehlform (Einzel-GdB 20)
Arthrose und Funktionseinschränkungen des rechten Ringfingers (Einzel-GdB 10)
Chronische Bronchitis, Sinusitis (Einzel-GdB 10)
Refluxösophagitis, Hiatushernie (Einzel-GdB 10).
Im Übrigen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 den GdB mit 60 neu fest, lehnte jedoch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 29. November 2004 ließ der Beklagte den Kläger durch den Arzt für Orthopädie Dr. V begutachten, der in seinem Gutachten vom 24. Mai 2005 die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremität mit einem Einzel-GdB von 30 bewertete, den Gesamt-GdB jedoch unverändert mit 60 feststellte. Der gutachtlichen Einschätzung des Facharztes für Chirurgie und Urologie Dr. B vom 18. November 2005 folgend, der ein Prostataleiden zudem mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete, stellte der Beklagte unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2005 den GdB mit insgesamt 70 neu fest.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin hat das Sozialgericht den Facharzt für Orthopädie Dr. W mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 23. April 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 24. Oktober 2007 gelangte der Sachverständige nach körperlicher Untersuchung des Klägers vom 20. April 2007 zu der Einschätzung, dass der GdB aufgrund der von dem Beklagten festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen zutreffend mit 70 bewertet worden sei. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" seien nicht gegeben. Aufgrund der zunehmenden Kniegelenksproblematik sei eine Erhöhung des GdB von 70 ab dem Jahr 2005 gerechtfertigt.
Nachdem der Kläger unter Vorlage weiterer medizinischer Befundunterlagen eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geltend gemacht hat, hat das Sozialgericht nach Beiziehung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte den Arzt für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin L mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 19. November 2010 nebst ergänzender Stellungnahme vom 30. Juni 2011 gelangte der Sachverständige nach körperlicher Untersuchung des Klägers vom 1. November 2010 zu der Einschätzung, dass der Gesamt-GdB auch unter Berücksichtigung von weiteren Funktionsbeeinträchtigungen in Form von
Gleichgewichtsstörungen (Einzel-GdB 20)
eines Schlafapnoesyndroms (Einzel-GdB 20)
Bronchitis, Bluthochdruck, Adipositas (Einzel-GdB 20)
weiterhin mit 70 zu bewerten sei und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht gegeben seien.
Mit Urteil vom 25. November 2011 hat das Sozialgericht Berlin die Klage unter Bezugnahme auf die Feststellungen und Einschätzungen der Sachverständigen abgewiesen. Die hiergegen vorgebrachten Einwendungen des Klägers würden eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen.
Gegen das ihm am 7. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Januar 2012 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat gemäß § 109 SGG den Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Dr. Sch mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 16. Mai 2013 gelangt der Sachverständige nach körperlicher Untersuchung des Klägers vom 26. März 2013 zu der Einschätzung, dass der GdB mit 70 zu bewerten sei. Dabei sei die Funktionsbeeinträchtigung der unteren Extremität mit einem Einzel-GdB von 60 (Hüfte 10, Knie 30, Fuß 20) zu bewerten. Der Kläger erfülle daher zugleich die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G". Der von ihm festgestellte Gesundheitszustand sei im Wesentlichen seit dem 4. Februar 2002 gleichbleibend, wobei sich die Hüft- und Kniegelenksarthrose verstärkt hätten.
Der Kläger ist der Auffassung, dass dem Sachverständigen Dr. Sch hinsichtlich der Bewertung der gesundheitlichen Voraussetzungen zum Merkzeichen "G" zu folgen sei. Auch sei ein GdB von 80 anzuerkennen, zumal sich sein Gesundheitszustand zusehends verschlechtere.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin 25. November 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 3. September 2004 und des Bescheides vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2005 zu verpflichten, den Bescheid vom 1. Juli 2002 in der Fassung des Bescheides vom 17. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2003 zu ändern und für den Kläger ab dem 20. Januar 2003 einen Grad der Behinderung von 80 und die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurück zuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist ergänzend auf die versorgungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie Dr. P vom 30. Juli 2013.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass der derzeit anerkannte GdB von 70 seit dem 20. Januar 2003 anerkannt sei
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 3. September 2004 und vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2005 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat nach § 44 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X) keinen Anspruch auf die begehrte rückwirkende Feststellung eines GdB von 80 und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab dem 20. Januar 2003.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von 80 ab dem 20. Januar 2003 nicht zu.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als 6 Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipiertes Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend der streitgegenständlichen Zeit ab dem 20. Januar 2003 in den Fassungen 1996, 2004, 2005 und 2008. Seit dem 01. Januar 2009 sind die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), zuletzt geändert durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 11. Oktober 2012, festgelegten "versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben. Liegen dabei mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 19 Abs. 3 der AHP bzw. Teil A Nr. 3 c der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Dabei führen, von Ausnahmen abgesehen, zusätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnten, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 19 Abs. 4 der AHP bzw. Teil A Nr. 3 d der Anlage zu § 2 VersMedV).
Hiervon ausgehend rechtfertigt sich weiterhin kein höherer GdB als 70 ab 20. Januar 2003.
In Übereinstimmung mit den Sachverständigen ist das bei dem Kläger führende Leiden der Hirnleistungsminderung infolge des Motorradunfalles mit einem Einzel-GdB von 40 und die Schädigungsfolgen nach dem OEG mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Weiterhin bestehen aufgrund der medizinischen Ermittlungen unter Einschluss der eingeholten Sachverständigengutachten Funktionsbeeinträchtigungen, die maximal einen Einzel-GdB von jeweils 20 rechtfertigen (Wirbelsäulenleiden, Gleichgewichtsstörungen, Schlafapnoesyndrom, Funktionseinschränkung des rechten Fußes). Selbst wenn man mit dem Sachverständigen Dr. Sch das Kniegelenksleiden separat mit einem Einzel-GdB von 30 statt 20 bewerten würde, rechtfertigt sich unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen unverändert kein höherer GdB als 70. Das führende, mit 40 zu bewertende Leiden ist angesichts der mit 30 zu bewertenden Funktionsbeeinträchtigungen um je einen 10er-Grad zu erhöhen. Bei einem daraus resultierenden Gesamt-GdB von 60 rechtfertigt sich bei vier weiteren Einzel-GdB von 20 maximal eine weitere Erhöhung um einen 10er-Grad, um der Gesamtbehinderung insgesamt gerecht zu werden. Denn insoweit liegen allenfalls geringfügige Funktionsbeeinträchtigungen vor. Die darüber hinausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen, die lediglich einen GdB von 10 bedingen, führen, dem Regelfall entsprechend, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbehinderung. Der Senat schließt sich der im Ergebnis übereinstimmenden Auffassung der Sachverständigen an, dass die Gesamt-GdB mit 70 zutreffend bewertet ist. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf aktuelle Befundberichte aus dem Jahre 2014 auf eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes verweist, lassen sich daraus keine weiteren, länger als 6 Monate andauernden Funktionsbeeinträchtigungen ableiten, die im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zu einer Höherbewertung der Gesamtbeeinträchtigung führen können.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab dem 20. Januar 2003.
Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX). Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60 Nr. 2). Allerdings ist es für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht ausreichend, dass diese Wegstrecke nicht in dem genannten Zeitraum bewältigt werden kann.
Denn Teil B Nr. 30 der AHP bzw. Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 VersMedV vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) – geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, um annehmen zu können, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also dem Körperbau und etwaigen Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die versorgungsmedizinischen Grundsätze der Anlage zu § 2 VersMedV bzw. die AHP diejenigen heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die versorgungsmedizinischen Grundsätze beschreiben dabei Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (BSG, Urteil vom 13. August 1997, 9 RVs 1/96, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2).
Die in Teil B Nr. 30 AHP bzw. Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 VersMedV aufgeführten Fallgruppen liegen hier nicht vor.
Die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr lässt sich insbesondere nicht auf eine behinderungsbedingte Einschränkung des Gehvermögens gründen, da bei dem Kläger keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Es sind bei dem Kläger auch keine Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arterielle Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40 (vgl. Teil B Nr. 30 Abs. 3 AHP bzw. Teil D Nr. 1d S.1 und S. 2 der Anlage zu § 2 VersMedV).
Unter Berücksichtigung des Kniegelenksleidens (max. Einzel-GdB 30), der Funktionseinschränkung des rechten Fußes (max. Einzel-GdB 20) und teilweise des Wirbelsäulenleidens (Einzel-GdB 20) rechtfertigt sich allenfalls ein mobilitätsbedingter GdB von 40, ohne dass jedoch die Wechselwirkung der diesbezüglichen Beeinträchtigungen sich derart schwerwiegend auf das Gehvermögen auswirken, dass eine Vergleichbarkeit mit einer Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung als gegeben angesehen werden kann. Soweit Dr. Sch im Gegensatz zu den Sachverständigen Dr. W und L einen moblitätsbedingten GdB von 60 als gegeben ansiehtkann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil diese Einschätzung auf eine den versorgungsmedizinischen Grundsätzen widersprechende Addition der Einzel-GdB (Knie, 30, Fuß 20, Hüfte 10) hinausläuft.
Auch unter Berücksichtigung der bei dem Kläger bestehenden Gleichgewichtsstörungen und deren Zusammenspiel mit den bestehenden orthopädischen Leiden rechtfertigt sich die Annahme einer der in Teil B Nr. 30 Abs. 3 bis 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1d bis f der Anlage zu § 2 VersMedV ausdrücklich genannten Regelbeispielen vergleichbare erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr angesichts der Geringfügigkeit der Gleichgewichtsstörungen (Einzel-GdB 20) nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
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